TAZ
01. Oktober 2002

 

Ein Finger wird den USA nicht reichen

Die EU - international einst der Vorreiter für einen effektiven Internationalen Strafgerichtshof (ICC) mit uneingeschränkter Zuständigkeit - ist umgefallen. Daran ändern alle Versuche nichts, den Beschluss der 15 Außenminister zu Sonderabkommen mit den USA schönzureden: Der ICC kann nun umgangen werden.

Andreas Zumach

Bundesaußenminister Fischer unterstrich zwar, wie wichtig es ihm sei, dass die EU in dieser Frage zusammengeblieben ist. Aber warum eigentlich? Wo der gestrige Beschluss doch ausdrücklich jedem der 15 EU-Mitglieder freistellt, ob es ein Sonderabkommen mit Washington abschließt oder nicht. Die Möglichkeit zu einer öffentlichen, klaren und endgültigen Absage an das völkerrechtswidrige Ansinnen der Bush-Administration hatten die 13 Regierungen, die sich bis dato bei den EU-internen Beratungen gegen derartige Abkommen ausgesprochen hatten, auch vor dem gestrigen Beschluss schon.

Die kleine Schweiz, das schwache Jugoslawien und Norwegen haben in den letzten Wochen vorgemacht, dass Courage und Souveränität gegenüber den großen, mächtigen USA möglich sind. Auch die beiden EU-Staaten Großbritannien und Italien, die zum Abschluss von Sonderabkommen mit den USA bereit waren, hatten diese Möglichkeit bereits vor dem gestrigen Beschluss. Mit der hoch gelobten "Gemeinsamkeit" der EU ist also überhaupt nichts gewonnen.

Im Gegenteil: Diese Entscheidung der EU sendet ein fatales Signal an den "Rest" der Welt. Die -neben den 15 EU-Mitgliedern - übrigen 135 Staaten, die das Statut des ICC unterschrieben oder bereits ratifiziert haben, werden jetzt unter noch stärkeren Druck der USA geraten, Sonderabkommen abzuschließen. Und die Gefahr wächst, dass China und andere große Länder, die das Statut des ICC ablehnen, sich durch diesen Erfolg der USA gegenüber der EU ermutigt fühlen und ihrerseits nun ebenfalls Ausnahmeregeln für ihre an UNO-Missionen beteiligte StaatsbürgerInnen verlangen.

Zugleich ist auch für die EU das Thema mit dem gestrigen Beschluss der Außenminister keineswegs erledigt. Das zeigen die ersten unzufriedenen Reaktionen aus Washington. Die EU hat den kleinen Finger gegeben und damit signalisiert, dass die ehedem von ihr formulierten unverrückbaren Prinzipien für einen ICC eben doch nicht so ehern sind. Das macht Hunger nach mehr. Die USA fordern weiterhin die ganze Hand und werden sie -Finger für Finger - wohl auch bekommen.