Streitkräfte und Strategien - NDR info
26. Februar 2005


Ausgebootete CIA? Rumfelds neue Geheimdiensttruppe

von Otfried Nassauer und Gerhard Piper


Bekanntlich mahlen die Mühlen der Bürokratie oft langsam. Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 dauerte es fast drei Jahre, bis der zuständige Untersuchungsausschuss des Kongresses seinen Abschlussbericht vorlegte. Wieso hatten die US-Geheimdienste nicht rechtzeitig oder deutlich genug gewarnt und die Anschläge verhindert? So lautete die zentrale Frage der parlamentarischen Nachforschungen. Die Empfehlungen der Abgeordneten werden nun, ein halbes Jahr später, in die Tat umgesetzt.

Wieder einmal soll jetzt die US-Geheimdienstgemeinde umgekrempelt werden. Aber Reformen in diesem Milieu sind schwierig. Schließlich ist die amerikanische Intelligence Community ein Konglomerat aus zwei Dutzend Geheimdiensten, 200.000 Agenten und einem Jahresetat von rund 40 Milliarden Dollar. Eifersüchtig verteidigen die einzelnen Dienste ihre Kompetenzen und Budgets.

Mit einem Geheimdienst-Reformgesetz, dem Intelligence Reform Act vom Dezember 2004, werden die Befugnisse der Dienste erweitert. Der Überwachungsstaat wird ausgebaut. Ein neuer Posten wurde eingerichtet. Mit dem Nationalen Geheimdienstdirektor erhält die ganze Geheimdienstgemeinde ein neues Oberhaupt, das zukünftig den Präsidenten mit den gebündelten und harmonisierten Erkenntnissen aller Nachrichtendienste versorgen soll. Das Vortragsrecht beim Präsidenten ist exklusiv und der neue Posten deshalb ein potentielles Machtzentrum.

Erster Geheimdienstzar soll der bisherige US-Botschafter im Irak, John Negroponte, werden. Negroponte hat den Ruf, nicht gerade zimperlich zu sein. Menschenrechtsorganisationen werfen ihm vor, während der Reagan-Zeit Folterungen und Todesschwadronen im honduranischen Bürgerkrieg zumindest gebilligt zu haben.

Negroponte löst den Chef der CIA, Porter Goss, als Titularchef der Geheimdienstgemeinde ab. Bisher war es immer der CIA-Direktor, der als oberste Instanz aller Geheimdienstler Washingtons dem Präsidenten als zentraler Informationsbeschaffer und –auswerter dienen durfte. Diese Regelung galt in der Vergangenheit als Ausgleich dafür, dass der Verteidigungsminister die meisten Geheimdienste und die größten Budgetanteile kontrollierte. Mit der Schaffung des neuen Postens eines Directors of National Intelligence verliert der CIA-Chef seine herausgehobene Rolle. Er ist nicht mehr das Gegengewicht zum Pentagon. Zugleich aber bekommen die dem Verteidigungsminister unterstellten Dienste und die CIA einen neuen Vorgesetzten. Negropontes Aufgabe soll es sein, die Arbeit der Dienste zu koordinieren, ihre Erkenntnisse zu harmonisieren und sie für den Präsidenten aufzubereiten. Dem Ansatz nach hat er also ein sehr mächtiges Amt. Kritiker bezweifeln jedoch, dass Negroponte die gemeinsame Auswertungsarbeit der verschiedenen Dienste verbessern kann. "Ich fürchte, der neue Zar ist ein Eunuch", meint der frühere CIA-Chef Robert Gates.

Doch auch an anderer Stelle wird bereits vorgebaut, damit Geheimdienstdirektor Negroponte nicht zu mächtig wird. Die DIA, die "Defense Intelligence Agency" - der Geheimdienst des Pentagons - , steuert gegen. Man überlegt, an die Spitze der eigenen Dienste einen Vier-Sterne-General zu stellen. Außerdem soll die DIA ausgebaut werden. Schon seit Mitte der achtziger Jahre darf dieser Geheimdienst selbst Agenten einsetzen. Dieser Bereich der so genannten "Human Intelligence" wird seit April 2002 in aller Heimlichkeit verstärkt. Unter der Tarnbezeichnung "Project Icon" erhielt die Operationsabteilung der DIA eine so genannte Strategic Support Branch, kurz SSB. Aufgabe dieser Abteilung ist, eigene Militäragenten im Anti-Terror-Krieg weltweit einzusetzen. Die DIA und ihr SSB sollen eng mit den Spezialeinheiten der Special Forces wie der Delta Force oder Gray Fox zusammenarbeiten. Dadurch soll die DIA des Pentagons zu einem vollwertigen Geheimdienst werden, der nicht nur die für militärische Operationen notwendigen Informationen beschafft, sondern auch eigene geheimdienstliche Operationen durchführt.

Kommandeur der neuen Spionageeinheit ist Oberst George Waldrop, ein Mann der über keine Geheimdiensterfahrungen verfügt. Operationsgebiet der Strategic Support Branch sind gegenwärtig die beiden US-Kriegsschauplätze Afghanistan und Irak. Sie agiert dort unter der Tarnbezeichnung "Task Force 626". Als potentielle Einsatzgebiete gelten Georgien, Somalia, Jemen, Indonesien und die Philippinen. Seymour Hersh, ein Altmeister des amerikanischen investigativen Journalismus, will erfahren haben, dass Operationen in insgesamt 10 Ländern genehmigt worden sind. Darunter befinden sich nicht nur Gegner der USA, sondern auch mit Washington befreundete Staaten. Zu den SSB-Aufgaben gehören das Ausspähen potentieller Ziele, das Verhören von Kriegsgefangenen und die Anwerbung ausländischer Spione. Unklar ist, in welchem Umfang diese Geheimdienst-Abteilung auch Tarnfirmen aufbauen darf oder Operationen unterstützen kann, bei der Spezialkräfte sich als Zivilisten getarnt haben. Möglicherweise hat die neue Agententruppe ihre ersten Spuren bereits im Abu Ghraib-Gefängnis hinterlassen.

Verteidigungsminister Donald Rumsfeld soll der Ausbau der DIA und der Special Forces einen deutlichen Machtzuwachs verschaffen. Zwar kontrolliert er mit der DIA, dem Abhördienst NSA und den Aufklärungsapparaten der Teilstreitkräfte schon heute achtzig Prozent der gesamten Geheimdienstgemeinde. Nun aber soll er erstmals über einen einsatzfähigen, operativen Geheimdienst verfügen.

Bisher galt, dass die US Regierung bei geheimen Operationen mehrere Optionen hatte. Sie konnte wählen zwischen den Agenten und den paramilitärischen Einheiten der CIA einerseits und den Soldaten der Streitkräfte andererseits. Während des Afghanistan-Feldzuges führte dies zu einem offenen Konflikt zwischen Pentagon und CIA. Beide beanspruchten diese Aufgaben für sich. Damals konnte die CIA darauf verweisen, sie verfüge zusätzlich über zivile Agenten und habe damit größere Möglichkeiten. In Zukunft kann auch das Pentagon beide Optionen anbieten. Damit erhalten die Generäle direkte Einflussmöglichkeiten auf das gesamte Spektrum geheimdienstlicher Operationen in der amerikanischen Außenpolitik.

Die Folge ist aber auch, dass eine Fülle neuer rechtlicher Grauzonen entsteht. Ist ein Militär in "Räuberzivil" und mit geheimdienstlichem Auftrag Kombattant oder nicht? Was ist noch Aufklärungstätigkeit auf einem potentiellen künftigen Gefechtsfeld und wo beginnt eine geheimdienstliche Operation? Auch die parlamentarische Kontrolle über geheime Operationen kann aufgeweicht werden. Zwar fordern die US-Gesetze, dass der Kongress über alle Geheimdienstaktivitäten vollständig und fortlaufend unterrichtet wird. Eine Ausnahme bilden aber "gewöhnliche Militäraktivitäten" und ihre "routinemäßige Unterstützung". Stephen Cambone, Abteilungsleiter im Pentagon für Geheimdienste und Intimus des Verteidigungsministers, hat öffentlich erklärt, dass diese gesetzlichen Bestimmungen äußerst großzügig ausgelegt werden. Eine Information des Kongresses über geheime Operationen des Militärs soll frühestens nach Abschluss der Aktionen erfolgen. Der weltweite Krieg gegen den Terror wird als Generalbevollmächtigung verstanden. Ob aber die republikanische Mehrheit im Kongress auf Dauer ihrer eigenen Entmündigung tatenlos zusieht, darf bezweifelt werden. Von der Existenz der Geheimdiensttruppe SSB erfuhren die Parlamentarier erst im Januar aus der Zeitung.


 

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim BITS.