Streitkräfte und Strategien - NDR info
 17. Dezember 2016


Korvetten- und U-Boot-Aufträge
Rettungsprogramm für den deutschen Marineschiffbau?

von Otfried Nassauer


Die Bundeswehr soll in den nächsten Jahren fünf zusätzliche Korvetten des Typs K130 bekommen. Mehr als 1,5 Milliarden Euro hat der Haushaltsausschuss im  vergangenen Monat dafür zusätzlich bereit gestellt. Es sollen Nachbauten sein, damit das für einen Neubau erforderliche, zeitaufwändige Ausschreibungsverfahren vermieden werden kann.

Angestoßen haben das Vorhaben die norddeutschen Abgeordneten Johannes Kahrs, SPD, und Eckhardt Rehberg, CDU, beide Mitglieder des Haushaltausschusses. Ist dieser Vorstoß ein politischer Eingriff in die Rüstungsplanung des zuständigen Verteidigungsministeriums? Oder gar das Werk der berüchtigten sogenannten „Küstenmafia“? Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums wies das in der Bundespressekonferenz am 17. Oktober zurück:

O-Ton Nannt
„Wir kennen die Initiative und wir unterstützen sie. Die Initiative wurde mit uns in enger Abstimmung auf den Weg gebracht.“

Hinter der Initiative steckt wohl mehr als der Wunsch zweier Abgeordneter, heimische Arbeitsplätze zu sichern. Im Kern geht es um Industriepolitik und um die weitere Umstrukturierung der Werftindustrie in Deutschland und Europa. Neue Aufträge sollen die deutschen Werften stärken. 

Der ursprüngliche Plan, mit dem dieses Ziel erreicht werden sollte, hat sich verzögert. Die Beschaffung von vier großen Mehrzweckkampfschiffen des Typs MKS 180 ist europaweit ausgeschrieben worden und wird bis zur Bundestagswahl 2017 nicht mehr in einen Vertrag münden. Zudem sind die deutschen Werften dabei auf drei Anbieterkonsortien verteilt. Susanne Wiegand, die Geschäftsführerin der German Naval Yards in Kiel, hat diese Situation in einem Interview mit der Zeitung „Die Welt“ im September beklagt - Zitat:

Zitat
„Meiner Meinung nach war die Zerschlagung des deutschen Militärschiffbaus ein Riesenfehler. Durch die Entscheidung eines Unternehmens sind die beiden Bereiche Entwicklung und Schiffbau voneinander getrennt worden und in verschiedenen Unternehmen gelandet. (...) Für die Schiffsindustrie im Land bedeutete dies eine Schwächung. Ich halte einen starken Verbund für wesentlich besser geeignet, national und international erfolgreich zu sein.“

Das Unternehmen, das diesen „Riesenfehler“ beging, war der ThyssenKrupp-Konzern. Er hat seinen Überwasserschiffbau in Hamburg und Kiel-Gaarden vor einigen Jahren zu Geld gemacht, aber die Entwicklungsabteilung und die Rechte an den erfolgreichen MEKO-Schiffen von Blohm & Voss behalten. Seither kann ThyssenKrupp Marine Systems, kurz TKMS, zwar noch Marineschiffe konzipieren. Gebaut werden sie aber mit Hilfe von Unterauftragnehmern wie German Naval Yards in Kiel. Dort werden zum Beispiel die Fregatten für Algerien und vier Korvetten für Israel hergestellt. 

Die Folgen wurden sichtbar, als die Bundeswehr ihren Auftrag für das Mehrzweckkampfschiff 180 ausschrieb. TKMS bot zusammen mit der Lürssen-Werft an. Die ehemalige TKMS-Werft in Kiel-Gaarden, die German Naval Yards, reichte ihr Angebot gemeinsam mit dem britischen BAE-Konzern ein und der Schiffbau von Blohm & Voss holte sich als Partner für Design und Entwicklung Niederländer ins Boot. 

Bleibt es bei dieser Konstellation? Nicht unbedingt. Die Lürssen-Gruppe hat in diesem Jahr den Schiffbau von Blohm & Voss übernommen. Damit hat Lürssen jetzt bei zwei Angeboten die Finger im Spiel. Die Organisation eines fairen Wettbewerbs ist also schwieriger geworden. Die Entscheidungsfindung könnte sich weiter verzögern. 

Kann es sein, dass sich die Struktur der deutschen Marineindustrie bis zu einem Vertragsabschluss noch einmal ändert? Auch das ist möglich. Wieder liegt der Schlüssel anscheinend bei ThyssenKrupp. Bei TKMS wurde gerade ein Führungswechsel vollzogen und der Marinebereich soll sich neu aufstellen. Weitere Verkäufe sind nicht ausgeschlossen. Wenn der Preis stimmt, sei Thyssen-Krupp-Chef Hiesinger bereit, auch über einen Verkauf der Marinesparte nachzudenken, so ist zu hören.

Dem verschuldeten Großkonzern gehören derzeit noch zwei Bereiche der deutschen Marineindustrie. Das Entwicklungs- und Design-Büro für Überwasserkriegsschiffe in Hamburg und der U-Boot-Bereich in Kiel, der von der Konzeption bis zur Auslieferung alle Arbeiten durchführen kann.

Das U-Boot-Geschäft von TKMS hat in diesem Jahr eine schwere Niederlage erlitten. Der französische Konkurrent DCNS gewann eine Ausschreibung Australiens für 12 U-Boote. Bei TKMS in Kiel hatte dies zur Folge, dass die Design- und Entwicklungsabteilung für U-Boote nicht mehr voll ausgelastet werden kann. Hinzu kommt erschwerend: Im U-Boot-Bau entfallen die meisten Arbeitsstunden auf Entwicklung und Design, nicht auf den reinen Bootsbau.  

Der Bau von U-Booten ist in Kiel noch für einige Jahre ausgelastet. Aber für das nächste Jahrzehnt fehlen noch Aufträge. In Norwegen und Polen soll in absehbarer Zeit über den Kauf neuer U-Boote entschieden werden. Auch die Niederlande und die Deutsche Marine könnten weitere U-Boote kaufen. Aber vor neuen Aufträgen wird jetzt meist ein harter Wettbewerb mit den erstarkten Franzosen von DCNS stehen. Mehr noch: In Frankreich liebäugelt man aus der derzeitigen Position der Stärke heraus wieder mit der Idee eines europäischen Marinekonzerns mit französisch-deutschem Kern, also einem Airbus der Meere. Der deutschen Marineindustrie ist diese Perspektive dagegen ein Graus. In Frankreich habe der Staat zu viel Einfluss auf die Industrie. Die Kritik an den Pariser Verhältnissen verhindert auch in Deutschland nicht den hilfesuchenden Blick nach Berlin. Von Aufträgen, die aus dem Staatshaushalt finanziert oder unterstützt werden, erhoffen sich die deutschen Werften mehr Handlungsspielraum.

Aussichtslos ist das nicht. Denn Berlin fördert die Werften nicht nur mit Aufträgen der Deutschen Marine. Etabliert hat sich mittlerweile auch ein zweiter Weg, die Werften aus Steuergeldern zu unterstützen: Der Bau von Schiffen und U-Booten für die israelische Marine. 

Derzeit fördert die Bundesregierung den Bau eines U-Bootes für Israel mit 135 Mio. Euro und den Bau von vier Korvetten mit einem Betrag von 115 Mio. Euro. In Vorbereitung ist der Verkauf von drei weiteren U-Booten an Israel. Er soll  noch vor der Bundestagswahl zwischen beiden Staaten vereinbart werden. Israel möchte, dass Deutschland etwa ein Drittel der Kosten übernimmt, also 500 bis 600 Millionen Euro. Für die deutschen Werften bedeutet jedes dieser Geschäfte mit Israel einen Umsatz, der etwa dreimal so groß ist wie der deutsche Kostenbeitrag. Die Militärhilfe für Israel  trägt also inzwischen kontinuierlich zur Grundauslastung der deutschen Werften bei und subventioniert diese. Allerdings gibt es bei dem angestrebten U-Boot-Geschäft den Verdacht von Unregelmäßigkeiten in Israel. Regierungschef Netanjahu soll ein Geschäft durchgesetzt haben, bei dem Korruption eine Rolle gespielt haben könne, so der Vorwurf. Die Staatsanwaltschaft prüft die Vorwürfe. Der U-Boot-Deal könnte dadurch gefährdet werden.

Noch einmal zurück zu den neuen Korvetten. Am politischen Willen zur finanziellen Unterstützung der Marineindustrie bei der anstehenden Umstrukturierung der Industrie fehlt es offenbar nicht. Der Haushaltsausschuss hat das Geld für die Schiffe problemlos bereitgestellt. Der Obmann der Grünen im Haushaltausschuss, Tobias Lindner, warnt aber vor den Folgen einer überhasteten Korvetten-Beschaffung:

O-Ton-Lindner
„Ich kann mir das nur durch Zeitdruck erklären, dass man vor der Bundestagswahl Nägel mit Köpfen machen will. Was auf der  Strecke bleibt, ist der Wettbewerb und die Frage, ob man am Ende des Tages die beste Korvette zum besten Preis bekommen wird.“

Auch Rainer Arnold, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, zweifelt am Zeitplan und glaubt nicht, dass ein Vertragsabschluss noch vor der Bundestagswahl machbar und sinnvoll ist:

O-Ton Arnold
„Ich hab schon die Einschätzung, dass die Bundeswehr und die Beschaffer Zeit brauchen, um all unsere Fragen seriös beantworten zu können, das heißt: Vor der Bundestagswahl wird keine konkrete Beschlussfassung anstehen.“

Damit könnte er recht behalten. Und einen Vorteil hätte dies vermutlich auch. Die Auftragsvergabe könnte dann zu einem Zeitpunkt erfolgen, an dem klar oder klarer ist, wie der Marineschiffbau in Deutschland künftig strukturiert sein wird.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS