Streitkräfte und Strategien - NDR info
25. März 2006


Kampf den Massenvernichtungswaffen
US-Regierung setzt auf unkonventionelle Methoden

von Gerhard Piper

Drei Jahre nach Beginn des Irak-Krieges ist noch immer offen, wie der Konflikt beendet werden kann. Eines ist jedoch schon jetzt sicher: Der Kampf gegen den Terrorismus hat durch diesen Feldzug einen Rückschlag erlitten. Denn der Irak ist inzwischen ein Tummelplatz für Terroristen und fundamentalistische Fanatiker geworden. Dabei haben die USA nach den Anschlägen vom 11. September ihre Anstrengungen zur Terrorabwehr erheblich verstärkt. So wurden beispielsweise in den US-Streitkräften die Spezialeinheiten aufgestockt. Die Zahl der Special Forces beträgt inzwischen rund 52.000 Mann. Die Terror-Organisation Al Qaida musste zwar Verluste hinnehmen, aber zerstört ist das Terror-Netzwerk noch lange nicht. Im Gegenteil: Nicht zuletzt durch den Irak-Krieg erhalten die Fanatiker Zulauf. Und Anfang des Jahres meldete sich Osama bin Laden wieder zu Wort und drohte den USA erneut mit einem Terroranschlag.

Zwar konnte Al Qaida seit dem 11. September 2001 keinen weiteren Terroranschlag auf amerikanischem Territorium verüben. Dennoch befürchten die Sicherheitsbehörden, dass die Terror-Organisation erneut zuschlagen wird. Und der nächste Angriff könnte möglicherweise noch verheerender sein. Schon 2001 hatte Al Qaida Überlegungen angestellt, ein Atomkraftwerk bei New York anzugreifen. Aber der Plan wurde schließlich verworfen - weil die Situation außer Kontrolle geraten könnte, so der Terrorpilot Mohammed Atta damals. Nach dem Irak-Feldzug und dem Folterskandal von Abu Ghraib sieht die heutige Terroristen-Generation das aber möglicherweise anders.

Das amerikanische Heimatschutzministerium versucht sich jedenfalls auch auf Terroranschläge mit ABC-Waffen einzustellen. Im Juli 2004 ging die Behörde von elf Bedrohungs-Szenarien aus. Das Spektrum der Bedrohungen erstreckte sich von einem Angriff mit Erregern der Maul- und Klauenseuche gegen Rinderherden in Texas bis hin zu einer Attacke mit einer 10-Kilotonnen-Atombombe gegen eine amerikanische Großstadt.

Aber wie kann die US-Regierung insbesondere einen atomaren Anschlag verhindern, wenn doch die amerikanischen Geheimdienste schon den Terroranschlag mit "konventionellen" Mitteln am 11. September nicht aufdecken konnten, obwohl es Hinweise auf dieses Attentat gab?

Die Sicherheitsbehörden haben inzwischen versucht, Konsequenzen zu ziehen. Es wurden entsprechende Sondereinheiten aufgestellt. Im Energieministerium stehen so genannte "Threat Assessment Teams" bereit. Droht eine Terrorgruppe mit einem Atomanschlag, so ist es die Aufgabe dieser Teams, zunächst einmal zu prüfen, ob diese Drohung echt ist. Anschließend würden Experten und Wissenschaftler des "Nuclear Emergency Search Teams" – kurz NEST genannt - versuchen, den Atomsprengsatz zu finden. Können die Terroristen und die Bombe lokalisiert werden, würde das "Hostage Rescue Team" in Aktion treten - eine Art GSG-9, die die Täter außer Gefecht setzen soll. Anschließend kämen wieder die Experten von NEST zum Zuge. Sie müssten nun versuchen, die Atombombe zu entschärfen, so die theoretische Notfall-Planung.

Bei einem atomaren Anschlag ohne vorherige Warnung hätte Schadensbegrenzung oberste Priorität. Um die Folgen einer solchen Katastrophe zu bewältigen, hat die Nationalgarde in jedem US-Bundesstaat so genannte "Raid"-Teams aufgestellt. Sie sollen den betroffenen Gemeinden und Städten unverzüglich technische und medizinische Soforthilfe leisten. Zusätzlich stehen zur medizinischen Versorgung der Opfer besondere Sanitätskommandos bereit, darunter die "Chemical/Biological Incident Response Force" der Marineinfanterie. Trotz aller Schutzmaßnahmen rechnen die Amerikaner bei einem Angriff mit tausenden von Opfern.

Die Regierung in Washington will nicht abwarten, bis die USA mit Massenvernichtungswaffen angegriffen werden. Ziel ist es, präventiv zuzuschlagen und einen Terroranschlag schon im Vorfeld zu verhindern. So unterhalten die US-Streitkräfte nicht nur defensive Spezialeinheiten, sondern gleichzeitig offensive Sonderkommandos. Ihr Auftrag ist es, in anderen Ländern ABC-Waffen aufzuspüren und zu vernichten. Hierbei setzt man vor allem auf Spezialeinheiten, die bisher auch zur Guerilla- und Aufstandsbekämpfung eingesetzt worden sind: Zu nennen sind hier vor allem die "Intelligence Support Activity", das "Technical Analysis Team", die "Delta Force" und die "Naval Development Group".

Im Afghanistankrieg wurden diese Sonderkommandos als gemischter Verband unter der Bezeichnung "Task Force K-Bar" eingesetzt, um das vermutete ABC-Potential von Al Qaida zu zerstören. Weil Osama bin Laden über keine Bestände verfügte, war der Einsatz nur ein mäßiger Erfolg: Immerhin zerstörten die Amerikaner im Darunta-Camp ein Chemiewaffenlabor und beschlagnahmten einschlägige Dokumente. Im Januar tötete die CIA durch einen Luftangriff Abu Khebab. Er soll Leiter des ABC-Programms von Al Qaida gewesen sein.

Dass die USA verstärkt auf Special Forces setzen, wurde spätestens im Irak-Krieg deutlich: Dort waren insgesamt 10.000 Kommando-Soldaten im Einsatz. Sie entsprechen am ehesten der Vorstellung von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, möglichst kleine und flexible Einheiten in den Kampf zu schicken. So sollten im Irak unter der Sammelbezeichnung "Task Force 20" zusammengefasste Spezialeinheiten die vermuteten Massenvernichtungswaffen aufspüren. Das war bekanntlich ein vergebliches Unterfangen. Aber immerhin konnte Saddam Hussein gefangen genommen werden.

Das Pentagon hat im vergangenen Monat in dem neuen Verteidigungs-Weißbuch, dem Quadrennial Defense Review Report, angekündigt, die Sondereinheiten weiter auszubauen. Eine wichtige Aufgabe wird dabei die Eliminierung von Massenvernichtungswaffen sein. Vorhandene Spezialkräfte sollen so erweitert werden, dass eine Joint Task Force unter Führung der 20. Support Group gebildet werden kann, die in der Lage ist, vom kommenden Jahr an entsprechende Missionen durchzuführen.

Die Spezialeinheiten sollen in die Lage versetzt werden, Massenvernichtungswaffen aufzuspüren, zu bewerten und unschädlich zu machen. Erst kürzlich berichtete die NEW YORK TIMES, Kommando-Soldaten würden auch in den diplomatischen Vertretungen der USA stationiert, um potentielle Operationen gegen Terroristen vorzubereiten.

Offenbar wird die neue US-Strategie bereits im Iran umgesetzt, wie der amerikanische Enthüllungsjournalist Seymour Hersh im vergangenen Jahr berichtet hat. So sollen amerikanische Sonderkommandos schon seit längerem in dem Land verdeckte Operationen durchführen. Ziel sei, iranische Nuklearanlagen auszuspähen und sie mit so genannten "Sniffers" zu verwanzen. Diese Sensoren sollen jede Freisetzung von Radioaktivität messen und per Funk weiterleiten. Es heißt außerdem, die Amerikaner bauten im Iran ein Agentennetz mit Einheimischen auf, die ihre Beobachtungen an die US-Geheimdienste weitermelden sollen. Gleichzeitig gibt es Berichte, die CIA operiere mit Drohnen vom Typ Global Hawk – auch im iranischen Luftraum.

Für die US-Sondereinheiten ist der Iran kein unbekanntes Gebiet. Im April 1980 startete die Delta Force ihre Operation EAGLE CLAW - den gescheiterten Versuch zur Befreiung der Geiseln in der US-Botschaft in Teheran. Und im Sommer 1987 führte die Intelligence Support Activity die Operation PRIME CHANCE durch. Dieses Geheimunternehmen diente der Ausspähung der iranischen Militäranlagen, um durch Präventivschläge mögliche Angriffe der Iraner gegen kuwaitische Öltanker im damaligen "Tankerkrieg" zu unterbinden.

Bei einem amerikanischen Angriff auf die Atomanlagen des Irans oder eines anderen Schwellenlandes wäre der Einsatz der Sondereinheiten ein unverzichtbarer Bestandteil der Kriegsplanung. Schließlich verfügt die US-Luftwaffe immer noch nicht über geeignete konventionelle Munition, um sämtliche unterirdischen Bunkeranlagen zu zerstören. Den Kommando-Soldaten käme daher eine ganz besondere Rolle zu.

In den USA werden gegenwärtig die Weichen für eine entsprechende Umstrukturierung der Streitkräfte gestellt. Die Zahl der "normalen" Heeressoldaten soll reduziert werden. Gleichzeitig will man die Special Forces, die Spezialeinheiten, um fast ein Drittel erhöhen. Dafür sind 28 Milliarden Dollar eingeplant. Fragt sich nur, ob diese ehrgeizigen Ziele angesichts der wachsenden Rekrutierungsprobleme in den USA auch umgesetzt werden können.


 

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS