11. August 2001
Streitkräfte und Strategien, NDR info

 

Die neue Asienpolitik der Vereinigten Staaten

 von Otfried Nassauer  

Asien ist im Umbruch und im Aufbruch. Mit China und Indien finden sich hier die beiden bevölkerungsreichsten Staaten der Erde. Aber haben wir uns schon einmal gefragt, ob das aufstrebende China ein reicher Industriestaat werden kann, bevor seine Bevölkerung einen so hohen Altersdurchschnitt hat, dass die Jungen die Alten nicht mehr versorgen können? Haben wir uns schon einmal gefragt, wann Indien China überholt, weil es eine deutlich höhere Geburtenrate hat? Kaum bekannt ist auch, dass im wirtschaftlich zerrütteten Pakistan – einer Nuklearmacht - bereits heute mehr Menschen leben als im ganzen riesigen Russland – mit wachsender Tendenz.

Der Umbruch in Asien beschäftigt die Politik- und Militärstrategen in den Vereinigten Staaten. Dies umso mehr, seit der Texaner George Bush zusammen mit dem Ölmanager Dick Cheney regiert. Asien ist einer der am schnellsten wachsenden Energiemärkte, aber auch eine der energiereichsten Regionen. Von der Türkei und dem Transkaukasus über den Mittleren Osten bis hin nach Zentralasien oder auch Myanmar, dem ehemaligen Burma – die Konfliktpotentiale sind so umfangreich wie die Energieressourcen. In Asien entstanden und entstehen neue Nuklear- und Raketenmächte. In Asien erlitt die Supermacht USA ihr größtes Trauma – Pearl Harbour – und ihre wichtigste militärische Niederlage – in Vietnam. Das alles stellt die neue Regierung in Washington vor große Probleme. Im Vergleich zum eigenen Anspruch militärischer Hegemonie sind die Möglichkeiten amerikanischer militärischer Machtprojektion in Asien vergleichsweise begrenzt. Im Gegensatz zu Europa fehlen feste, effiziente militärische Bündnisstrukturen, umfassende Stationierungsrechte und wesentliche Elemente militärischer Integration. Die Entfernungen sind viel größer, so dass die Reichweite vieler Waffensysteme, die für die Szenarien des Kalten Krieges entwickelten wurden, unzureichend ist.

Was also tun, wenn sich der Iran, Indien und Japan zusammentun, um die Seewege für Energietransporte freizuhalten von Piraten, die von China unterstützt werden, weil eine Einmischung Washingtons nicht erwünscht ist? Was tun, wenn Pakistan zerfällt und seine Regionen beschließen, sich Indien anzuschließen? Was tun, wenn sich als Folge die Taliban-Regierung in Afghanistan nicht halten kann und das Land in drei Teile zerbricht, die sich an Indien, Tadschikistan und den Iran binden? Was tun, wenn ein schwächelndes China sich in einer Phase noch relativer Stärke entschließt, Taiwan gewaltsam zu integrieren? Wie vorgehen, wenn Taiwan – um dem vorzubeugen - ein eigenes Nuklearpotential aufbaut?

Nein, all diese Fragen entstammen nicht dem wirren Denken spinniger Politikwissenschaftler oder Zukunftsforscher. Sie werden von einem der einflussreichsten Denker des amerikanischen Verteidigungsministeriums aufgeworfen. Andrew Marshall, 79 Jahre alt, wurde von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld mit der Ausarbeitung der Schwerpunkte und langfristigen Perspektiven amerikanischer Strategie betraut. Vor zwei Jahren ließ er – Anhänger der sogenannten Spieltheorie wie Herbert Kahn oder Albert Wohlstetter - seine berühmte Sommerschule am Naval War College Asiens Entwicklungsperspektiven und die Handlungsmöglichkeiten der USA bis zum Jahre 2025 vordenken. Heute beeinflussen die Ergebnisse Experiments die reale Strategieplanung Washingtons.

Die neue Administration setzt neue Schwerpunkte. Graduell gewinnt das Engagement in Asien gegenüber dem in Europa an Gewicht. Parallel soll Europa mehr Verantwortung übernehmen, die Führungsmacht USA bei Konflikten in den Europa nahen Regionen Asiens stärker militärisch unterstützen, so am Persischen Golf, damit Washington seine militärischen Kräfte für weiter entfernte Teile Asiens freisetzen kann.

Doch nicht nur im Verhältnis zu Europa und Asien wird ein gradueller Bedeutungswandel erwartet, sondern auch innerhalb Asiens. Heute sind die USA vor allem in Ost- und Nordostasien präsent - in Japan, China, Taiwan und auf der koreanischen Halbinsel. Künftig – so die Vorhersage – müssen die USA ihre Präsenz im Süden und Südwesten sowie in Zentralasien stärken. Denn dort befinden sich nicht nur die größten Energievorkommen, dort verlaufen auch die künftig wichtigsten Energieversorgungswege der Welt. Wenn Asiens Energieverbrauch so stark steigt wie angenommen, dann verdient dies die besondere Aufmerksamkeit der Vereinigten Staaten. Aufmerksamkeit meint vor allem auch militärische Präsenz. Diese bedingt erweiterte Stationierungsrechte, strategische Allianzen und veränderte Planungen für das Militär der USA.

Vor unkonventionellen Überlegungen machen die neuen US-Konzepte nicht halt. Neue Stationierungsmöglichkeiten für amerikanische Truppen in Asien zu schaffen, ist besonders wichtig. Die amerikanische Pazifik-Insel Guam als zentrales Nachschublager und Flugplatz für Bomber großer Reichweite auszubauen ist das eine. Die Schlagkraft der US-Luftwaffe und der US-Marine sowie die schnelle Verlegbarkeit von US-Heereseinheiten im Pazifik systematisch auszubauen ist das andere. Beides aber ist allein nicht ausreichend. Die Präsenz amerikanischer Truppen in Korea könnte im Fall einer Vereinigung der koreanischen Staaten gefährdet sein. Ersatz müßte her. Zum Beispiel auf den südlichsten Inseln Japans, auf den Philippinen, in Thailand oder – warum auch nicht - in Vietnam.

Zudem muß verhindert werden, dass regionale Großmächte, die mit den USA rivalisieren, eine eigenständige Machtbasis entfalten können, die in Konkurrenz zu den USA steht. China ist bereits ein solcher möglicher regionaler Konkurrent, den es in Schach zu halten gilt. Die Entstehung eines strategischen Bündnisses mit Russland – obwohl unwahrscheinlich – ist zu verhindern. Indien kommt ebenfalls großes Gewicht zu. Indien muß eingebunden werden. Erste Zeichen wurden schnell gesetzt. Robert D. Blackwill, ein sicherheitspolitisches Schwergewicht, wurde als Botschafter benannt. Namhafte Vordenker der neuen Asienpolitik haben wichtige Posten in der neuen Administration eingenommen. Die Zeiten, in denen Indien wegen seiner Atomtests mit Sanktionen belegt wurde, gehen rasch dem Ende entgegen. Kürzlich wurde vereinbart, dass amerikanische Soldaten den Kampf gegen Guerillas im indischen Dschungel üben dürfen. Der amerikanische Militär- Befehlshaber für den Pazifik, Admiral Blair, bemerkte anläßlich eines Besuches in Sri Lanka, es gebe viele gemeinsame oder parallele Interessen, bei denen sich die Zusammenarbeit mit Indien lohne – die Bekämpfung von Piraterie und Terrorismus, friedenserhaltende Maßnahmen und nicht zuletzt die Sicherheit und Kontrolle nuklearer Waffen.

Das verstärkte sicherheitspolitische Engagement der USA in Asien steigert die Bedeutung Asiens auch für Europa. Wenn Amerika sein Engagement vergrößert, dann berührt dies alle Ebenen; auch Handel, Wirtschaft, Umweltpolitik und vieles andere mehr. Es tangiert die Interessen Europas.

In der Wirtschafts-, Handels- oder Umweltpolitik gibt es mit dem EU-Asien-Dialog bereits eingespielte Foren für Diskussion und Zusammenarbeit. Hinzu kommen die bilateralen Beziehungen der Staaten der EU. Was fehlt, ist eine sicherheitspolitische Dimension. Hier hat Europa erheblichen Nachholbedarf. Dieser beginnt im Bereich der sicherheitspolitischen und geopolitischen Analyse, und er setzt sich fort, wenn es um die Nutzung bestehender Formen der Zusammenarbeit zu Zwecken der Konfliktprävention und –verhinderung geht. Vollends sichtbar wird das Defizit, wenn von Europa eigenständige Elemente sicherheitspolitischen Handelns in Asien gefordert werden. So gibt es beispielsweise russische Hoffnungen, mit der EU beim militärischen Krisenmanagement in Zentralasien zusammenzuarbeiten, um eine Alternative zur Kooperation mit den USA zu haben. Auf solche Gedankenspiele ist die EU nicht wirklich vorbereitet. Ebensowenig wie darauf, ihre Asienpolitik und ihre Rußlandpolitik enger zu verzahnen. Diese Aufgabe aber stellt sich zwangsläufig für die Zukunft. Denn Sicherheitspolitik ist vor allem auch eine Gestaltungsaufgabe.

 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).