Streitkräfte und Strategien - NDR info
15. Januar 2005


Verwundbare Passagierflugzeuge

Terrorangriffe mit schultergestüzten Flugabwehr-Raketen?

von Susanne Härpfer


Seit Weihnachten soll in den USA mehr als 30 Mal versucht worden sein, per Laser Piloten von Zivilmaschinen zu blenden und so die Flugzeuge zum Absturz zu bringen, meldeten amerikanische und kanadische Zeitungen. Per Laser werden allerdings auch moderne Versionen schultergestützter Flugab-wehrraketen in Ziele wie Flugzeuge gelenkt. Die schwedische RBS 70 oder das britische Starstreak sind solche sogenannten "Manpads" der neuesten Generation. Auf Anfrage von "Streitkräfte und Strategien" antwortete der Sprecher des FBI, William David Carter, die Bundespolizei untersuche zur Zeit diese Vorfälle. Bislang gebe es jedoch keine spezifischen oder glaubwürdigen Informationen, die auf einen terroristischen Hintergrund schließen ließen. Allerdings würden als Vorsichtsmaßnahme die Motive der Laser-Vorfälle untersucht. Was auch immer der Grund für das Blenden mit Lasern war: Sicherheitsexperten befürchten Angriffe auf Passagiermaschinen mit Flugabwehrraketen jeglicher Bauart, mit oder ohne Laser. Das Londoner Institut für Strategische Studien schätzt, dass 20 Terrororganisationen über diese Waffen verfügen. Experten des renommierten Fachverlages "Jane’s" gehen sogar von 30 Extremisten-Gruppen aus. 4.000 SAMīs, wie die Boden-Luft-Raketen auch genannt werden, sollen nach neuesten Schätzungen im Irak verschwunden sein. Zuletzt wurde ein Airbus A 300 der Frachtfirma DHL beim Anflug auf Bagdad mit einer solchen Waffe attackiert. Der bekannteste Angriff auf eine Passagiermaschine ereignete sich im November 2002. Eine Boeing der israelischen Luftfahrtgesellschaft Arkia wurde nach dem Abflug aus Mombasa Richtung Tel Aviv durch zwei tragbare Flugabwehrraketen vom sowjetischen Typ SA-7 beschossen. Die Passagiere überlebten. Die Raketen waren schlecht gewartet oder die Terroristen nicht richtig ausgebildet. Ein Warnschuss gewissermaßen. Der Anschlag war beileibe kein Einzelfall.

In Ruanda löste der Abschuss des Flugzeuges von Präsident Habyarimana 1994 den Völkermord mit aus. Der vermutlich erste Anschlag auf eine Zivilmaschine ereignete sich 1983. 130 Menschen kamen ums Leben als eine angolanische Boeing abgeschossen wurde. Nach Berichten des Fachmagazins "Jane's" wurden von 1975-1998 insgesamt 24 zivile Flugzeuge mit mehr als 600 Menschen durch tragbare Flugabwehrraketen vom Himmel geholt. Andere gehen sogar von 40 Maschinen aus. Darin sind nicht die Angriffe von afghanischen Mujahedin auf russische Flugzeuge enthalten. In den 80er Jahren übergab die CIA 500 bis 1.200 Stinger-Raketen an die afghanischen Mujahedin, damit sie sowjetische Flugzeuge und Hubschrauber erfolgreich bekämpfen konnten. "Wir verteilten sie wie Lollipops", zitiert der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom einen Beamten des Pentagon, der den leichtfertigen Umgang mit den High-Tech-Waffen kritisierte. Selbst mit einer exorbitant teuren "Rückkauf-Aktion" gelang es nicht, alle Raketen zurückzubekommen. Seitdem vagabundieren die Waffen um den Globus und bedrohen Zivilmaschinen weltweit. Selbst ältere Modelle wie die russische Strela reichen aus, um startende oder landende Flugzeuge zu gefährden. Deshalb wurden nach amerikanischen Angaben jetzt am Flughafen von Los Angeles spezielle Schutzmaßnahmen getroffen - die Flughäfen von Manila und Athen wurden inspiziert. Seitdem bei der Festnahme des mutmaßlichen ETA-Chefs in Frankreich zwei Boden-Luft-Raketen gefunden wurden, ist die Bedrohung für Passagiermaschinen näher gerückt. Fünf der gefährlichen Waffen sollen Anfang des Jahres in den Gaza Streifen geschmuggelt worden sein, berichtete Israels Inlandsgeheimdienstchef Avi Dichter der Knesset. Im vergangenen Monat wurden "Manpads" in Albanien sichergestellt, die in Bosnien gekauft worden sind. Wegen der von diesen Waffen ausgehenden Bedrohung werden Militärmaschinen schon lange mit Abwehrsystemen ausgestattet. Das gilt für die deutsche Transall, aber auch für die Maschine des amerikanischen Präsidenten und Flugzeuge von anderen Prominenten. Die meisten Schutzsysteme basieren auf der Irreleitung des feindlichen Flugkörpers mit sogenannten Düppeln. Diese mit Metallen beschichteten Aluminiumstreifen reflektieren die Radarstrahlen und lenken durch Veränderung des Radarbildes einen feindlichen Flugkörper ab. Auch Täuschkörper, die eine extreme Hitze erzeugen, sogenannte "flares", lenken Raketen ab.

Nun sollen auch zivile Flugzeuge mit dieser Militärtechnik ausgestattet werden. Die israelische Zeitung Haaretz berichtete, die Fluggesellschaft El-Al wolle eine ihrer Passagiermaschinen mit einem Raketenabwehr-System ausrüsten. Verblüffend an der Meldung ist, dass jetzt der Einbau solcher Systeme angekündigt wird. Denn bereits im Oktober 2003 hatte der frühere Direktor für Sicherheitsfragen der israelischen Fluglinie Yuval Aviv behauptet, El Al-Maschinen seien bereits mit "flares" ausgestattet, die Raketen ablenken. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete Aviv als Antiterrorismus consultant der Firma Interfor Inc. für die US-Regierung. Möglicherweise wollte er mit seiner Aussage die US-Regierung zum Kauf der Technik bewegen. Ebenso ist es möglich, dass die israelische Fluglinie die Bedrohungslage bereits im Jahr 2002 so ernst nahm, dass sie behauptete, geschützt zu sein, obwohl dieses nicht der Fall war, um so potentielle Terroristen abzuschrecken. Die Fluglinie war gegenüber "Streitkräfte und Strategien" zu keiner Stellungnahme bereit, auch die Produktionsfirma des Systems reagierte nicht auf eine entsprechende Anfrage.

In den USA wehrten sich die Luftfahrtgesellschaften lange gegen Schutzsysteme wegen der befürchteten Kosten. Knapp 7.000 zivile Flugzeuge müssten mit Abwehrsystemen ausgestattet werden. Die Kosten pro Maschine: ca. 1 Million Dollar. Im Vergleich zu den Schäden, die bei einem spektakulären Anschlag mit diesen Raketen entstünden, seien die Ausgaben aber gerechtfertigt, meint Sicherheitsexperte Aviv. Allerdings gibt es noch ungeklärte Fragen. Welche Schäden könnten die Täuschsysteme anrichten; zum Beispiel wenn sie über Städten gezündet werden? Wer käme für die Kosten auf? Pikant ist: die meisten Anbieter von Abwehrsystemen stellen selbst die Waffen her, vor denen sie schützen sollen. Noch pikanter: Nach eigenen Angaben soll es bislang keinen Schutz vor den modernsten Raketen-Versionen geben. Dies gilt für die "Javelin"-Flugabwehrrakete von Thales Air Defence Ltd, die ihr Ziel mit Hilfe einer Fernsehkamera anvisiert. Dies gelte aber auch für lasergestützte Systeme, so eine Studie des Congressional Research Service vom vergangenen Jahr. Damit Zivilmaschinen künftig geschützt werden, hat der US-Senat 60 Millionen Dollar für die Forschung bewilligt. Das US-Ministerium für Heimatverteidigung hat BAE Systems, Northrop Grunman und United Airlines beauftragt, Raketenabwehrsysteme für zivile Flugzeuge zu entwickeln. 15 Projekte werden finanziert vom Joint Aircraft Survivability Program Office, kurz Jaspo. Neben dem Militär sind bislang Frachtunternehmen die Hauptabnehmer von Warn- und Ablenkeinrichtungen. Die Lufthansa Technik bietet zusammen mit EADS an, Privat- und Regierungsmaschinen mit Raketenblendern auszustatten. Für die Passagiermaschinen sei dies aber nicht geplant. Weshalb ein Tochterunternehmen der Lufthansa Schutzsysteme anbietet, diese aber nicht in Passagiermaschinen eingebaut werden sollen, wollte Sprecher Michael Lamberty gegenüber "Streitkräfte und Strategien" nicht erklären. Ein Forschungsgremium der Europäischen Kommission sollte bis zum Ende 2004 darüber entscheiden, welches Abwehrsystem am Vielver-sprechendsten ist. Dies wurde auf den Sommer verschoben.

Der beste Schutz ist noch immer eine Kontrolle der Flugabwehrraketen. Den Handel mit tragbaren Flugabwehrraketen zu beschränken, wurde das erste Mal 1994 gefordert. Vom Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit, kurz BITS, und der Nichtregierungsorganisation BASIC. Das aber hätte Einschnitte in die Geschäfte der großen Rüstungsunternehmen zur Folge.

In den USA ging man daher einen anderen Weg: Das Ministerium für Heimatschutz und die US-Luftfahrtbehörde wurden offiziell verpflichtet, zuverlässige Schutzsysteme für Passagiermaschinen entwickeln zu lassen und ihre Zuverlässigkeit zu überprüfen. Damit wird den Firmen weiterhin Gelegenheit gegeben, doppelt zu verdienen. Durch die Produktion der Flugabwehrraketen und der entsprechenden Abwehrsysteme.


 

Susanne Härpfer ist freie Fernseh-Journalistin.