Für aktuelle Zahlen siehe BITS-Pressemitteilung vom 29. Mai 2001
"Größere Nuklearwaffenlager in Europa"






BASIC-BITS-Research Note 97.1
April 1997

Amerikanische Nuklearwaffen in Europa 1996-97

Otfried Nassauer, Oliver Meier,
Nicola Butler, Stephen Young

Weniger Nuklearwaffen, flexiblere Einsatzmöglichkeiten

Aller Wahrscheinlichkeit nach stationieren die Vereinigten Staaten erheblich weniger atomare Sprengköpfe in Europa als gemeinhin angenommen. Informationen, die das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit und der British American Security Information Council aus dem US-Verteidigungsministerium erhalten haben, beinhalten deutliche Hinweise, daß gegenwärtig nicht mehr als etwa 200 amerikanische atomare Bomben auf europäischen Stützpunkten gelagert sind - mithin deutlich weniger Waffen, als allgemein angenommen. 700 nukleare Bomben waren nach offiziellen Angaben vor einigen Jahren noch stationiert; 480 Waffen waren es nach Schätzungen unabhängiger Fachleute im Jahr 1995. Vertreter der NATO, die ungenannt bleiben wollen, haben die Zahl von etwa 200 Waffen für die Gegenwart bestätigt. Sie haben auch bestätigt, daß neben dem Reduzierungsprogramm für taktisch-nukleare Waffen, das die Nukleare Planungsgruppe der NATO im Oktober 1991 in Taormina für 1991-1993 beschlossen hatte, gegenwärtig erneut ein Reduzierungsprogramm im Gange ist, das 1998 beendet sein soll.

Zugleich hält die NATO an ihrer Fähigkeit zu nuklearer Kriegsführung fest. Die neue Militärstrategie der Allianz, enthalten in dem Dokument MC 400/1 des höchsten militärischen Gremiums, des Militärausschusses, verpflichtet das Bündnis, für die absehbare Zukunft weiterhin eine reduzierte, aber flexiblere Nuklearfähigkeit aufrechtzuerhalten. Das Dokument wurde anläßlich der Sitzung des Nordatlantikrates in Berlin am 3. Juni 1996 politisch gebilligt. Es enthält keinen Hinweis, daß die NATO die seit langem offengehaltene Option eines nuklearen Ersteinsatzes (nicht zu verwechseln mit einem Erstschlag) aufgegeben hätte. Es verpflichtet das Bündnis auch nicht, Nuklearwaffen lediglich als allerletztes Mittel (last resort) einzusetzen. Während den Nuklearwaffen im Rahmen der NATO eine vorrangig politische Rolle und Funktion zugewiesen wird, werden deren Aufgaben im MC 400/1 wie folgt beschrieben:

  • Nuklearwaffen spielen eine unverzichtbare, essentiell stabilisierende Rolle in Europa;

  • Nuklearwaffen stellen eine Rückversicherung dar gegen Unsicherheitsfaktoren wie zum Beispiel Risiken, die aus der Weiterverbreitung von Massenvernichtungsmitteln resultieren und

  • Nuklearwaffen dienen der Vorsorge für jenen Fall, daß eine substantielle militärische Bedrohung der NATO wiedererstehen sollte.

Die NATO hält künftig keine detaillierten Zielpläne und nuklearen Szenarien für den Einsatz ihrer taktischen - heute als sub-strategisch bezeichneten - Atomwaffen mehr vor. Das gilt auch für die der NATO zugeordneten strategischen Waffen. Statt dessen wird eine anpaßbare Zielplanungsfähigkeit entwickelt, die es den Höheren NATO-Befehlshabern ermöglicht, Ziel- und Einsatzpläne kurzfristig während einer Krise zu entwickeln. Dafür werden Datenbanken vorbereitet, die alle erforderlichen Angaben über potentielle Ziele enthalten. Die NATO reduziert zudem die Zahl der Einheiten mit nuklear wie konventionell einsetzbaren Flugzeugen, die im Frieden voll ausgebildet und in sofortiger Bereitschaft für Nukleareinsätze zur Verfügung gehalten werden. Zugleich wird die Fähigkeit verbessert, solche Einheiten mit den zugehörigen Flugzeugen und Waffen von einer geographischen Region der NATO in eine andere zu verlegen. In Friedenszeiten wird künftig von jedem der NATO-Länder, die über solche nuklear einsetzbaren Flugzeuge verfügen, gefordert, nur noch eine Einheit in voller nuklearer Einsatzbereitschaft zu halten.

Die Fähigkeit der NATO, auch künftig Nuklearwaffen einsetzen zu können, wird durch ein zeitlich parallel zu der Verringerung der Zahl der Waffen laufendes Programm zur Modernisierung der Lagerstätten für Nuklearwaffen auf den Fliegerhorsten der NATO in Europa unterstützt. Im Jahre 1987 entschieden die USA - die NATO als Bündnis faßte später eine entsprechende Entscheidung - sogenannte "Weapons Storage and Security Systems" (WS3) auf allen großen NATO-Flugplätzen der NATO in Europa zu installieren. Diese neuen Lagerungssysteme ermöglichen es, daß die Nuklearwaffen in "Grüften", militärisch als "Unterflurmagazine" bezeichnet, eingebaut in den Fußboden der Flugzeugschutzbauten, gelagert werden. Die Waffen befinden sich also direkt beim Trägerflugzeug und nicht länger in jenen speziellen Bunkern, die in der Vergangenheit genutzt wurden. Dem neuen Lagersystem wird nachgesagt, es biete gegen jeden Versuch, sich illegal Zugriff auf die Atomwaffen zu verschaffen, für mindestens 30 Minuten physischen Schutz und gewährleiste zugleich über eingebaute Sensoren, daß der Zustand und die physikalische Sicherheit der Waffen auch aus der Distanz überwacht werden kann.

Das Bauprogramm für diese Lagersysteme sieht derzeit vor, daß insgesamt 208 Atomwaffengrüfte auf 13 verschiedenen NATO-Luftwaffenbasen gebaut werden sollen (siehe Karte). Da jedes der Magazine vermutlich nur eine Atomwaffe enthält (vgl. Foto), besteht, wenn das Programm wie geplant 1998 abgeschlossen ist, eine moderne Lagerkapazität der NATO für 208 amerikanische Atomwaffen. Die Zahl der Atombomben, die wirklich in Europa lagern, kann trotzdem niedriger sein. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt werden beispielsweise auf den Bundeswehr-Fliegerhorsten Memmingen und Nörvenich keine Atomwaffen gelagert, obwohl dort zu Beginn der neunziger Jahre je elf moderne Atomwaffengrüfte fertiggestellt wurden.

Nach ursprünglicher Planung sollten erheblich mehr neue Atomwaffen-Lagermöglichkeiten geschaffen werden. In den Jahren 1987/88 war vorgesehen, daß NATO-weit auf 26 Flugplätzen insgesamt 437 Atomwaffengrüfte installiert werden sollten. Die zuständige NATO-Arbeitsgruppe SLOWPIG beschloß nach dem Ende des Kalten Krieges in einem sehr langen Überprüfungsprozeß eine Kürzung des Bauprogrammes um mehr als 50 Prozent.

1990 wurden im Rahmen dieses NATO-Bauprogrammes moderne Atomwaffenlager auf acht Flugplätzen in fünf europäischen NATO-Ländern in Betrieb genommen: In Deutschland geschah dies auf vier Fliegerhorsten, in England, Holland, Belgien, und Italien auf je einem Flugplatz. Auf fünf zusätzlichen Flugplätzen in Italien (1), Griechenland (1) und der Türkei (3) waren die neuen Atomwaffengrüfte gegen Ende 1996 noch nicht fertiggestellt. Großbritannien hat ebenfalls ein Programm zum Bau moderner Atomwaffen-Lagermöglichkeiten initiiert; in diesem Programm wurde je ein britischer Fliegerhorst in England und in Deutschland umgerüstet. Mit der Umrüstung wurden die zu den betreffenden Flugplätzen gehörigen "Sonderwaffenlager", d.h. spezielle Munitionsbunker für Atomwaffen, außer Betrieb genommen.

In der öffentlichen Diskussion nimmt die Frage, ob die NATO nach ihrer geplanten Erweiterung auch in ihren neuen Mitgliedsstaaten, also deutlich näher an den russischen Grenzen, Atomwaffen lagern wird, breiten Raum ein. Dafür gibt es aber gegenwärtig noch keinerlei Anzeichen. Am 10. Dezember 1996 erklärte der NATO-Rat, das Bündnis habe keine Absicht, in Friedenszeiten in diesen Staaten Atomwaffen zu lagern. Jedoch lehnt es die NATO ab, diesbezüglich eine rechtsverbindliche Verpflichtung abzugeben und behält sich somit die Option vor, Nuklearwaffen während einer Krise oder eines Krieges auch in den neuen Mitgliedstaaten zu lagern. Die NATO hat es zudem offiziell bislang nicht ausgeschlossen, daß sie die Infrastruktur zur Lagerung von Atomwaffen in diesen Ländern bauen könnte.

Die Bundesrepublik - Das Land mit der größten Lagerkapazität

nach dem Ende des Kalten Krieges existieren in der Bundesrepublik die größten Lagermöglichkeiten für amerikanische Nuklearwaffen in Europa. 58 Atomwaffengrüfte, die höchste Zahl auf einem einzelnen Fliegerhorst, wurden auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein gebaut, der auch das Hauptquartier der US-Luftwaffe in Europa beherbergt. Je elf Grüfte wurden auf drei Fliegerhorsten der Bundesluftwaffe installiert: In Memmingen, Nörvenich und Büchel. Auf diesen Fliegerhorsten ist je ein Geschwader konventionell und nuklear einsetzbarer Tornado-Jagdbomber beheimatet. Da die Modernisierungsbauvorhaben für die Nuklearwaffenlager auf all diesen Flugplätzen abgeschlossen wurden, bevor sie von der Überprüfung des Bauprogramms durch die SLOWPIG-Arbeitsgruppe hätten betroffen werden können, wird angenommen, daß auf diesen Flugplätzen die ursprünglich geplante und finanzierte Anzahl von Lagermöglichkeiten installiert wurde. Aller Wahrscheinlichkeit nach können also bis zu 91 amerikanische Atombomben in diesen modernen und besser gesicherten Lagern in Deutschland untergebracht werden. Da Großbritannien zehn Atomwaffengrüfte kaufte und auf dem britisch genutzten Flugplatz Brüggen in der Bundesrepublik installieren ließ, können insgesamt bis zu 101 Waffen in Deutschland gelagert werden.

Im Kontext der im letzten Jahr beschlossenen neuen Konzeption der NATO für die Einsatzbereitschaft nuklearfähiger Einheiten ist eine Stationierung von Atomwaffen auf zwei der drei Fliegerhorste der Bundesluftwaffe in Friedenszeiten nicht mehr erforderlich. Die Atomwaffen aus Nörvenich und Memmingen wurden in der zweiten Hälfte 1995 abgezogen. Die entsprechenden deutschen Sonderwacheinheiten, die sogenannten Luftwaffensicherungsstaffeln "S" - für Sonderwaffen - wurden aufgelöst. Nach NATO-Kriterien muß die Bundesrepublik künftig nur noch einen Luftwaffenverband für den Nuklearwaffeneinsatz voll ausgebildet und einsatzfähig halten. Dies ist das Jagdbombergeschwader 33 mit Standort Büchel. Hier sind nominell 36 Tornado-Flugzeuge stationiert, für die bis zu 11 Atombomben auf dem Fliegerhorst bereitgehalten werden können. Insgesamt dürften im Frieden in Deutschland zur Zeit also keinesfalls mehr als 80 Atomwaffen gelagert sein.

Holland und Belgien behalten Nuklearfähigkeit

Holland als auch Belgien behalten die Fähigkeit Atomwaffen auf ihrem Territorium zu lagern und somit zur vollen Beteiligung an der nuklearen Teilhabe in der NATO. In jedem der beiden Länder gibt es eine Luftwaffenbasis, die mit modernen Lagersystemen für Nuklearwaffen ausgestattet ist. Dies sind die Luftwaffenbasis Volkel in Holland und der Fliegerhorst Kleine Brogel in Belgien. In Volkel wurden am 13. September 1991 elf neue Atomwaffengrüfte in Dienst gestellt; in Kleine Brogel geschah dies am 3. April 1992. Die Atomwaffen können von beiden Staaten mit Flugzeugen vom Typ F-16 eingesetzt werden. Beide Länder erfüllen damit die neue Forderung der NATO je einen voll ausgebildeten und einsatzbereiten Verband bereitzuhalten.

US-Verteidigungsministerium bestätigt Nuklearwaffenlagerung auf britischen Luftwaffenbasen

Das Electronic Systems Center der US-Luftwaffe enthüllte versehentlich ein britisches Staatsgeheimnis. Die Luftwaffenbasis Brüggen in Deutschland und der Flugplatz Marham in Großbritannien sind jene beiden Standorte der Königlich Britischen Luftwaffe, auf denen Großbritannien Atomwaffengrüfte gebaut hat. Am 18. Juli 1995 veröffentlichte das Zentrum eine damals kaum beachtete Presseerklärung. Darin hieß es, die USA hätten für 24 Millionen US-Dollar 34 "Weapon Storage and Security Systems" (WS3), die für die Lagerung taktisch-nuklearer Waffen im Boden gehärteter Flugzeugschutzbauten gedacht seien, an Großbritannien verkauft. Die Presseerklärung enthielt auch die Standorte: 24 Atomwaffengrüfte seien in Marham im Mai 1995 in Dienst gestellt worden, zehn in Brüggen im Juni 1995. Diese Grüfte seien verfügbar geworden, da zum Zeitpunkt der NATO-Entscheidung für ein verkleinertes Bauprogramm bereits 257 Lagersysteme im Bau gewesen seien, 49 mehr, als für das NATO-Programm künftig erforderlich.

Die einzige amerikanische Luftwaffenbasis in Großbritannien, die mit den neuen Lagersystemen für Nuklearwaffen ausgestattet wurde, ist der Flugplatz Lakenheath. Hier wurden aller Wahrscheinlichkeit nach 30 Atomwaffengrüfte installiert. Sie wurden am 18. November 1994 in Dienst gestellt. Ursprünglich war vorgesehen, 48 Systeme in Lakenheath zu bauen. Die Inbetriebnahme der Atomwaffengrüfte in Lakenheath könnte später in der britischen Presse aufgetauchte Gerüchte erklären, die dort seit langer Zeit lagernden Nuklearwaffen seien heimlich abgezogen worden. Diese wurden lediglich aus den alten - von gelbem Neonlicht hell erleuchteten - "Sonderwaffenlager" in die neuen "unsichtbaren" Atomwaffengrüfte innerhalb der Fleugzeughangars verlegt.

Die 24 Millionen Dollar teure Investition Großbritanniens in das moderne, sicherere Lagerungssystem erwies sich allerdings bald als unnütze Verschleuderung von Steuergeldern. Ende 1993 entschied sich die britische Regierung, das neue Lagersystem von den USA zu kaufen; die Bauarbeiten begannen Ende 1994 und wurden im Frühsommer 1995 abgeschlossen. Zwei Monate zuvor, im April 1995, hatte die britische Regierung allerdings entschieden, alle Atombomben, für die Atomwaffengrüfte gebaut wurden, bis zum Jahre 1998 außer Dienst zu stellen. Großbritannien gibt zudem die Luftwaffenbasis Brüggen im Jahre 2002 ganz auf.

Die NATO-Südflanke

Heute konzentrieren sich die Aktivitäten zum Bau neuer Atomwaffenlagerstätten auf die Südflanke der NATO. Alle Flugplätze an der Südflanke, die Ende der achtziger Jahre zur Ausstattung mit den neuen Atomwaffengrüften vorgesehen waren, wurden - da erst gegen Ende des Modernisierungsprogrammes zum Ausbau vorgesehen - durch die NATO-Arbeitsgruppe SLOWPIG auf ihre Notwendigkeit überprüft. Die Zahl der Flugplätze und mit ihr die Zahl der zu bauenden Atomwaffengrüfte sank. Jedoch: Im Blick auf das NATO-Regionalkommando Süd fielen die Kürzungen geringer aus als im Regionalkommando Mitte oder in Großbritannien. Dies verdeutlicht das wachsende Gewicht, das die Südflanke der NATO innerhalb des Bündnisses heute hat.

Im Januar 1996 wurde das neue Lagersystem für Atomwaffen auf dem ersten zur NATO-Südflanke gehörenden Flugplatz, dem Fliegerhorst Aviano in Norditalien, in Betrieb genommen. Gemäß der Planung aus dem Jahre 1987 war vorgesehen, daß dort 18 Atomwaffengrüfte gebaut werden sollten. Seither hat Aviano für die USA an Bedeutung gewonnen. Die US-Luftwaffe hat ihre spanische Hauptbasis an der NATO-Südflanke, Torrejon, aufgegeben. Nach dem Verzicht auf den völligen Neubau einer Heimatbasis für ein F-16-Geschwader an der NATO-Südflanke hat die US-Luftwaffe den Flugplatz Aviano - nicht zuletzt unter dem Einfluß der Krisen- und Kriegsereignisse im ehemaligen Jugoslawien - zum Zentrum ihrer Aktivitäten an der Südflanke gemacht.

Ghedi Torre, ein Flugplatz der Italienischen Luftwaffe, wurde ausgewählt, um Atomwaffengrüfte für die konventionell und nuklear einsetzbaren Tornado-Jagdbomber Italiens zu beherbergen. Ende 1996 waren die Bauarbeiten auf dieser Basis noch nicht abgeschlossen.

Griechenland wird auch künftig am System der nuklearen Teilhabe der NATO partizipieren können. Neue Atomwaffen-Lagermöglichkeiten werden auf dem Flugplatz Araxos gebaut. 1987 wurde der Bau von 11 Atomwaffengrüften geplant. Es ist nicht bekannt, ob die Überprüfung der Bauplanung durch die Arbeitsgruppe SLOWPIG Auswirkungen auf die Zahl der geplanten Grüfte in Araxos hatte.

Die Türkei soll neue Atomwaffenlagersysteme auf drei Flugplätzen erhalten. Keines dieser Bauvorhaben war im November 1996 bereits beendet. Der Flugplatz Incirlik, der auch von der US-Luftwaffe regelmäßig als Operationsbasis genutzt wird, ist der Hauptlagerort für Nuklearwaffen in der Türkei. Bis 1998 sollen hier 25 moderne Atomwaffengrüfte gebaut werden. 30 waren ursprünglich im Jahre 1987 geplant. Zwei weitere Fliegerhorste, Murted und Balikesir, beide von der türkischen Luftwaffe genutzt, sollen mit einer kleineren Zahl von Lagermöglichkeiten für Atomwaffen ausgestattet werden. Je sechs Grüfte sollten es nach der Planung aus dem Jahr 1987 sein. Ähnlich wie für Deutschland darf für die Türkei angenommen werden, daß aufgrund der neuen NATO-Erfordernis, nur noch einen Verband in voller Bereitschaft für den Nuklearwaffeneinsatz zu halten, auch nur noch eine Luftwaffenbasis - vermutlich Incirlik - in Friedenszeiten für die Lagerung von Atombomben wirklich genutzt wird.

Das gesamte Bauprogramm für die Atomwaffengrüfte soll seitens der NATO im Jahre 1998 abgeschlossen sein.

NATO-Erweiterung und Atomwaffenstationierung

Die Nuklearwaffen der NATO sind im Zusammenhang mit der Diskussion über die Osterweiterung der NATO zum Streitobjekt geworden. Angesichts starker russischer Opposition gegen die Ausdehnung des Bündnisses und insbesondere gegen die Möglichkeit, daß Atomwaffen der NATO künftig näher an den russischen Grenzen stationiert werden könnten, erklärte der Nordatlantikrat am 10. Dezember 1996, daß "die Erweiterung der NATO keine Veränderungen im Hinblick auf das gegenwärtige Nuklearpotential der NATO erforderlich machen wird" und daß "deshalb die NATO-Staaten keine Absicht, keinen Plan und keinen Grund haben, Atomwaffen auf dem Territorium irgendeines neuen Mitgliedsstaates zu stationieren". Man sehe "keinen Grund, irgendeinen Aspekt des Nuklearpotentials oder der Nuklearpolitik zu verändern und sehe auch keinen künftigen Bedarf, dies zu tun." Der damalige US-Außenminister, Warren Christopher fügte hinzu, gegenwärtig seien "keine Nuklearwaffen der NATO in Alarmbereitschaft".

Der entscheidenden Frage, ob die Infrastruktur für die Lagerung von Atomwaffen in den neuen Mitgliedstaaten der NATO gebaut werden soll, weicht diese Stellungnahme aus. Die heutigen Planungen für den Bau moderner Atomwaffenlager enthalten keinerlei konkreten Hinweis, daß Atomwaffen auf dem Territorium der neuen Mitglieder stationiert werden könnten. Allerdings gilt es zu berücksichtigen, daß diese Planungen fertiggestellt wurden, bevor die NATO die politische Entscheidung zu einer geographischen Erweiterung des Bündnisses traf. Darüber hinaus gilt es festzuhalten, daß sich die NATO weigert, ihre politische Absage an eine Stationierung von Atomwaffen in den neuen Mitgliedstaaten in eine rechtlich bindende Verpflichtung umzuwandeln. Dies hat der Generalsekretär der Allianz, Javier Solana, kürzlich erneut klargestellt. Zudem wird erwartet, daß die neuen Mitglieder eine gleichberechtigte Rolle in der Nuklearpolitik des Bündnisses spielen können. Sie werden berechtigt sein, "der Nuklearen Planungsgruppe (NPG) und deren nachgeordneten Organen beizutreten und an den Nuklearkonsultationen bei Übungen und während Krisen teilzunehmen".

Es muß deshalb zunächst offenbleiben, ob sich die NATO auch während einer Krise, eines Krieges oder im Falle einer Veränderung der internationalen Lage an die politische Verpflichtung gebunden fühlen wird, keine Atomwaffen in den neuen Mitgliedstaaten zu stationieren. Eine Entscheidung über den Bau der Infrastruktur für die Lagerung atomarer Waffen auf dem Territorium der neuen Mitgliedstaaten dürfte kaum fallen, bevor diese wirklich Mitglied geworden sind. Offenbleiben muß zudem eine andere Frage: Wie wird sich die NATO verhalten, wenn ein oder mehrere neue Mitglieder um eine Teilnahme am System der nuklearen Teilhabe einschließlich der Stationierung atomarer Waffen auf dem eigenen Territorium bitten würden? Diese Frage steht zur Zeit allerdings noch nicht an: Noch hat keines der beitrittswilligen Länder die Entscheidung getroffen, westliche, für den Nuklearwaffeneinsatz zugelassene Flugzeuge zu erwerben.

Das Atomwaffenlagerungs- und Sicherheitssystem (WS3)

Der Prozeß der Modernisierung der Atomwaffenlager der NATO begann im Jahre 1988. Während des Großteils der Zeit des Kalten Krieges wurde auf jenen Haupteinsatzflugplätzen, die in das NATO System der Sofort-Reaktion, des Quick Reaction Alert (QRA), eingebunden waren, eine kleine Anzahl von Atomwaffen in einem verbunkerten Sonderwaffenlager auf dem Gelände des Flugplatzes selbst bereitgehalten. Die große Mehrzahl der Atombomben für die gleichen Fliegerhorste wurde in abseits davon gelegenen, getrennten Atomwaffenlagern aufbewahrt. Diese waren zum Teil auf dem Flugplatzgelände zu finden, oft befanden sich die Lagerbunker aber auch in Depots, die kilometerweit von den Flugzeugschutzbauten entfernt waren. Der Transport der Atomwaffen zu den Flugzeugen erforderte "Konvois mit starken Sicherungskräften, die durch öffentlich zugängliche Gebiete fahren. Schon das Vorhandensein der Konvois zieht Aufmerksamkeit auf sich und diese könnten für Sabotageakte anfällig sein."

Das neue Atomwaffenlagerungs- uns Sicherheitssystem erlaubt die Lagerung der Atomwaffen unter den Flugzeugen und innerhalb der Flugzeugschutzbauten. Dies erhöht die Überlebensfähigkeit der Waffen im Falle eines Angriffs. Die WS3-Lagersysteme bestehen aus mehreren Komponenten: Aus den eigentlichen Grüften bzw. Unterflurmagazinen, Sensoren, einem Datenübertragungssystem, Konsolen, einem Überwachungssystem und einem Sprachübertragungssystem. Sie lassen eine Sicherheitsüberprüfung der Waffen auch aus der Ferne zu.

Der Hauptauftragnehmer für das Bauprogramm ist die US-Firma Bechtel National Inc.; die Mannesmann Anlagenbau, Düsseldorf, erhielt den Unterauftrag, die mechanischen Teile des Systems zu bauen.

Die Atombomben

Die USA stationieren heute wahrscheinlich nur noch einen Typ taktisch atomarer Gefechtsfeldwaffen in Europa, Atombomben vom Typ B-61. Elf verschiedene Varianten dieser Bombe wurden in den letzten Jahrzehnten für die Verwendung als strategische oder taktische Atomwaffen entwickelt und produziert. In Europa - so wird angenommen - werden ausschließlich die moderneren der taktischen Varianten gelagert, diese enthalten modernste, technisch fortgeschrittene Sicherungssysteme. Dazu gehören Zünder mit unempfindlichen konventionellen Sprengstoffen (Insensitive High Explosives, IHE) und elektronische Schlösser (Permissive Action Links, PAL). Während der achtziger Jahre waren in Europa die Modelle 3 und 4 der Atombombe B-61 stationiert. Seit Juni 1990 wurde die B-61 Modell 10 produziert, manchmal auch als B-61-4/10 bezeichnet, ein umgebauter W-85 Sprengkopf aus abgerüsteten Pershing-II-Raketen, der die älteren Versionen ersetzt. Die Sprengkraft dieses Modells ist etwas größer als jene des Pershing-II-Sprengkopfes. Für Letzteren wurde angenommen, daß sie 80 KT betrug, so daß für die B-61 Modell 10 von etwa 100 Kilotonnen (KT) ausgegangen wird. Die Waffe verfügt über ein elektronisches Schloß der modernsten Art (PAL der Kategorie F). Es ist zur Zeit unbekannt, ob in Europa ausschließlich B-61 dieser modernsten taktischen Variante lagern oder ob sich auch noch einige ältere Modelle in Europa befinden.

Den B-61-Bomben wird nachgesagt, daß sie sehr flexibel einsetzbar sind, da bei ihnen Sprengkraft, Detonationszeitpunkt und Detonationsart noch während des Fluges zum Ziel individuell eingestellt werden können. Der Einsatz ist von Flugzeugen möglich, die lediglich 15 Meter über dem Erdboden fliegen. B-61-Bomben sind etwa 3,60 Meter lang und haben einen Durchmesser von 34 Zentimeter. Sie können mit einer Vielzahl verschiedener Flugzeugtypen eingesetzt werden. Dazu gehören die u.a. die in Europa stationierten Flugzeugtypen F-15E Strike Eagle, F-16 Fighting Falcon, Tornado und A-7 Corsair II.

Eine neue Version der B-61-Bombe, das Modell 11, wurde in den vergangenen Jahren unter Geheimhaltung in den USA entwickelt. Die offizielle Politik der US-Administration unter Präsident Clinton besagt zwar, daß die USA keine neuen Atomwaffen-Typen mehr entwickeln und produzieren, schließt aber den Umbau und die Modernisierung bereits vorhandener Waffen offensichtlich nicht aus. Vorgesehen war, daß die B-61 Modell 11 Ende 1996 bzw. Anfang 1997 bei der US-Luftwaffe in Dienst gestellt werden sollte. Bei der B-61 Modell 11 handelt es sich um eine Waffe zur Zerstörung verbunkerter unterirdischer Ziele, um einen sogenannten Earth Penetration Warhead. Dieser soll die veralteten und als von Sicherheitsproblemen geplagten strategischen Atombomben vom Typ B-53, eine Waffe mit 9 Megatonnen Sprengkraft, ersetzen. Sie wurde aus dem Modell 7, ebenfalls einer strategischen Variante der B-61, abgeleitet. Bomben dieser älteren Version wurden zu dem neuen Modell umgebaut. An Waffen zur Zerstörung verbunkerter, unterirdischer Ziele ist die US-Luftwaffe vor allem deshalb interessiert, weil diese gegen unterirdische Kommandozentralen oder im Kontext von Counterproliferations-Szenarien eingesetzt werden können. Als Beispiel für einen solchen Einsatz wurde verschiedentlich ein Angriff auf die in Tarhunah vermutete unterirdische libysche Anlage zur Produktion chemischer Waffen diskutiert. Zur Zeit ist nicht bekannt, ob es Pläne gibt, dieses neue Modell der B-61 Bombe auch in Europa zu stationieren. Da die Hauptfunktion der Waffe aber darin besteht, veraltete strategische Atomwaffen zu ersetzen, gilt eine Stationierung in Europa als relativ unwahrscheinlich.

Erheblich weniger weiß man über die britischen Atomwaffen vom Typ WE-177. Sie wurde in den sechziger Jahren entwickelt, möglicherweise unter Nutzung von Technologie, die auch in der US-Nuklearbombe B-57 Anwendung fand. WE-177 Bomben wurden von Mitte der sechziger Jahre bis Ende der siebziger oder Anfang der achtziger Jahre produziert. Seit dem Jahr 1982 benutzt die britische Luftwaffe Bomben des Typs WE-177A zur Bewaffnung ihrer Tornado-Jagdbomber. Die genaue Sprengkraft dieses Modells ist nicht bekannt. Sie wird auf zwischen 100 und 400 KT geschätzt. Befürchtungen, die WE-177 Atombomben besäßen eine unzureichende Sicherheit könnten dazu beigetragen haben, daß die britische Regierung entschied, diese Waffen früher als geplant außer Dienst zu stellen. Am 4. April 1995 wurde bekannt gegeben, daß bis zum Jahre 1998 alle WE-177 außer Dienst gestellt werden. Gerüchten zufolge sollen bis Ende 1996 alle WE-177 nach Großbritannien zurückverlegt worden sein.

Anhang A

NATO-Lager für Atombomben 1996/97

Luftwaffenbasis

Land

Zahl

Indienst-stellung

Bemerkungen

Büchel

GE

11

9.8.1990

Flugplatz der deutschen Luftwaffe

Memmingen

GE

11

18.10.1990

Flugplatz der deutschen Luftwaffe; zur Zeit keine Atomwaffen gelagert

Nörvenich

GE

11

28.6.1991

Flugplatz der deutschen Luftwaffe; zur Zeit keine Atomwaffen gelagert

Ramstein

GE

58

24.1.1992

Flugplatz der US-Luftwaffe

Brüggen

GE

10

12.6.1995

Flugplatz der britischen Luftwaffe

Kleine Brogel

BE

11

3.4.1992

Flugplatz der belgischen Luftwaffe

Volkel

NL

11

13.9.1991

Flugplatz der holländischen Luftwaffe

Lakenheath

UK

30

18.11.1994

Flugplatz der US-Luftwaffe

Marham

UK

24

14.5.1995

Flugplatz der britischen Luftwaffe

Zwischensumme 1995

NATO+UK

143+34

   

Aviano

IT

18*

22.1.1996

Flugplatz der US-Luftwaffe

Ghedi-Torre

IT

6*

nicht fertiggestellt

Flugplatz der italienischen Luftwaffe

Araxos

GR

11*

nicht fertiggestellt

Flugplatz der griechischen Luftwaffe

Incirlik

TR

(30*)

25

nicht fertiggestellt

gemeinsame Nutzung durch türkische und US-Luftwaffe

Murted /Akinci

TR

6*

nicht fertiggestellt

Flugplatz der türkischen Luftwaffe

Balikesir

TR

6*

nicht fertiggestellt

Flugplatz der türkischen Luftwaffe

Gesamt

NATO+UK

208*+34

   

* Planzahlen aus dem Jahr 1987, die in der Summe die heute geplante Gesamtzahl von 208 überschreiten. Es ist nicht bekannt, auf welchen Luftwaffenbasen die Überprüfung des Bauprogrammes durch die Arbeitsgruppe SLOWPIG zu Reduzierungen geführt hat; als wahrscheinlich darf gelten, daß dies für Aviano und/oder Incirlik zutrifft. Zudem dürfte eine Lagerung von Atomwaffen in Balikesir und Murted während Friedenszeiten unwahrscheinlich sein. Ghedi-Torre, Araxos und Incirlik dagegen dürften auch in Friedenszeiten zur Lagerung atomarer Waffen genutzt werden, sobald sie fertiggestellt sind. Dies würde der NATO-Forderung, künftig in jedem Land einen Verband nuklear einsatzbereit zu halten, Genüge tun.

Quellen: USAF Electronic Systems Center: Press Release, Hanscom, 18.7.1995

USAF Electronic Systems Center: Communication to BASIC, 20.11.1996

Jane's Defense Contracts, Dezember 1996

US Congress, House Defense Appropriations Subcommittee,

DoD Appropriations for FY 1987, Part 5, p.216

US Congress, House Defense Appropriations Subcommittee,

DoD Appropriations for FY 1990, part 7, p.479

Institut für Internationale Politik: Die Atomare Planung der NATO nach dem

Ende des Kalten Krieges, Wuppertal, 1990

 

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