TAZ
05. April 2000


Millenniumsreport

Verzweifelter Aufruf

Andreas Zumach

Armut, Aids, Analphabetismus, Bevölkerungswachstum, Hunger, Klimaveränderung, Verstädterung, Waldsterben, Wassernot - eine bedrückende, weil realistische Zustandsbeschreibung unserer einen Erde hat UNO-Generalsekretär Kofi Annan mit seinem "Millenniumsreport" vorgelegt. Mit seinen harten Fakten entlarvt der Bericht alle Behauptungen vom Segen der wirtschaftlichen und technologischen Globalisierung als Propagandageschwätz. Bislang profitiert nur eine verschwindend geringe Minderheit der sechs Milliarden Erdbewohner von der Globalisierung - zumeist auf Kosten der großen Mehrheit. Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich in den zehn Jahren seit Ende des Ost-West-Konflikts weiter geöffnet.

Sämtliche in Annans Report beschriebenen Probleme wurden bereits auf den großen UNO-Weltkonferenzen der 90er-Jahre ausführlich behandelt. Auch die Aktionsziele und Handlungsvorschläge des Generalsekretärs wurden auf diesen Konferenzen in mehr oder weniger verbindlicher Form beschlossen - mit Zeitfristen, die seitdem allerdings zumeist folgenlos verstrichen sind.

Auch die Mehrheit der Vorschläge zur Reform der UNO, die Annan der Generalversammlung im Sommer 1997 vorlegte, harren bis heute der Umsetzung. Implementiert wurde unter dem Erpressungsdruck der UNO-skeptischen bis -feindlichen USA nur ein rigides Sparprogramm, das die Handlungsfähigkeit der Weltorganisation auf wichtigen Feldern noch weiter reduziert hat. An der UNO-Schwächung beteiligen sich auch die rot-grüne Koalition und andere - erklärtermaßen UNO-freundliche - Regierungen, indem sie ausgerechnet Mittel für präventive UNO-Programme drastisch kürzen.

In dieser Situation ist Annans Report mit dem euphemistischen Titel "Wir, die Völker" ein fast verzweifelter Aufruf, sich zu Beginn des neuen Jahrtausends nicht durch leere Worte, sondern durch Taten zur UNO als dem wichtigsten Handlungsrahmen zur gemeinsamen Lösung globaler Probleme zu bekennen. Wie sehr der Generalsekretär in der Defensive steht, zeigt sein erneutes Plädoyer für bewaffnete "humanitäre Interventionen" gegen schwere Menschenrechtsverletzungen. Auf die vor dem Luftkrieg der Nato gegen Jugoslawien noch übliche Bedingung, dass der Sicherheitsrat ein Mandat erteilt und Instrumente für solche Interventionen bereitstellt, verzichtet der Generalsekretär.