Für den Irankrieg ist alles vorbereitet
Andreas Zumach
Der Irankonflikt hat eine neue Eskalationsstufe erreicht. Die Führung in Teheran ist
der vor 60 Tagen mit der Resolution 1773 erfolgten Aufforderung des UNO-Sicherheitsrates,
bis spätestens gestern Abend alle Aktivitäten zur Anreicherung von Uran überprüfbar
einzustellen, nicht nachgekommen. Damit wird die Gefahr eines von den USA sowie eventuell
Israel geführten Krieges gegen Iran größer denn je. Auch weil es bei dem Konflikt mit
Teheran gar nicht nur um das iranische Atomprogramm geht.
Warum ist Iran so wichtig?
Iran ist die dominierende Regionalmacht im Herzen der seit Mitte des letzten
Jahrhunderts konfliktreichsten Weltregion Naher Osten/Mittlerer Osten/Zentralasien. Zwei
Drittel der weltweiten Öl-und Gasvorräte befinden sich auf dem Gebiet. Iran ist
innerhalb der Region inzwischen das wirtschaftlich, politisch und strategisch bedeutendste
Land. Es verfügt nach Saudi-Arabien und Irak über die drittgrößten Ölreserven und
nach Russland über die zweitgrößten Gasvorkommen. Das Land hat neun zum Teil
hochsensible und umstrittene Außengrenzen, weit mehr als jedes andere Land der Region.
Nachbarstaaten sind Irak, Pakistan, Afghanistan, Turkmenien, Aserbaidschan, Armenien und
die Türkei. Hinzu kommen Irans südwestliche Küste am Persischen Golf, der wichtigsten
Wasserstraße zum Transport von Öl, sowie im Norden die Küste am rohstoffreichen
Kaspischen Meer. Mit seinen rund 70 Millionen EinwohnerInnen hat Iran die mit Abstand
jüngste Bevölkerung der Welt mit dem größten Anteil an unter 20-, 30- und
40-Jährigen.
Wohin wird sich dieses bedeutendste Land in der politisch brisantesten Weltregion in
den nächsten Jahren entwickeln? Wen beteiligt Iran an der Erschließung seiner Öl-und
Gasfelder? Wohin und mit wem baut das Land seine Pipelines, wo kauft es seine Waffen?
Heißen die strategischen Bündnispartner Irans in absehbarer Zukunft China, Russland und
Indien? Oder kommt das Land wieder zurück ins westliche Lager und damit unter Einfluss
und Kontrolle der USA, wie das in den "goldenen Jahren" der Schah-Diktatur
zwischen 1953 und 1979 der Fall war? Die Fragen sind von höchstem strategischem
Interesse. Nicht nur in Washington, sondern zunehmend auch in Peking, Moskau und Delhi,
aber auch in Berlin, London und Paris.
Wollen die USA einen Krieg gegen Iran?
Diese Frage lässt sich seriös (noch) nicht eindeutig mit "Ja" oder
"Nein" beantworten. Sicher und durch zahlreiche Äußerungen verantwortlicher
Regierungspolitiker in Washington belegt ist, dass die Bush-Administration einen
Regimewechsel in Teheran für unerlässlich hält, um Iran wieder ins "westliche
Lager" zurückzuholen. Das ist über das Weiße Haus und die Republikanische Partei
hinaus bis weit ins Lager der Demokraten Konsens in Washington. Kontrovers diskutiert wird
dort allerdings über den Weg dahin- und das bereits seit mindestens vier Jahren. Zwei
Lager stehen sich gegenüber. Die eine Fraktion hält politischen und wirtschaftlichen
Druck auf Teheran (etwa durch globale, vom UNO-Sicherheitsrat verhängte Sanktionen) sowie
die Unterstützung der inneriranischen und der Exilopposition für ausreichend, um den
Regimewechsel herbeizuführen. Das Lager wird vom State Department und der derzeitigen
CIA-Führung angeführt. Die andere Fraktion, zu deren wichtigsten und einflussreichsten
Vertretern US-Vizepräsident Richard Cheney, innerhalb des Pentagon die
Luftwaffenkommandeure sowie die wichtigsten Denkfabriken der Neokonservativen gehören,
hält hingegen einen Krieg gegen Iran für unerlässlich. Diese Gruppe setzte bereits im
Mai 2002 durch, dass das Weiße Haus das Pentagon mit der Ausarbeitung von
Operationsplänen für einen Luftangriff gegen Iran beauftragte.
Was wäre das Szenario für einen Krieg gegen Iran?
Das Pentagon hat Operationspläne für einen mehrwöchigen Luftkrieg ausgearbeitet. Sie
liegen seit Ende 2005 vor. Anfang dieses Jahres wurden sie vom Obersten Kommando der
Luftwaffe in Florida abgesegnet.
Die Pläne sehen ausdrücklich auch den Einsatz von "bunker busters" vor -mit
Atomsprengköpfen bestückte Raketen zur Zerstörung unterirdischer Anlagen. Außerdem
werden über 10.000 Angriffsziele identifiziert. Dazu gehören nicht nur tatsächliche
oder vermeintliche Nuklearanlagen Irans, sondern auch die gesamte militärische
Infrastruktur des Landes (Kommandozentralen, Marinestützpunkte, Luftwaffenbasen,
Raketenabwehranlagen, Kasernen etc.) sowie zentrale Bereiche der zivilen Infrastruktur
(Strom-und Wasserversorgung, Kommunikationsverbindungen, Verkehrswege und
Transporteinrichtungen). Die Zerstörung der Infrastruktur soll das iranische Volk zum
Aufstand und zum Sturz der Regierung in Teheran bewegen, so das Kalkül der Kriegsplaner
in Washington.
Wie sähe der Kriegsbeginn aus?
In Washingtoner Militär-und Geheimdienstkreisen werden drei Szenarien diskutiert:
1. Die USA-Luftstreitkräfte beginnen mit massiven Luftschlägen. Begründet wird
der Krieg mit dem iranischen Atomprogramm sowie mit der (angeblichen) Unterstützung
US-feindlicher Kräfte im Irak durch Teheran.
2. Die israelische Luftwaffe bombardiert mit dem Argument der Selbstverteidigung
gegen die atomare Bedrohung durch Iran dessen Nuklearanlagen. Iran reagiert mit dem
Abschuss konventioneller Raketen gegen Israel. Die USA greifen "zur
Verteidigung" Israels in den Krieg ein.
3. Die Bush-Regierung schafft einen Vorwand nach Art der "Tonking"-Lüge
von 1964. Der angebliche Angriff nordvietnamesischer Patrouillenboote auf den
US-Zerstörer "Maddox" im Golf von Tonking diente Präsident Lyndon B. Johnson
vor 43 Jahren dazu, sich vom US-Kongress zum Krieg gegen Nordvietnam ermächtigen zu
lassen.
Sind die USA trotz der laufenden Kriegs-und Besatzungseinsätze im Irak und in
Afghanistan militärisch überhaupt zu einem Luftkrieg gegen Iran in der Lage?
Ja. Der Krieg könnte morgen früh um fünf Uhr beginnen, und wir erführen davon um 6
Uhr aus den Nachrichten. Alle militärischen Potenziale, die das Pentagon in den
Operationsplänen für einen Luftkrieg vorgesehen hat, sind vor Ort stationiert und
kampfbereit. Die USA unterhalten in sieben Nachbarländern des Irans Landbasen mit
Kampfflugzeugen und Cruise Missiles. Zwei US-Flugzeugträger kreuzen im Persischen Golf,
zwei in der Arabischen See. Auch die B-52-Bomberflotte auf Diego Garcia im Indischen Ozean
ist nicht außer Reichweite.
Kann sich Präsident Bush angesichts des Desasters im Irak einen weiteren Krieg
gegen Iran innen- und außenpolitisch leisten?
Wegen der Situation im Irak ist leider kein Verlass darauf, dass ein Krieg gegen Iran
schon nicht stattfinden werde. Denn vor dem Desaster wurde bereits vor Kriegsbeginn im
März 2003 eindringlich gewarnt - und zwar von führenden Militärs, Geheimdienstlern und
Experten innerhalb des Washingtoner Machtapparats. Der Irakkrieg wurde trotz dieser
Warnungen geführt.
Nun hat Präsident George W. Bush nichts mehr zu verlieren. Mit seiner jüngsten
Entscheidung, die Besatzung Iraks fortzusetzen und dafür die dort stationierten
US-Truppen zu verstärken, wird sich die Lage in Irans westlichem Nachbarland nicht
verbessern, sondern weiter verschlimmern. Der Druck auf die Bush-Administration, vom
eigenen Versagen abzulenken und für die Entwicklung im Irak eine iranische Einmischung
verantwortlich zu machen, wird weiter zunehmen. Und auch in Afghanistan zeichnet sich eine
Niederlage in Bushs "Krieg gegen den Terror" ab.
Der innenpolitische Widerstand der Demokraten gegen einen Irankrieg ist schwach. Sie
müssten mit ihrer Mehrheit im Kongress eine verbindliche Resolution durchsetzen, die
Präsident Bush einen Krieg gegen Iran ausdrücklich untersagt und ihm für den Fall einer
Zuwiderhandlung mit einem Verfahren zur Amtsenthebung - einem Impeachment - droht. Doch
dazu ist die große Mehrheit der Demokraten im Kongress nicht bereit.
Auch von den Regierungen der westlichen Verbündeten in Nato und EU erfährt Bush -
anders als vor dem Irakkrieg - zumindest bislang keinen entschiedenen Widerspruch zu einem
Krieg gegen Iran. Und was die öffentliche Meinung in den westlichen Staaten angeht, kann
die Bush-Administration damit rechnen, dass ein Krieg gegen Iran auf weniger Ablehnung
stoßen würde als 2003 der Irakkrieg. Denn anders als vor vier Jahren der Irak unter
Saddam Hussein wird Iran und insbesondere die Führung in Teheran von vielen Menschen im
Westen als wesentlicher Faktor einer islamischen Weltbedrohung wahrgenommen, als
Hauptsponsor des Terrorismus, als Bedrohung für Israel sowie als potenzielle Gefahr für
eine gesicherte Ölversorgung.
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