BITS Research Note 99.5
ISSN 1434-7687
14 December 1999

Stabile Widersprüchlichkeit  
Die NATO-Osterweiterung und die Konventionelle Rüstungskontrolle

Otfried Nassauer, Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit und
Dr. Arend Wellmann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei BITS

 

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Am 15. und 16. Dezember treffen in Brüssel die NATO-Außenminister zu ihrer regulären Herbsttagung als Nordatlantikrat zusammen. Ein Thema findet zur Zeit fast keine Beachtung - die Diskussion über die nächsten Schritte der Erweiterung der NATO. Erwartet wird lediglich, daß die Minister die Politik der offenen Tür erneut bestätigen. In den Worten des Treffens der NATO-Verteidigungsminister am 2. Dezember 1999, daß "die NATO für neue Mitglieder nach Artikel 10 des Washingtoner Vertrages offen bleibt." Die endgültige Entscheidung über die nächste Erweiterungsrunde steht ja erst im Jahre 2002 an. Dieses Vorgehen greift zu kurz. Die Allianz muß sich mit den Wechselwirkungen zwischen dem jüngst unterzeichneten KSE-2-Vertrag

"The Agreement on the Adaptation of the Treaty on Conventional Armed Forces in Europe, signed at the OSCE Summit in Istanbul on 19 November, will ensure the continuing viability of the CFE Treaty as a cornerstone of European security and stability." und ihrer Erweiterungspolitik befassen.

Während der Kosovo-Krieg, der Krieg in Tschetschenien, die Diskussion über die Europäische Verteidigungsidentität und amerikanische Forderungen nach verstärkten Rüstungsbemühungen in Europa große öffentliche Aufmerksamkeit finden, bahnt sich ein neuer substantieller Konflikt der NATO mit Rußland an: Mit der Unterzeichnung des zweiten Vertrages über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-2-Vertrag) während des OSZE-Gipfels in Istanbul am 17.11.1999 geraten die deklarierten Ziele der Osterweiterungspolitik der NATO und jene der konventionellen Rüstungskontrolle in einen direkten Widerspruch zueinander. Den KSE-Vertrag als "Eckpfeiler europäischer Sicherheit" zu bezeichnen ge-hört zum guten Ton. Er garantiere Euro- pa Stabilität im Bereich der konventionellen Rüstung, so das Kernargument. Stabilität ist auch das deklarierte politische Ziel der Osterweiterung der Allianz, genauer gesagt die Projektion von Stabilität nach Mittel- und Osteuropa, die durch die Erweiterung der Allianz gewährleistet werden soll.

Doch beides zugleich geht nicht – zumindest nicht ohne erhebliche zusätzliche politische Bemühungen, die derzeit nicht zu erkennen sind. Denn unter den Kandidaten für eine zweite Runde der NATO-Osterweiterung befinden sich mit den baltischen Staaten (Estland, Lettland und Litauen) drei unmittelbare Nachbarn Rußlands, die dem KSE-Vertrag nicht beigetreten sind, keine Bemühungen erkennen lassen, dies in Kürze zu tun und deren Interessen bei der Neufassung des KSE-Vertrages keine Rolle gespielt haben.

1. KSE-Vertrag ohne Baltikum? - Warum

Der Beitritt zum KSE-Vertrag war für die baltischen Staaten aus historischen Gründen schwierig. Sie bestehen darauf, daß ihre Staatlichkeit die 50-jährige sowjetische Besatzung überdauert hat. Deshalb entschieden sie sich 1991, dem Vertrag nicht beizutreten. Sie wollten - auch nicht indirekt und rückwirkend - den Eindruck einer rechtlichen Zugehörigkeit zur SU aufkommen lassen. Dieser aber wäre entstanden, wenn die Baltischen Staaten
a) als ehemalige Sowjetrepubliken und

b) als Teil des nord-westlichen Militärdistriktes Rußlands
am Taschkenter Abkommen hätten mitwirken müssen. Um als Mitglieder des KSE-Vertrages rechtlich Anspruch auf einen Anteil an den der östlichen Gruppe der Vertragsstaaten zustehenden Waffensysteme zu erhalten, wäre ein Mitwirken am Taschkenter Vertrag der Nachfolgestaaten der Sowjetunion aber unumgänglich geworden. Bis heute wirkt dies nach. Litauen hat am 8. Juni 1992 in einen Zusatz zur Verfassung das Verbot festgelegt, einer Allianz auf Grundlage der ehemaligen Sowjetunion beizutreten. Dieser Verfassungszusatz wird heute angeführt, um die Teilnahme von russischen Truppen an Partnership-for-Peace-Manövern der NATO in Litauen zu verhindern.

Unabhängig davon, ob die baltischen Staaten der NATO beitreten sollten oder nicht besteht ein Problem im Blick auf die konventionelle Stabilität in Europa: Treten sie dem KSE-Vertrag nicht bei, laden aber NATO-Staaten während einer Krise zur Stationierung von Truppen auf ihrem Territorium ein, so gelten keinerlei konventionelle Rüstungsbeschränkungen für ihr Territorium und eine substantielle Destabilisierung der Situation droht.

Treten sie dem KSE-Vertrag bei, kann sich das regionale konventionelle Kräftegleichgewicht immer noch substantiell genug verändern, um über das Baltikum hinausreichende, das bisherige System konventioneller Rüstungskontrolle in Europa in Frage stellende Probleme hervorzurufen. Es entstünde ein Gebiet, in dem die NATO hinlänglich viele Waffensysteme und Soldaten stationieren darf, um berechtigte russische Destablisierungsängste hervorzurufen.

2. Ein "Gleichgewicht der Kräfte"?

Der KSE-II Vertrag sieht, neben nationalen Höchstgrenzen (national ceilings) für konventionelle Waffensysteme (Kampfpanzer, gepanzerte Fahrzeuge, Artilleriegeschütze, Kampfflugzeuge und Kampfhubschrauber) auch sogenannte territoriale Höchstgrenzen (territorial ceilings) für Kampfpanzer, gepanzerte Fahrzeuge und Artilleriegeschütze vor. Während aber nationale und territoriale Höchstgrenzen normalerweise für je einen Vertragsstaat festgelegt wurden, gilt für Rußland neben den nationalen Höchstgrenzen auch die sogenannte Flankenregelung. Diese besagt, daß Rußland an der "Nordflanke" (Leningrader Militärdistrikt ohne Pskov aber inklusive Kaliningrad) und der "Südflanke" (Nord-Kaukasus) insgesamt nicht mehr als 1.300 Kampfpanzer, 2.140 gepanzerte Fahrzeuge und 1.680 Artilleriegeschütze stationieren darf.

Obwohl Rußland während der Verhandlungen zum KSE-2-Vertrag die Aufhebung der Flankenregelung wegen der Probleme im Kaukasus durchzusetzen versuchte, erwies sich die Flankenregelung im Verhältnis zwischen der NATO und Rußland bisher nicht als unüberwindbar großes Problem. Bislang jedenfalls hat die NATO Überschreitungen der Obergrenzen durch Rußland an der Südflanke toleriert. Damit wird indirekt auch anerkannt, daß die wesentlichen sicherheitspolitischen Problem Rußlands heute im Süden liegen und ernst genug sind, daß Rußland dort mehr Truppen und Waffen benötigt als die Flankenregelung gestattet.

Gemeinsame Grenzen zwischen der NATO und Rußland gibt es dagegen nur an der Nordflanke, in Nord-Norwegen und an der polnischen Grenze zu Kaliningrad. Mit einem NATO-Beitritt der baltischen Staaten käme eine weitere gemeinsame Grenze hinzu. Sollte auch das heute neutrale Finnland der NATO beitreten, würden diese gemeinsamen Grenzen noch einmal deutlich länger.

Solange die baltischen Staaten dem KSE-Vertrag nicht beitreten, gelten für die Stationierung konventioneller Waffensysteme in diesen Staaten keinerlei Begrenzungen. Das in einer Krise resultierende sicherheitspolitische Problem Rußlands ist offensichtlich. Während in den baltischen Staaten in- und ausländische Streitkräfte in praktisch unbegrenzter Größe aufmarschieren könnten, wäre Rußland bei dem Versuch, entsprechende Kräfte zu konzentrieren, schnell gezwungen den KSE-Vertrag zu verletzen.

Komplizierter aber dennoch existent stellt sich das Problem, wenn die baltischen Staaten dem KSE-Vertrag beitreten. Dann müßten zunächst deren Obergrenzen ausgehandelt werden. Die nationalen Limits dürften auf Wunsch der baltischen Staaten dabei deutlich höher ausfallen als deren derzeitige Bestände an konventionellen Waffen. Die territorialen Limits dürften zudem deutlich höher als die nationalen liegen, um dem Wunsch der Balten nach Zulässigkeit einer signifikanten Unterstützung durch die NATO entgegenzukommen.

Konservativ geschätzt kann als Richtschnur für ein gemeinsames territoriales Limit der baltischen Staaten das Beispiel Dänemarks genutzt werden, das eine ähnlich Einwohnerzahl hat, aber geographisch weniger exponiert liegt. Nach dem KSE-II-Vertrag dürfen auf dänischem Territorium 335 Kampfpanzer, 336 gepanzerte Fahrzeuge und 446 Artilleriegeschütze stationiert werden. Eine ähnliche Zahl darf als gemeinsames Minimum für die baltischen Staaten angenommen werden.

Zusätzlich erlauben die Bestimmungen des KSE-Vertrages "temporäre Stationierungen" im Umfang von je 153 Kampfpanzern, 241 gepanzerten Fahrzeugen und 140 Artilleriegeschützen in jedem baltischen Staat über die festgelegten territorialen Limits hinaus zu stationieren. Dies entspricht etwa dem Bestand von je einer verstärkten Brigade. Unter "außergewöhnlichen Umständen" dürfen diese Bestände auf das dreifache ansteigen. Wann eine "temporäre" in eine "unbegrenzte" Stationierung übergeht legt der KSE-II Vertrag nicht fest.

3 Ein "worst-case" Szenario

Was wären die möglichen Konsequenzen?

Einmal angenommen, nach einem Beitritt der baltischen Staaten zur NATO kommt es zu Spannungen zwischen einem der baltischen Staaten und Rußland. Ausgangspunkt sind Meinungsverschiedenheiten über die Menschenrechtssituation für die russischen Minderheiten in den baltischen Staaten. Wirtschaftliche Strafmaßnahmen kommen zum Einsatz; verschiedentlich kommt es zu kleinen Scharmützeln im Grenzgebiet, an denen reguläre und irreguläre bewaffnete Verbände beteiligt sind. Um vor einer weiteren Eskalation abzuschrecken beschließt die NATO, die Bestimmungen des KSE-Vertrages über "außerordentliche temporäre Stationierungen" nutzend, die Stationierung von zusätzlichen Truppen in allen baltischen Staaten.

In diesem (hypothetischen) Krisenfall könnte Rußland sehr schnell vor einem schwerwiegenden Dilemma stehen: Zwar könnte einer maximal aufgewachsenen NATO-Streitmacht im Baltikum eine zahlenmäßig in etwa gleichgewichtige russische Streitmacht entgegengestellt werden. Doch der Preis wäre hoch: Ohne die Bestimmungen des KSE-Vertrages zu verletzen wäre dies nur möglich, wenn Rußland, alle schweren Waffen aus seiner Südflankenregion abzieht. Diese aber ist seit Jahren Konfliktgebiet, in dem Rußland sich ohne Truppeneinsatz nicht mehr gegen Abspaltungen aus der Russischen Föderation zu wehren weiß - der umkämpfte Nord-Kaukasus mit Tschetschenien, Inguschetsien oder Dagestan.

  Kampfpanzer Gepanzerte Fahrzeuge Artillerie
NATO
angenommenes territoriales Limit für baltischen Staaten
+ "temporäre Stationierung"

+ "außergewöhnliche temporäre Stationierung"

SUMME

 

  335

  459

  918

1.712

 

  336

  723

1.446

2.505

 

  446

  420

  840

1.706

Rußland
territoriales Limit

+ "temporäre Stationierung"

SUMME (unter der Voraussetzung, daß keine schweren Waffen im Kaukasus verbleiben)


1.300

  153

1.453


2.140

     0

2.140


1.680

  140

1.920

Aus russischer Sicht: Im Krisenfall bietet sich bei einem Beitritt der Balten zur NATO jederzeit die Chance eine strukturelle Schwäche Rußlands (und des KSE-Vertrages) auszunutzen, um massiv politischen Druck auszuüben. Die Wahl aber, entweder die Nord- oder die Südflanke aufzugeben, kommt aus russischer Sicht der Wahl zwischen Pest und Cholera gleich.

Rußland kann eine derartige, legale Truppenkonzentration unmittelbar an seiner Grenze kaum akzeptieren, solange es selbst an die subterritorialen Obergrenzen für die Flanken aus dem KSE-Vertrag gebunden bleibt. Es ist also abzusehen, daß Rußland in einem solchen (hypothetischen) Fall die Bestimmungen des KSE-Vertrages mißachten würde. Damit aber wäre der Rubikon überschritten, das KSE-Regime stünde wohl vor Irrelevanz oder Auflösung.

4 Russische Optionen

Ein NATO-Beitritt der baltischen Staaten verändert die strategische Lage aus russischer Sicht grundsätzlich. Die NATO überschreitet damit eine "rote Linie", auf die Moskau immer wieder hingewiesen hat. Ein solcher Schritt wird zudem im Kontext der Moskauer Sicht der jüngsten Entwicklung der NATO gesehen. Die NATO hat gegen Jugoslawien ohne UN-Mandat und russische Mitsprache Krieg geführt und zudem auf dem Washingtoner Gipfel eine neue Strategie verkündet, die russische Befürchtung verstärkt, daß sich die NATO zu einem weltweit tätigen Interventionsbündnis der westlichen Staaten unter Führung der USA entwickelt, das wenig oder kein Interesse zeigt, mit Rußland ernsthaft zu kooperieren und die legitimen russischen Interessen hinlänglich zu beachten.

Mit Blick auf den KSE-Vertrag ergeben sich für Rußland bei einem NATO-Beitritt der baltischen Staaten drei mögliche Vorgehensweisen:

Die Forderung den KSE-Vertrag mit dem Ziel die Flankenregelung aufzuheben neu zu verhandeln. Schon die jüngsten Verhandlungen zur Anpassung des KSE-Vertrages an die Erfordernisse der veränderten politischen Geographie Europas waren alles andere als einfach, und bereits hier konnte sich die russische Forderung nach einer Aufhebung der Flankenregelung nicht durchsetzen. Die Aussichten für eine einvernehmliche Vertragsveränderung sind schlecht.

Die einseitige Kündigung des KSE-Vertrages, um rechtlich die Möglichkeit zu erlangen, den potentiellen Aufwuchs einer NATO-Streitmacht im Baltikum auszugleichen. Hier überwiegen die politischen Nachteile vor dem Eintritt in eine Krise. Die politischen Beziehungen zu NATO (und EU) sowie die Aussichten auf eine gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur unter Einschluß Rußlands würden sich substantiell und dauerhaft verschlechtern. Auch wäre diese Option keine realistische Alternative. Die ökonomische Situation und der Zustand der russischen Streitkräfte lassen eine solche Politik kaum zu. Rußland ist zur Zeit wirtschaftlich nicht fähig, seine konventionellen Streitkräfte substantiell zu verstärken und sich auf ein Wettrüsten mit der NATO einzulassen.

Alternativ kann allerdings - deklaratorisch und/oder real - die Rolle von taktischen Nuklaerwaffen in der russischen Militärdoktrin gestärkt werden. Dies wird in Moskau wieder und wieder als „billige" Alternative zu konventioneller Aufrüstung ins Spiel gebracht. Die destabilisierenden Auswirkungen auf nukleare Rüstungskontrolle und die Zukunft nuklearer Nichtverbreitung sind zwar offensichtlich – wohl aber aus russischer Sicht, das derzeit kleinste Übel.

5 Schlußfolgerungen

Eine Erweiterung der NATO um die baltischen Staaten - das hat bereits die Debatte um die erste Runde der NATO-Osterweiterung gezeigt - wird von Rußland eindeutig abgelehnt, nicht zuletzt da sie aus russischer Sicht als Teil der ehemaligen Sowjetunion gelten. Ihre Aufnahme ist politisch äußerst problematisch und muß von der NATO gegen das Interesse an einer kooperativen sicherheitspolitischen Zusammenarbeit mit Rußland abgewogen werden. Ein solcher Schritt brächte zudem – so das Ergebnis dieser Forschungsnotiz - die bislang wenig beachtete Gefahr mit sich, das System konventioneller Rüstungskontrolle in Europa zu destabilisieren. Es obliegt der NATO und ihren Mitgliedsstaaten als interessierter (und stärkerer) Partei, einer solchen Destabilisierung in Kooperation mit Rußland entgegenzuwirken.

Der Beitritt der baltischen Staaten zur NATO sollte ausgeschlossen bleiben, es sei denn, daß Rußland einen solchen Schritt künftig mittragen könnte. Dies würde voraussetzen, daß der Westen berechtigte russische Sicherheitsinteressen hinlänglich berücksichtigt. Ein wesentlicher Beitrag dazu könnte seitens der NATO geleistet werden, wenn die Verkopplung des Nordens mit dem Süden bei der KSE-Flankenregelung aufgehoben würde. Diese Option haben bislang interessierte NATO-Staaten – wie die Türkei und Norwegen – aus unterschiedlichen Motiven unterbunden. Solange dieser Schritt der Anpassung des KSE-Vertrages an die politisch-geographische Wirklichkeit und die berechtigten Interessen Rußlands nicht vollzogen ist, sollte von einer NATO-Mitgliedschaft der baltischen Staaten abgesehen werden.

Sollte die NATO jedoch, wie von vielen gefordert, im Falle der baltischen Staaten die deklarierte "rote Linie" Russlands überschreiten , so müßten im Sinne kooperativer Schadensbegrenzung ernsthafte Schritte unternommen werden, legitime russische Sicherheits- und Stabilitätsinteressen auf andere Weise zu berücksichtigen, um das KSE-Regime nicht über Gebühr zu destabilisieren. Dazu sollten gehören:

  • Die Bindung der Mitgliedschaft in der NATO an eine Mitgliedschaft im KSE-Vertrag;

  • Für die baltischen Staaten gelten jeweils gleiche nationale und territoriale Obergrenzen, die insgesamt unterhalb der derzeitigen russischen Kapazitäten an der Nordflanke festgesetzt werden.

  • Auf die Option einer Erhöhung der nationalen und territorialen Limits wird verzichtet.

  • Die baltischen Staaten werden der NATO-Nordflanke zugerechnet; damit verzichtet die NATO vertraglich auf die Option zu außergewöhnlichen, temporären Stationierungen.

Weichenstellungen dieser Art müssen bereits heute vorbereitet und getroffen werden. Die angespannten Beziehungen der NATO zu Rußland sollten nicht weiter belastet werden. Die Diskussion der NATO-Außenminister zu den Perspektiven künftiger Erweiterungsschritte der Allianz sollte dringlich eine eigenständige rüstungskontrollpolitische Komponente bekommen.

Endnoten

1) Final Communiqué, Meeting of the North Atlantic Council in Defence Ministers Session held in Brussels, 2 December 1999, NATO Press Release M-NAC-D(99)156.

2) ibd.

3) Ministerial Meeting of the North Atlantic Council with the Three Invited Countries held in Brussels, Statement on CFE. Adaptation of the Treaty on Conventional Armed Forces in Europe (CFE): Restraint and Flexibility, NATO Press Release, M-NAC-D-2(98)141, 8 December 1998

4) Insgesamt gehören 14 europäische Staaten dem KSE-Vertrag immer noch nicht an. Diese sind Albanien, Bosnien-Herzegovina, die Bundesrepublik Jugoslawien, Estland, Finnland, Irland, Kroatien, Lettland, Litauen, Mazedonien, Österreich, Slowenien, Schweden und die Schweiz. Die Staaten des ehemaligen Jugoslaiwens unterliegen durch die Vereinbarungen von Dayton strengen Rüstungskontrollen. Albanien, Irland und die Schweiz streben derzeit keine Mitgliedschaft in der NATO an und sind für das hier vorgetragene Argument nicht erheblich.

5) Anzumerken ist, daß territoriale und nationale Limits nur im Falle der NATO-Staaten voneinander abweichen, wobei die territorialen Limits höher sind, als die nationalen.

6) Agreement on Adaptation of the Treaty on Conventional Armed Forces in Europe, signed on 17 November 1999, Article 8 (B) (1) und (2)

7) Als Richtschnur könnte hier Dänemark gelten, das eine ähnlich Einwohnerzahl hat, wie die drei baltischen Staaten zusammen. Nach Den KSE-II-Vertrag dürfen auf dänischem Territorium 335 Kampfpanzer, 336 gepanzerte Fahrzeuge und 446 Artilleriegeschütze stationiert werden. 

8) Laut dem Londoner International Institute for Strategic Studies (The Military Balance 1999-2000, Oxford 1999, S. 116-117) sind derzeit im Leningrader Militärdistrikt 323 Kampfpanzer, 490 gepanzerte Fahrzeuge und 940 Artilleriegeschütze stationiert. In einer Anlage zum KSE-II-Vertrag hat Rußland zudem erklärt, daß es die im Leningrader Militärdistrikt stationierten Truppen in absehbarer Zukunft nicht substantiell erhöhen will. (Final Act of the Conference of the Parties to the Treaty on Conventional Armed Forces in Europe, OSCE Istabnul Summit, November 1999, Annex 5)

9) Auf die potentiell destabilisierende Wirkung von Flexibilisierungsregelungen im KSE-Vertrag hat auch die Bundesregierung, wenn auch unter Berücksichtigung der weitergehenden US-amerikanischen Forderungen, bereits im Mai 1998 hingewiesen: "... insbe­sondere die aus diesem Konzept resultierenden Nachteile [werfen jedoch, A.W.] kritische Fragen auf. Nur ein Beispiel: Einmal hypothetisch unterstellt, Rußland, Weißrußland und die Ukraine würden eine derartige Vertragsbestim­mung in einer Krisensitua­tion gegenüber Polen voll nutzen, dann stünden den ggf. um zwei NATO-Divisionen verstärkten polni­schen Streitkräften sechs zusätzliche Divisionen ge­genüber. Während die drei genannten Staaten also eine destabilisierende Kon­zentration vornehmen könnten, die sogar noch vertraglich erlaubt wäre, könnte sich für die NATO unter Umständen ein Zwang ergeben, den (adaptierten) KSE-Vertrag zwecks Herstellung einer militärisch hinreichenden Kräftebalance zu brechen." (Auswärtiges Amt, Rü­stungskontrollreferat, Zum Stand der KSE-Adaptierung, April 1998)

10) Eine Erklärung, wie die der NATO von Dezember 1998 (ibd., Anm. 3) reicht dafür nicht aus, denn im Kern besagt diese nicht mehr, als daß sich die Staaten der NATO an den Text des KSE-Vertrages zu halten gedenken.

Otfried Nassauer, Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit und

Dr. Arend Wellmann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei BITS

 

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