TAZ
14. Dezember 2007


Sie hats tatsächlich getan

Andreas Zumach


Nach einer Bedenkzeit nimmt die SVP-Politikerin Eveline Widmer-Schlumpf ihre Wahl in den Schweizer Bundesrat an. Nun wird sich die Partei spalten.

Die Spannung war mit Händen zu greifen. Lange hat nichts mehr die 7,6 Millionen SchweizerInnen derart interessiert wie diese Entscheidung. Die Menschen warteten am Donnerstagmorgen vor dem Fernseher, am Radio oder über das Internet auf den Auftritt der SVP-Politikerin Eveline Widmer-Schlumpf. Um 8.06 Uhr war es schließlich so weit: Widmer-Schlumpf verkündete, dass sie die am Mittwochmorgen durch die beiden Kammern des Berner Bundesparlaments - den Nationalrat und den Ständerat - erfolgte Wahl als neues Mitglied der siebenköpfigen eidgenössischen Bundesregierung, des Bundesrats, annimmt.

Bei den meisten Schweizerinnen und Schweizern machten sich Erleichterung und Freude breit, in der Hauptstadt feierten gar anderthalb tausend Menschen die politische Wende. Denn damit war entschieden, dass der seit 2003 amtierende Justizminister Christoph Blocher und heimliche Führer der Schweizerischen Volkspartei aus der Regierung ausscheiden muss (siehe Porträt). Auch im Parlament machten nicht nur Grüne und Sozialdemokraten keinen Hehl aus ihrer Genugtuung über diese Entwicklung, sondern sogar die der bürgerlichen Mitte. "Die Mehrheit des Parlaments wollte keinen Bandenchef mehr in der Regierung haben", freute sich der liberale Abgeordnete Claude Ruey.

Blocher, seit vielen Jahren der bekannteste und umstrittenste Politiker der Schweiz, war am Mittwoch seiner moderaten Parteikollegin Widmer-Schlumpf in zwei Wahlgängen unterlegen. Die Konkurrentin ist seit 1998 in der Regierung des Kantons Graubünden für das Finanzressort zuständig und seit 2003 auch Präsidentin der Finanzkonferenz aller 26 Kantone. Wegen ihrer sachorientierten, erfolgreichen Politik genießt sie in allen politischen Lagern Respekt. Bei der Wahl zur Bundesrätin am Mittwochmorgen erhielt Widmer-Schlumpf nicht nur sämtliche Stimmen der Sozialdemokraten und der Grünen. Auch fast alle Abgeordneten der katholischen Christlichen Volkspartei (CVP) sowie etwa ein Drittel der Fraktion der wirtschaftsliberalen FDP votierten für Blochers Gegenkandidatin.

Blocher sowie die Partei- und Fraktionsführung der SVP ließen anschließend nichts unversucht, um die neugewählte Bundesrätin aus der eigenen Partei zum Amtsverzicht zu bewegen - man warf ihr "Verrat" an der SVP und am "Volkswillen" vor. Mit der Drohung, Blocher werde den Sitz seines Unternehmens Ems-Chemie - mit Abstand der größte Steuerzahler in Graubünden - in einen anderen Kanton verlegen, sollte die Graubündner SVP-Sektion von ihrer Unterstützung für Widmer-Schlumpf abgebracht werden. Zudem stellten die Parteioberen der neugewählten Bundesrätin in Aussicht, sie werde ein Regierungsmitglied "ohne Fraktion im Parlament" sein.

Mit derselben Drohung hatten Blocher und seine Strategen bereits versucht, den moderaten Berner SVP-Politiker und bisherigen Verteidigungsminister Samuel Schmid zu nötigen, sich nicht als Regierungsmitglied vereidigen zulassen. Schmid war am Mittwoch vom Parlament mit glänzendem Resultat wiedergewählt worden. Hätte er dieser Erpressung nachgegeben, wäre möglicherweise auch Widmer-Schlumpf während der 18-stündigen Bedenkzeit, die sie sich unter dem massiven Druck der Partei- und Fraktionsführung am Mittwochmittag ausgebeten hatte, umgefallen. Dann wäre Blocher gestern Morgen in einem weiteren Wahlgang erneut angetreten.

Nun aber geht Blocher mit seiner SVP in die "Totalopposition". Mit Referenden, Kampagnen und anderen Instrumenten außerparlamentarischer Politik wollen er und seine Parteifreunde notfalls auch gegen Parlament und Regierung den "Volkswillen" durchsetzen, der durch die Abwahl angeblich "missachtet" wurde.

Nach Auffassung nahezu aller gestrigen Schweizer Zeitungskommentare ist Blochers Abwahl allerdings in erster Linie seine eigene Schuld und die seiner Partei. Die Argauer Zeitung spricht von einer "oft provozierenden, überheblichen, mal auch unflätigen oder erpresserischen Art, zu politisieren". Die SVP habe ihren durch den Sieg bei der Parlamentswahl vom Oktober legitimierten Machtanspruch "selbstherrlich mit der Person Blocher verknüpft und damit die Niederlage selber provoziert", kommentiert die Basler Zeitung. Und viele Medien erinnern daran, dass die SVP vor vier Jahren erstmals in der Geschichte der Schweiz die Abwahl einer amtierenden Bundesrätin durchgesetzt hat, außerdem mehrfach seit den 70er-Jahren die offiziellen BundesratskandidatInnen der SP verhindert und statt ihrer konservativen Sozialdemokraten zum Amt verholfen hat.

Von der "Totaloppositions"-Drohung des Blocher-Flügels zeigen sich Sozialdemokraten und Grüne unbeeindruckt. Sie meinen, seit seiner Wahl zum Justizminister im Herbst 2003 habe Blocher bereits permanent eine Doppelrolle gespielt - als Mitglied der Exekutive und zugleich als Volkstribun, der Opposition gegen die Regierung betreibt, finanziert und artikuliert.

Im Frühjahr soll Blocher auch ganz offiziell zum Parteichef gewählt werden. Vorher wird sich die SVP aber wahrscheinlich spalten. Von ihren derzeit 62 Abgeordneten im Nationalrat werden möglicherweise bis zu 20 - unter anderem aus den moderaten Parteigliederungen in Graubünden und Bern - eine neue Fraktion gründen. Oder sie schließen sich der Christlichen Volkspartei an.