Annan beschuldigt USA
Andreas Zumach
Der UN-Generalsekretär weist den USA und Großbritannien eine Mitschuld am illegalen
Ölhandel mit dem Irak zu. Ermittlungen gegen Ölhändler.
UNO-Generalsekretär Kofi Annan ist in der Affäre um das UNO-Programm "Öl für
Nahrungsmittel" (ÖfN) im Irak sowie die illegalen Ölverkäufe des ehemaligen
Regimes von Saddam Hussein erstmals in die Offensive gegangen. "Die Affäre ist nur
in den USA eine große Geschichte, nicht aber in den anderen 190
UN-Mitgliedsstaaten", erklärte Annan in der Nacht zu gestern bei einem Seminar in
New York. "In den USA gibt es eine UN-feindliche Lobbygruppe, die mehr Munition und
mehr Personal hat als wir und über Ressourcen verfügt, die wir nicht haben",
betonte der Generalsekretär. Diese Lobbygruppe sei "organisiert und
unermüdlich" und werde ihre Angriffe auch nach Abschluss der Untersuchungen der
Volcker-Kommission weiterführen, sagte Annan.
Erstmals wies der Generalsekretär auch auf die in der Medienberichterstattung - nicht
nur in den USA - bislang unterbelichtete Tatsache hin, dass der mit Abstand größte
Nutzen für das Regime von Saddam Hussein und zugleich der größte Nachteil für das
irakische Volk nicht aus dem Missbrauch des ÖfN-Programms herrührte, sondern aus dem
davon völlig unabhängig betriebenen Schmuggel billigen Öls in Iraks Nachbarstaaten
Türkei und Jordanien. Für das zu irakischen Binnenmarktpreisen (0,02 Dollar kostete in
den 90er-Jahren ein Liter Benzin an einer irakischen Tankstelle) geschmuggelte Öl
kassierte das Regime nach Erkenntnis der Volcker-Kommisison über 11 Milliarden US-Dollar.
Hätten Jordanien und die Türkei ihr Öl ganz legal im Rahmen des ÖfN-Programms gekauft
(zum damals vom UNO-Sicherheitsrat festgesetzten Preis zwischen 5 und 10 Prozent unter dem
Weltmarktpreis) wäre ein Vielfaches auf das ÖfN-Konto der UNO geflossen und hätte für
den Ankauf von humanitären Gütern für das irakische Volk zur Verfügung gestanden.
Annan erklärte, der Schmuggel - ein klarer Verstoß gegen die vom Sicherheitsrat
verhängten Wirtschaftssanktionen gegen Irak - sei "unter Beobachtung der USA und
Großbritanniens erfolgt".
Tatsächlich hatte das Außenministerium in Washington zwischen 1991 und 2003 jährlich
schriftlich verfügt, dass die US-Verbündeten Jordanien und Türkei nicht mit bilateralen
wirtschaftlichen Strafmaßnahmen belegt werden, die das US-Gesetz für den Fall eines
Bruchs von UNO-Sanktionen vorsieht.
Der Missbrauch des ÖfN-Programms durch Manipulation der Verkaufspreise für Öl und
der Einkaufspreise für humanitäre Güter brachte dem Regime in Bagdad 2 bis 2,5
Milliarden Dollar ein sowie ausländischen Firmen Millionengewinne. Am Donnerstag erhob
die New Yorker Staatsanwaltschaft Anklage wegen Beteiligung an derartigen Manipulationen.
Angeklagt und noch am gleichen Tag festgenommen wurden der Chef der Ölfirma Bayoil, David
Bay Chalmers in Houston, Texas, sowie der dort lebende bulgarische Ölhändler Ludmil
Dionissiev. Haft- und Auslieferungsbegehren der Staatsanwaltschaft beziehen sich auf den
Londoner Ölbroker John Irving sowie auf den südkoreanischen Lobbyisten Tongsun Park.
Park soll gemeinsam mit dem im Januar festgenommenen irakisch-amerikanischen
Geschäftsmann Samir Vincent in den USA illegale Lobbyarbeit für das Regime von Saddam
Hussein betrieben haben.
Wegen Beteiligung an den Manipulationen und wegen Schmiergeldzahlungen an Bagdad
ermittelt die Volcker-Kommission nach Angaben ihres Mitglieds Mark Pieth auch gegen einige
der 150 deutschen Firmen, die, neben 3.850 Unternehmen aus anderen Ländern, Aufträge im
Rahmen des ÖfN-Programms hatten oder sich darum bemühten. Pieth übte scharfe Kritik an
der Rolle des Sicherheitsrats bei der Vergabe von Aufträgen. Die
"tonangebenden" Mitglieder des Rates hätten sich "bedient".
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