Ein hochexplosives Problem der USA
Die Bush-Administration trägt die Verantwortung für das
Verschwinden von Sprengstoffen aus dem Irak. Das entwendete Material
ist weit gefährlicher als die 400.000 Tonnen bislang von den
US-Truppen zerstörte oder gesicherte Munition
Andreas Zumach
Die Bush-Administration hat vergeblich versucht, ihre Verantwortung für
das am Montag bekannt gewordene Verschwinden von 340 Tonnen hochexplosiven
Sprengstoffs aus der irakischen Militäranlage al-Kakaa zu leugnen
und die Brisanz dieses Vorfalls herunterzuspielen. Das Material taugt
auch für die Zündung von Atomsprengköpfen.
Es sei "unklar", ob der Sprengstoff vor oder nach dem Einmarsch
der US-geführten Truppen in den Irak im März 2003 verschwunden
sei, hatte Pentagon-Sprecher Larry di Rita am Montagabend zunächst
behauptet. Wenig später musste Regierungssprecher Scott McClellan
einräumen, dass der Sprengstoff erst abhanden kam, nachdem die
US-Besatzungstruppen die Verantwortung für die Bewachung aller
irakischen Militäranlagen übernommen hatten. Zwischen beiden
Aussagen war ein Brief bekannt geworden, in dem der Direktor der Internationalen
Atomenergiebehörde (IAEO), Mohammed El-Baradei, den UNO-Sicherheitsrat
am Montag über die Affäre unterrichtet hatte. Darin heißt
es, der fehlende Sprengstoff sei "nach dem 9. April 2003
aufgrund fehlender Sicherheit durch Diebstahl und Plünderung
von Regierungseinrichtungen abhanden gekommen".
Bis zu ihrem Rausschmiss aus dem Irak durch die Bush-Administration
Mitte März 2003 hatten Inspektoren der IAEO al-Kakaa und andere
irakische Militäranlagen, in denen potenziell atomwaffentaugliche
Materialien lager(te)n, regelmäßig überwacht. Die
340 Tonnen Sprengstoff wurden von der IAEO versiegelt. Noch vor Kriegsbeginn
forderte El-Baradei die Bush-Administration in einem Schreiben ausdrücklich
auf, die Militäranlage im Falle eines Angriffs gegen Irak so
schnell wie möglich unter Bewachung zu stellen.
Regierungssprecher McClellan versuchte, die Brisanz der Affäre
mit dem Hinweis herunterzuspielen, die US-Truppen im Irak hätten
seit März 2003 "mehr als 243.000 Tonnen Munition zerstört
und weitere 163.000 Tonnen gesichert". Dabei handelt es sich
allerdings fast ausschließlich um herkömmliche Sprengstoffe
(wie z. B. Dynamit), die in allen Armeen dieser Welt vorhanden und
teilweise sogar auf dem freien Markt erhältlich sind.
Die aus al-Kaaka entwendeten Sprengstoffe sind jedoch die explosionsstärksten
und -schnellsten, die weltweit existieren: 195 Tonnen HMX (high melting
point explosive), 5,8 Tonnen PETN (Pentaerythritot Tetranitrate) sowie
141 Tonnen RDX (rapid detonation explosive) - der Hauptbestandteil
des Plastiksprengstoffes Semtex.
Per Gewichtseinheit enthalten diese Sprengstoffe weit mehr Zerstörungskraft
als TNT. Mit lediglich einem halben Kilo Semtex hatten Terroristen
1988 über dem schottischen Lockerbie ein Flugzeug der US-Gesellschaft
Pan Am zum Absturz gebracht. Da HMX, PETN und RDX allein durch Stöße
nicht zur Explosion gebracht werden können, sind sie sehr transportsicher.
In kleineren Mengen lassen sie sich auch im Fluggepäck verstecken
- auch vor Metalldetektoren oder Wärmesensoren.
Aufgrund ihrer hohen Dichte und Explosionskraft werden diese Sprengstoffe
auch für die Zündung von Atomsprengköpfen verwendet.
Deswegen und weil die Anlage al-Kaaka bis Anfang der 90er-Jahre auch
für die Entwicklung von Atomwaffen genutzt wurde, hatte die IAEO
die dort gelagerten Sprengstoffe ihrer Kontrolle unterworfen. Von
einer Zerstörung der Sprengköpfe sah die IAEO ab. Denn das
Regime Saddam Husseins reklamierte einen zivilen Nutzen dieser Sprengstoffe,
der auch in anderen Ländern durchaus üblich ist - etwa bei
der Sprengung von Felsen für den Tunnelbau.
|