Bundeswehr-Mission im Nahen Osten
Placebo-Einsatz oder wirksamer Beitrag für eine dauerhafte Friedenslösung?
von Otfried Nassauer
Schiffe der Deutschen Marine sollen vor der Küste des Libanons den Waffenschmuggel der
Hisbollah unterbinden. Sie sollen die Waffenruhe auf See überwachen. Zusätzlich
entsendet die Bundesrepublik militärische und zivile Kräfte, die der libanesischen
Zentralregierung helfen sollen, das staatliche Gewaltmonopol im ganzen Libanon und eine
Entwaffnung der Hisbollah durchzusetzen. Der Bundestag hat mit großer Mehrheit
zugestimmt. Das robuste Mandat für bis zu 2.400 Soldaten läuft bis Ende August nächsten
Jahres. Jeder ahnt: Der Einsatz wird länger dauern. Möglicherweise viele Jahre. Ein
"Einsatz historischer Dimension" wie Kanzlerin Merkel betont und ein
"Paradigmenwechsel", wie der CDU-Politiker Freiherr zu Guttenberg zu Recht
beobachtete.
Noch vor wenigen Jahren war es undenkbar, dass ein deutscher Politiker einen Einsatz
der Bundeswehr im Nahen Osten ins Gespräch bringt. Ein Tabu-Thema schon wegen
Israel. Doch plötzlich ist alles anders: Der Krieg zwischen der Hisbollah und Israel und
dessen überraschender Ausgang haben vieles verändert. Der Libanon entsendet Truppen in
den Süden des Landes. Israel, der Libanon und Syrien haben zugestimmt, dass die UN-Truppe
UNIFIL von 2.000 Soldaten auf bis zu 15.000 verstärkt und mit einem erweiterten,
robusteren Mandat ausgestattet wird. Deutschland wurde von Israel gebeten, sich
militärisch zu beteiligen. Syrien signalisierte sein Einverständnis. Der Libanon
forderte nach sanftem Druck aus Berlin genau jene deutsche Beteiligung an, die den
Vorstellungen der Bundesregierung entsprach.
SPD und Grüne argumentieren optimistisch: Das Ende des Krieges eröffnet ein zeitlich
begrenztes Fenster der Gelegenheit für eine neue Friedensinitiative im Nahen Osten. Weder
Israel noch die Hisbollah konnten sich mit kriegerischen Mitteln durchsetzen. Gelänge es,
die Waffenruhe aufrechtzuerhalten und Zeit für Gespräche über eine neue, politische
Friedensinitiative zu gewinnen, so könnte aus der Waffenruhe ein Waffenstillstand und
vielleicht sogar ein dauerhafter Frieden zwischen Israel, seinen Nachbarn und einem
lebensfähigen Palästinenserstaat werden. Selbst eine Konferenz über Sicherheit und
Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten gerät in den Blick offizieller Politik. Die
Chance soll genutzt werden. Schnelles, entschiedenes Handeln ist gefragt. Der Krisen- und
Pendeldiplomatie des Berliner Außenministers sollen vor Ort deutsche Taten folgen.
Glaubwürdig agiere nur, wer die Bereitschaft zeige, sich schnell und umfassend zu
engagieren mit ziviler Unterstützung, politischen Initiativen, aber auch mit einem
militärischen Beitrag. Deutschland und Europa seien gefordert, so die Position des
SPD-Politikers Steinmeier.
Aus der CDU kommen Argumente, die andere Signale senden: Israel wünsche Deutschlands
militärische Präsenz. Berlin müsse aktiv für das Existenzrecht Israels eintreten.
Deutschland könne nicht neutral sein. Kernaufgabe sei es, zu verhindern, dass die
Hisbollah Israel erneut angreifen könne. Es gelte vor allem, das Waffenembargo
durchzusetzen und die Entwaffnung der Hisbollah durch eine Stärkung des libanesischen
Staates zu ermöglichen. Ein instabiler Waffenstillstand sei zu sichern. Dies sei im
Interesse Deutschlands und der deutschen Wirtschaft, die sich in der Region stark
engagiere. Die militärische Absicherung der Waffenruhe sei die Voraussetzung dafür, dass
ein politischer Friedensprozess überhaupt eingeleitet werden könne. Dazu brauche man
Washington. Die USA müssten überzeugt werden, eine aktive und konstruktive Rolle zu
spielen. Dafür gebe es jetzt ein Fenster der Gelegenheit.
Deutschland übernimmt am 1. Januar die Ratspräsidentschaft der EU. Dieses Ereignis
wirft seine Schatten voraus. Denn die EU hat beschlossen, eine führende Rolle beim
Krisenmanagement in Nahost zu übernehmen. Berlin fällt die Aufgabe zu, den neuen
politischen Anlauf für Frieden im Nahen Osten zu planen und zu koordinieren. Deshalb soll
der deutsche militärische Beitrag auf Augenhöhe mit dem anderer großer europäischer
Länder erfolgen. Eine europäisch geführte, robuste und handlungsfähige
UN-Friedensmission im Nahen Osten soll die Vereinten Nationen stärken und zeigen, dass
ein multilaterales Vorgehen effizient sein kann. Der Chor der Befürworter des Einsatzes
singt laut und vielstimmig. Doch die Dissonanzen sind nicht zu überhören. Singen alle
Sänger aus der gleichen Partitur? Gibt es überhaupt eine solche? Ist es ein Singen im
Walde, bei dem Lautstärke Mut machen soll? - Schon möglich. Das zeigt schon das
Nachdenken über eine einzige, aber wichtige Grundfrage: Wollen alle bedeutenden
Akteure im Nahen Osten auch wirklich eine Friedenslösung?
Das ist keineswegs sicher. Damit fehlt jedoch möglicherweise die wichtigste
Voraussetzung, um die bestehende Waffenruhe für einen neuen Friedensprozess zu nutzen.
Nur wenn alle Akteure ihn wollen, können die Friedensbemühungen erfolgreich sein. D.h.
die Konfliktparteien müssten bereit sein, einen Preis zu zahlen, damit der Status quo
sich zum besseren wendet. Die UN-Resolution 1701 ist ein Minimalkonsens, der nur zustande
kam, weil die Beteiligten die Lage militärisch nicht mehr entscheidend zu ihren Gunsten
verbessern konnten. Ihre Kriegsziele haben die Konfliktparteien jedoch keineswegs
aufgegeben - genauso wie andere wichtige Akteure. Israel liest die UN-Resolution als
Auftrag, die Hisbollah durch die libanesische Regierung entwaffnen zu lassen. Washington
und Angela Merkel interpretieren sie ebenso. Internationale Kooperation soll helfen, das
Ziel zu erreichen, das Israel militärisch nicht erreicht hat.
Der Libanon und die Hisbollah dagegen wollen, dass die territoriale Integrität und
Souveränität des Libanons wiederhergestellt werden und die israelischen Truppen
abziehen. Möglichst auch aus den Scheba-Farmen - ein Ziel, das die Hisbollah bislang
militärisch nicht erreichte. Was mit den Waffen der Schiiten-Miliz geschieht, ist für
die Hisbollah eine innere Angelegenheit des souveränen Libanons.
Die USA betrachten die Hisbollah wie die palästinensische Hamas als Gegner im Krieg
gegen den Terrorismus. Sie halten daran fest, den Nahen und Mittleren Osten zu
demokratisieren. Den Iran will man zwingen, weitgehend auf sein Atomprogramm zu
verzichten. Einen Einsatz von Gewalt schließt Washington nicht aus. Kann also gerade das
Nahostquartett aus UNO, EU, Russland und den USA überhaupt einen erfolgreichen
Friedensprozess anstoßen? Gibt es das Fenster der Gelegenheit für eine neue
Friedensinitiative überhaupt? - Theoretisch gibt es dieses Fenster dann, wenn die
USA ihre bisherige Haltung deutlich ändern oder aber die wesentlichen Forderungen
Washingtons von Hisbollah, Hamas, Syrien und Iran erfüllt werden. Ist das zu erwarten? -
Kaum. Aus Sicht der USA hat auch das Nahost-Quartett in erster Linie die Aufgabe, die
Entwaffnung der Hisbollah durchzusetzen. Schafft es das nicht, zeigt sich nur, dass
Multilateralismus und UNO nicht effizient sind. Ob im Sicherheitsrat oder im
Nahostquartett: Washington kann Vorschläge, die seinen Zielen nicht dienen, recht leicht
blockieren. Mehr noch, es kann die Lage im Nahen und Mittleren Osten auch jederzeit
eskalieren lassen - zum Beispiel durch ein militärisches Vorgehen gegen das
Nuklearprogramm des Irans mit all seinen unwägbaren Folgen. Die von EU-Staaten
angeführte UNIFIL-Truppe würde in einem solchen Fall zu einer Geisel der Eskalation.
Hat das Auswirkungen auf den Bundeswehreinsatz? Ja. Für eine solche Entwicklung hat
UNIFIL weder das Mandat noch die Mittel. Es wäre in einer ähnlich hilflosen Situation
wie die europäische UN-Mission in Bosnien Mitte der 90er Jahre. Deutschland entsendet
zwar derzeit keine regulären Bodentruppen, lediglich 100 Soldaten, um die libanesischen
Streitkräfte zu beraten und auszubilden - im ersten Jahr. Auf eine Seefahrt folgt in der
Regel jedoch ein Landgang. Wenn Italien wie angekündigt die Führung der
UNIFIL-Truppe 2007 abgibt, will es seine Truppen im Libanon deutlich reduzieren. Wer folgt
auf Italien? - Diese Frage wird Berlin gestellt. Denn eines ist ziemlich sicher: Im
kommenden Jahr weiß jeder, was Israel während seiner Seeblockade und europäische
Marinen derzeit feststellen: Auf See sind Hisbollah-Waffenschmug-gler selten anzutreffen
wenn es sie denn überhaupt gibt.

ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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