BITS Research Report 01.1
December 2001
ISBN 3-933111-10-2

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Internationale Polizeieinsätze bei UNO-Friedensmissionen
Erfahrungen und Lehren aus Bosnien-Herzegowina und im Kosovo

Detlef Buwitt

Vorwort der Herausgeber
1. Einführung
2. Mandatsprobleme
2.1. Mandatsdauer und Reformziele

2.2. Robustes Mandat - Zielvereinbarungen - Sanktionsmöglichkeiten

2.3. Entwaffnung der zivilen Bevölkerung

3. Strategien - Konzepte - Koordination
4. CIVPOL-Startschwierigkeiten
4.1. Vorbereitungs- und Bereitstellungsdefizite

4.2. Einarbeitungsprobleme

5. Lösungsansätze
5.1. Standby-Maßnahmen der VN

5.2. Das REACT-Konzept der OSZE

5.3. Das EU-Konzept

5.4. Rekrutierungsprobleme deutscher Polizeien

6. Schluß
Anlage 1: Auszug aus einem Wochenlagebericht der IPTF
Anlage 2: Contributions towards the concrete targets for 2003
Anmerkungen

Vorwort der Herausgeber

Ein Expertenworkshop unter der Überschrift „Die Internationalen auf dem Balkan – Lehren für Mazedonien, den das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS) und die Heinrich Böll-Stiftung (HBS) gemeinsam am 1. und 2. Dezember 2001 in Berlin organisierten, brachte eine überraschende Erkenntnis: Die Bedeutung internationaler Polizeimissionen für den Erfolg internationaler Friedensmissionen steht in nahezu umgekehrt proportionalem Verhältnis zu der – für eine breitere Öffentlichkeit – verfügbaren Literatur zu dieser Problematik.

Dem, so dachten die Organisatoren des Experten-Workshops, kann abgeholfen werden: Sie baten einen der erfahrensten leitenden Deutschen Polizei-Offiziere, der an solchen zivilen Polizeimissionen über rund 10 Jahre mitgewirkt hat, um eine erste Auswertung seiner Erfahrungen, gewonnen aus diesen Missionen.

Das Ergebnis ist vernichtend, herausfordernd und lehrreich zugleich. Internationale Polizeimissionen, so das Ergebnis, können ihre Aufgabe oft nicht oder nur eingeschränkt erfüllen,

  • weil ihre Mandate unzulänglich sind,
  • die benötigten Kräfte zumeist zu spät und unzureichend ausgebildet bzw. vorbereitet eintreffen,
  • eine unzulängliche Koordination und ein mangelnder Informationsaustausch mit militärischen Kräften stattfindet,
  • polizeilichen Fachleute für Spezialgebiete wie die Korruptions- oder Terrorismusbekämpfung fehlen und
  • den eingesetzten Kräften bei Personalauswahl, rechtlicher und sozialer Absicherung sowie bei der Vorbereitung auf multinationale Einsätze keine ausreichende Priorität zugemessen wird.

Die Kurzstudie, die Detlef Buwitt hiermit vorgelegt, soll einen ersten Überblick über einige der relevanten Problembereiche geben. Sie erhebt nicht den Anspruch, jedes Problem „in extenso“ abzuhandeln. Ihr Anspruch ist es, einer breiteren Öffentlichkeit die Grundprobleme „ziviler Polizeimissionen“ in Unterstützung von Friedensmissionen der Vereinten Nationen bzw. der OSZE zu vermitteln.

Thomas Handrich
Heinrich Böll Stiftung
Südost-Europa-Referent

Otfried Nassauer
Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS)

 


 

1. Einführung

Manch gutgläubige Ankündigung im Vorfeld von Friedensmissionen der Vereinten Nationen (VN) entpuppten sich in der Vergangenheit als leere Versprechen. So sagte im Herbst 1991 ein VN-Vertreter, der den Friedensmissionseinsatz in Kambodscha mit vorbereiten sollte, dem Innenminister des Landes: „Sobald die Missionskräfte eingetroffen sind, werden wir Ihr Ministerium und alle nachgeordneten Verwaltungen lückenlos überwachen und kontrollieren“. Doch die VN-Kräfte trafen eher zögerlich und mit erheblichem zeitlichen Verzug im Einsatzgebiet ein. Zudem ging kostbare Zeit dadurch verloren, daß sich diese Kräfte zunächst auf die Einrichtung ihrer eigenen Organisationen vor Ort konzentrieren mußten. Die Folgen waren unverkennbar. Einerseits sah die kambodschanische Bevölkerung, die viel Hoffnungen in die Friedens- und Hilfskräfte gesetzt hatte, wegen der zwischenzeitlichen Handlungsunfähigkeit der VN ihre Erwartungen enttäuscht. Auf der anderen Seite bot der verzögerte Einsatz den im Amt befindlichen Machthabern der Konfliktparteien ausreichend Gelegenheit, sich auf die internationalen Kontrolleure umfassend einzustellen. Sie richteten derweil sogenannte parallele Strukturen in ihren Verwaltungen ein, die zur Umgehung beziehungsweise Vermeidung der angekündigten unliebsamen Kontrollen dienten. Die angekündigten „lückenlosen“ Kontrollen der VN-Missionskräfte liefen daraufhin überwiegend ins Leere.

Dieses Verfahren ist von den Konfliktparteien auch in anderen, späteren internationalen Missionen mit Erfolg angewandt worden. Hervorgetan haben sich dabei besonders die Vertreter der Konfliktparteien auf dem Balkan, die zur Zusammenarbeit mit den internationalen Hilfskräften eigentlich nicht nur auf Grund der von ihnen unterzeichneten Friedensverträge, sondern schon aus moralischen Gründen verpflichtet gewesen wären. Sie haben sich inzwischen jedoch als wahre Meister der Verzögerung, Vermeidung und Umgehung von Vereinbarungen und nicht selten auch der simplen Obstruktion von internationalen Abkommen erwiesen.

Die VN-Missionskräfte stehen diesen Problemen meist hilflos gegenüber und müssen zusehen, wie ihre wohlgemeinten Maßnahmen im Sande verlaufen. Es sind aber häufig auch hausgemachte, in der Organisation der Missionen selbst liegende Mängel, die eine zügige, zielorientierte und kostensparende Konfliktbearbeitung erschweren.

Es ist daher an der Zeit, die mit viel Aufwand und Kosten von der internationalen Staatengemeinschaft (ISG) in diese Konfliktgebiete entsandten militärischen und insbesondere die zivilen Krisenreaktionskräfte in geeigneter Weise auf solche, sehr spezielle Einsätze umfassend vorzubereiten. Diesen müssen die notwendigen Mittel und rechtlichen Möglichkeiten an die Hand gegeben werden, um die vereinbarten Maßnahmen konsequent durchsetzen zu können. Dazu gehören notwendigerweise auch Zwangsmittel, die von ihnen unter bestimmten Umständen anzuwenden sein werden. Es gilt zukünftig, Entwicklungen wie in Bosnien-Herzegowina beziehungsweise im Kosovo zu vermeiden. In beiden Fällen konnten die Ursachen der einstigen gewaltsamen Auseinandersetzungen auch nach Jahren intensiver Konfliktbearbeitung nicht nachhaltig beseitigt werden. Noch heute, Jahre nach Beginn der VN-Friedensmission für Bosnien-Herzegowina (UNMIBH) werden von der Administration des Landes notwendige und zum Teil in langwierigen Verhandlungen vereinbarte Maßnahmen einfach nicht umgesetzt. Deshalb müssen Beamte aller Ebenen, zuweilen sogar Minister wegen mangelnder Kooperation mit den Missionskräften aus dem Dienst entfernt werden.

Die Missionskräfte können dagegen können oft die beschlossen Maßnahmen wegen fehlender Befugnisse nicht durchsetzen. Die täglichen Sicherheitslagen in Bosnien-Herzegowina lesen sich nach wie vor wie Berichte aus Zeiten der gewaltsamen Auseinandersetzungen (Beispiel eines Polizeiwochenberichtes siehe Anl.1) und zeigen sehr deutlich die nicht beseitigten Ursachen der Störungen auf.

Die kostspieligen Friedensmissionen stoßen mit ihren herkömmlichen „politischen“ Mandaten, den weitgehend unvorbereiteten zivilen Kräften und wegen unzureichender strategischer und operativer Vorgaben, Mittel und Planungen an ihre Grenzen. Die angestrebten Ziele werden in den vorgegebenen Zeiträumen selten, zum Teil nie erreicht.

Die Krisen dieser Tage weisen neue Merkmale auf, gekennzeichnet durch Staatszerfall, eruptive ethnische Auseinandersetzungen, Völkermord, grenzüberschreitenden Terrorismus und internationale Organisierte Kriminalität. Die in den neunziger Jahren entwickelten Konzepte traditioneller friedenserhaltener Maßnahmen (Peace Keeping-Operations, PKO) erweisen sich als zunehmend ungeeignet zur Bewältigung dieses neuen Typus von Krisen.

Schon seit UNTAG Namibia1 hat die Rolle der zivilen Hilfskräfte und insbesondere die der internationalen zivilen Polizeikomponente (CIVPOL) in den Friedensmissionen erkennbar an Bedeutung gewonnen. Abgesehen von den zunehmend schon im Vorfeld der Konflikte versagenden politischen Mechanismen muß die Internationale Staatengemeinschaft (ISG) daher dringend auch zu neuen Formen des zivilen Krisenmanagements kommen. Zumindest aber müssen die erkannten Defizite und Mängel bisheriger Konzepte beseitigt werden, bevor in weiteren Operationen – etwa in Mazedonien2 oder in Afghanistan – noch größerer Schaden in Kauf genommen oder gar angerichtet wird.

Gerade auch in den Missionen auf dem Balkan haben sich die den CIVPOL-Komponenten zugewiesenen Aufgaben zur (Wieder-)Herstellung der öffentlichen Sicherheit in den Konfliktgebieten – obwohl unterschiedlicher Natur3 – erneut als Kernbereiche der jeweiligen Gesamtoperation erwiesen. Sie sind neben der Kontrolle der militärischen Sicherheit durch die Stabilisation Force (SFOR) in Bosnien-Herzegowina beziehungsweise die Kosovo Force (KFOR) zentrales Mittel und gleichzeitig Voraussetzung für die Implementierung beziehungsweise Wiederherstellung gesicherter demokratischer Verhältnisse.

Die inzwischen erkannten Probleme eines nichtmilitärischen Krisenmanagements setzen sich zumindest für die CIVPOL-Komponente im wesentlichen aus einer Reihe struktureller Faktoren zusammen:

  • Lange Reaktionszeiten der Polizei-Steller-Nationen auf Kräfteanforderungen aufgrund umständlicher nationaler Rekrutierungs-, unkoordinierter Vorbereitungs- und zeitraubender logistischer Maßnahmen,
  • Einsatz ungenügend beziehungsweise ungezielt ausgebildeter Kräfte ohne erforderliche Spezialisierung für wesentliche Teilbereiche der Missionen,
  • Weitgehendes Fehlen konzeptioneller Planungen und Vorbereitungen (Strategien/ Konzepte) auf den oberen Führungsebenen sowie operativer Koordination im Einsatz
  • Inakzeptabel lange Einarbeitungs- und Strukturierungsphasen der CIVPOL-Komponente im Missionsgebiet.

Die an den bisherigen Friedensmissionen regelmäßig beteiligten internationalen Großorganisationen VN, OSZE und EU haben insbesondere die Notwendigkeit der Verbesserung der Voraussetzungen für die einzusetzenden Kräfte erkannt und erste Schritte zur Beseitigung dieser dringlichen Probleme eingeleitet.

Auch der im Sommer des Jahres 2000 vorgelegte Brahimi-Reports der VN beschreibt in eindringlicher Weise die auf verschiedenen Ebenen anzugehenden Mängel. Die hier geforderten Maßnahmen sind bisher jedoch sowohl innerhalb der VN selbst als auch bei deren Mitgliedstaaten nur sehr rudimentär getroffen worden.

Die EU hat mit den Beschlüssen ihrer Regierungschefs in Santa Maria da Feira im Sommer 2000 einen eigenen, sehr praktikabel anmutenden regionalen Ansatz zur Bewältigung der Defizite bei der schnellen und umfassenden Bereitstellung geeigneter militärischer und ziviler Hilfskräfte gefunden.

In Folgenden soll versucht werden, die wesentlichen Probleme der Internationaler Polizeieinsätze im Rahmen von Friedensmissionen zusammenfassend aufzuzeigen und damit zu ihrer Lösung beizutragen.

2. Mandatsprobleme

Die Erfahrungen aus den nun schon viele Jahre dauernden VN-Missionen auf dem Balkan zeigen, daß sich die Anforderungen an internationalen Friedensmissionen gewandelt haben. Kam es früher darauf an, den status quo in dem jeweiligen Konflikt lediglich zu konservieren, ist heute und künftig eine substantielle Reform der beschädigten oder zerstörten politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Strukturen in den betroffenen Gebieten entscheidend. Der Schwerpunkt des Einsatzes der in diesen Missionen eingesetzten zivilen Komponenten muß daher über die Phase des Peace Keeping hinaus durch Monitoring (Beobachtung und Beratung) auf die nachhaltige Herstellung eines irreversiblen Stabilitäts- und Friedenszustandes in allen Bereichen des öffentlichen Lebens ausgerichtet sein. Das gilt insbesondere für alle Bereiche der öffentlichen Sicherheit in den Einsatzgebieten, für deren Gewährleistung dort regelmäßig die CIVPOL-Komponente verantwortlich ist. Schon bei der Untersuchung der bisherigen, nichtexekutiven CIVPOL-Mandate auf ihre an der Realität vor Ort gemessenen Tauglichkeit stellt sich als erstes heraus, daß ihnen ganz wesentliche und notwendige robuste Elemente fehlen. Notwendig wären etwa Erzwingungsbefugnisse für CIVPOL zur Erleichterung einer zielgerichteten Umsetzung des Mandats. Darüber hinaus ist die deutliche Betonung der Reform- und Restrukturierungsaufgaben gegenüber dem reinen Monitoring nicht nur wünschenswert, sondern nach aller Erfahrung auch notwendig. Als Drittes ist in allen diesen Mandaten ein umfassendes Entwaffnungsgebot nicht nur aus grundsätzlichen Proliferationsgründen als weiterer wesentlicher Teil zukünftiger Mandate dringend erforderlich.

2.1. Mandatsdauer und Reformziele

Die mit der Umsetzung des Mandates beauftragten Kräfte müssen sich auf gewisse, in ihrem Mandat festgehaltene Voraussetzungen stützen können. Die eindeutige Festlegung einer an den Schwerpunktaufgaben gemessenen Mandatsdauer sowie die Bezeichnung der Reformziele für die örtlichen Sicherheitsverwaltungen als eine der Schwerpunktaufgeben schon im Mandat sind nicht zuletzt aus grundsätzlichen und planerischen Erwägungen für die mit der Umsetzung beauftragten Kräfte erforderlich.

Die Absicht des Friedensvertrages von Dayton vom 14. November 1995 (DA) beziehungsweise der Weltsicherheitsrats-Resolution (SR-Res.) 1035 (1995) vom 21.12.1995 für die United Nations Mission in Bosnia and Hercegovina (UNMIBH) und die Implementation / Stabilization Forces (IFOR/SFOR) war die Regelung der folgenden Punkte

  • Beendigung der dortigen militärischen Auseinandersetzungen
  • Militärische Demobilisierung
  • Vorläufiger militärische Schutz des Friedens
  • Eine zunächst auf zwei Jahre angelegte erste Wiederaufbauhilfe für die öffentlichen Verwaltungen durch Monitoring beziehungsweise Beratung der Verwaltungen, Hilfe bei der Bildung politischer Institutionen, sowie eine Wirtschaftshilfe zur Selbsthilfe.

Das Dayton Abkommen regelte jedoch nicht eine umfassende Reform beziehungsweise den Wiederaufbau ganzer staatlicher Institutionen. Genau dieses wurde aber nach Herstellung eines annähernd sicheren militärischen Friedenszustandes erforderlich und mußte spätestens mit Ablauf der für diese Mission vorgesehenen Zweijahresfrist (Mitte 1998) von den zivilen Hilfskräften der UNMIBH schwerpunktmäßig vorangetrieben werden. Dies hatte zur Folge, daß die jeweiligen Mandate durch Peace Implementaion Councils (PIC) in den folgenden Jahren mehrfach, zuletzt durch die SR-Res. 1357 (2001) inhaltlich ergänzt beziehungsweise verlängert werden mußten. Im Verlaufe der Implementierung des Dayton Abkommens mußte erkannt werden, daß der Schwerpunkt des nichtexekutiven CIVPOL-Mandates in Bosnien-Herzegowina nicht so sehr im sogenannten Monitoring der lokalen Sicherheitsorgane lag. Vielmehr waren deren grundlegende Umstrukturierung und inhaltliche Reform von Nöten. Diese Aufgaben waren jedoch in der zunächst vorgesehenen Zeitspanne von zwei Jahren nicht zu leisten. Die „Restrukturierung und Reform der lokalen Sicherheitsorgane“ mußten daher in den dann folgenden Mandatsverlängerungen und –ergänzungen (SR-Res. 1107, 1144, 1068 und 1084) als Kernaufgabe für die International Police Task Force in Bosnien-Herzegowina (IPTF) erst festgeschrieben werden. Die neuen Aufgaben wurden zum eigentlichen Maßstab für einen erfolgreichen Abschluß dieses wesentlichen Teils des Dayton Abkommens.

Dieser Umstand zeigt, daß ein Montoring alleine nicht ausreicht, um die bis dato meist autoritär verfahrenden lokalen Sicherheitsorgane zur uneingeschränkten Befolgung demokratischer Prinzipien und Standards zu bringen. Erfolge lassen sich allerdings erzielen, wenn die betreffenden Hoheitsverwaltungen inhaltlich reformiert und restrukturiert werden. Diese Erkenntnis muß sich in der Abfassung künftiger CIVPOL-Mandate direkt niederschlagen.

2.2. Robustes Mandat - Zielvereinbarungen - Sanktionsmöglichkeiten

Die mit der Implementierung der zivilen Mandatsteile beauftragten Missionskomponenten müssen darüber hinaus mit geeigneten Mitteln zu deren Durchsetzung ausgestattet werden. Solche Eingriffs-, Zwangs- oder Sanktionsbefugnisse können sich durchaus auf einem niedrigen Niveau halten. Sie müssen jedoch insgesamt geeignet sein, die Umsetzung der Kernteile eines Mandates in Krisensituationen insbesondere in der Eingangsphase einer Mission sicherzustellen.

Sicherheitsorgane in Konfliktgebieten tendieren dazu, ihre während der vorausgegangenen gewaltsamen Auseinandersetzungen ausgeuferten Befugnisse und Rechte auch in Nachkriegsperioden beizubehalten. Es fällt ihnen erkennbar schwer, zum Beispiel zu den Prinzipien kontrollierter, transparenter und verantwortlicher Polizeiarbeit - sollten sie denn jemals zuvor solche befolgt haben - zurückzukehren. Ungesetzliche Übergriffe, Unverhältnismäßigkeit des Handelns, gesetzwidriges Nichteinschreiten und ähnliches sind deshalb oft an der Tagesordnung. Parteilichkeit, fehlende Neutralität beziehungsweise politisch, ideologisch oder ethnisch motiviertes Handeln sind hierfür in aller Regel die inakzeptablen Ursachen. Die in diesen Fällen von CIVPOL den nationalen Sicherheitskräften abgeforderte strikte Befolgung demokratischer Standards erfolgt meist weniger freiwillig oder aus Einsicht. Sie beugen sich vielmehr der Kontrolle und dem Druck der anwesenden internationalen Polizei. Solche durchaus häufigen Verletzungen fundamentaler Menschenrechte, grundlegender demokratischer Prinzipien und Standards sind allerdings mit einfachem „Monitoring“ durch CIVPOL-Beamte in der Regel weder zu unterbinden noch zu beseitigen. Auch Beratungs- und Trainingsmaßnahmen helfen zunächst wenig. Insbesondere in der ersten, der besonders kritischen Phase der Mission muß daher die mit einem nichtexekutiven Mandat versehene CIVPOL-Komponente für diesen entscheidenden Teil ihrer Aufgaben über einen Katalog verhältnismäßiger Eingriffs-, Zwangs- oder Sanktionsbefugnisse verfügen. Nur so können einzelne Angehörige der lokalen Sicherheitsorgane notfalls zwangsweise zu rechts- und verhältnismäßigem Handeln angehalten werden. Dieses gilt insbesondere in solchen Fällen, in denen örtliche Sicherheitsorgane als unbedingt notwendig erkannte – und möglicherweise sogar zwischen ihnen und CIVPOL vereinbarte – polizeiliche Maßnahmen bewußt nicht treffen wollen.4

Darüber hinaus wird regelmäßig ein nicht unbeachtliches Maß an Kooperationsbereitschaft und Mithilfe seitens der Konfliktparteien als Voraussetzung für den Erfolg jeder Mission erwartet. Andererseits kann man uneingeschränkt davon ausgehen, daß die Konfliktparteien auch nach der Unterzeichnung der jeweiligen Friedensverträge und der damit ihrerseits eingegangenen Kooperationsverpflichtungen ihre ursprünglichen politischen Ziele nicht aufgeben. Sie verfolgen in aller Regel verdeckt und unter Ausnutzung der günstigen Bedingungen des Friedensprozesses ihre Ziele weiter. Zumindest die CIVPOL-Komponenten der derzeitigen Missionen auf dem Balkan leiden seit ihrem Beginn in weiten Bereichen erheblich unter der mangelhaften Unterstützung durch die Konfliktparteien. Eine signifikante Gefährdung der angestrebten Erfolge der Missionen innerhalb der vereinbarten Zeiträume ist die Folge. So werden zum Beispiel von CIVPOL und den Sicherheitsbehörden gemeinsam gefaßte Beschlüsse aus vielerlei Gründen von den betroffenen lokalen Polizeibehörden oft nicht umgesetzt, boykottiert oder verzögert. Auch werden notwendige polizeiliche Maßnahmen häufig nicht ergriffen, Reformen unterlaufen. Die Umsetzung wichtiger Programme zieht sich unnötig hin und der gesamte zivile Implementierungsprozeß wird verlangsamt.

UNMIBH, ursprünglich auf zwei Jahre angelegt, befindet sich daher schon im sechsten Jahr der Implementierung ihres Mandates. Eine erfolgreiche Beendigung ist, trotz eines anvisierten Abschlusses der Mission im Dezember 2002, nicht abzusehen. Auch die Implementierung des zeitlich unbefristeten UNMIK-Mandates geht auf Grund der internen Auseinandersetzungen innerhalb der Kosovo Liberation Army (KLA) beziehungsweise ihres anhaltenden feindseligen Verhaltens gegenüber anderen Minderheiten nur schleppend voran. Die Verursacher dieser Verweigerungs- und Verzögerungspolitik in beiden Missionen sind relativ einfach zu identifizieren und könnten mit geeigneten Mitteln leicht neutralisiert werden.

Es sind in der Regel nicht die politischen Führer der Konfliktparteien, noch ist es die Bevölkerung selbst, sondern vielmehr das sogenannte mittlere Management in Verwaltung, Parteien, Institutionen und gesellschaftlichen Gruppen, die Bürgermeister, die Polizeiführer, die unteren Parteifunktionäre, Richter, Staatsanwälte und die einfachen Mitarbeiter der Verwaltungen, die ganz persönlich mit jeder Veränderung oder Reform um ihre Posten, ihre Einkünfte und ihren Einfluß bangen. Obstruktion und Boykott finden sich daher häufig auch dort, wo zum Beispiel lokale Polizeibeamte aus überkommenen politischen, parteilichen, ethnischen oder einfach aus feindseligen Gründen nicht oder unverhältnismäßig handeln.

IPTF hat mehr als zwei Jahre benötigt, um eine sogenannte non-compliance-policy zu entwickeln und umzusetzen. Ein Verfahren, das es ihr ermöglicht, diejenigen Angehörigen der Sicherheitsorgane, die durch ihr dienstliches Verhalten den Maßnahmen und Zielen des IPTF-Mandates wiederholt zuwiderhandeln, zu identifizieren und zwangsweise auf Dauer aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. Das IPTF-Mandat mußte auch zu diesem Zwecke nachträglich entsprechend ergänzt werden.

Zukünftige CIVPOL-Mandate sollten aus diesen Erfahrungen heraus ergänzend zu einem robusten Element auch die Möglichkeit der Anwendung einer „non-compliance-policy“ beinhalten. Für die Wahrnehmung eines Exekutivmandates – wie etwa das CIVPOL-Mandat im Kosovo – ist diese Regelung nicht erforderlich, da dieses Mandat alle hoheitlichen Befugnisse einschließlich eines Ersatzvornahmerecht für CIVPOL eo ipso beinhaltet.

2.3. Entwaffnung der zivilen Bevölkerung

Entwaffnungsprogramme für die zivile Bevölkerung sind zugegebenermaßen schwierig. Weder in Bosnien-Herzegowina noch im Kosovo sind sie konsequent durchgeführt worden, obwohl in beiden Konfliktgebieten die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen hierfür vorhanden sind. Entwaffnungsmaßnahmen sind jedoch für jeden Friedensprozeß entscheidend und müssen daher zukünftig expressis verbis Bestandteil des Mandates sein. Sie müssen insbesondere in der ersten Phase einer Operation gemeinsam von den internationalen Streitkräften und der örtlichen Polizei unter Mitwirkung der zuständigen CIVPOL strikt durchgeführt werden.

Die in post-konfliktären Lagen notwendige Demobilisierung ehemaliger Streitkräfte, von Polizisten und Milizangehörigen verursacht regelmäßig einen weiteren Anstieg des durch die weitgehend zerstörte Wirtschaftsstruktur ohnehin schon bestehenden Übermaßes an Arbeitslosigkeit. Im Verbund mit der herrschenden Mangelwirtschaft und der Geldentwertung führt sie viele Bürger direkt in die grauen und schwarzen Märkte und damit unfreiwillig zunächst in Klein - und später oftmals in organisierte Kriminalitätsstrukturen. Diese Tendenz wird durch den hohen Bewaffnungsgrad der Zivilbevölkerung, der als Folge der vorangegangenen Auseinandersetzungen oder durch den traditionell tolerierten privaten Besitz von Waffen entstanden ist, zusätzlich verschärft.

Die Mandate für die bisherigen Missionen auf dem Balkan sahen zwar die Demobilisierung der Konfliktstreitkräfte vor, nicht jedoch die Entwaffnung paramilitärischer oder sonstiger Sicherheitskräfte (zum Beispiel die Einziehung schwerer und automatischer Waffen von den Polizeien). Eine umfassende und flächendeckende Entwaffnung der Zivilbevölkerung war ebenfalls nicht impliziert. Noch heute werden bei Kontrollen in und außerhalb zahlreicher Dienststellen erhebliche Mengen unerlaubter Waffen- und Munitionsbestände gefunden, obwohl zwischen SFOR und den bosnischen Sicherheitsorganen für Bosnien-Herzegowina bereits 1997 eine verbindliche Übereinkunft über den maximalen Bewaffnungsgrad der Polizeien vereinbart wurde. Zwar sah die SR-Res. 1244 ein Entwaffungsmandat vor, doch die von KFOR und ziviler Polizei der United Nations Mission in Kosovo (UNMIK-CIVPOL) ansatzweise durchgeführte Entwaffnung von Teilen der KLA hat ebenfalls nicht zu der erhofften durchgreifenden Entwaffnung der betreffenden Teile der Zivilbevölkerung, geschweige denn der KLA selbst geführt.

3. Strategien - Konzepte - Koordination

Die Gewährleistung der allgemeinen Sicherheit in den Konfliktgebieten ist gemeinsame Aufgabe der internationalen Streitkräfte, der internationalen CIVPOL-Komponente beziehungsweise der örtlichen Sicherheitsorgane. Dabei kommt es insbesondere dann auf eine enge Zusammenarbeit zwischen Streitkräften und CIVPOL an, wenn die CIVPOL-Komponente keine Exekutivgewalt oder Sanktionsbefugnis gegenüber den örtlichen Sicherheitsorganen hat, diese aber die lokalen Sicherheitsorgane auf Grund ihres Mandates umfassend kontrollieren und beraten soll. Die Entwicklung gemeinsamer Strategien und Konzepte sowie die ständige Koordination aller operativen Maßnahmen unter möglichst einheitlicher Gesamtführung sind daher bindende Voraussetzungen für jeden Einsatz. Die Erfahrungen aus zahlreichen vergangenen Missionen lehren allerdings, daß diese Bedingungen keineswegs immer beachtet, geschweige denn in den Einsätzen umfassend hergestellt worden sind.

Soweit bekannt, sind nach Verabschiedung der jeweiligen SR-Res. weder für den Einsatz in Bosnien-Herzegowina noch für den Kosovo-Einsatz gemeinsame Strategien und Konzepte von den militärischen und polizeilichen Führungsstäben vor Einsatzbeginn erarbeitet worden. Ursache dafür war auch, daß zu diesem frühen Zeitpunkt das erforderliche CIVPOL-Führungspersonal noch nicht ernannt worden war und damit für diese wichtige Planungsarbeit nicht zur Verfügung stand.5 In der Vorphase der Einsätze sind auch die personalstellenden Staaten zum großen Teil für mehrere Wochen mit der Auswahl und Vorbereitung ihrer nationalen Kontingente befaßt. In der Folge treffen diese Kräfte erst mit beachtlicher zeitlicher Verzögerung im Einsatzgebiet ein. Damit verstärkt sich wiederum die dort schon vorhandene, nicht unerhebliche Sicherheitslücke (security gap) zusätzlich durch eine Stationierungslücke (deployment gap) – und dies ausgerechnet in der kritischen ersten Einsatzphase. Schon ohne diese Verschlechterung der Situation ist die erste Phase unsicher, birgt ausgeprägte Risiken und Sicherheitslücken. Es kommt also zu Beginn eines Einsatzes entscheidend darauf an, daß die militärischen und zivilpolizeilichen Komponenten der Missionen, soweit ihre unterschiedlichen Operationsfelder dies zulassen, von Anfang an koordiniert zusammenarbeiten. Sie müssen natürlich auch darüber hinaus im weiteren Verlauf der Mission wesentliche (Teil-) Ziele kooperativ und koordiniert angehen.

Die internationalen Streitkräfte sind in aller Regel vor den zivilen Kräften vor Ort6. Sie sind daher neben der Herstellung und Gewährleistung der militärischen Sicherheit zunächst auch für die öffentliche Sicherheit verantwortlich. Die Erfahrung zeigt allerdings, daß mit dem sukzessiven Eintreffen der einzeldienstlich organisierten CIVPOL-Kräfte im Missionsgebiet bisher weder die Übernahme der polizeilichen Monitoring-Aufgaben, noch die Durchführung gemeinsamer Operationen in dieser kritischen Übergangssituation nach abgestimmten Konzepten erfolgt sind. Militär und CIVPOL haben sich zu Beginn der Missionen bisher im wesentlichen stets unkoordiniert voneinander eingerichtet und arbeiteten auch in der Folgezeit bis auf wenige Fälle unabhängig nebeneinander her. Daran hat auch der gegenseitige Austausch einiger weniger Verbindungsoffiziere oder täglicher Lagebilder nicht viel geändert geschweige denn verbessert. Selbst im weiteren Verlauf der Missionen waren militärisch-zivilpolizeilich abgestimmte Operationen eher die Ausnahme. Im Kosovo haben sich KFOR und UNMIK-CIVPOL trotz umfassender exekutiver Mandate auf beiden Seiten erst nach einer erheblichen Anlaufphase zu einem „Joint Operation Center“ durchringen können.

Militär und CIVPOL-Komponente sind für die Herstellung der öffentlichen Sicherheit gemeinsam zuständig, insofern ist eine gemeinsame „Eingangsstrategie“ und ein Gesamtoperationskonzept conditio sine qua non nicht nur für die Anfangsphase. Darüber hinaus erfordert die Ausübung polizeilicher Befugnisse gemeinsame Planungen und Konzepte von Militär und CIVPOL. Hierzu zählen schweren Sicherheitsstörungen, die insbesondere in der ersten Phase einer Friedensmission noch erwartet werden müssen. Dort, wo örtliche Sicherheitsorgane nicht eingreifen wollen oder können (beispielsweise bei der Befriedung gewalttätiger Demonstrationen oder der Festnahme von Kriegsverbrechern) sind ebenfalls beide Komponenten gefordert. Auch andere risikobehaftete Maßnahmen mit CIVPOL-Beteiligung, zum Beispiel die planmäßige Entwaffnung der Zivilbevölkerung, Maßnahmen gegen bewaffnete „Schatten“- oder Privatpolizeien, zur Unterbindung der schwarzen Märkte, Maßnahmen gegen grenzüberschreitende Organisierte Kriminalität oder zur Kontrolle der Milizen fallen in die gemeinsame Verantwortung. Nicht zuletzt erfordert aber auch die die Missionskräfte selbst betreffende Alarm- und Notfallmaßnahmen gemeinsamer Planung und Abstimmung.

Die in Bosnien-Herzegowina im Jahre 1999 von IPTF und SFOR gemeinsam durchgeführten Operationen „STOLAC“ und „WESTAR“ gegen Strukturen der organisierten Kriminalität im Raum um Mostar waren sehr erfolgreich. Aber ohne eine detaillierte Koordination wären sie nicht möglich gewesen. Sie haben nachdrücklich gezeigt, daß effiziente Zusammenarbeit und Partnerschaft zwischen militärischen und polizeilichen Kräften in einer Mission eine wesentliche Voraussetzung für die Rückkehr von Rechtsstaatlichkeit sind.

Selbst wenn die Zusammenarbeit an der Basis, zum Beispiel zwischen IFOR/ SFOR und IPTF in Bosnien-Herzegowina beziehungsweise zwischen KFOR und UNMIK-CIVPOL im Kosovo in der Folgezeit in aller Regel als zufriedenstellend bezeichnet werden kann, so muß dennoch zumindest das Fehlen einer gemeinsamen „Eingangsstrategie“ zur wirksamen Bearbeitung der vordringlichen Sicherheitsprobleme bemängelt werden. Fehlende Strategien und Konzepte, nicht vorbereitetes Führungspersonal sowie die Verzögerungen in der Mandatsausführung auf Grund langwieriger Etablierungsprozesse schaden dem Missionsziel in irreparabler Weise.

Es kommt also zukünftig neben der gezielten Auswahl, Vorbereitung und frühzeitigen Benennung und Bereitstellung von Führungspersonal vor allen Dingen darauf an,

  • durch im Vorfeld der Einsätze sorgfältig abgestimmte strategische und konzeptionelle Vorbereitungen zur Umsetzung entscheidender Mandatsteile
  • sowie durch Koordination der erforderlichen operativen Maßnahmen mit den wesentlichen Nachbarn im Konfliktgebiet (militärische Komponente, UNHCR, lokale Polizei usw.)

einen gemeinsamen, robusten ersten Ansatz aller Missionskräfte zur Beseitigung der Übergangsgefahren für den Friedensprozeß sicherzustellen. Die erforderlichen Strategien und Konzepte sind von den militärischen und Polizeiführern gemeinsam und vor Einsatzbeginn zu erstellen. Der verantwortliche Police-Commissioner und der Kern seiner Stabsmitarbeiter müssen daran direkt mitwirken. Auch auf die Einrichtung eines gemeinsamen polizeilich-militärischen Koordinationsstabes im Konfliktgebiet kann nicht verzichtet werden. Alle diese Maßnahmen müssen vor Beginn einer Mission getroffen werden.

Die Analyse der Friedensmission in Bosnien-Herzegowina, aber auch ihrer Vorgänger in Afrika, Haiti, Kambodscha, Georgien und Ostslawonien zeigt sehr deutlich eine weitere Lektion: Friedensmissionen müssen in ihren wesentlichen Komponenten (Militär, Polizei, Zivilverwaltung) von Anfang an integriert sein und über eine einheitliche Führungs- und Kommunikationsstruktur verfügen. Aus politischen und militärstrategischen Gründen hat es jedoch schon in der Bosnien-Mission ab 1995 keine einheitliche Führungsstruktur mehr gegeben, auch die SR-Res.1244 (1999) für das Kosovo sieht erneut eine geteilte Führungsverantwortung vor. Umso mehr kommt es deshalb darauf an, daß die mit exekutiven oder exekutivnahen Aufgaben der Herstellung beziehungsweise Aufrechterhaltung der militärischen beziehungsweise öffentlichen Sicherheit betrauten Missionskomponenten so eng wie möglich zusammenarbeiten.

Alle diese Erkenntnisse liegen zwar auf der Hand, werden aber bisher weder bei der politischen Vorbereitung der Mandate noch auf den ausführenden Ebenen umgesetzt.

Wenn sich schon die Zusammenarbeit internationaler Großorganisationen untereinander in der beschriebenen Weise schwierig gestaltet, so ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß eine Koordination mit Nichtregierungsorganisationen (NGOs) gar nicht erst zustande kommt. In den meisten Fällen kommt es nicht einmal zu einer Verbindungsaufnahme, da die NGOs unbegründeterweise eine Vereinnahmung und Bevormundung durch die internationalen Großorganisationen befürchten. Die Kommunikation zwischen der militärischen Komponente, CIVPOL und den NGOs sollte jedoch im Computerzeitalter kein größeres Problem mehr darstellen. Im Kosovo zum Beispiel hat sich das von allen NGOs, UNMIK und KFOR gemeinsam genutzte „Humanitarian Coordination Information Center“ (HCIC), aus dem jeder Teilnehmer zu jeder Zeit Informationen über beabsichtigte Operationen abrufen kann, bestens bewährt.

4. CIVPOL-Startschwierigkeiten

Unabhängig von den oben beschriebenen äußeren Problemen leiden CIVPOL-Einsätze auch unter internen Schwierigkeiten, so z.B. unter einer oft ungenügenden Vorbereitung der nationalen Kräfte, unter dem Mangel an Spezialisten und der unangemessenen langen Einarbeitungsphase der Kräfte im Missionsgebiet.

4.1. Vorbereitungs- und Bereitstellungsdefizite

Da die (Wieder)Herstellung der öffentlichen Sicherheit und der Rechtsstaatlichkeit in einem Konfliktgebiet Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung aller übrigen Elemente der Mandates ist, muß der Qualität und Einsatzbereitschaft der mit dieser zentralen Aufgabe betrauten CIVPOL-Komponente besondere Aufmerksamkeit zugemessen werden. Im Gegensatz zur militärischen Komponente, die sich aus einer begrenzten Anzahl geschlossener, eingeübter, kompatibler und weitgehend autarker Einheiten und Verbände zusammensetzt, ist CIVPOL eine Ansammlung von Einzelbeamten/innen aus einer Vielzahl sehr unterschiedlicher Nationen7. Die CIVPOL-Monitors treffen zudem mit recht unterschiedlichen Ausbildungsstand, einer nicht kompatiblen Ausstattung und in der Regel in kleinen nationalen Kontingentgruppen zu unterschiedlichen Zeiten im Missionsgebiet ein. Dort fehlen zumindest den zuerst eintreffenden Kräften dann alle weiteren, für einen unmittelbaren Einsatz erforderlichen Voraussetzungen wie etwa Logistik, Infrastruktur sowie Führungspersonal und -strukturen. Die unterschiedlichen Erfahrungs- und Ausbildungsvoraussetzungen erfordern zudem regelmäßig eine vereinheitlichende Eingangsausbildung im Missionsgebiet für alle CIVPOL-Angehörigen („in-mission training“). In deren Verlauf stellt sich dann fast regelmäßig heraus, daß 15-20 Prozent der entsandten Police Monitors (PM) die Arbeitssprache (in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo: Englisch) nicht oder nicht ausreichend beherrschen. Auch müssen oft PMs wieder repatriiert werden, weil sie das Führen eines Dienstfahrzeuges nicht ausreichend sicher beherrschen.

Viele Entsendestaaten, die alleine für die Auswahl- und Vorbereitungsmaßnahmen zuständig sind, beachten die ihnen von den VN zugestellten und für die Auswahl verbindlichen Kriterienkataloge offenbar nicht oder nicht vollständig. Deshalb stellt das Department for Peace Keeping-Operations (DPKO) der VN seit 1998 solchen Staaten auf Anforderung sogenannte Selection and Training Teams (SAT) als Hilfe zur Verfügung. Gleichwohl kommt es nach wie vor in nicht unerheblichem Umfange zur Entsendung unzureichend qualifizierter Police Monitors in die VN-Missionen.

Die EU-Staaten haben mit ihren Beschlüssen in Santa Maria da Feira und in Nizza im Jahre 2000, die unter anderem die Aufstellung eines 5.000 Mann starken europäischen Polizei-Kontingents vorsehen, aus diesem Problem die notwendigen Konsequenzen gezogen und erste entscheidende Schritte unternommen, die erkannten Fehler zu beheben. Leider haben bisher nur wenige außereuropäische Nationen vergleichbare Maßnahmen eingeleitet: Kanada zum Beispiel bereitet schon seit einigen Jahren unabhängig vom aktuellen Bedarf einen gewissen Teil seiner Polizei am nationalen Lester-Pearson-Institut auf solche internationalen Einsätze vor und hält diese Kräfte abrufbereit. Es wäre jedoch wünschenswert, daß auch andere Entsendestaaten, insbesondere solche, die sich regelmäßig mit starken CIVPOL-Kontingenten an den Missionen beteiligen, wie etwa die USA, Indien, Pakistan, Bangladesh, Jordanien, Ägypten, Nigeria, Bulgarien oder die Türkei, ähnliche Vorbereitungsmaßnahmen ergreifen würden. So könnten die für solche Einsätze ohnehin schon strapazierten europäischen Ressourcen entlastet werden.

4.2. Einarbeitungsprobleme

Neben der Herstellung der erforderlichen Eingangsqualifizierung („in-mission-training“) stellt die anschließend notwendige Einarbeitungsphase zu Beginn einer Mission für CIVPOL ein weiteres erhebliches Problem dar. Da alle Basisvoraussetzungen für den Einsatz einer multinationalen Polizei beim Eintreffen erster Kräfte im Einsatzgebiet regelmäßig fehlen, nimmt die anschließende Strukturierungs- und Organisationsphase der CIVPOL-Komponente dann zum Teil Monate in Anspruch: Bei der UNTAC-Mission in Kambodscha (1992/93) war CIVPOL erst sieben Monate nach Eintreffen der ersten Polizeikräfte voll einsatzfähig, bei UNMIBH (1995/96) hat dieser Prozeß etwa sechs Monate, bei UNMIK (1999/2000) etwa sieben bis acht Monate in Anspruch genommen. Dieser Zeitraum wird regelmäßig benötigt, um im Einsatzraum unter anderem erste Grundstrukturen für CIVPOL herzustellen. Das Mandat wird in dieser Phase nur sehr eingeschränkt wahrgenommen. Gerade aber angesichts der besonders kritischen Sicherheitslage (security gap) zu Beginn jeder Mission kann dies zukünftig nicht mehr hingenommen werden. Die betroffene Bevölkerung eines Konfliktgebietes erwartet mit dem ersten Einsatz der „Blauhelme“ und der „Blue Berets“ zu Recht eine sichtbare Verbesserung ihrer Lage. Ein zögerlicher, sporadischer und begrenzter CIVPOL-Einsatz mit unzureichenden Kräften führt zu Enttäuschung und Resignation und als Folge häufig auch zur Missachtung der ISG und ihrer Organe. Auch dadurch entsteht in der Öffentlichkeit das unzutreffende Bild, der anscheinend „ineffizienten, nutzlosen Vereinten Nationen“. Die inakzeptable Einarbeitungsphase ermuntert gleichzeitig die lokalen Obstruktionisten, Störenfriede, Rechtsbrecher und Kriegsgewinnler zur Intensivierung ihrer Aktivitäten. Ein Beispiel ist das Unvermögen der IPTF, die Sicherheitsorgane in Bosnien-Herzegowina von Anbeginn der Mission an umfassend, konsequent und besonders an den entscheidenden Schlüsselpunkten zu überwachen. Dies hat dazu geführt, daß einigen örtlichen Polizeiführern in dieser Zeit unbeabsichtigt Gelegenheit gegeben wurde, in ihren mittleren und oberen Führungssystemen die bereits erwähnten sogenannte Parallelstrukturen einzurichten. So konnten sie unter Umgehung der offiziellen Strukturen die gesamte Führungsarbeit ihrer Verwaltungen organisieren. Durch die teilweise Positionierung ausserhalb der offiziellen Organisation entziehen sich diese „Parallelstrukturen“ vollständig der Kontrolle durch IPTF.8

Es wird also zukünftig seitens der Polizeistellernationen auf eine umfassende Vorbereitung und rechtzeitige Bereitstellung eines geeigneten Personal- und Materialpools ankommen. Nur so können die zu entsendenden, personalintensiven CIVPOL-Kontingente im Anforderungsfalle unverzüglich reagieren und erfolgreich in den Einsatzraum gehen. Der verzuglose Einsatz dieser Kräfte selbst muß dann durch eine geeignete Eingangsstrategie und eine wohldurchdachte und praktikable Einsatzkonzeption durch die CIVPOL-Führung sichergestellt werden, um eine offensive und lückenlosen Umsetzung der wesentlichen Mandatsaufgaben gewährleisten zu können.

4.3. Einsatz von Spezialisten

In Nachkriegslagen sollte davon ausgegangen werden, daß die örtlichen Sicherheitsorgane mit einem Vielfachen der offiziell angegebenen Stärken im Konfliktgebiet vorhanden sind. So sind häufig Schutz-, Kriminal-, Sonder-, Spezial-, Bereitschaftspolizeien, staatliche und in Einzelfällen sogar private Geheimpolizeien sowie Milizen während der vorangegangenen bewaffneten Auseinandersetzungen ungezügelt und unkontrolliert gewachsen. Mit Beginn der Umsetzung des Dayton Vertrages und der SR-Res. 1035 (1995) ist IPTF im Februar 1996 durch die betreffenden Ministerien eine Gesamtzahl von 48.000 Schutz- und Kriminalpolizeibeamten für Bosnien-Herzegowina gemeldet worden. Zahlen über alle anderen Polizeien oder Sicherheitskräfte wurden nicht genannt und Angaben zu Geheimdiensten wurden vollständig verweigert.9

Mit der Wahrnehmung ihres Monitoring-Mandates erfaßt CIVPOL regelmäßig nur den uniformierten, weil sichtbaren Teil der örtlichen Polizeikräfte. Die für das allgemeine öffentliche Sicherheitsgefühl der Bürger und damit für das Binnenklima weitaus einflußreicheren sonstigen Polizeien (KriPo, Spezial- und Geheimpolizeien) werden vom Monitoring zumindest zunächst nicht erfaßt . Sie können somit ihren „Dienst“ unerkannt und unkontrolliert fortsetzen. Auch die Überwachung der mittleren und oberen Führungsebenen sowie der Schulungseinrichtungen der Sicherheitsorgane und insbesondere ihrer ministeriellen Strukturen durch CIVPOL unterbleibt allzu häufig aus Mangel an hierfür erforderlichen Spezialisten. Der von den Polizeistellernationen in aller Regel in die Mission entsandte „normale“ Schutzpolizist ist hier schlicht fehl am Platze oder zumindest erheblich überfordert.

Auch die überwiegend institutionsbildenden Aufgaben des CIVPOL-Mandates, beispielsweise den Reform- und Restrukturierungsauftrag, die Überwachung von Spezialpolizeien oder etwa die häufig in den Mandaten vorgesehene Beratung von Polizeiführern bis hin zur Ebene von Ministern erfordert besonders qualifizierte Spezialisten.

Der CIVPOL-Einsatz im Kosovo hat darüber hinaus erneut deutlich gezeigt, daß die Einsatzkräfte keinesfalls nur mit der sogenannten normalen täglichen Polizeiarbeit (Kleinkriminalität) befaßt sind. Gerade in Konfliktgebieten müssen sie sich in besonderer Weise mit schwerer und Schwerstkriminalität bis hin zu der auf dem Balkan extrem verbreiteten Organisierten Kriminalität und ihren mafiosen internationalen Strukturen befassen. Die Bewältigung dieser Formen von Höchstkriminalität ist nicht nur schwierig und langwierig, sondern für den Befriedungs- und Wiederherstellungsprozeß von entscheidender Bedeutung. Sie erfordert besonders qualifizierte Polizeibeamte.

Das DPKO der VN hat daher schon im Jahre 1999 den Polizeistellernationen Richtlinien über „Erhöhte Kriterien für die Auswahl von Polizeibeamten/innen für fortgeschrittene Missionen“ zugestellt. Einige Länder, unter ihnen auch Deutschland, sind diesen Forderungen inzwischen nachgekommen und leisten zum Beispiel in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo mit Spezialisten für besondere Ausbildungsaufgaben wichtige Beiträge.10

Daneben sind auch die zahlreichen, mit politischen Gefangenen häufig überbelegten Gefängnisse und Straflager sowie die örtlichen Justizverwaltungen durch entsprechend erfahrene Spezialisten zu überwachen. Die Wiederherstellung rechtsstaatlicher Zustände gerade in diesen Bereichen ist für den Erfolg der Mission wie auch für die betroffene Bevölkerung von außerordentlicher Bedeutung. Hierzu gehört auch die konsequente Verfolgung von Kriegsverbrechern. Richter, Staatsanwälte und spezialisiertes Strafvollzugspersonal gehören daher zukünftig unbedingt zu den von den Entsendestaaten bereitzustellenden zivilen Kontingenten.

Im Unterschied zu normalen PM müssen alle der Mission zugeteilten Spezialisten mindestens für die Dauer von zwölf, besser für 18 Monate im Einsatz verbleiben. Nur so kann wirklich effizient gehandelt werden. Der bisher von den Nationen praktizierte Austausch des gesamten CIVPOL-Personals nach sechs beziehungsweise neun Monaten kann auf die Spezialisten nicht angewendet werden. Es ist also erforderlich, daß sich künftig alle Entsendenationen in weitaus größerem Umfang als bisher auf die verzugslose Bereitstellung von Spezialisten für eine ganze Bandbreite frühzeitig von der CIVPOL-Führung zu identifizierender Spezialaufgabenbereiche einstellen. Das schließt auch CIVPOL-Führungs- und Stabspersonal ein. Im Rahmen des erwähnten Initiativprogramms der EU („Feira-Beschlüsse“) hat Anfang November 2001 an der neu gegründeten Central European Police Academy (CEPOL)11 in Deutschland ein erster Kurzlehrgang – ein sogenannter Commanders Course – für 19 höhere Polizeiführer aus elf Staaten der EU stattgefunden. Ziel war es, dieses Stabs- und Führungspersonal auf internationales ziviles Krisenmanagement vorzubereiten. Weitere Kurse sind für das Jahr 2002 in Spanien, Frankreich, Dänemark und Italien vorgesehen. Insgesamt sollen etwa zehn Prozent der CIVPOL-Führungskräfte so fortgebildet werden. Sobald diese weiteren Programme begonnen worden sind, fehlen nur noch ähnliche Maßnahmen zur Vorbereitung von Spezialisten aus anderen Funktions- und Fachbereichen der Polizei- und Sicherheitsbehörden. Dann müssen das gesamte ausgebildete Personal sowie die damit verfügbaren Kapazitäten in einer Datenbank erfaßt werden.

5. Lösungsansätze

In seinem Bericht für das Millenniumstreffen der VN-Mitgliedstaaten im Herbst 2000 in New York hat Kofi Annan die Lage der VN recht zutreffend mit der einer Feuerwehr verglichen, die zum Löschen eines Brandes gerufen wird, aber zu diesem Zwecke erst einmal die Gemeindevertreter um Löschfahrzeuge und Schläuche bitten muß. Mit dem Bitten allein ist es nicht getan, denn die Feuerwehr muß anschließend noch lange auf die zugesagte Unterstützung warten, während der Brand sich weiter ausdehnt. Die in vielen Nationen notwendige Überwindung politischer und parlamentarischer Hürden verursacht in den meisten Fällen diese unvermeidbaren Verzögerungen.

Angesichts der unübersehbaren Bereitstellungsprobleme haben sich einige der an diesen Missionen regelmäßig beteiligten Großorganisationen auf die Suche nach Lösungen begeben. Dabei scheint der geschilderte umfassende Ansatz der EU, nicht zuletzt auf Grund des regional begrenzten Konzepts, erfolgversprechend zu sein.

5.1. Standby-Maßnahmen der VN

Neben einer Vielzahl von Ausbildungs- und Selektionsrichtlinien für CIVPOL-Personal hat das DPKO der VN bereits 1992 ein sogenanntes standby-register für die Bereitstellung von Personal und Material für Peace Keeping-Operationen eingerichtet. 90 Mitgliedstaaten der VN haben in der Folgezeit ihre bereitgehaltenen Kapazitäten gemeldet, die zeitweise insgesamt mehr als 150.000 Soldaten und mehreren Hundert Tonnen Spezialausrüstung umfassten. Eine tatsächliche Bereitstellungsverpflichtung gegenüber den VN gab es aber leider nicht. Damit war zwar der Meldepflicht genüge getan, der tatsächliche Einsatz jedes einzelnen Soldaten mußte aber nach wie vor die nationalen politischen Hürden nehmen. Vorbereitungs- und Bereitstellungsmechanismen für CIVPOL-Kräfte und anderes Zivilpersonal waren darin jedoch nicht enthalten und hätten daher zusätzlich entwickelt werden müssen. Hierzu ist es auf Grund der zeitlich dichten Abfolge der dann nachfolgenden Friedenseinsätze nicht mehr gekommen. Die daraufhin von einigen, vorwiegend europäischen Nationen12 unternommenen Anstrengungen, ihre Polizeibeamten auf nationaler Basis zielgerichtet auf internationale Kriseneinsätze vorzubereiten, sind zwar ein lobenswerter praktischer Ansatz und Versuch, haben aber nicht wirklich zur Lösung der Probleme beigetragen.

5.2. Das REACT-Konzept der OSZE

Die Mitgliedstaaten der OSZE haben im November 1999 ihre „Charta für Europäische Sicherheit“ verabschiedet, die unter anderem eine Stärkung der operativen Möglichkeiten dieser Organisation auf dem Gebiet der Krisenbewältigung vorsieht. Das daraufhin entwickelte Programm des „Rapid Reaction Assistance and Cooperation Team“ (REACT) verpflichtet die OSZE-Mitgliedstaaten, auf nationaler Ebene, Experten für ein breites Spektrum ziviler Aufgaben im Rahmen der Konfliktbewältigung bereitzuhalten. Dies schließt auch entsprechende Polizeikräfte ein. Das REACT-Programm sollte schon Ende 2000 vollständig umgesetzt sein, stößt aber offenbar bei einem nicht unerheblichen Teil der Mitgliedstaaten auf Schwierigkeiten, da das bereitzuhaltende Personal mit dem der EU zur Verfügung zu haltenden identisch ist.

5.3. Das EU-Konzept

Die internationale Zusammenarbeit ist nicht nur Voraussetzung für die gemeinsame Bewältigung von Problemen in Krisengebieten. Sie ist gleichzeitig auch Voraussetzung für die eigene regionale oder nationale Sicherheit. Allerdings stehen für solche Einsätze in Konfliktgebieten nur begrenzte personelle Ressourcen zur Verfügung. Daher müssen diese zielgerichtet eingesetzt werden. Aus dieser Erkenntnis entwickelt, ist die Absicht der EU-Mitgliedstaaten (MS), einheitlich ausgebildete, schnell einsetzbare militärische und zivile Kräfte für das internationale Krisenmanagement bereitzuhalten, der wahrscheinlich entscheidende Schritt zur Bewältigung eines wesentlichen Teils der oben dargelegten Probleme der Polizeikomponenten in solchen Einsätzen. Die seit Juni 2001 im EU Generalsekretariat eingerichtete EU-Polizei-Planungs- und Führungseinheit (EU Police Unit) hat inzwischen verschiedene Basispapiere und Richtlinien zur Durchführung dieser Beschlüsse entwickelt und teilweise umgesetzt.13 Die konzeptionelle Entwicklung zentraler Strukturen zur Krisenbewältigung sowie genereller Regelungen der Zusammenarbeit der EU mit der NATO deuten darüber hinaus auf die Vorbereitung eines Führungselements in dieser Einheit hin14.

Vordringliches Ziel muß jedoch die Herstellung der vollen Abrufbereitschaft der EU-CIVPOL-Komponente bis 2003 sein. Dabei hat die praktische Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinien in allen MS absolute Priorität. Diesem umfassenden Vorbereitungsansatz, in den auch die bereits mit einem ersten Kurs begonnene Polizeiführer-Fortbildung einzugliedern ist, fehlt zur Vervollkommnung lediglich die Entwicklung einer missionsspezifischen Zusatzausbildung für Spezialisten der Polizei und Justizverwaltungen für Kriseneinsätze.

Alle MS haben im November 2001 bereits ihre personellen Beiträge für das vorzubereitende EU-CIVPOL-Kontingent gemeldet (s.u.Anl.2). Dabei wird einerseits zwar die Stärke des binnen 30 Tagen aktivierbaren, 1.000 Mann starken „Rapid Deployment“-Kontingents um fast 50 Prozent übertroffen, andererseits sind jedoch die erforderlichen Anteile von Spezialisten nicht erkennbar beziehungsweise nicht erfaßt oder vorgesehen. Dies sowie die Festlegung der Rahmenbedingungen für Anforderung und Einsatz solcher CIVPOL-Kräfte muß daher Gegenstand weiterer Planung sein.

Von einigen MS sind Modelle für die zukünftige Organisationsform dieses „Rapid Deployment“-Kontingents entwickelt worden,15 die entweder reine geschlossene Polizei- beziehungsweise Militärpolizei-Einheiten vorsehen oder aus einer Kombination von geschlossenen Einheiten und einzeldienstlichen Komponenten bestehen. Diese Modelle sind zwischen den EU-Mitgliedstaaten bisher recht kontrovers diskutiert worden. Alle EU-Mitgliedsstaaten sind sich jedoch zumindest darin einig, daß der erste Ansatz von EU-CIVPOL-Kräften in Friedensmissionen robust erfolgen muß. Die anfängliche Kontroverse zwischen Befürwortern einer ausschließlichen Verwendung geschlossener Polizei-Einheiten in dieser Phase – vorzugsweise unter militärischer Führung – und den Anhängern eines überwiegend von Einzelpolizeibeamten und Spezialisten getragenen ersten Ansatzes läuft inzwischen auf eine Kombination beider Elemente hinaus. Diese Auffassung ist nicht neu. Entscheidend ist vielmehr die Notwendigkeit der Unterstellung aller Polizeien unter den Police-Commissioner und nicht unter einen militärischen Oberbefehl (wie zur Zeit noch die MSU in SFOR).16

Unter Beachtung der besonderen Dringlichkeit und des Umfanges der bis 2003 zu treffenden Maßnahmen muß nun ein Aktionsplan für die Vorbereitung der EU-Polizeikontingente vorrangig vorangetrieben werden. Umzusetzende Aufgaben der EU-Police Unit beim Generalsekretär sind:

  •      Standardisierung der Auswahl- und Ausbildungskriterien in allen MS
  •      Entwicklung und Aktualisierung von Überprüfungs- und Meldemechanismen
  •      Bereitstellung standardisierter Einsatzmittel in den MS
  •      Erfassung und dringliche Vorbereitung von Spezialisten
  •      Gleichzeitige Entwicklung genereller Einsatzstrategien und – konzepte
  •      Regelung der Zusammenarbeit mit militärischen und anderen Partnern (wie etwa NATO oder OSZE).

Im Hinblick auf die begrenzten Möglichkeiten der EU-MS muß auch die angedachte Öffnung dieses Programms zunächst für EU-Beitrittskandidaten und darüber hinaus auch für andere Nicht-EU-Mitglieder vorangetrieben werden.

5.4. Rekrutierungsprobleme deutscher Polizeien

Deutschland mißt dem EU-Konzept der nichtmilitärischen Krisenbewältigung hohe Bedeutung zu. Die Bundesrepublik muß sich hinsichtlich ihres Anteils an der bereitzuhaltenden EU-Polizeikomponente auf ein Kontingent von 800 bis 1.000 Beamten/innen einstellen, das sich durch die vorhersehbaren Rotationen des Personals noch vervielfachen wird17. Sie wird darüber hinaus nicht unerhebliche materielle und finanzielle Beiträge leisten müssen. Eine Bereitstellung von geschlossenen Polizei-Einheiten, die sich freiwillig melden, scheidet für Deutschland aus. Geschlossenen Einheiten können sich nicht freiwillig melden. Einzige Möglichkeit, doch geschlossene Einheiten zu entsenden, wäre, daß sich solche Einheiten aus einzelnen Freiwilligen zusammensetzen und dann für einen geschlossenen Einsatz vorbereitet werden sollen.

Da für den Bund und die Länder die Gewinnung des erforderlichen qualifizierten Personals für internationale Friedensmissionen generell zunehmend schwieriger wird,18 sollten auch im Hinblick auf die in Feira eingegangenen Verpflichtungen alle national und insbesondere verwaltungsintern begründeten Rekrutierungsprobleme (mangelnde Mobilität, mangelhafte Sprachkenntnisse, unsichere dienstliche Anschlussverwendung, ungenügende dienstliche Akzeptanz der Auslandseinsätze bei Vorgesetzten) baldmöglichst gelöst werden.

Die Größenordnung der zukünftig für Kriseneinsätze bereitzuhaltenden deutschen Polizeikräfte übersteigt die Möglichkeiten des Bundes, der hierzu ausschließlich auf den Bundesgrenzschutz zurückgreifen kann, bei weitem. Die Länder müssen sich daher in nicht unerheblichem Umfang weiter an diesen Einsätzen beteiligen19. Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Vorbereitungs- und Bereitstellungsmaßnahmen für mehrere Hundert/Tausend deutsche Polizeibeamte ist daher die Entwicklung eines von Bund und Ländern gleichermaßen getragenen und abgestimmten Maßnahmenkatalogs zur Auswahl und Ausbildung dieser Kräfte erforderlich. Dabei kann das inzwischen von der Bundesgrenzschutzschule auf der Grundlage der entsprechenden EU-Richtlinie und der einschlägigen VN-Richtlinien erarbeitete zweistufige Ausbildungskonzept ohne Einschränkungen von allen Beteiligten akzeptiert und sofort umgesetzt werden.

6. Schluß

Der Erfolg zukünftiger Friedensmissionen wird nach allen bisherigen Erfahrungen zu einem großen Teil auf einem robusten Friedenssicherungskonzept für die Einsatzkräfte beruhen, das bisher im Wesentlichen nur für die militärischen Komponenten vorgesehen war. Zukünftig wird dies aber auch für die CIVPOL Komponenten unverzichtbar sein. Damit wird auch ein Doktrinwechsel unvermeidlich sein. Sollen die zahlreichen Kriseneinsätze nicht weiterhin mehrheitlich zeitraubende und für die Internationale Gemeinschaft kostspielige Versuchsfelder für den Umgang mit lokalen Politgrößen in den Konfliktgebieten bleiben und am Ende von eher weniger als mehr Erfolg beschieden sein. Die bisherigen Erfahrungen machen unmißverständlich deutlich, daß die Internationale Staatengemeinschaft ihre Autorität, Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit nur durch einen energischen und zielstrebigen Ansatz auch aller zivilen Kräfte von Anbeginn einer Mission an geltend machen kann und muß.

Auch der Brahimi-Report wiederholt unter anderem folgende Forderungen:

  • Realistische Mandate mit eindeutigen Zielsetzung und Zeitvorgaben für die einzelnen Missionskomponenten
  • Robuste Umsetzungsmöglichkeiten für die CIVPOL-Komponente
  • Entwicklung allgemeiner Strategien
  • Abgestimmte missionsorientierte Konzepte
  • Zeitgerechte Bereitstellung vorausgebildeter Kräfte
  • Ausreichende Mittel
  • Sanktionsmöglichkeiten

Hier sind der Weltsicherheitsrat sowie die an der jeweiligen Konfliktlösung politisch beteiligten Akteure gefordert. Da die VN auch zukünftig der Auftraggeber für internationale Kriseneinsätze sein werden, sind sie darüber hinaus aufgefordert, die für die zivilen Missionskomponenten notwendigen strategischen Grundlagen (Guidelines, Strategiepapiere, Internationales Strafgesetz und Strafprozeßgesetz) zu entwickeln und den im Felde agierenden Konfliktbearbeitungskräften als wirksame und sofort einsetzbare Leitlinienpapiere an die Hand zu geben. Die mit den Beschlüssen der EU angestrebte koordinierte Bereitstellung europäischer Polizeikräfte ist ein erster, allerdings recht erfolgversprechender regionaler Lösungsansatz, gleichzeitig aber auch ein denkbares Beispiel für ähnliche Anstrengungen anderer Staatengemeinschaften auf der Welt.

Anlage 1: Auszug aus einem Wochenlagebericht der IPTF in UNMBH (49. Kalenderwoche 2000)

MOSTAR (Föderation)

Am 03/01/00 berichtet ein Cafébar-Besitzer der IPTF in Mostar, daß er am 01.01.2000 von einem ihm bekannten Täter bedroht worden ist, weil er sich weigere, DM 4.000,-- "Schutzgeld" zu zahlen.

Am Abend des 01/01/00 stürmten angeblich drei Personen sein Café und schossen auf ihn. Er griff ebenso zur Waffe und erwidert das Feuer. Nach diesem Vorfall lief er sofort zur Polizeistation West-Mostar, schildert den Vorfall, gab seine Waffe freiwillig ab, wurde jedoch aus bisher unbekannten Gründen von der Polizei festgenommen. Diesen Fall will er auch dem Chef der Local Police West-Mostar berichtet haben. Die Örtliche Polizei blieb jedoch angeblich inaktiv.

Die anschließenden Ermittlungen durch IPTF ergeben allerdings, daß die Beschwerde nicht dem vorgebrachten Sachverhalt entspricht. Es scheint sich vielmehr um kriminelle Vorgänge innerhalb einer Gruppe ehemaliger Angehöriger des kroatischen Secret Service zu handeln, in die der Beschwerdeführer verwickelt ist.

MOSTAR (Föderation)

In der Nacht zum 30/12/00 wird im Bereich BUNA ein Rohbau durch eine Explosion zerstört. Das Objekt ist im Besitz eines Bosniaken, der dort in der Nähe der Neretva ein Geschäft eröffnen will. Motiv der Tat ist zur Zeit nicht bekannt, könnte allerdings wegen der Lage des Rohbaus ethnisch begründet sein.

VELIKA KLADUSA (Republik Srbska)

Am 04.12., gegen 14.00 Uhr explodierte eine Handgranate im Privathaus (Barracke) eines Bosniaken, der dabei schwere Verletzungen erlitt. Die anschließenden polizeilichen Ermittlungen ergeben, daß die Granate so angebracht war, daß sie beim Öffnen der Tür explodieren mußte. Ein verdächtiger Serbe, bei dem Beweisstücke aufgefunden wurden, konnte festgenommen werden.

BUGOJNO (Federation)

Am 3. Dezember wurde eine männliche Leiche (etwa 30 Jahre, Kroate) am Straßenrand zwischen Gornji Vakuf und Prozor aufgefunden. Am Körper des Toten fanden sich diverse Hämatome und Stichwunden sowie eine Schußwunde im Kopf. Die Person ist bislang nicht identifiziert. Alle Verletzungen sowie die Umstände am Fundort der Leiche deuten auf eine weitere sogenannte ethnische Hinrichtung hin.

CAPLJINA (Federation)

Am 04/12/00 führt die Lokale Polizei (LP) des Canton 7 eine geplante Aktion gegen den zunehmenden grenzüberschreitenden Schmuggel im Raum um Stolac durch: Um 18.30 Uhr versuchen Polizeibeamte in der Nähe von STOLAC zwei Patrol Nissan und einen VW Golf zu stoppen. Dabei flüchtet ein Patrol Nissan und konnte kurze Zeit später gestellt werden. Der Fahrer leistet bei der Festnahme Widerstand. Ein Beamter der LP wird durch einen Schuß ins Bein verletzt. Bei der Durchsuchung des Fahrzeugs werden 29 Kisten mit Zigaretten im Werte von 11.700 KM, 3.630 DM Bargeld, ein Motorola Funkgerät und zwei Mobil-Telefone sichergestellt. Beide Insassen (-1- Bosniake/-1-Kroate) werden festgenommen. Die beiden anderen Schmuggelfahrzeuge konnten Richtung kroatische Grenze entkommen.

BRZCKO

Am 05. Dezember wurde auf der Lokalstraße BRCKO – MAOCA ein Autobus mit bosniakischen Schülern mit Steinen beworfen. Ein Schüler wurde dabei leicht verletzt. Am Bus entstand Sachschaden.

DOLJANI/METKOVIC (Grenzgebiet zu Kroatien)

Am 08/12/00 fand von 11:00 bis 13:00 Uhr eine Operation mit INTEROL gegen Schmuggel, Drogen, gestohlene Fahrzeuge, sowie Menschenhandel im Raum TREBINJE-CAPLJINA -MOSTAR statt. 2 Pkw (Mercedes und VW), sowie geschmuggelte Zigaretten und Lebensmittel im Werte von etwa 25.000.- DM wurden von der LP in TREBINJE sichergestellt. LP MOSTAR beschlagnahmte außerdem eine Pistole und 20 Schuß Munition aus einem der Fahrzeuge. Die Täter wurden vorläufig festgenommen.

SARAJEVO

Während einer im Raum Sarajewo durchgeführten Polizei-Aktion „Automobil“ sind mehr als 200 illegal registrierte Fahrzeuge entdeckt und in diesem Zusammenhang 13 Personen festgenommen worden. Erste Ermittlungen deuten darauf hin, daß drei Banden die Registrierung und Verzollung der Fahrzeuge mit gefälschten Stempeln durchgeführt haben.

MODRICE (Republik Srbska)

In der Stadt MODRICA wurde am 08.12.2000 ein Sprengstoffanschlag auf das Haus eines bosniakischen Rückkehrers verübt. Bei der Explosion wurde niemand verletzt, es entstand lediglich Sachschaden. Der Tatbestand wurde von der Kriminalpolizei aufgenommen. Täter und Motiv sind noch unbekannt.

BIHAC (Föderation)

Im Berichtszeitraum dieser Woche wurde die folgende Anzahl illegaler Grenzgänger an der Grenze zu Kroatien festgestellt beziehungsweise durch kroatische Grenzbehörden nach BiH zurückgewiesen: 128 Iraner, 28 Türken, 7 Syrier, 4 Inder. 1 Bosnischer Menschenschmuggler konnte in Velika Kladusa festgenommen werden.

Anlage 2: Contributions towards the concrete targets for 2003

The current data comes from the the Ministerial Police Capabilities Commitment Conference on 19 November 2001:

Member State

Overall

capability

Rapid

Deployment

IPU[*]

BELGIUM

130

10

 

DENMARK

125

25

 

GERMANY

910

90

 

GREECE

180

20

 

SPAIN

500

300

2

FRANCE

Gendarmerie Nationale

Police Nationale

600

210

300

3

1

IRELAND

80

80

 

ITALY

971

242

6

LUXEMBOURG

6

1

 

NETHERLANDS

Civilian Police

Royal Marechaussee

30

103

20

 

AUSTRIA

110

20

 

PORTUGAL

Guarda Nacional Republicana

Policia Segurança Pública

Policia Judiciária

160

173

17

200

1

FINLAND

Civilian Police

Frontier Guard

70

5

15

 

SWEDEN

170

50

 

UNITED KINGDOM

450

40

 

TOTAL

5.000

1.413

13

FEIRA OBJECTIVES REACHED

+ 413

[*] IPU: Integrated Police Unit, the size of these units range from 70 to 120 depending on the country.

Anmerkungen

1 Die United Nations Transitional Assistance Group in Namibia (UNTAG, September 1989 – August 1990) war die erste Friedensmission der Vereinten Nationen der sogenannten zweiten Generation. Sie setzte sich aus herkömmlichen VN-Streitkräften und einer starken zivilen Komponente zusammen. Den Kern der letzteren bildete die 1.700 Mann starke CIVPOL. Seit UNTAG gewinnen die von den zivilen Komponenten umzusetzenden Mandatsteile der Missionen zunehmende Bedeutung für den jeweiligen Konfliktbearbeitungsprozeß.

2 Das am 13.08.2001 in Skopje von den mazedonischen Konfliktparteien unterzeichnete „Framework Agreement“ sieht in seinem Annex C unter anderem als ein wesentliches Element ein umfangreiches Trainings-, Reform- und Beratungsprogramm für die mazedonischen Sicherheitsorgane vor. Die USA und OSZE haben inzwischen mit einem mehrjährigen Ausbildungsprogrammteil für die mazedonische Polizei begonnen , an dessen Umsetzung sich auch die Bundesrepublik Deutschland als zukünftige „lead nation“ der internationalen Bemühungen zur Implementierung aller Mandatsteile vermutlich beteiligen wird.

3 Das im Annex 11 des „Dayton Peace Agreement“ vereinbarte Mandat für die IPTF umfaßt im wesentlichen nur sogenannte Monitoring- und Beratungsaufgaben. Es wurde erst durch den PIC in London im Dezember 1996 um das inzwischen als notwendig erkannte exekutive Ermittlungsrecht in Fällen erheblicher Menschenrechtsverletzungen, die von Angehörigen der lokalen Vollzugsorgane begangen wurden, ergänzt. UNMIK-CIVPOL dagegen war durch die Weltsicherheitsratsresolution 1244 von Anfang an mit allen hoheitlichen polizeilichen Befugnissen, einschließlich der Anwendung von Gewalt im Kosovo ausgestattet.

4 Einige örtliche Polizeibehörden der Föderation in Bosnien-Herzegowina haben zum Beispiel zwischen 1996 und 1999 wiederholt die von IPTF und SFOR geforderten und mit ihnen vereinbarten, notwendigen polizeilichen Maßnahmen zur Bekämpfung des umfangreichen Schwarzmarktunwesens und der damit verbundenen Organisierten Kriminalität im Raum um Stolac und bei Tuzla verweigert oder nicht ergriffen. Eine Ursache liegt darin, daß viele Angehörige der betroffenen Polizeibehörden selbst in diese kriminellen Strukturen verwickelt gewesen sind. Eine andere Ursache ist die Polizeiführung, die sich aus ethnisch begründetem Kompetenzgerangel nicht zu einer durchgreifenden Polizeioperation entschließen konnte. IPTF ihrerseits waren auf Grund fehlender Befugnisse die Hände gebunden. Erst ab 1998 stand mit der Schaffung der „Multinational Support Unit“(MSU), eines aus mehreren Polizei-Einheiten zusammengesetzten internationalen Polizeiverbandes unter dem Kommando von SFOR, ein adäquates polizeiliches Eingriffsinstrument mit den notwendigen Eingriffsbefugnissen innerhalb der Mission in Bosnien-Herzegowina zur Verfügung.

5 Als „politische“ Funktion wird nur Führungsstelle des CIVPOL-Commissioners (PC), seltener auch die seines/r Stellvertreters/in vom Generalsekretariat der VN besetzt. Der PC wird in der Regel jedoch erst unmittelbar vor seinem Einsatz in einem wenige Tage umfassenden Schnellkurs im VN-Hauptquartier in New York in seine zukünftigen Aufgaben eingewiesen. Das gesamte übrige Führungspersonal für CIVPOL steht zu diesem Zeitpunkt weder fest, noch für Planungsaufgaben zur Verfügung. Es wird erst mit Eintreffen der nationalen Kontingente im Einsatzraum aus dem dann zur Verfügung stehenden Personalpool ausgewählt und dann im wesentlichen unvorbereitet in die zu besetzenden Führungsfunktionen gebracht.

6 Alle Kampfhandlungen der ethnischen Streitkräfte in Bosnien-Herzegowina waren beim Eintreffen erster IPTF-Kräfte Anfang Januar 1996 eingestellt. Im Kosovo hatten mit Eintreffen erster UMIK-CIVPOL-Kräfte im Juni 1999 alle serbischen militärischen und paramilitärischen Kräfte die Provinz verlassen. Militärische Aktionen der bewaffneten KLA, die sich in größerer Anzahl in der Provinz aufhielt, fanden nicht statt. KFOR-Truppen hatten alle strategisch wichtigen Geländeteile unter ihrer Kontrolle.

7 SFOR 2001: ca. 20.000 Soldaten aus 33 Nationen; KFOR 2001: ca. 46.000 Soldaten aus 39 Nationen; UNMIBH-IPTF 2001: ca. 1.600 Beamte/innen aus 44 Nationen; UNMIK-CIVPOL 2001: ca. 4.440 Beamte/innen aus 52 Nationen.

8 Erst im Herbst 1999 gelang es IPTF in Bosnien-Herzegowina die inzwischen in zahlreichen Sicherheitsbehören eingerichteten „Parallelen Strukturen“ und aus ethnischen Motiven erfolgten Doppelbesetzungen in den Innenministerien der Föderation und der Kantone aufzudecken. Sie wurden demobilisiert und restrukturiert, allerdings sind diese Maßnahmen immer noch nicht abgeschlossen.

9 Die Gesamtstärke der Sicherheitsorgane (Polizeien, Sicherheits- und Geheimdienste) in Bosnien-Herzegowina liegt für den Zeitraum Herbst 1995 bis Mitte 1996 realistisch bei etwa 80.000 Personen. Erhebliche Teile dieser „Kriegspolizeien“ aller ethnischen Konfliktparteien hatten sich in diesem Zeitraum wahrscheinlich weisungsgemäß versteckt gehalten, um entweder die weitere Lageentwicklung abzuwarten, später als „normale“ Mitarbeiter in öffentlichen Verwaltungen untergebracht oder als sogenannte Schattenpolizeien für die ehemaligen Konfliktparteien beziehungsweise in privaten Sicherheitsunternehmen beschäftigt zu werden. Nicht unerhebliche Teile sind wahrscheinlich auch in den aufblühenden Strukturen der organisierten Kriminalität untergetaucht. Noch im April 1999 wurde von IPTF allein in der Stadt Mostar eine „Schattenpolizei“ in Stärke von 375 Mann festgestellt.

10 Deutsche Polizeispezialisten sind IPTF für die Überwachung und Ausbildung von Anti-Terror-Einheiten und der neuen Grenzpolizei in Bosnien-Herzegowina zur Verfügung gestellt worden. Experten der britischen Polizei bilden seit 1998 in Bosnien-Herzegowina Kräfte der lokalen Polizei in der Bekämpfung der organisierten Kriminalität aus. Die USA stellen seit 1996 in Bosnien-Herzegowina und seit 1999 auch im Kosovo in erheblichem Umfange Spezialkräfte und Mittel für die Rechtsausbildung der lokalen Polizeien durch das „International Criminal Investigative Training Assistance Programme“(ICITAP) zur Verfügung .

11 Die auf Beschluß der deutschen Innenministerkonferenz vom September 2001 in Deutschland eingerichtete Central European Police Academy (CEPOL) führt als Netzwerk aller europäischen Polizeiführungsakademien ab November 2001 regelmäßig Fortbildungs-Kurse für europäische Polizeiführer durch.

12 Neben den Bemühungen der kanadischen Polizei haben insbesondere die Niederländer, aber auch die skandinavischen Nationen unter der Führung von Schweden an dem dortigen SWEDINT-Institut regelmäßig Kurse zur anforderungsunabhängigen Vorausbildung von Polizeibeamten für internationale Einsätze in Friedensmissionen durchgeführt.

13 Zu den sogenannten live documents der EU Police Unit sind unter anderem die „Richtlinien für die Auswahl, Ausrüstung und Ausbildung der nationalen Polizeikomponenten“, die „Richtlinien für Führung und Struktur der EU Police Unit“ sowie die „Leitlinie und die Modalitäten für Beiträge von Nicht-EU-Mitgliedstaaten“ zu zählen.

14 Planungen der EU Police Unit im Grenzbereich polizeilicher Zuständigkeiten betreffen das Anlegen von Dateien über Expertenverfügbarkeit im Bereich der Justizverwaltungen und des allgemeinen zivilen Bevölkerungsschutzes.

15 Das bereits im September 2000 von Frankreich unter seiner EU-Präsidentschaft vorgestellte Modell sah einen „Rapid Deployment“-Verband aus geschlossenen Einheiten analog der französischen Gendarmerie Nationale mit paramilitärischer Kommandostruktur und ohne einzeldienstliche Komponenten vor; der bataillonsstarke Verband sollte in der Mission unter das Kommando der jeweiligen Streitkräfte gestellt werden (ähnlich wie MSU in Bosnien-Herzegowina).

16 Eine Unterstellung deutscher Polizeibeamter unter einem militärischen Oberbefehl in einer Friedensmission ist aus nationalen verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich; gleiches gilt zum Beispiel auch für Polizeikräfte aus Schweden, Dänemark und Großbritannien.

17 Das Bundesinnenministerium geht von 2.500 Polizeibeamten aus, die für dieses Programm permanent vorzuhalten sind.

18 Seit Beginn der Mission im Kosovo konnte die den VN für UNMIK zugesagte Anzahl von zunächst 120, ab Januar 2000 jedoch 420 Polizeibeamten bisher mit keinem der entsandten Kontingente erreicht werden. Die Kontingente hatten im Jahre 2000 eine durchschnittliche Stärke von 290 Beamten (d.h. 70 Prozent der Sollstärke) und im Jahre 2001 durchschnittlich 390 Beamt (also 80 Prozent), sodaß Deutschland den VN bisher mehr als 20 Prozent der für UNMIK angebotenen Polizeikräfte schuldig bleiben mußte. Die Sollstärke des deutschen Kontingents von 165 Beamten/innen für UNMIBH konnte dagegen bisher bis auf wenige Prozentpunkte immer erreicht werden.

19 Die neuerliche Argumentation der Länder, diese Aufgabe sei vornehmlich eine außenpolitische und damit Bundesaufgabe, ist Augenwischerei und nicht einmal als finanzpolitisches Argument hinreichend geeignet. Die Länderpolizeien haben in Zeiten, als sie noch neidisch den vermuteten „exotischen Duft“ dieser Auslandseinsätze des BGS zu verspüren glaubten, mit Vehemenz und unter Hintanstellen aller politischen und verfassungsrechtlichen Bedenken ihre uneingeschränkte Beteiligung an diesen Einsätze gefordert und erhalten. Sie sollten nun auch willens und bereit sein, auch das vermeintlich „dicke Ende“ ohne Wenn und Aber mitzutragen.

 

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