Streitkräfte und Strategien - NDR info
21. Mai 2016


Vom Traum zum Albtraum?
Das neue Transportflugzeug A400M in der Krise

von Otfried Nassauer


Die Beschaffung eines neuen Transportflugzeugs für die Bundeswehr steht unter keinem guten Stern. Als Ende 2014 der erste Airbus vom Typ A400M endlich in Wunsdorf bei Hannover landete, hatte die Maschine auch eine lange Mängelliste an Bord. Das Flugzeug entsprach nicht dem technischen Stand, den Airbus der Bundeswehr vertraglich zugesichert hatte. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sah sich gezwungen, auf die übliche Lobpreisung neuer Spitzentechnik der Bundeswehr zu verzichten. Sie sprach von Problemen:

O-Ton von der Leyen
„Dieser erste A400M ist jetzt zur Ausbildung da. Wir müssen aber noch viel Arbeit hinter uns bringen. Das wird harte Arbeit sein, um die Nachbesserungen, die noch nötig sind, zu erfüllen. Zum  Beispiel, dass der A400M auch in der Lage ist, Personal oder auch Fracht aus der Luft abzusetzen. Und ganz wichtig: Wir brauchen, einen geschützten A400M. Denn das Flugzeug ist dazu da, vor allem auch in Krisenregion dieser Welt, Hilfe zu bringen.“

Ein Flugzeug zur Ausbildung, nicht zum Einsatz. In der Tat: Der A400M konnte zwischen zwei Flugplätzen hin- und herfliegen, aber die meisten der Fähigkeiten, die ein militärisches Transportflugzeug ausmachen, hatte er noch nicht. Besserung gab es auch 2015 nicht. Geliefert wurden nur zwei der vertraglich zugesagten fünf Maschinen für die Bundeswehr. Auch sie entsprachen nicht dem zugesagten technischen Standard. Erneut gab es weitere Mängel. Und  heute, fast ein halbes Jahr später, steht das vierte  für die Luftwaffe bestimmte Flugzeug  in Spanien – seit Wochen läuft die  technische Abnahme. Inzwischen ist das A400M-Programm, für das erst 2011 ein neuer Zeitplan für die Auslieferung vereinbart worden ist, schon wieder rund zwei Jahre im Verzug.

In diesem Jahr wollte Airbus neun Maschinen an Deutschland übergeben. Auch das wird wohl nichts. Denn bei den bereits gelieferten Maschinen zeigen sich immer wieder gravierende neue Probleme. Das dringlichste ist derzeit ein Triebwerksproblem. In den Getrieben der riesigen Propellertriebwerke können sich schon nach etwa 200 Flugstunden Metallspäne von den Zahnrädern lösen. Gelangen  sie ins Getriebeöl, droht ein Triebwerksausfall. Die europäische Zulassungsbehörde EASA hat deshalb angeordnet, dass für jedes Triebwerk mit mehr als 200 Flugstunden alle 20 Flugstunden eine  gründliche  Inspektion notwendig ist. An einen geregelten Ausbildungs- und Flugbetrieb ist deshalb nicht zu denken.

Die Triebwerksprobleme fallen technisch in die Verantwortung von Avio, einem Unterauftragnehmer in Italien. Vertragsrechtlich sind sie aber ein Problem von Airbus, das für den Schaden, die Verzögerungen und die Ausfälle aufkommen muss. Gegenüber Bundeswehr und Verteidigungsausschuss tat der Konzern in der vergangenen Woche so, als wisse er inzwischen, wie man vorgehen kann.

Alle Triebwerke, die mehr als 200 Stunden genutzt wurden, sollen ausgewechselt werden, um die schadhaften Teile durch etwas besser haltbare auszutauschen. Man hofft, die europäische Zulassungsbehörde EASA werde danach nur noch alle 500 Flugstunden eine Inspektion fordern. Parallel soll nach einer langfristigen Lösung gesucht werden. Airbus bezeichnete dies zunächst als „Design Review“, also als Überarbeitung der Konstruktion des Getriebes und veranschlagte dafür 2-3 Jahre. Kurz darauf sprach der Konzern von einer Anpassentwicklung und nannte keinen Zeitbedarf mehr. Endgültig von der EASA gebilligt ist dieses Vorgehen offenbar noch nicht.

Am Freitag vor Pfingsten dann die nächste Hiobsbotschaft. Die Bundeswehr berichtete, Airbus habe bestätigt, dass sich im Mittelrumpfstück des A400M gefährliche Risse bilden können. Airbus wolle die betroffenen Teile bei künftigen Wartungsarbeiten austauschen. Was wenig dramatisch klang, ist äußerst gravierend: Die Teile, die ausgewechselt werden müssen, sind nämlich „tragende Teile“. Es geht um Spanten aus Metall im Mittelrumpf des Flugzeugs, an denen die Tragflächen befestigt sind. Sie müssen die riesigen Druck- und Zugkräfte aushalten, die die Flügel, an denen ja auch noch die schweren Triebwerke hängen, auf den Rumpf übertragen. 

Anscheinend kennt Airbus die Schwachstelle im Prinzip schon seit Jahren. Bereits 2008 berichtete ein Mitarbeiter auf einer Konferenz über die Suche nach einer geeigneten Abhilfe. Die zunächst gewählte Lösung hat sich jetzt als unzureichend erwiesen. Die Risse sind viel früher aufgetreten als erwartet. Airbus spricht von einem unerwarteten Materialverhalten. Betroffen sind nach den vorliegenden Informationen die ersten 72 Transportflugzeuge. Viele davon sind noch in der Produktion. Sollen sie trotz der erkannten Mängel noch fertiggestellt werden? Wenn nicht, hätte es deutliche Auswirkungen auf die Auslieferungsplanung für die  Maschinen.

Das gilt auch für die Reparatur. Jeder schadhafte Flieger muss dafür zunächst noch einmal bis auf sein Grundgerüst zerlegt und später wieder zusammengebaut werden. Sieben Monate sind dafür laut Airbus mindestens nötig - bei jedem einzelnen Flugzeug. Das bindet Personal und Fertigungskapazitäten, die gleichzeitig für den Bau und die Auslieferung neuer Flugzeuge benötigt werden. Es drohen also erneut massive Verzögerungen. Schließlich müssen zusätzlich  die  schadhaften Triebwerke ausgetauscht werden. Auch das wird zu Verzögerungen führen. Denn jedes Triebwerk, das als Ersatztriebwerk benötigt wird, steht nicht mehr für die Ausrüstung neuer Flugzeuge zur Verfügung.

Für den Verteidigungs- und Haushaltsexperten der Grünen im Bundestag, Tobias Lindner, befindet sich das Rüstungsprojekt in einer Krise:

O-Ton Lindner
„Also ich hab das Programm noch nie in einem so schweren Fahrwasser gesehen wie im Moment. Es ist völlig unklar, wie viele Maschinen Deutschland wann erhalten wird und vor allem, was die können.“

Feste Zusagen über geplante Auslieferungen kann Airbus derzeit nicht machen. Weder für die Triebwerksprobleme noch für die Risse im Rumpf des Transportflugzeuges gibt es bereits Lösungsvorschläge, die endgültig mit den Behörden abgestimmt sind. Tobias Lindner fordert deshalb zunächst eine verlässliche Klärung des Sachstands: 

O-Ton Lindner
„Natürlich muss der Hersteller Airbus die Karten auf den Tisch legen, jetzt endlich mal umfassend darstellen, wie groß die Probleme sind. Andererseits erwarte ich dann auch vom Verteidigungsministerium, dass man diese Informationen aufnimmt und den Abgeordneten deutlich sagt: Wo entstehen Fähigkeitslücken und welche dieser Fähigkeitslücken müssen jetzt prioritär gefüllt oder gestopft werden.“   

Wenn Airbus nicht rechtzeitig liefern kann, droht der Bundeswehr tatsächlich eine Fähigkeitslücke beim Lufttransport. Die zulässige Nutzungsdauer der fast 50 Jahre alten Transall-Maschinen ist zwar noch einmal verlängert worden. Bis 2021 dürfen sie jetzt noch fliegen. Danach aber ist endgültig Schluss.

Airbus sollte bis 2020 eigentlich alle für die Luftwaffe bestimmten A400M-Transporter  ausliefern und bis dahin auch noch fehlende Fähigkeiten wie den Abwurf schwerer Lasten und ein Selbstschutzsystem nachrüsten. Ob das jetzt überhaupt noch möglich sein wird, steht derzeit in den Sternen. Außerdem muss sich die  Bundeswehr fragen,  ob sie schadhafte Flugzeuge übernehmen und  bezahlen will.

Was also, wenn die Transall 2021 außer Dienst gestellt werden muss, ohne dass Airbus bis dahin die 40 von der Luftwaffe geplanten voll einsatzbereiten Transportflugzeuge ausgeliefert hat? Inzwischen gibt es offenbar erste Überlegungen für einen Plan B. Von einer Übergangslösung ist in Berlin die Rede, von einem anderen Transportflugzeug. Zum Beispiel davon, zunächst  kleinere amerikanische Transportmaschinen vom Typ Hercules C-130J zu kaufen oder zu mieten.  

Auch jede andere Lösung ruft Fragen hervor: Welche Lücke muss dann vorrangig geschlossen werden?  Der Langstreckentransport in die Einsatzländer oder die Fähigkeit zum Lufttransport in Räume, in denen es auch Kampfhandlungen geben kann? Welche Verpflichtungen hat die Bundeswehr in der NATO und welche kann sie zur Stärkung der Ostflanke im Bündnis neu eingehen? Wie viele und welche Flugzeuge braucht sie dafür? Wann muss man sich um Personal und Infrastruktur für ein anderes Flugzeug kümmern? Und was wird das kosten?    

Fragen über Fragen. Im Berlin wächst die Nervosität, weil die Zeit knapp wird, sich rechtzeitig um eine alternative Lösung zu kümmern. Bis 2021 ist nicht mehr viel Zeit. Der Traum von einem großen europäischen Militärtransporter entwickelt sich gerade zu einem großen Albtraum.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS