TAZ
09. November 2001

 

Kollision von Sonderinteressen

Das Bestreben der EU, über die Einführung von Umwelt- und Sozialstandards zu reden, stößt bei den USA und den Ländern des Südens auf Widerstand

Andreas Zumach

Unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen beginnt heute Abend in Doha, der Hauptstadt des Golfemirats Katar, die vierte Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO). Nach Vorstellung zumindest der nördlichen Industrienationen soll auf der bis Dienstag anberaumten Konferenz eine neue Verhandlungsrunde über die weitere Liberalisierung des Welthandels eingeläutet werden.

Über den Umfang und die Themen künftiger Verhandlungen haben die vier größten Wirtschaftsmächte USA, EU, Japan und Kanada allerdings unterschiedliche Vorstellungen. So plädiert Kanada vehement für eine Öffnung der Agrarmärkte, was vor allem die USA und die EU nach wie vor verhindern wollen. Auch die Länder des Südens - zwei Drittel der 142 WTO-Mitglieder - treten nicht mit einer gemeinsamen Stimme auf. Die meisten sind jedoch vor allem an Korrekturen der Liberalisierungsabkommen aus der letzten, 1994 abgeschlossenen Uruguay-Welthandelsrunde interessiert. Am Samstag sollen China und Taiwan in die WTO aufgenommen werden.

Die Präsenz von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wurden von Katars Regierung auf ein Minimum beschränkt. Nur wer ein Hotelzimmer und eine Akkreditierung bei der WTO vorweisen kann, darf einreisen. Wenig wahrscheinlich, dass die maximal 300 erwarteten kritischen NGO-Vertreter auf Dohas Straßen protestieren werden. Stattdessen wollen Globalisierungskritiker morgen bundesweit in 35 Städten auf die "Folgen einer neoliberalen Globalisierung" aufmerksam machen (Infos unter www.wto-kritik.de).

Auf der Tagesordnung für Doha stehen sämtliche Streitpunkte, die bereits zum Scheitern der dritten Ministerkonferenz 1999 in Seattle führten. Nach wie vor liegen über 100 Anträge unerledigt auf dem Tisch, in denen die Länder des Südens fordern, die Umsetzungsbestimmungen der Uruguay-Abkommen zu ihren Gunsten zu korrigieren. Die 2. WTO-Konferenz hatte 1996 beschlossen, dass über diese Korrekturanträge entschieden werden muss, bevor eine neue Welthandelsrunde eingeläutet wird (siehe auch Interview).

Die USA verweigern nach wie vor Verhandlungen über eine Reform der Anti-Dumping-Bestimmungen der WTO, die Washington nach Ansicht der EU, Japans und vieler asiatischer Staaten in diskriminierender Weise gegen Textil- oder Stahlimporte anwendet. Das Bestreben der EU, im Rahmen einer "umfassenden Liberalisierungsrunde" auch über neue Themen wie Investitions-und Wettbewerbsregeln sowie über die Einführung von Umwelt-und Sozialstandards zu verhandeln, stößt sowohl bei den Ländern des Südens wie den USA auf Widerstand und Protektionismus-Verdacht. Zu den bekannten Themen von Seattle kommt neuer Konfliktstoff: vor allem der Streit, ob das Recht auf Zugang zu preiswerten Medikamenten (etwa gegen Aids) künftig Vorrang haben soll vor den Patentschutzregeln der WTO, den sogenannten Trips (trade related intellectual property rights). Für diesen Vorrang plädieren die Länder des Südens unter Führung Südafrikas, Indiens und Brasiliens. Dagegen sind vor allem die USA, Japan und die Schweiz, die drei Länder mit den größten Pharmakonzernen und den meisten Patenten.

Unter WTO-Beobachtern gilt als wahrscheinlich, dass keine umfassende neue Welthandelsrunde beschlossen wird, sondern dass den Ministern maximal die Verständigung auf ein, zwei neue Verhandlungsthemen für die Zeit ab 2003 gelingt sowie auf Zielvorgaben für die bereits seit Januar dieses Jahres laufenden Agrarverhandlungen.