Ausgebootete CIA? Rumfelds neue Geheimdiensttruppe
von Otfried Nassauer und Gerhard Piper
Bekanntlich mahlen die Mühlen der Bürokratie oft langsam. Nach den Terroranschlägen des
11. September 2001 dauerte es fast drei Jahre, bis der zuständige Untersuchungsausschuss
des Kongresses seinen Abschlussbericht vorlegte. Wieso hatten die US-Geheimdienste nicht
rechtzeitig oder deutlich genug gewarnt und die Anschläge verhindert? So lautete die
zentrale Frage der parlamentarischen Nachforschungen. Die Empfehlungen der Abgeordneten
werden nun, ein halbes Jahr später, in die Tat umgesetzt.
Wieder einmal soll jetzt die US-Geheimdienstgemeinde umgekrempelt werden. Aber Reformen
in diesem Milieu sind schwierig. Schließlich ist die amerikanische Intelligence Community
ein Konglomerat aus zwei Dutzend Geheimdiensten, 200.000 Agenten und einem Jahresetat von
rund 40 Milliarden Dollar. Eifersüchtig verteidigen die einzelnen Dienste ihre
Kompetenzen und Budgets.
Mit einem Geheimdienst-Reformgesetz, dem Intelligence Reform Act vom Dezember 2004,
werden die Befugnisse der Dienste erweitert. Der Überwachungsstaat wird ausgebaut. Ein
neuer Posten wurde eingerichtet. Mit dem Nationalen Geheimdienstdirektor erhält die ganze
Geheimdienstgemeinde ein neues Oberhaupt, das zukünftig den Präsidenten mit den
gebündelten und harmonisierten Erkenntnissen aller Nachrichtendienste versorgen soll. Das
Vortragsrecht beim Präsidenten ist exklusiv und der neue Posten deshalb ein potentielles
Machtzentrum.
Erster Geheimdienstzar soll der bisherige US-Botschafter im Irak, John Negroponte,
werden. Negroponte hat den Ruf, nicht gerade zimperlich zu sein.
Menschenrechtsorganisationen werfen ihm vor, während der Reagan-Zeit Folterungen und
Todesschwadronen im honduranischen Bürgerkrieg zumindest gebilligt zu haben.
Negroponte löst den Chef der CIA, Porter Goss, als Titularchef der
Geheimdienstgemeinde ab. Bisher war es immer der CIA-Direktor, der als oberste Instanz
aller Geheimdienstler Washingtons dem Präsidenten als zentraler Informationsbeschaffer
und auswerter dienen durfte. Diese Regelung galt in der Vergangenheit als Ausgleich
dafür, dass der Verteidigungsminister die meisten Geheimdienste und die größten
Budgetanteile kontrollierte. Mit der Schaffung des neuen Postens eines Directors of
National Intelligence verliert der CIA-Chef seine herausgehobene Rolle. Er ist nicht mehr
das Gegengewicht zum Pentagon. Zugleich aber bekommen die dem Verteidigungsminister
unterstellten Dienste und die CIA einen neuen Vorgesetzten. Negropontes Aufgabe soll es
sein, die Arbeit der Dienste zu koordinieren, ihre Erkenntnisse zu harmonisieren und sie
für den Präsidenten aufzubereiten. Dem Ansatz nach hat er also ein sehr mächtiges Amt.
Kritiker bezweifeln jedoch, dass Negroponte die gemeinsame Auswertungsarbeit der
verschiedenen Dienste verbessern kann. "Ich fürchte, der neue Zar ist ein
Eunuch", meint der frühere CIA-Chef Robert Gates.
Doch auch an anderer Stelle wird bereits vorgebaut, damit Geheimdienstdirektor
Negroponte nicht zu mächtig wird. Die DIA, die "Defense Intelligence Agency" -
der Geheimdienst des Pentagons - , steuert gegen. Man überlegt, an die Spitze der eigenen
Dienste einen Vier-Sterne-General zu stellen. Außerdem soll die DIA ausgebaut werden.
Schon seit Mitte der achtziger Jahre darf dieser Geheimdienst selbst Agenten einsetzen.
Dieser Bereich der so genannten "Human Intelligence" wird seit April 2002 in
aller Heimlichkeit verstärkt. Unter der Tarnbezeichnung "Project Icon" erhielt
die Operationsabteilung der DIA eine so genannte Strategic Support Branch, kurz SSB.
Aufgabe dieser Abteilung ist, eigene Militäragenten im Anti-Terror-Krieg weltweit
einzusetzen. Die DIA und ihr SSB sollen eng mit den Spezialeinheiten der Special Forces
wie der Delta Force oder Gray Fox zusammenarbeiten. Dadurch soll die DIA des Pentagons zu
einem vollwertigen Geheimdienst werden, der nicht nur die für militärische Operationen
notwendigen Informationen beschafft, sondern auch eigene geheimdienstliche Operationen
durchführt.
Kommandeur der neuen Spionageeinheit ist Oberst George Waldrop, ein Mann der über
keine Geheimdiensterfahrungen verfügt. Operationsgebiet der Strategic Support Branch sind
gegenwärtig die beiden US-Kriegsschauplätze Afghanistan und Irak. Sie agiert dort unter
der Tarnbezeichnung "Task Force 626". Als potentielle Einsatzgebiete gelten
Georgien, Somalia, Jemen, Indonesien und die Philippinen. Seymour Hersh, ein Altmeister
des amerikanischen investigativen Journalismus, will erfahren haben, dass Operationen in
insgesamt 10 Ländern genehmigt worden sind. Darunter befinden sich nicht nur Gegner der
USA, sondern auch mit Washington befreundete Staaten. Zu den SSB-Aufgaben gehören das
Ausspähen potentieller Ziele, das Verhören von Kriegsgefangenen und die Anwerbung
ausländischer Spione. Unklar ist, in welchem Umfang diese Geheimdienst-Abteilung auch
Tarnfirmen aufbauen darf oder Operationen unterstützen kann, bei der Spezialkräfte sich
als Zivilisten getarnt haben. Möglicherweise hat die neue Agententruppe ihre ersten
Spuren bereits im Abu Ghraib-Gefängnis hinterlassen.
Verteidigungsminister Donald Rumsfeld soll der Ausbau der DIA und der Special Forces
einen deutlichen Machtzuwachs verschaffen. Zwar kontrolliert er mit der DIA, dem
Abhördienst NSA und den Aufklärungsapparaten der Teilstreitkräfte schon heute achtzig
Prozent der gesamten Geheimdienstgemeinde. Nun aber soll er erstmals über einen
einsatzfähigen, operativen Geheimdienst verfügen.
Bisher galt, dass die US Regierung bei geheimen Operationen mehrere Optionen hatte. Sie
konnte wählen zwischen den Agenten und den paramilitärischen Einheiten der CIA
einerseits und den Soldaten der Streitkräfte andererseits. Während des
Afghanistan-Feldzuges führte dies zu einem offenen Konflikt zwischen Pentagon und CIA.
Beide beanspruchten diese Aufgaben für sich. Damals konnte die CIA darauf verweisen, sie
verfüge zusätzlich über zivile Agenten und habe damit größere Möglichkeiten. In
Zukunft kann auch das Pentagon beide Optionen anbieten. Damit erhalten die Generäle
direkte Einflussmöglichkeiten auf das gesamte Spektrum geheimdienstlicher Operationen in
der amerikanischen Außenpolitik.
Die Folge ist aber auch, dass eine Fülle neuer rechtlicher Grauzonen entsteht. Ist ein
Militär in "Räuberzivil" und mit geheimdienstlichem Auftrag Kombattant oder
nicht? Was ist noch Aufklärungstätigkeit auf einem potentiellen künftigen Gefechtsfeld
und wo beginnt eine geheimdienstliche Operation? Auch die parlamentarische Kontrolle über
geheime Operationen kann aufgeweicht werden. Zwar fordern die US-Gesetze, dass der
Kongress über alle Geheimdienstaktivitäten vollständig und fortlaufend unterrichtet
wird. Eine Ausnahme bilden aber "gewöhnliche Militäraktivitäten" und ihre
"routinemäßige Unterstützung". Stephen Cambone, Abteilungsleiter im Pentagon
für Geheimdienste und Intimus des Verteidigungsministers, hat öffentlich erklärt, dass
diese gesetzlichen Bestimmungen äußerst großzügig ausgelegt werden. Eine Information
des Kongresses über geheime Operationen des Militärs soll frühestens nach Abschluss der
Aktionen erfolgen. Der weltweite Krieg gegen den Terror wird als Generalbevollmächtigung
verstanden. Ob aber die republikanische Mehrheit im Kongress auf Dauer ihrer eigenen
Entmündigung tatenlos zusieht, darf bezweifelt werden. Von der Existenz der
Geheimdiensttruppe SSB erfuhren die Parlamentarier erst im Januar aus der Zeitung.
ist wissenschaftlicher
Mitarbeiter beim BITS.
|