BITS Research Report 99.3
December 1999
ISBN 3-933111-08-0

 

Die Erweiterung der NATO und ihr Verhältnis zu Rußland

Ulf Terlinden

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3. Die Osterweiterungspolitik der NATO

 

3.1. Die NATO-interne Debatte

 

3.1.1. "Warum?" und "Wie?"

Im Zentrum der ersten Phase des Diskussionsprozesses um die Realisierung der NATO-Osterweiterung stand die Kernaufgabe der NATO, die kollektive Verteidigung auf der Grundlage von Artikel 5 des Washingtoner Vertrages. Sie sollte für die NATO-Mitgliedsstaaten weiterhin gewährleistet sein und in einer erweiterten Allianz auch für die neuen Mitglieder erfüllt werden können. Die damit verbundenen Fragen lauten5: Wären die NATO-Mitglieder bereit, einen Angriff auf einen der aufzunehmenden Staaten als einen Angriff gegen sich selbst zu betrachten und das eigene Militär zu dessen "Verteidigung" einzusetzen? Bleibt die militärische Abschreckung der NATO glaubwürdig angesichts der Ausdehnung des zu verteidigenden Territoriums, die nicht mit einer wesentlichen Vergrößerung der militärischen Kapazitäten einhergeht? Behält die NATO trotz der Bündniserweiterung die notwendige Flexibilität und Handlungsfähigkeit, um auf Krisen (auch "out-of-area") rasch zu reagieren? Verfügt die NATO und verfügen insbesondere die USA in Europa nach der Umsetzung diverser Rüstungskontroll- und Abrüstungsvereinbarungen über hinreichende militärische Kapazitäten zur Verteidigung neu aufgenommener Staaten?

Ein weiterer Komplex der Debatte umfaßte Fragen, die noch enger an den Eigeninteressen der bisherigen NATO-Staaten liegen: Ist mit der Aufnahme von neuen Mitgliedern ein "Sicherheitsgewinn" für das Bündnis verbunden? Ist es von Vorteil, jene östlichen Nachbarn, die derzeit einen "Puffer" zwischen der NATO und Rußland bilden können, in das Bündnis aufzunehmen und ggf. verteidigen zu müssen? Gibt es in den MOEL ein "Sicherheitsvakuum", das bei einer Nicht-Aufnahme ein neues Sicherheitsrisiko für die NATO darstellen könnte? Und nicht zuletzt: Erlauben die zu erwartenden Kosten eine Erweiterung bzw. welche? 6

Bezogen auf die Interessen der MOEL wurde vor allem betont, daß der Transformationsprozeß dieser "jungen Demokratien" durch eine feste sicherheitspolitische Bindung an den Westen unterstützt werden müsse. Dabei wurde das Motiv geäußert, den pro-westlichen Parteien dieser Staatengruppe durch sichtbare Erfolge in ihrer Westintegrationspolitik helfen zu wollen (Höfler 1998, 258). Mehrfach kam auch zur Sprache, es bestehe eine moralische "Jalta"-Verpflichtung gegenüber den MOEL - die Osterweiterung der NATO müsse nun die Ungerechtigkeit ausgleichen, die diesen Staaten während der Konferenz von Jalta nach dem Ende des zweiten Weltkrieges durch die Zuteilung zum sowjetischen Machtbereich widerfahren sei (exemplarisch: Pellerin 1997, 1). Zudem schlug sich das Bedürfnis der MOEL, durch die NATO-Mitgliedschaft sowohl Schutz vor einer neuen russischen Bedrohung als auch vor dem möglichen Hegemoniebestreben Deutschlands zu erhalten, in den nationalen Debatten mehrerer NATO-Staaten nieder.

Auch der Zusammenhang zwischen der Ausdehnung der Allianz und den Beziehungen zu Rußland wurde freilich thematisiert. Im Zentrum der NATO-internen Debatte stand dabei eine Abwägung: Sollte die Ostausdehnung zwecks Verbesserung der Beziehungen zu Rußland verschoben werden, oder gelte es, die historische Chance zu einer Osterweiterung zu nutzen, solange sie sich biete? Ähnlich wie im Fall der MOEL waren die Argumente hier häufig auf die innenpolitische Situation in Rußland gerichtet - eine Verschiebung oder Begrenzung der Erweiterung könnte eine politische Stärkung der west-orientierten Reformkräfte in Rußland zur Folge haben, die wiederum langfristig einen Gewinn für die europäische Sicherheit bedeuten könnte. So schlug z.B. eine Gruppe amerikanischer Senatoren vor, Rußland nach der ersten Aufnahmerunde eine Pause von fünf bis zehn Jahren zuzusichern. Dieser Vorschlag wurde abgelehnt, weil damit u.a. der mögliche Beitritt der "neutralen Staaten" Finnland, Österreich und Schweden blockiert würde, gegen den es keine erheblichen russischen Einwände gibt. Zudem wurde die Möglichkeit diskutiert, erst die EU und dann die NATO zu erweitern, um so die Vorbehalte Rußlands zu dämpfen. Bisher sind gegen die EU-Erweiterung keine russischen Einsprüche bekannt geworden. Dennoch wurde dies verworfen, weil v.a. die USA befürchteten, die EU könnte auf diesem Wege mit ihrer Erweiterungspolitik die in die NATO aufzunehmenden Kandidaten bestimmen. Auch war schon erkennbar, daß sich der EU-Erweiterungsprozeß wegen der zuvor zu erfüllenden ökonomischen Kriterien in die Länge ziehen würde. (Kamp 1997, 5-10)

Eine potentielle Aufnahme Rußlands in die NATO wurde von vielen Staaten der Allianz eindeutig abgelehnt:

"[M]ajor European members of the alliance, led by Germany, have made clear to Washington privately that they will never permit Russia to join. These Europeans fear admitting Russia as a full member would create an American-Russian dual hegemony over Europe inside NATO." (Hoagland 1997)

Zugleich wurde in der Debatte sehr häufig der Wunsch deutlich, das Verhältnis zu Rußland durch die Osterweiterung der Allianz so wenig wie möglich zu belasten.

3.1.2. Die zweite Phase: "Wer?" und "Wann?"

Nachdem sich 1994 und 1995 ein weitgehendes Einverständnis in der NATO zur Osterweiterung herausgebildet hatte, setzte mit der Veröffentlichung der "Study on Enlargement" (1995) die Debatte über die ersten aufzunehmenden Kandidaten und ihre Anzahl ein. In der Studie werden eine Reihe schwerwiegender militärischer Faktoren als Auswahlkriterien für den Beitritt von MOE-Staaten genannt, die für jeden einzelnen Kandidaten geprüft werden sollen. Dazu gehört die Vorbereitungszeit, die die NATO für die Ausdehnung ihrer "Verteidigungsgarantie" nach Artikel 5 benötigt, das "strategische Umfeld" des Landes, seine militärischen Kapazitäten und die Interoperabilität seiner Truppen, mit der Aufnahme verbundene neue Risiken, die "strategische Mobilität", die gegenseitige Bereitschaft zur Stationierung ausländischer Truppen auf dem Territorium des Kandidaten-Landes und andere Verstärkungskapazitäten, die die NATO für neue Mitglieder bereithalten muß ("Study on Enlargement" 1995, 44.). Erwartet wird u.a., daß neu aufgenommene Staaten sich aktiv an der kollektiven Verteidigung des Bündnisses (und anderen, neuen Missionen, die das Strategische Konzept von 1999 vorsieht) beteiligen, einen Teil ihrer Truppen der integrierten Kommandostruktur unterstellen, an Manövern (auch auf ihrem Territorium) teilnehmen, die Prinzipien der "nuklearen Abschreckung" mittragen, sich am gemeinsamen NATO-Budget angemessen beteiligen, am Austausch nachrichtendienstlicher Informationen teilnehmen und alle Anstrengungen unternehmen, um Interoperabilität ihrer Truppen vor allem im sogenannten C³-Bereich (Command, Control, Communication) zu erreichen ("Study on Enlargement" 1995, 45.).

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Studie schien über die Kandidaten Polen, Tschechien und Ungarn bereits inoffiziell Einigkeit zu bestehen. Gestritten wurde dagegen über die mögliche Aufnahme Rumäniens und Sloweniens. Die Erweiterung um diese zwei Staaten wurde von den USA und Großbritannien abgelehnt, während sie von einer Gruppe südlicher NATO-Staaten (Frankreich, Spanien, Italien, Portugal, Griechenland, Türkei) gefordert wurde, zum Teil wegen ihrer unmittelbaren Nähe, zum Teil, weil sie die Osterweiterung durch eine "Südosterweiterung" ausgeglichen sehen wollten7. Auch die deutsche Bundesregierung sprach sich für einen Beitritt der Fünfergruppe in der ersten Erweiterungsrunde aus. Es war jedoch bekannt, daß ihre "Minimalforderung" nur die Tschechische Republik und Polen umfaßte. Der Beschluß, in dem sich die NATO auf die drei erstgenannten Kandidaten festlegte, stellt den kleinsten gemeinsamen Nenner dar und gibt zugleich die Position der US-Regierung wieder, die sich davon niedrigere Kosten und eine leichtere Ratifizierung im amerikanischen Senat versprach (Pellerin 1997, 1).

3.2. "Institutionelle Angebote" der NATO

Parallel zur Diskussion um die Osterweiterung des Bündnisses hat die NATO mit einer ganzen Reihe institutioneller Neuerungen auf den "Beitrittsdruck" der Aspiranten (und die veränderten sicherheitspolitischen Realitäten nach 1989) reagiert. Grundsätzlich zu unterscheiden sind dabei solche Programme bzw. institutionellen "Angebote", die prinzipiell allen interessierten Staaten der OSZE-Region offen stehen, also inklusiv angelegt sind, und solche, die für einzelne Staaten speziell zugeschnitten wurden, somit exklusiv ausgerichtet sind.

 

3.2.1. Inklusive Angebote

Schon im Dezember 1991 wurde der "Nordatlantische Kooperationsrat" (NAKR) eingerichtet, der mittlerweile in den "Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat" (EAPR) überführt wurde und die NATO-Staaten, alle ehemaligen WP-Staaten, sowie Mazedonien und Slowenien umfaßt. Rußland war Gründungsmitglied des NAKR. Der Rat sollte den Rahmen für "Dialog, Konsultationen und Zusammenarbeit in politischen und sicherheitspolitischen Fragen" bieten (Höfler 1998, 250). In der Form jährlicher Außen- und Verteidigungsministertreffen und regelmäßiger Sitzungen auf Botschafterebene wurde eine Bandbreite von Themen behandelt, darunter auch die Verteidigungsplanung und die Friedenswahrung ("The Euro-Atlantic Partnership Council" 1997 und "The North Atlantic Cooperation Council (NACC)" 1997).

Im Januar 1994 wurde die "Partnerschaft für den Frieden" (PfF) eingerichtet, die in ihrer "bisherigen Form ein rein militärisches Kooperationsprogramm [ist], dessen Schwerpunkt auf friedenserhaltende und humanitäre Aktionen (Peacekeeping) ausgerichtet ist" (Kamp 1997, 15). Die Zahl der in diesem Kontext durchgeführten Manöver ist von drei im Jahre 1994 auf 24 Übungen 1997 angestiegen. In sogenannten "Individuellen Partnerschaftsprogrammen" (IPP) werden die konkreten Kooperationsaktivitäten zwischen der NATO und jedem einzelnen Partnerstaat festgelegt, sodaß dieser die Intensität seiner Teilnahme an der PfF selbst festlegen kann. Die PfF strebt die Förderung von Transparenz und demokratischer Kontrolle über die Streitkräfte, die Ermöglichung von Einsätzen unter UN- oder OSZE-Mandat sowie vor allem die Herstellung von Interoperabilität und die Entwicklung kooperativer militärischer Beziehungen an. Letztere umfassen neben den genannten Übungen z.B. gemeinsame militärische Planungen und die Ausbildung von Soldaten. Ende 1994 führte die NATO zudem den "Planning and Review Process" (PARP) ein, mit dem durch eine Überprüfung und Bewertung der für PfF abgestellten Streitkräfte der Partnerländer (in zweijährigen Abständen) die Kompatibilität mit NATO-Einheiten erhöht werden soll. (Höfler 1998, 250/1; "The Enhanced Partnership for Peace Programme (PfP)" 1997)

Mittlerweile nehmen 28 Länder (inklusive Rußland) und die 16 "alten" NATO-Staaten an der PfF teil. Sie steht grundsätzlich allen OSZE-Mitgliedern offen (Kamp 1997, 14/15). Sicherheitsgarantien sind mit der PfF nicht verbunden - es sind aber Konsultationen mit der NATO für den Fall vorgesehen, daß sich ein Partnerstaat bedroht fühlt.

Die Mitgliedschaft von PfF und NAKR zum Zeitpunkt der Gründung des EAPR im 30.05.1997 war weitgehend identisch8. Der EAPR brachte das eher politisch angelegte Gesprächsgremium NAKR mit dem militärisch-praktischen PfF-Programm unter ein gemeinsames Dach. Zugleich wurden die Konsultationen und der Dialog verbreitert und intensiviert. Es sind häufigere Konsultationen zu einer verbreiterten Themenpalette vorgesehen. Die praktische Zusammenarbeit soll vor allem dadurch verstärkt werden, daß die PfF im neuen Rahmen des EAPR ausgebaut wird ("PfP enhanced" oder "erweiterte PfF"). Die Partnerstaaten sollen demzufolge in der Zukunft an sogenannten "PfP operations" teilnehmen können und die gemeinsamen Übungen sollen auf "die gesamte Bandbreite der neuen Missionen der Allianz" vorbereiten, inklusive "Peace Support Operations" (PSO)9. Ab Beginn des Jahres 2000 sollen Partnerstaaten in der Lage sein, bedarfsorientiert Kräfte für eine Teilnahme an PSO aufzustellen. Bemerkenswert ist, daß die erweiterte PfF eine stärkere Einbindung der Partnerstaaten in den Entscheidungsfindungsprozeß des "Political-Military Steering Committee on PfP" (PMSC) und die Entsendung von militärischem Personal aus PfF-Staaten in die Partnership Coordination Cell (PCC) sowie Combined Joint Task Force (CJTF) - Hauptquartiere vorsieht. Langfristig soll der EAPR auch ein Forum der Entschlußfassung in Angelegenheiten der PfF werden, doch dies ist noch nicht abzusehen. ("Euro-Atlantic Partnership Council Member Countries" 1999; "The Enhanced Partnership for Peace Programme (PfP)" 1997; Höfler 1998, 255)

Auf amerikanischen Vorschlag wurde während des NATO-Gipfels in Washington am 24. und 25. April 1999 ein "Membership Action Plan" (MAP) verabschiedet. Er soll die interessierten Staaten bei ihren Vorbereitungen auf eine mögliche zukünftige Mitgliedschaft unterstützen, ohne eine tatsächliche Aufnahme zu garantieren oder einen Zeitrahmen für diesen Prozeß vorzugeben. Mit dem MAP wird eine möglichst enge Anpassung der Streitkräfte der Beitrittskandidaten an die NATO-Normen angestrebt. Im wesentlichen ist eine Intensivierung und Ausweitung des PARP (s.o.) auf die gesamten Streitkräfte der interessierten Partnerstaaten vorgesehen. Von NATO-Seite aus kann dabei auf spezifische, essentielle Bereiche hingewiesen werden, die die Aspiranten dann mit Priorität behandeln mögen, um ihre Beitrittschancen zu verbessern ("Membership Action Plan (MAP)" 1999, Abschnitt II. 3.). Auch der MAP steht im Prinzip jedem interessierten Staat offen, der ihn zu seiner individuellen Profilierung für den Beitritt nutzen möchte. Neben den genannten Punkten wiederholt der MAP die in der Erweiterungsstudie genannten Beitrittskriterien und betont abermals die Bedeutung einer aktiven Teilnahme am EAPR und der PfF. Zudem ist ein Informationsaustausch über die makroökonomischen Daten der Aspiranten und ihre Ausgabenplanung im Verteidigungsressort vorgesehen. (Piper 1999, 14 und "Membership Action Plan (MAP)" 1999)

3.2.2. Exklusive Angebote

Zu den "exklusiven" Kooperationsangeboten der NATO gehört vor allem die sogenannte "Gründungsakte" ("Founding Act on Mutual Relations, Cooperation and Security between NATO and the Russian Federation" 1997), die noch vor dem Gipfel in Madrid mit Rußland unterzeichnet wurde. Sie sieht u.a. die Einrichtung eines "Ständigen Gemeinsamen Rates" (SGR) vor, der in Konsultationen und Kooperation zu quasi allen Aspekten von Sicherheitspolitik (bis auf die kollektive Verteidigung der NATO) eintreten kann (Meier u.a. 1997). Der Rat soll als das zentrale Konsultationsforum zwischen der NATO und Rußland in Krisenzeiten dienen und kann gemeinsame Arbeitsgruppen einsetzen10.

Während des Gipfels in Madrid wurde zudem eine Charter über das besondere Verhältnis der NATO zur Ukraine unterzeichnet ("Charter on a Distinctive Partnership between the North Atlantic Treaty Organization and Ukraine" 1997). Sie stellt vor allem eine gemeinsame Grundlage für die weitere Entwicklung der Beziehungen dar. Die NATO bringt ihren Willen zur engen militärischen und politischen Zusammenarbeit mit der Ukraine zum Ausdruck (BITS 1997). Die Einrichtung einer NATO-Ukraine-Kommission wurde beschlossen.

Auch außerhalb des NATO-Rahmens, und dennoch mit engem Bezug zur Osterweiterung des Bündnisses, wurden exklusive Vereinbarungen getroffen. Die Vereinigten Staaten schlossen am 18.01.1998 bilaterale Abkommen mit Estland, Lettland und Litauen ab (Pradetto/Alamir 1998, 23). Die "US-Baltikum-Charter" gewährt keine Sicherheitsgarantien und nennt keinen Zeitpunkt für eine Aufnahme in die NATO. Präsident Clinton gab den Regierungen der baltischen Staaten aber zu verstehen, "daß der Vertrag die Mitgliedschaft zwar nicht garantiere, jedoch die Zeit für einen Beitritt bald gekommen sein könne"11.

Zudem gibt es viele z.T. enge bilaterale militärische Kooperationen (z.B. Rüstungtransfers und Ausbildungshilfen12) zwischen einzelnen NATO-Staaten und Aspiranten bzw. mittlerweile beigetretenen Staaten.

3.3. Militärische Aspekte der Beschlußlage und ihre Umsetzung

Schon vor dem Beschluß zur Aufnahme Polens, Ungarns und der Tschechischen Republik sicherte die NATO Rußland zu, daß sie weder plane oder vorhabe, Nuklearwaffen auf dem Territorium neuer Mitglieder zu stationieren, noch die dafür nötige Infrastruktur (v.a. Lagerstätten) zu schaffen. Zudem sieht sie davon ab, in ihrem gegenwärtigen und voraussehbaren Sicherheitsumfeld dauerhaft ausländische Kampftruppen in substantiellem Umfang in den neuen Mitgliedsstaaten zu stationieren. Stattdessen sollen die Ziele der NATO v.a. durch die Verbesserung der Interoperabilität erreicht werden. Diese Zusagen machte die NATO im Rahmen der "Gründungsakte" des SGR ("Founding Act on Mutual Relations, Cooperation and Security between NATO and the Russian Federation" 1997).

Die Schaffung von Interoperabilität zwischen den Streitkräften der alten und neuen NATO-Staaten ist bisher nicht sehr weit gediehen (Gose 1998, 27). Selbst die Erfüllung der von der NATO gestellten, minimalen militärischen Beitrittsbedingungen verzögerte sich. Im Dezember 1998 hatte z.B. Polen 17 von 65 Reformvorhaben bei weitem noch nicht abgeschlossen (FR 14.12.1998).

Im September 1998 wurde das Abkommen zur Aufstellung eines deutsch-dänisch-polnischen Korps (Multinational Corps Northeast (MCN)) beschlossen. Um die o.g. Zusage über die Nicht-Stationierung kontinuierlich präsenter Truppen in den neuen NATO-Staaten zu umgehen, wurde lediglich ein gemeinsamer Kommandostab in Stettin eingerichtet, der zudem aus der NATO ausgegliedert ist und nur nach Absprache mit den nationalen Befehlshabern zur Verfügung steht. Die dem Verband zugeordneten Einheiten verbleiben an ihren Standorten in den beteiligten Staaten. (Gose 1999)

Die kalkulierten Kosten der Erweiterung machen deutlich, daß die NATO es mit einer substantiellen militärischen Integration ihrer neuen Mitglieder nicht allzu eilig hat. Im Unterschied zu einer Reihe vorangegangener Schätzungen geht die NATO von Kosten für die Aufnahme der drei ersten Kandidaten in Höhe von 1,5 Mrd. Dollar innerhalb von zehn Jahren aus13. Diese Summe umfaßt ausschließlich die Anpassung von Kommunikations- und Kommandosystemen. Die NATO wird sich demnach an der Neubeschaffung von Waffensystemen für die drei neuen Mitglieder nicht beteiligen, und "von der Modernisierung von Panzern, Flugzeugen oder Kriegsschiffen sprach künftig niemand mehr" (Gose 1998, 26; vgl. auch Varwick/Woyke 1999, 116). Polen, Tschechien und Ungarn haben ihre Pläne für die Modernisierung von Panzern und gepanzerten Kampffahrzeugen auf die mittelfristige Bank geschoben, weil sie diese aus eigenen Mitteln nicht finanzieren können (Smith/Butcher 1999, 26/7).

 

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