Studie in Kooperation mit Oxfam Deutschland e.V.
ISBN 3-9809965-2-2
März 2005

Seite 4


“Made in Germany” inside
Komponenten - die vergessenen Rüstungsexporte

von Otfried Nassauer und Christopher Steinmetz

 

4. Doppelt hält nicht besser

Die Ursachen für die weltweite Verbreitung deutscher Rüstungskomponenten liegen in den strukturellen rechtlich-politischen Rahmenbedingungen. Auf den ersten Blick erscheint dies verwunderlich, gibt es doch in Deutschland gleich zwei gesetzliche Pfeiler für eine "restriktive Rüstungsexportpolitik" nach dem Verständnis der Bundesregierung: das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) und das Außenwirtschaftsgesetz (AWG).[29] Auf den zweiten Blick wird hingegen deutlich, dass die in formaler Hinsicht restriktive rechtliche Grundlage der Bundesregierung genügend Interpretationsspielräume bietet, die von den Genehmigungsbehörden weitgehend ausgeschöpft werden – was zur Aushöhlung ebendieser Grundlagen führt.

Die jahrzehntelange Anwendungspraxis, die immer ein Spiegelbild der sicherheitspolitischen Erfordernisse und Interessen ihrer Zeit darstellt, hat in Deutschland ein von außen nur schwer durchschaubares Dickicht aus "Gewohnheitsrechten", Umgehungsoptionen, Präzedenz- und Vergleichsfällen sowie Ausnahmeregelungen entstehen lassen. Beim Umgang mit Rüstungskomponenten vermehren sich die Unzulänglichkeiten der politischen Instrumente der Rüstungsexportkontrolle auf besondere Weise. Sie begünstigen den Export von Rüstungsgütern insgesamt und erschweren gleichzeitig die Nachvollziehbarkeit konkreter Geschäfte.

 

4.1 Kontraproduktiver Dualismus von KWKG und AWG

Das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) regelt den Export von sämtlichen "Kriegswaffen" (ABC- und konventionelle Waffen) und einiger besonderer Komponenten. Die konventionellen Kriegswaffen werden in der Kriegswaffenliste Teil B (KWL B) aufgeführt.[30] Generell bedarf jeder Kriegswaffenexport einer Genehmigung durch die Bundesregierung – es ist also alles verboten, was nicht explizit genehmigt wird. § 6 Abs. 3 KWKG bestimmt die Sachverhalte, nach denen der Export dieser Rüstungsgüter zu untersagen ist:

  • wenn die Gefahr besteht, dass die Kriegswaffen bei einer friedensstörenden Handlung, insbesondere bei einem Angriffskrieg, verwendet werden,
  • wenn Grund zur Annahme besteht, dass die Erteilung der Genehmigung völker-rechtliche Verpflichtungen Deutschlands verletzen oder deren Erfüllung gefährden würde,
  • wenn Grund zu der Annahme besteht, dass es den verantwortlichen Personen an der erforderlichen Zuverlässigkeit mangelt.[31]

Das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) regelt den Export sämtlicher konventioneller Rüstungsgüter, deckt also alle "Kriegswaffen" (gemäß Kriegswaffenliste Teil B) und alle Güter mit doppeltem Verwendungszweck (Dual-use) ab. Die konventionellen Rüstungsgüter werden in der Ausfuhrliste Teil 1 A "Waffen, Munition und sonstige Rüstungsgüter" aufgeführt, die Dual-use-Güter in der Ausfuhrliste Teil 1 C. Der Export dieser Güter ist zwar weitestgehend genehmigungspflichtig, soll aber gemäß §7 Abs. 1 AWG nur untersagt werden,

  • um eine Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker zu verhindern,
  • um zu verhüten, dass die auswärtigen Beziehungen Deutschlands erheblich gestört werden,
  • um die Sicherheit Deutschlands zu gewährleisten.[32]

Das AWG folgt also im Vergleich zum KWKG der umgekehrten Logik, dass alles erlaubt ist, was nicht explizit verboten wird. Normalerweise besteht ein Genehmigungsanspruch, der die Interessen der Wirtschaft wahren soll.[33] Die Untersagung der Genehmigung ist die Ausnahme und nur in eng begrenzten Fällen möglich. Die Bundesregierung trägt die Beweislast dafür, dass die Untersagung rechtlich zulässig ist.

Als generelle Richtlinie und unverbindliche Interpretationshilfe für die Beurteilung einzelner Exportanträge verfügen die zuständigen Behörden zudem über die "Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgüter". In ihrer gültigen Fassung vom 19.1.2000 führen sie in der Präambel drei zusätzliche Kriterien für eine restriktive Rüstungsexportpolitik auf:

  • Die Begrenzung und Kontrolle des Exportes von Kriegswaffen und sonstiger Rüstungsgüter soll einen Beitrag zur Sicherung des Friedens, der Gewaltprävention, der Menschenrechte und einer nachhaltigen Entwicklung in der Welt leisten.

Angesichts zweier Kontrollgesetze zum Rüstungsexport könnte man meinen: "Doppelt hält besser". Doch schon die Existenz der sehr allgemein formulierten "Politischen Grundsätze" ist ein Indiz dafür, dass der rechtliche Dualismus von AWG und KWKG einen großen Interpretationsspielraum dabei erlaubt, wie mit einzelnen Exportanträgen zu verfahren ist, und deswegen einer Deutungsrichtlinie bedarf.

Es ist oft besonders schwierig, das beantragte Exportgut rechtlich eindeutig zuzuordnen. Das KWKG gilt nur für einen kleinen Kreis von zentralen Rüstungskomponenten für "direkt zur Kriegführung bestimmte Waffen" (KWKG § 1). Solche Komponenten, z. B. Kanonenrohre, Zünder oder Bugsektionen für Kriegsschiffe, sind neben kompletten Waffensystemen Bestandteil der Kriegswaffenliste Teil B. Nicht dazu gehören jedoch andere Güter, die für die Funktion von Waffen ebenso zentral sind, z. B. Radaranlagen, Nachtsichtgeräte, Feuerleitsysteme und das entsprechende Know-how. Diese Güter fallen ebenso wie die große Mehrzahl der Komponenten unter das AWG. Die darauf bezogene Ausfuhrliste Teil 1 A umfasst u. a. sämtliche militärische Kommunikationselektronik, Chemikalien für Waffen und Treibstoff, Maschinenpistolen und zahlreiche Komponenten für militärische Land-, Wasser- und Luftfahrzeuge.

Für den Antragsteller kann es von Interesse sein, dass das Exportgut "herunterklassifiziert" wird, also nicht mehr unter das strengere KWKG, sondern unter das AWG fällt, welches die Verweigerung einer Rüstungsexportgenehmigung lediglich im begründeten Ausnahmefall vorsieht. Anders als nach KWKG muss die Bundesregierung nach AWG ihre Ablehnung begründen – und dagegen kann der Antragsteller gegebenenfalls klagen. Diese Möglichkeit bietet sich vor allem bei gepanzerten Radfahrzeugen und Hubschraubern an. Auch können zunächst weggelassene Ausstattungsteile, wie z. B. Aufsätze für Maschinenkanonen, später nachgeliefert werden.

Diese Problematik wird besonders bei Antriebssystemen von militärischen Fahrzeugen deutlich. Lediglich die spezifischen Antriebskomponenten für Kampfflugzeuge, Drohnen und Raketen werden von der Kriegswaffenliste B erfasst und fallen damit unter das KWKG. Unter das AWG fallen hingegen gemäß der Ausfuhrliste Teil 1 A Triebwerke für militärische Hubschrauber, Elektro- und Dieselmotoren für U-Boote – sofern sie bestimmte Leistungsparameter erfüllen – und Dieselmotoren für sämtliche militärische Schiffe ab einer Leistungsstärke von 37,5 kW. Motoren und Komponenten, die der Antriebstechnik für Landsysteme dienen, werden nur dann erfasst, wenn sie besonders für militärische Zwecke konstruiert wurden. Die AWG-Formulierung "besonders konstruiert für militärische Zwecke" bedeutet zum einen, dass der Konstrukteur die Ware ausschließlich oder deutlich für rüstungsrelevante Zwecke konstruiert hat. Zum anderen müssen zusätzlich wesentliche militärische Funktionsmerkmale vorhanden sein.[34] Dies ist bei vielen Motoren, die für militärische Land- und Seefahrzeuge verwendet werden, nicht der Fall - daher fallen diese Antriebe aus der Genehmigungspflicht.[35]

Solange ein Motoren- und Getriebehersteller also seine militärisch genutzten Produkte formal auch für schwere Nutzfahrzeuge anbietet, wie z. B. für schwere Baumaschinen, Traktoren oder Schwerlastfahrzeuge, kann er davon ausgehen, dass die gesetzlichen Exportbeschränkungen nach AL 1 A für ihn nicht gelten. Ähnliches gilt für den Schiffsbereich, wenn bestimmte Antriebsmotoren z. B. auch in Kreuzfahrtschiffe oder Containerschiffe eingebaut werden. Angesichts der expliziten Nachfrage ausländischer Streitkräfte nach bestimmten Motorentypen aus Deutschland wird deutlich, dass hier ein großes Schlupfloch für den Export solcher Rüstungskomponenten klafft.

Ein weiteres Problem ist die privilegierte Handhabung von Ersatzteil-Lieferungen und des Imports von Waffensystemen nach Deutschland zur Instandsetzung und zum anschließenden Rückexport. Erstens fällt nach der gängigen Genehmigungspraxis der Export von Ersatzteilen für diese Waffen, auch von qualitativ besseren Ersatzteilen, unter das AWG und ist nur in begründeten Ausnahmefällen zu versagen. Zweitens besteht meistens eine vertraglich zugesicherte Garantie auf Instandhaltungsleistungen von Waffensystemen durch den Austausch und Einbau von (oftmals moderneren) Komponenten. Dieser Automatismus greift in der Regel auch dann, wenn sich inzwischen die Sicherheits- oder die Menschenrechtslage im Käuferstaat verschlechtert hat.

 

4.2 Vorrang bündnis- und sicherheitspolitischer Erwägungen

Allgemein gesprochen, sollten gemäß KWKG und AWG bei der Beurteilung eines Genehmigungsanspruches für den Export eines Rüstungsgutes vor allem die zu erwartenden gesellschaftlichen Konsequenzen im Mittelpunkt stehen. Gefährdet der Rüstungsexport das friedliche Zusammenleben der Völker oder verstößt er gegen die völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands? Mit den "Politischen Grundsätzen" der Bundesregierung wurden im Januar 2000 drei weitere Beurteilungskriterien eingeführt, die auf jeden einzelnen Genehmigungsantrag angewendet werden: Gewaltprävention, Menschenrechte und nachhaltige Entwicklung.

Allerdings wurde mit den "Politischen Grundsätzen" auch die Zweiteilung der potenziellen Empfängerstaaten fortgeschrieben: EU-, NATO- und NATO-gleichgestellte Staaten auf der einen Seite, und die "sonstigen Drittstaaten" auf der anderen Seite. Die von der Bundesregierung in die "Politischen Grundsätze" übernommenen Kriterien des EU-Verhaltenskodex für Waffenausfuhren von 1998 gelten nur für die "sonstigen Drittstaaten" und nicht – wie im Verhaltenskodex vereinbart – für alle Staaten außerhalb der EU. Damit werden die im AWG und KWKG festgeschriebenen Genehmigungskriterien "technische Merkmale" und "Verwendungszweck" eines Rüstungsguts gegenüber der Frage nach dem Empfängerstaat abgewertet.

Die Ungleichbehandlung der Empfängerstaaten ist eine Folge der zweiten großen Schwäche des deutschen Rüstungskontrollsystems: die Dominanz von bündnispolitischen Interessen bei der Ausgestaltung und Auslegung der Rüstungsexportgesetze. Bestehende Interpretationsspielräume werden im Sinne einer Erleichterung des Rüstungshandels mit den bevorzugten Partnern genutzt. In den 1990er Jahren wurden diese Privilegien der staatlichen Rüstungskooperation weitestgehend auch auf rein privatwirtschaftliche Kooperationsvorhaben ausgedehnt. Bestes Beispiel ist die Einführung von Sammelausfuhrgenehmigungen (SAG) für die Durchführung gemeinsamer Rüstungsvorhaben innerhalb der NATO in den 1980er Jahren. Die SAG sind mehrjährige, verlängerungsfähige Pauschalgenehmigungen für deutsche Komponentenlieferungen an die Mitgliedsstaaten, im Rahmen von staatlicher oder privater rüstungsindustrieller Zusammenarbeit. Einmal erteilt, erfolgt nur zum Teil eine spätere Kontrolle des Bundesausfuhramtes, wie viel und zu welchem Preis tatsächlich in die Partnerstaaten exportiert wurde.[36]

Seit den 1990er Jahren wurden weitere Erleichterungen für den Rüstungshandel mit den EU- und NATO-Staaten eingeführt:

  • Für Komponentenlieferungen, deren Wertanteil weniger als 20 % am Endpreis des Waffensystems ausmacht, gilt eine Genehmigungsvermutung.[37]
  • Der feste Einbau von Komponenten in ein Waffensystem begründet einen neuen Warenursprung, d. h. die Komponente kann gemeinsam mit dem ganzen System ohne Genehmigungsanfrage an die Bundesregierung weiterexportiert werden.
  • Nur wenn die Komponentenzulieferungen für eine "Kriegswaffe" nach Definition der Kriegswaffenliste Teil B bestimmt sind (also z. B. nicht für ein Feuerleitsystem), und vom Umfang her oder in der Bedeutung für die Waffe als wesentlich eingestuft wird, muss die Bundesregierung über einen Weiterexport informiert werden, und muss der sichere Endverbleib nachgewiesen werden.

 

4.3 Industrielle Transparenz

Da sowohl die nationale Sicherheit als auch der Schutz der Wettbewerbsfähigkeit der Rüstungsindustrie im Vergleich zur Beschränkung von Rüstungsexporten höherrangige Güter sind, ist das genehmigungsrechtliche Problem bei Komponentenexporten gleichzeitig auch ein Transparenzproblem.

Die Bundesregierung praktiziert in Bezug auf ihre Informationspolitik zu Rüstungsexporten eine Art doppelte Geheimhaltung und erschwert so deren ohnehin mangelhafte Nachvollziehbarkeit zusätzlich: Erstens können Informationen über ein Rüstungsgeschäft zum Schutz der Wettbewerbsinteressen eines deutschen Unternehmens der Öffentlichkeit vorenthalten werden. Die Begründung dafür lautet, dass Unternehmen einen Wettbewerbsnachteil erleiden könnten, wenn Volumen und Wert ihrer Importe und Exporte auch der Konkurrenz bekannt gemacht würden. Zweitens können diese Informationen unter Berufung auf nationale Sicherheitsinteressen geheimgehalten werden, z. B. um andere Staaten im Unklaren über die technischen Eigenschaften der exportierten Waffensysteme zu lassen, um einem verbündeten Staat bei der Aufrüstung der Streitkräfte zu helfen, ohne dass andere Staaten von dieser Koope-ration erfahren, oder ganz allgemein, um außenpolitische Beziehungen nicht zu gefährden.

Das Problem der mangelnden Transparenz wird durch die fortschreitende Transnationalisierung der deutschen Rüstungsindustrie verstärkt. Vor allem im Luftfahrbereich sind erste länderübergreifende Rüstungskonzerne entstanden, deren Wertschöpfungskette für ein Rüstungsprodukt sich über mehrere Staaten erstreckt. Paradebeispiel ist der größte europäische Rüstungskonzern European Aeronautics Defence and Space (EADS). EADS ist ein Zusammenschluss der deutschen Deutsche Aerospace AG, der spanischen CASA und der französischen Aerospatiale. Der Hauptsitz von EADS liegt aus juristischen und steuerlichen Gründen in den Niederlanden. Durch den konzerninternen Warenverkehr und die vielfältigen Joint-Venture-Konstruktionen mit anderen Rüstungsunternehmen ist es fast unmöglich geworden, einzelne Produktionsschritte (an welchem Standort, in welchem Umfang) nachzuvollziehen. Komponenten werden häufig mehrfach hin und her transferiert, bevor sie endgültig in das Endprodukt eingebaut werden. Zusätzlich haben diese Konzerne einen erheblichen Spielraum in ihrer Entscheidung, von welchem Staat aus sie ihre Endprodukte exportieren wollen.

 

4.4 Tendenz: Weniger statt mehr Kontrolle

Die Fülle der rechtlichen Interpretationsspielräume, der Ausnahmeregelungen und Sonderbestimmungen zeigt, dass der Dualismus von KWKG und AWG im deutschen Kontrollsystem mehr Freiräume für den Export von Komponenten schafft, als Löcher dafür schließt. Das Verfahren erlaubt es, bei der Rüstungskooperation den verbündeten EU- und NATO-Staaten und der Förderung der Interessen der deutschen Rüstungsindustrie Vorrang einzuräumen gegenüber den in den "Politischen Grundsätzen" postulierten Werten Frieden, Gewaltprävention, Menschenrechte und nachhaltige Entwicklung.

Korrekturversuche der Bundesregierung, wie die Reform der "Politischen Grundsätze der Bundesregierung zum Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern", die Unterstützung europäischer Initiativen wie den EU-"Verhaltenskodex für Waffenausfuhren" von 1998, oder die EU-Verordnung über die "Kontrolle der Ausfuhr von Gütern und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck" (Dual-use-Güter) von 2000 blieben Stückwerk bzw. wirkten hinsichtlich einer restriktiven Rüstungsexportpolitik sogar eher kontraproduktiv. Das Ziel der Bundesregierung, eine europäische Lösung bestehender Kontrolldefizite zu erreichen, verzögert dringend notwendige nationale Reformen und riskiert sogar eine weitere Anpassung deutscher Kontrollnormen an niedrigere europäische Standards.

Bestes Beispiel dafür ist die Verabschiedung der EU-Verordnung für Dual-use-Güter vom 22.6.2000.[38] Damit wurde der gesamte Dual-use-Güterhandel innerhalb der EU liberalisiert und zudem mit der Allgemeinen Genehmigung E001 auch auf Australien, Japan, Kanada, Neuseeland, Norwegen, Schweiz und die USA ausgeweitet. Exportgenehmigungen für diese Staaten sind nun mit Ausnahme einiger weniger Dual-use-Güter nicht mehr erforderlich. Die zuständigen Ausfuhrbehörden müssen lediglich über einen erfolgten Export informiert werden. Beim Weiterexport deutscher Dual-use-Güter entscheidet nun nur noch der EU-Staat, in dem die Endmontage durchgeführt wird. Der Mangel an EU-weit einheitlichen Rechtsnormen und Interpretationen dieser Vorschriften erleichtert die Umgehung restriktiverer nationaler Vorschriften. Eine eventuelle künftige Vergemeinschaftung innerhalb der EU auch der Kontrollen von Rüstungsgütern der Ausfuhrliste Teil 1 A wird dem Trend zum kleinsten, am wenigsten restriktiven Standard Vorschub leisten. Insgesamt wird so die Erfassung und Kontrolle der Vertriebs- und Lieferwege der Rüstungskomponenten immer schwieriger werden.

 

5 Erheblicher Reformbedarf

Der Export von Komponenten hat einen erheblichen Anteil am gesamten Rüstungsexportvolumen. Die zahlreichen Beispiele, die in dieser Studie aufgeführt sind, machen die Notwendigkeit deutlich, den Rüstungskomponentenhandel künftig genauer zu untersuchen und seine Relevanz im Verhältnis zu Exporten von Waffensystemen neu zu bestimmen.

Die Verbreitung deutscher Rüstungskomponenten und Rüstungstechnologien, besonders deren Lieferung in Krisenregionen und an kriegführende Staaten, weisen sowohl auf Erfassungs- und Kontrolldefizite, als auch auf eine bewusste politische Duldung dieses Zustands hin. Bislang haben sämtliche Bundesregierungen bei der Verteidigung ihrer angeblich restriktiven Rüstungsexportpolitik davon profitiert, dass sich die öffentliche Aufmerksamkeit fast nur auf die Exporte von großen Waffensystemen konzentrierte. Der genauso problematische Komponentenexport, für den viele Exporthürden niedriger sind, blieb dagegen weitgehend unbeachtet und undiskutiert. Die Bundesregierung hat es bisher versäumt, das Ausmaß deutscher Exporte von Rüstungskomponenten detailliert darzustellen und ihre Genehmigungsentscheidungen nachvollziehbar und transparent zu machen:

  • Die Bundesregierung verfolgt keine wahrhaft restriktive Rüstungsexportpolitik. Ein Rückgang der Exportgenehmigungen ist nicht zu erkennen, sondern entgegen welt-weiter Trends ist sogar ein Wachstum zu beobachten. Komponenten haben daran einen großen Anteil. Je nach Interpretation bewegt sich deren Wertanteil zwischen 60 % und 80 % des Gesamtwertes der Exportgenehmigungen und tatsächlich exportierten Rüstungsgüter.
  • Der Kreis der Empfängerstaaten dieser Rüstungsgüter entspricht in keiner Weise den Vorgaben einer restriktiven Rüstungsexportpolitik, zu der sich die Bundesregierung in den "Politischen Grundsätzen" im Jahr 2000 verpflichtet hat. Vielmehr scheint sie bei ihren Genehmigungsentscheidungen unterschiedliche Standards anzuwenden – sowohl hinsichtlich der Behandlung von Waffensystemen und Rüstungskomponenten – als auch bezüglich der Einschätzung des Risikos des Weiterexports durch verschiedene Empfängerstaaten.
  • Die veröffentlichten statistischen Daten im Rahmen der jährlichen Rüstungsexport-berichte sind keineswegs transparent. Sie sind weder systematisch vergleichbar, noch in sich selbst schlüssig aufbereitet. Auch werden nicht alle verfügbaren und nicht durch Gesetze vor Veröffentlichung geschützten Informationen präsentiert.

Alle genannten Mängel zeigen: Es besteht ein dringender Handlungsbedarf. Aufgrund veränderter Nachfragefaktoren und neuer rüstungsindustrieller Produktionsprozesse und -kapazitäten wird die Bedeutung von Komponenten für den Rüstungshandel weiter zunehmen. Die Bundesregierung sollte gemeinsam mit anderen Staaten, die von der Richtigkeit einer restriktiven Rüstungsexportpolitik überzeugt sind, dringend weitere Maßnahmen umsetzten, um die Weiterverbreitung von konventionellen Waffensystemen und besonders auch von Komponenten zu unterbinden.


Die Bundesregierung ist dringend aufgefordert, die folgenden Schritte umzusetzen:

1. Forderung: Die Zusammenführung der Rüstungsexportbestimmungen des AWG und des KWKG in einem Gesetz, das den rechtlichen Prinzipien des strengeren KWKG folgt.
Genehmigungsentscheidungen für den Export von zentralen Rüstungskomponenten, die die Wirksamkeit und Einsatzfähigkeit eines Waffensystems erhöhen, z. B. Feuerleitsysteme, dürfen nicht anderen Kriterien unterliegen als komplette Waffensysteme. Konventionelle Rüstungsgüter jeglicher Art sollten nur in begründeten Ausnahmefällen exportiert werden dürfen.

2. Forderung: Die rechtsverbindliche Umsetzung der bislang nur politisch verbindlichen Entscheidungskriterien und Maßstäbe der "Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgüter" vom Januar 2000.
In den letzten vier Jahren hat sich deutlich gezeigt, dass die "Politischen Grundsätze" als unverbindliche Behördenrichtlinie bei strittigen Genehmigungsanfragen ihre Wirkung verfehlen und, gemessen an den erteilten Rüstungsexportlizenzen, kaum Konsequenzen haben. Die Berücksichtigung der drei Prinzipien Gewaltprävention, Menschenrechte und nachhaltige Entwicklung darf nicht optional bleiben. Außerdem müssen sämtliche Kriterien und Empfehlungen der "Politischen Grundsätze" für alle potenziellen Empfängerstaaten gelten und nicht nur für die "sonstigen Drittstaaten".

3. Forderung: Die Einführung besserer Kontrollen und eine restriktivere Handhabung von Sondergenehmigungen für die Exporte von Rüstungskomponenten.
Die gegenwärtige Praxis der Gewährung von Sonderrechten und die bevorzugte Behandlung der traditionellen Bündnispartner Deutschlands müssen korrigiert werden. Solange Verbündete wie Frankreich, Großbritannien und die USA Waffensysteme in Krisenregionen und an Staaten liefern, die nicht den Maßstäben der "Politischen Grundsätze" genügen, ist es unverständlich, dass ein Großteil der deutschen Rüstungsexporte an die Bündnispartner pauschal genehmigt wird und bei Weiterexporten bestenfalls eine Konsultationsmöglichkeit für die Bundesregierung besteht.

4. Forderung: Die Verbesserung des Systems der Endverbleibskontrollen.
Angesichts der zahlreichen Sonderbestimmungen zu Weiterexporten, aber vor allem der herrschenden Auffassung zum neuen Warenursprung, müssen die Endverbleibskontrollen für deutsche Rüstungskomponenten verbessert werden.

5. Forderung: Die Kopplung der weiteren Liberalisierung des europäischen Binnenmarktes für Rüstungsgüter an die Verabschiedung einheitlicher und restriktiver gesamteuropäischer rechtlicher Rüstungsexportregeln.
Der gegenwärtig weitestgehend unkontrollierte Transfer von Dual-use-Gütern innerhalb der EU darf nicht auf andere Rüstungsgüter ausgedehnt werden, ohne dass auf EU-Ebene wesentlich restriktivere Verordnungen eingeführt werden und unabhängige Kontrollinstitutionen eingerichtet werden. Die gewollte oder ungewollte Weiterverbreitung deutscher Rüstungstechnologien durch den Weiterexport über EU-Mitgliedsstaaten muss unterbunden werden.

6. Forderung: Die Verbesserung der Transparenz der Genehmigungsverfahren und der Erfassung und Veröffentlichung getätigter Exportgeschäfte.
Eine zentrale Voraussetzung für die Verbesserung der Instrumente zur Rüstungsexportkontrolle ist die Überwindung der "doppelten Geheimhaltung" aufgrund der nationalen Sicherheitsinteressen und der Geschäftsinteressen der Rüstungsindustrie. Ein Anfang wäre die Verbesserung der statistischen Erfassung der tatsächlich getätigten Rüstungsexporte, die Aufschlüsselung der erteilten Genehmigungen nach Rüstungsgut und Stückzahlen, und die Aufnahme der Dual-use-Güterexporte in den Rüstungsexportbericht.


Die Umsetzung dieser Maßnahmen wäre nur ein erster Schritt – weitere und umfassendere müssten folgen. So würde die Bundesregierung ein deutliches Zeichen setzen, dass sie es ernst mit einer an den Werten der "Politischen Grundsätze" orientierten, wahrhaft restriktiven Rüstungsexportpolitik meint. Denn trotz aller politischen Rhetorik, die behauptet, es seien oft die bestehende Gesetze und Verfahren, die eine restriktivere Rüstungsexportpolitik verhindern, darf nicht vergessen werden, dass diese Gesetze im Bundestag mit einfacher Mehrheit verändert oder aufgehoben werden können.




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