TAZ
09. April 2002

 

Global gegen Kriegsverbrechen

Die USA haben versucht, einzelne Staaten von der Ratifizierung des Gerichtshofs-Statuts abzuhalten. Doch jetzt sind vier weitere Staaten dazu bereit.

Andreas Zumach

Täter, Befehlsgeber und politisch Verantwortliche für Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschheit müssen ab 1. Juli stärker als zuvor mit juristischer Verfolgung rechnen. An diesem Donnerstag werden bei einem Festakt in der New Yorker UNO-Zentrale die letzten vier von 60 erforderlichen Ratifikationsurkunden hinterlegt. Damit kann das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Kraft gesetzt werden. Nach der Wahl und Berufung der Richter und Ankläger soll der IStGH spätestens zum Januar nächsten Jahres seine Arbeit in Den Haag dann tatsächlich aufnehmen. In der niederländischen Hauptstadt haben bereits der für zwischenstaatliche Streitigkeiten zuständige Internationale Gerichtshof (IGH) und das Ad-hoc-Tribunal der UNO über die Kriegsverbrechen in Jugoslawien ihren Sitz.

Das Statut für den IStGH wurde im Sommer 1998 auf einer Staatenkonferenz in Rom beschlossen und seitdem von 139 Ländern unterzeichnet. Entschiedenster Gegner sind die USA wegen der angeblichen Gefahr einer "willkürlichen Strafverfolgung" ihrer Staatsbürger. Aber auch China, Japan und eine Reihe asiatischer Staaten haben das IStGH-Statut bislang nicht unterschrieben. Laut Statut kann der IStGH Verfahren gegen Personen durchführen wegen Kriegsverbrechen, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschheit sowie Verbrechen des Angriffskrieges - unabhängig davon, ob diese Taten bei zwischen- oder aber innerstaatlichen Konflikten verübt wurden.

Die Jurisdiktion des IStGH für Verbrechen des Angriffskrieges wird allerdings frühestens nach einer ersten Überprüfungskonferenz aller Mitgliedsstaaten im Jahre 2009 wirksam, bis dahin müssen sich die Staaten zudem auf eine genaue Definition des Straftatbestandes einigen. Bei der Rom-Konferenz hatten die USA eine solche Einigung verhindert mit der Position, als "Angriffskrieg" seien nur jene Kriege zu definieren, die auf die Eroberung und dauerhafte Besatzung eines fremden Territoriums abzielten. Nach dieser Definition wäre zwar etwa Iraks Krieg gegen Kuwait im Sommer 1990 ein "Angriffskrieg", jedoch keiner der zahlreichen Kriege, die die USA seit 1945 geführt haben.

Der IStGH kann nur dann tätig werden, wenn im Herkunftsland des/der mutmaßlichen TäterIn nationale Gerichte überhaupt nicht existieren oder aber nicht in der Lage bzw. unwillig sind, den Fall aufzugreifen. Gegen die entsprechende Feststellung einer Prüfkammer des IStGH kann die Regierung des betroffenen Staates vor zwei weiteren Instanzen Berufung einlegen. Verfahren vor dem IStGH können nicht nur auf Antrag von Regierungen oder des Sicherheitsrates ausgelöst werden, sondern auch auf Eigeninitiative des/r AnklägerIn. Durch Vorlage von Informationen und Beweismaterialien an den/die AnklägerIn können sich auch regierungsunabhängige Organisationen oder Einzelpersonen um die Einleitung eines Verfahrens vor dem IStGH bemühen.

Die Durchsetzung einer eigenständigen Anklagebehörde, die nicht an Weisungen des UNO-Sicherheitsrates gebunden ist, war der umstrittenste Punkt bei der Konferenz von Rom. Die seinerzeit von Deutschland geführte Koalition von zunächst 40 Staaten, die einen politisch möglichst unabhängigen IStGH mit weitreichenden Kompetenzen befürwortete, konnte sich in dieser Frage gegen die USA durchsetzen.

Um eine Mehrheit von schließlich 122 Staaten für das Statut zu sichern, musste die Koalition der Befürworter einige Kompromisse eingehen, die von amnesty international, dem Internationalen Roten Kreuz und zahlreichen anderen NGOs seinerzeit als "bedauerliche Schlupflöcher" kritisiert wurden: Der IStGH kann nur Verfahren durchführen, wenn entweder das Tatortland oder das Herkunftsland der beschuldigten Person Mitglied des IStGH ist. Ist das nicht der Fall, muss einer dieser beiden Staaten vorab ausdrücklich seine Zustimmung erteilen.

Der UNO-Sicherheitsrat kann durch einen Beschluss auf Basis von Kapitel 7 der UNO-Charta die Einleitung eines Verfahrens verhindern oder ein bereits laufendes Verfahren unterbrechen - zunächst für zwölf Monate und danach durch erneute Beschlüsse beliebig oft für die gleiche Zeitspanne. Für zunächst sieben Jahre nach der Ratifizierung des Statuts können Regierungen Verfahren gegen BürgerInnen ihres Landes wegen Kriegsverbrechen durch ein Veto verhindern. Es besteht die Option, dass diese Frist auf künftigen Überprüfungskonferenzen noch verlängert wird. Mit dieser Kompromissregelung wurde Frankreich von den anderen EU-Staaten zur Annahme des Statuts bewegt.

Wegen Kriegsverbrechen angeklagte Soldaten können sich unter bestimmten Umständen auf "Befehlsnotstand" berufen. Trotz dieser "Schlupflöcher", die wesentlich von der Clinton-Administration erzwungen wurden, votierten die USA bei der Schlussabstimmung von Rom gegen das IStGH (gemeinsam mit China, Russland, Irak, Sudan, Libyen und Israel). Russland hat das Statut inzwischen unterschrieben und ratifiziert.

Seit der Rom-Konferenz vom Sommer 1998 übten die USA massiven Druck auf zahlreiche Staaten aus, das Statut des IStGH nicht zu ratifizieren. So wurde dieses bis heute erst von 56 Staaten anerkannt und keine einzelne Regierung war bereit, die entscheidende 60. Ratifikationsurkunde in New York vorzulegen, mit der die Etablierung des IStGH erst Realität werden kann. Aus diesem Grund werden Kambodscha, Irland, Jordanien und Rumänien ihre Ratifikationsurkunden am Donnerstag in einem gemeinsamen Akt vorlegen.