TAZ
10. Januar 2001

 

WHO macht Gefahr unschädlich

Die Weltgesundheitsorganisation relativiert eine mögliche gesundheitliche Gefährdung von Soldaten und Zivilisten in Bosnien und Kosovo durch Uranmunition mit dem Hinweis auf eine "zu geringe Dosis"

Andreas Zumach

Verschiedene Experten unter anderem der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben in den letzten Tagen davor gewarnt, vorschnelle Schlussfolgerungen zu ziehen. Eine gesundheitliche Gefährdung, insbesondere eine mögliche Verursachung von Leukämie bei Soldaten oder Zivilisten im Kosovo oder Bosnien durch DU-Munition wurde mit dem Hinweis auf eine "zu geringe Dosis" der festgestellten radioaktiven Strahlung relativiert.

Selbst in unmittelbarer Nähe der Explosion einer DU-Munition könnten Menschen über die entstehenden Partikelstäube weniger als 10 MikroSievert (mSv) in ihren Körper aufnehmen, erklärt der WHO-Experte Michael H. Repacholi in einem am Montag in Genf veröffentlichten Hintergrundpapier. Dies sei lediglich die Hälfte der von der Weltgesundheitsorganisation für zulässig erklärten Jahreshöchstdosis für Beschäftigte in Atomkraftwerken.

In einer Fußnote des Papiers erinnert die WHO allerdings zugleich an die von ihr selbst empfohlene Höchstgrenze von lediglich 1 mSv pro Jahr für die allgemeine Bevölkerung. Die "Unmöglichkeit" einer Leukämiegefährdung durch urangehärtete Munition wird in dem WHO-Papier zudem damit begründet, dass selbst 15 Jahre nach dem AKW-Unfall von Tschernobyl keine erhöhte Leukämierate festgestellt wurde, sondern lediglich ein Anstieg von Schilddrüsenkrebs bei Kindern.

Auch bei Arbeitern in Uranminen habe sich kein ursächlicher Zusammenhang zwischen Radioaktivität und Leukämie feststellen lassen. Die Expertin Gina Mertins von den Internationalen Ärzten für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) hält diese Behauptung der WHO für "unseriös", weil es bis heute keine gründlichen, aussagefähigen epidemiologischen Untersuchungen von Uranminenarbeiter gebe.

Der Direktor des mit der Urinuntersuchung bei deutschen Soldaten beauftragten Münchner GSF-Instituts, Herwig Paretzke, schloss am Dienstag "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus, dass die Urangeschosse irgendetwas mit den beobachteten Leukämiefällen zu tun haben". Eine Grundlage für diese Behauptung nannte Paretzke nicht.

Die bislang bekannt gewordenen Leukämiekrankheiten wurden sämtlich bei mindestens seit 1995 in Bosnien stationierten Soldaten festgestellt. Details über den Einsatz von DU-Munition gegen Ziele in Bosnien und die dabei an bestimmten Einschlagorten freigesetzte Radioaktivität liegen dem GSF-Institut bislang nicht vor. Auch die Gefährdung durch aufgewirbelten Uranstaub sei "zu gering für eine Gesundheitsgefährdung".

IPPNW-Expertin Mertins wies Paretzkes Darstellung als "nicht nachvollziehbar zurück". Denn bei strahlenden Substanzen gebe es "keine Unschädlichkeitsgrenze".