Haben Sie schon einmal von der Irakischen Koalition für Nationale
Einheit (Iraqi Coalition for National Unity, ICNU) gehört?
Nein? Trösten Sie sich, auch für Kenner der Region war
diese Organisation bis vor wenigen Tagen ein ziemlich unbeschriebenes
Blatt. Im Irak kannte sie
überhaupt niemand. Nun aber schafft sie sich dort binnen weniger
Tage ihren ganz eigenen Ruf. Die Kenntnis darüber verdanken
wir der Financial Times.
Die ICNU ist eine irakische Oppositions-Miliz. Vergangene Woche
tauchte sie erstmals in Nadschaf auf, jener mehrheitlich schiitischen
Stadt auf dem Wege vom Südirak nach Bagdad, um die es so heftige,
von den Medien beachtete Kämpfe gab. Die Milizionäre kamen
mit
Fahrzeugen amerikanischer Special Forces. Sie sind die ersten (para)militärischen
exil-irakischen Kräfte, die im Tross der US-Armee im Irak tätig
werden. Kaum in ihrem Einsatzgebiet haben sie bereits soviel Ärger
verursacht, dass selbst andere von der CIA und den Special Forces
mitgebrachte Exil-Iraker zugeben müssen, die Miliz sei außer
Kontrolle geraten. Der Vorwurf an die Milizionäre: Massive
Plünderungen, Diebstähle und das Terrorisieren der Zivilbevölkerung.
Der Chef der Milizionäre - ein ehemaliger Artillerie-Oberst
der irakischen Armee - hat sich zum Interimsbürgermeister der
Stadt erklärt, obwohl für die meisten Menschen in Nadschaf
Großajatollah Alis Sistani die einzig anerkannte Autorität
ist. Die Milizionäre argumentieren, dass sie lediglich versuchen,
Kollaborateure des Saddam-Regimes zu verhaften: Die Vorwürfe
gegen sie seien von religiösen Extremisten fabriziert.
Dieses Miniaturbild aus Nadschaf könnte sehr wohl ein Vorbote
für die Art der Probleme sein, die sich ergeben werden, wenn
die US-Truppen versuchen, neue zivile Regierungsstrukturen aufzubauen,
in denen Exil-Iraker entscheidende oder entscheidend beratende Rollen
spielen. Die
irakischen Oppositionsgruppen im Exil, die Washingtons neokonservative
Republikaner über Jahre gehegt und gepflegt haben, sind allesamt
innerhalb des Iraks unbekannte Größen. Viele ihrer Mitglieder
sind emigriert bevor die Baath-Partei an die Macht kam, andere haben
den Irak über die Jahrzehnte verlassen, nachdem sie sich mit
Saddam und seiner politischen Linie überworfen haben. Zudem
haben viele wichtige Personen aus den Kreisen des Irakischen
Nationalkongresses in der arabischen Welt einen mehr als zweifelhaften
Ruf. Erweisen sich die Milizen aus Sicht der im Irak lebenden Iraker
als organisierte bewaffnete Kriminelle, so herrscht im Blick auf
die neuen exilirakischen Herrscher die Befürchtung, es könne
sich um mit westlichen beziehungsweise vornehmlich amerikanischen
Industrieinteressen verbandelte, organisierte Großkriminelle
handeln, deren Ziel ebenso die Selbstbereicherung sein scheine.
Auch das ist eine wichtige Facette der Diskussion über die
künftige Verteilung der Entscheidungsgewalt, der realen Macht
und der Kontrolle über die Ressourcen des Iraks.
|