TAZ
28. September 2001

 

Wen greifen wir an?

Bin Laden und Afghanistan werden für Washington langweilig. Saddam Hussein und der Irak wären viel spannender für eine US-Militäraktion.

Andreas Zumach

Aus der Bush-Administration in den USA werden vor dem Hintergrund der nach wie vor dünnen Beweislage gegen Ussama Bin Laden weiterhin gezielt Hinweise und Spekulationen über eine eventuelle (Mit)verantwortung Iraks für die Terroranschläge vom 11. September an die Öffentlichkeit lanciert. Eine türkische Zeitung berichtete gestern über eine angebliche Vereinbarung zwischen Bin Laden und dem irakischen Präsidenten Saddam Hussein.

Am Mittwoch wurde in Washington als angeblich "gesicherte Erkenntnis" der US-Ermittlungsbehörden verbreitet, im Dezember 1998 habe sich Bin Laden in Kandahar im Südosten Afghanistans mit dem irakischen Botschafter in der Türkei, Faruk Hijusi, getroffen. Hijusi sei ein ranghohes Mitglied des irakischen Geheimdienstes. Lanciert wurden die Hinweise von hohen Vertretern des Pentagons.

Verteidigungsminister Dick Rumsfeld und insbesondere sein Vize Paul Wolfowitz hatten bei den Beratungen von Präsident Bushs Kriegskabinett in den letzten zwei Wochen wiederholt dafür plädiert, das Regime von Iraks Präsident Saddam Hussein öffentlich der (Mit)verantwortung für die Terroranschläge vom 11. September zu bezichtigen und auch die Planung und Vorbereitung militärischer Maßnahmen gegen Irak so offen zu betreiben, wie dies bislang nur gegen Afghanistan der Fall ist. Diese anfangs auch von Vizepräsident Dick Cheney unterstützte Linie konnte sich bislang gegen Bedenken von Außenminister Colin Powell nicht durchsetzen. Powell befürchtet, wenn die USA Irak offen ins Visier nehmen, werde die "internationale Koalition gegen den Terrorismus" wieder zusammenbrechen. Saudi-Arabien und Ägypten haben die Bush-Administration bereits wissen lassen, dass sie Maßnahmen gegen Irak nicht mittragen.

Doch je länger überzeugende Beweise gegen Bin Laden ausbleiben und militärische Maßnahmen gegen Afghanistan weiter verschoben werden, desto mehr wird der innenpolitische Druck auf die Bush-Administration wachsen, den "Krieg gegen Terrorismus" auf andere Ziele auszurichten und endlich auch sichtbare Aktivitäten und "Erfolge" vorzuweisen.

Gestern intensivierten britische und US-Kampfflugzeuge den Beschuss von irakischen Bodenzielen. Zur Begründung verwies die Bush-Administration auf eine verstärkte "Aggression" der irakischen Luftabwehr gegen die Kampfflugzeuge. Mit dieser durch keine unabhängige Seite nachprüfbaren Begründung oder mit Verweis auf angebliche Aktivitäten Iraks bei der (von der UNO verbotenen) Produktion atomarer, biologischer und chemischer Waffen oder von ballistischen Raketen könnte die Bush-Administration auch eine weitere Intensivierung der Bombardements rechtfertigen.

Ein zusätzliches Argument, auf das sich verstärkte militärische Maßnahmen gegen Irak künftig stützen könnten, lieferte am Donnerstag ein Bericht der türkischen Zeitung Sabah. Danach habe eine 400 Mann starke islamistische Kampftruppe, die von Bin Laden und den afghanischen Taliban finanziert, rekrutiert und ausgebildet worden sei, in den letzten Tagen im überwiegend kurdisch besiedelten irakisch-iranischen Grenzgebiet mindestens 30 Mitglieder der "Patriotischen Union Kurdistans" (PUK) getötet. Die PUK steht in Opposition zum Regime von Saddam Hussein. Bereits vor drei Jahren hätten Bin Laden und Saddam Hussein eine enge Zusammenarbeit vereinbart, schreibt Sabah, ohne hierfür Beweise vorzulegen.