TAZ
22. November 2002

 

Nato und die sieben Zwerge

Russland reagiert gelassen auf die Nato-Erweiterung. Deutlich wurden vielmehr Differenzen zwischen Frankreich und den USA.

Andreas Zumach

"Wir fordern Lettland, Litauen und Estland nach dieser Nato-Entscheidung auf, jetzt den Vertrag über konventionelle Abrüstung in Europa aus dem Jahre 1990 zu unterzeichnen. Ansonsten ist der Beitritt der drei Staaten zur Nato nicht unsere Angelegenheit." Völlig ruhig reagierte der russische Außenminister Sergei Iwanow gestern in Prag auf die Tatsache, dass sich die Nato im April 2004 auf das ehemalige Territorium der Sowjetunion ausdehnen wird.

Als hätte es in Moskau niemals Bedenken gegen die zweite Erweiterungsrunde der Nato gegeben. Sie umfasst neben den drei baltischen Staaten und Slowenien auch die ehemaligen Verbündeten der UdSSR Rumänien, Bulgarien sowie die Slowakei. Bei den künftigen Nato-Mitgliedern herrschte euphorischer Jubel. Lettlands Präsidentin Varik Vike-Freiberga sprach vom "Beginn einer neuen Ära" für ihr Land, ihr rumänischer Amtskollege Ion Iliescu von einem "radikalen Bruch mit der Vergangenheit". Frankreichs Präsient Jacques Chirac wertete die Aufnahme der sieben osteuropäischen Staaten als "Beweis, dass die künstliche Teilung Europas zu Ende ist". Die drei anderen Beitrittsbewerber Kroatien, Mazedonien und Albanien wurden auf spätere Beitrittsrunden vertröstet. Die Tür sei "für niemanden verschlossen", betonte Nato-Generalsekretär Lord Robertson.

Einstimmig beschlossen die 19 Staats-und Regierungschefs den erst im September von den USA vorgeschlagenen Aufbau einer schnellen Eingreiftruppe der Nato. Die Truppe soll bis Oktober 2004 ihren Dienst aufnehmen und spätestens zwei Jahre danach die volle Einsatzbereitschaft erreichen. Die Vorbereitungen zum Aufbau der Nato-Verbände und der von der EU geplanten Eingreiftruppe sollen sich "gegenseitig verstärken" und die "Autonomie beider Organisationen berücksichtigen", heißt in dem Beschluss.

Die Nato-Eingreiftruppe soll aus technisch fortgeschrittenen und flexiblen Boden-, Luft- und Marineverbänden zusammengestellt werden und für einen längeren Einsatz ausgelegt sein. Zugleich soll sie als "Katalysator für die Verbesserung der militärischen Kapazitäten der Bündnisses dienen".

Unter Berufung auf diese Passage des Gipfelbeschlusses dürften die USA ihren Druck auf die Europäer zu deutlich erhöhten Militärausgaben künftig noch verstärken. In der ebenfalls auf Wunsch der USA verabschiedeten Erklärung zum Irak konnte die Bush-Administration ihre Formulierungsvorschläge, die auf Verschärfung des Druckes gegen Bagdad abzielten, nicht durchsetzen.

In der Gipfel-Erklärung fordern die 19 Staats-und Regierungschefs Irak lediglich auf, die Resolution 1441 des UNO-Sicherheitsrates "vollständig und sofort umzusetzen". Hinter der Fassade dieser einvernehmlichen Haltung wurden auf dem Gipfel Differenzen insbesonders zwischen Frankreich und den USA deutlich über die Interpretation der Resolution des Sicherheitsrates. Wenn Irak den Besitz von Massenvernichtungswaffen in der Erklärung abstreite, die es laut Resolution bis zum 8. Dezember vorlegen muss, sei das für Frankreich "noch kein Grund für Militäraktionen", erklärte ein Mitglied der französischen Delegation in Prag. Der französische Vertreter reagierte damit auf entsprechende Äußerungen von US-Präsident George W. Bush.