Neues UN-Gremium nimmt die Arbeit auf
In Genf konstituiert sich heute der Menschenrechtsrat, der im Mai von der
Generalversammlung gewählt wurde. Unter Mitgliedsstaaten wie beobachtenden
Menschenrechtsorganisationen gehen die Erwartungen weit auseinander.
Andreas Zumach
"Keine Rückkehr zum ermüdenden und unglaubwürdigen Kuhhandel um
Länderresolutionen!" So lauten die Aufforderungen von Nichtregierungsorganisationen
(NGOs) wie Human Rights Watch an den neuen Menschenrechtsrat der UNO. Skeptiker
befürchten jedoch, das mit Vorschusslorbeeren bedachte Gremium werde in der Praxis auf
dem Niveau seines diskreditierten Vorgängers, der UNO-Menschenrechtskommission, bleiben
oder im schlimmsten Fall gar dahinter zurückfallen.
Eine sichere Prognose ist derzeit nicht möglich. Zu unterschiedlich sind die Absichten
und Interessen der 47 Mitgliedsstaaten des Rates. Doch die erste, bis zum 30. Juni
anberaumte Sitzungsperiode des Gremiums dürfte Aufschlüsse geben, in welche Richtung
sich das Menschenrechtsengagement der UNO künftig entwickeln wird.
Die Generalversammlung in New York hatte im März in ihrer Resolution zur Gründung des
Rates beschlossen, dass dieser künftig die Menschenrechtssituation in allen 191
Mitgliedsstaaten der UNO regelmäßig überprüfen soll. Die jeweils aktuellen 47
Ratsmitglieder beziehungsweise die Bewerberstaaten für künftige Wahlperioden sollen
dabei mit Priorität begutachtet werden. Der Rat muss zunächst die Details für diese
Überprüfungsverfahren festlegen. Umstritten sind die Kriterien.
Die asiatisch-afrikanische Mehrheit unter den "nichtpaktgebundenen Länder"
des Südens im Rat will, dass zur Überprüfung der Menschenrechtssituation in einen Land
lediglich Informationen der jeweiligen Regierung herangezogen werden. Die Regionalgruppen
Asien und Afrika haben im neuen Rat eine deutlich größere Mehrheit als zuvor. Die
westliche Staatengruppe, zum Teil unterstützt von den Lateinamerikanern, verlangt, auch
Berichte unabhängiger Menschenrechtsorganisationen zu berücksichtigen. Die Frage ist von
politischer Brisanz. Denn im Extremfall könnte ein Mitgliedsland des Rates, bei dem durch
die Überprüfung schwerwiegende Menschenrechtsverstöße nachgewiesen werden, durch eine
Zweidrittelmehrheit der Generalversammlung aus dem Rat ausgeschlossen werden.
Noch komplexer und konfliktträchtiger ist die von der Generalversammlung im Grundsatz
beschlossene Überprüfung und Reform der Arbeitsverfahren und Instrumente der bisherigen
Menschenrechtskommission. Dazu gehören die Berufung und Entsendung von Experten oder
Sonderberichterstattern, die sich mit der Situation in bestimmten Staaten befassen oder
länderübergreifend mit spezifischen Formen von Menschenrechtsverletzungen wie Folter.
Dabei handelt es sich um ein im UNO-System bislang einzigartiges Verfahren für
"Individualbeschwerden", nach dem sich Opfer von Menschenrechtsverletzungen
direkt an die Kommission wenden konnten. Hinzu kommt die Verabschiedung von
länderkritischen Resolutionen.
Die westlichen Staaten und die NGOs wollen all diese Instrumente und Arbeitsverfahren
im Kern erhalten und lediglich ihre Anwendung effektiver gestalten. Eine Mehrheit der
Länder des Südens strebt hingegen die erhebliche Schwächung oder gar völlig
Abschaffung dieser Instrumente und Verfahren an. EU-Diplomaten haben bereits die
Befürchtung geäußert, dass es Länderresolutionen sowie das Verfahren zur
Individualbeschwerde im neuen Menschenrechtsrat nicht mehr geben wird.
Ähnlich verlaufen die Konfliktlinien in der Frage der künftigen Beteiligungs- und
Einflussmöglichkeiten für NGOs. In der bisherigen Kommission waren diese Möglichkeiten
größer als irgendwo sonst im UNO-System. China, Pakistan und anderen Ländern des
Südens ist dies schon lange ein Dorn im Auge. Sie streben an, die Rolle der NGOs im neuen
Menschenrechtsrat erheblich einzuschränken. Mit dieser heiklen Frage wird sich der Rat
wenn nicht bereits auf dieser, dann auf seiner nächsten Sitzung in der zweiten
Septemberhälfte befassen.
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