TAZ
19. Juni 2006


Neues UN-Gremium nimmt die Arbeit auf

In Genf konstituiert sich heute der Menschenrechtsrat, der im Mai von der Generalversammlung gewählt wurde. Unter Mitgliedsstaaten wie beobachtenden Menschenrechtsorganisationen gehen die Erwartungen weit auseinander.

Andreas Zumach

"Keine Rückkehr zum ermüdenden und unglaubwürdigen Kuhhandel um Länderresolutionen!" So lauten die Aufforderungen von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie Human Rights Watch an den neuen Menschenrechtsrat der UNO. Skeptiker befürchten jedoch, das mit Vorschusslorbeeren bedachte Gremium werde in der Praxis auf dem Niveau seines diskreditierten Vorgängers, der UNO-Menschenrechtskommission, bleiben oder im schlimmsten Fall gar dahinter zurückfallen.

Eine sichere Prognose ist derzeit nicht möglich. Zu unterschiedlich sind die Absichten und Interessen der 47 Mitgliedsstaaten des Rates. Doch die erste, bis zum 30. Juni anberaumte Sitzungsperiode des Gremiums dürfte Aufschlüsse geben, in welche Richtung sich das Menschenrechtsengagement der UNO künftig entwickeln wird.

Die Generalversammlung in New York hatte im März in ihrer Resolution zur Gründung des Rates beschlossen, dass dieser künftig die Menschenrechtssituation in allen 191 Mitgliedsstaaten der UNO regelmäßig überprüfen soll. Die jeweils aktuellen 47 Ratsmitglieder beziehungsweise die Bewerberstaaten für künftige Wahlperioden sollen dabei mit Priorität begutachtet werden. Der Rat muss zunächst die Details für diese Überprüfungsverfahren festlegen. Umstritten sind die Kriterien.

Die asiatisch-afrikanische Mehrheit unter den "nichtpaktgebundenen Länder" des Südens im Rat will, dass zur Überprüfung der Menschenrechtssituation in einen Land lediglich Informationen der jeweiligen Regierung herangezogen werden. Die Regionalgruppen Asien und Afrika haben im neuen Rat eine deutlich größere Mehrheit als zuvor. Die westliche Staatengruppe, zum Teil unterstützt von den Lateinamerikanern, verlangt, auch Berichte unabhängiger Menschenrechtsorganisationen zu berücksichtigen. Die Frage ist von politischer Brisanz. Denn im Extremfall könnte ein Mitgliedsland des Rates, bei dem durch die Überprüfung schwerwiegende Menschenrechtsverstöße nachgewiesen werden, durch eine Zweidrittelmehrheit der Generalversammlung aus dem Rat ausgeschlossen werden.

Noch komplexer und konfliktträchtiger ist die von der Generalversammlung im Grundsatz beschlossene Überprüfung und Reform der Arbeitsverfahren und Instrumente der bisherigen Menschenrechtskommission. Dazu gehören die Berufung und Entsendung von Experten oder Sonderberichterstattern, die sich mit der Situation in bestimmten Staaten befassen oder länderübergreifend mit spezifischen Formen von Menschenrechtsverletzungen wie Folter. Dabei handelt es sich um ein im UNO-System bislang einzigartiges Verfahren für "Individualbeschwerden", nach dem sich Opfer von Menschenrechtsverletzungen direkt an die Kommission wenden konnten. Hinzu kommt die Verabschiedung von länderkritischen Resolutionen.

Die westlichen Staaten und die NGOs wollen all diese Instrumente und Arbeitsverfahren im Kern erhalten und lediglich ihre Anwendung effektiver gestalten. Eine Mehrheit der Länder des Südens strebt hingegen die erhebliche Schwächung oder gar völlig Abschaffung dieser Instrumente und Verfahren an. EU-Diplomaten haben bereits die Befürchtung geäußert, dass es Länderresolutionen sowie das Verfahren zur Individualbeschwerde im neuen Menschenrechtsrat nicht mehr geben wird.

Ähnlich verlaufen die Konfliktlinien in der Frage der künftigen Beteiligungs- und Einflussmöglichkeiten für NGOs. In der bisherigen Kommission waren diese Möglichkeiten größer als irgendwo sonst im UNO-System. China, Pakistan und anderen Ländern des Südens ist dies schon lange ein Dorn im Auge. Sie streben an, die Rolle der NGOs im neuen Menschenrechtsrat erheblich einzuschränken. Mit dieser heiklen Frage wird sich der Rat wenn nicht bereits auf dieser, dann auf seiner nächsten Sitzung in der zweiten Septemberhälfte befassen.