Noch ist der Krieg im Irak nicht vorüber, aber
"Inside the Beltway" - im politischen Washington also - ist der
Kampf um die politische Interpretationshoheit des Kriegsergebnisses
bereits ausgebrochen.
Neokonservative Republikaner argumentieren, dieser Krieg werde allen
staatlichen wie nichtstaatlichen Schurken eine Lehre sein. Wer sich
an die Regeln, die Washington vorgebe, nicht halte, der wisse nun,
daß er sich vor einer militärischen Intervention nicht
sicher wähnen könne. Das könne künftig so manche
Intervention unnötig machen. Richard Haass, der Planungschef
des US-Außenministeriums und sicher kein neokonservativer,
bezeichnete dies vor ziemlich genau einem Jahr einmal als die sich
entwickelnde Doktrin - von den Grenzen der Souveränität
- und lieferte gleich eine erste Liste von Regeln mit: Verzicht
auf Massenvernichtungswaffen und die Unterstützung von Terrorismus,
Bejahung von Demokratie, Marktwirtschaft und Menschenrechten.
Andere halten dagegen: Wenn rund um diesen Globus Lehren aus dem
Vorgehen Washingtons gezogen würden, dann sei nunmehr noch
wahrscheinlicher, dass die "indische Lehre" gezogen werde. Die "indische
Lehre"? Vor mehr als 10 Jahren, der zweite Golfkrieg war gerade
vorüber, war von indischen Politikern und Militärs immer
wieder ein Argument zu hören: Hätte der Irak die Atomwaffe
besessen, so hätte Washington Bagdad nicht angegriffen. Unausgesprochen
bliebt die Konsequenz: Jeder, der vor einer Intervention Washingtons
sicher sein wolle, müsse sich rechtzeitig Nuklearwaffen zulegen.
Wenige Jahre später machten Indien und Pakistan ihren Nuklearwaffenbesitz
öffentlich.
Nordkorea scheint ebenfalls die "indische Lehre" gezogen zu haben.
Nordkorea wirkt dieser Tage fast wie ein Beleg für die Richtigkeit
dieser Lehre - zumindest wie ein Beleg für die wahrscheinlichen
Inkonsistenzen in der sich entwickelnden Doktrin "von den Grenzen
der Souveränität". Noch jedenfalls, denn es könnte
ja auch sein, dass George W. Bushs Neokonservative Nordkorea als
nächstes Ziel für ein militärisches Vorgehen auserküren.
Doch bevor es soweit kommt, käme es wohl auch zu einer Spaltung
in den neokonservativen Kreisen: Deren überwiegende Mehrheit
will die Machtbalance am Golf und im Nahen Osten verändern,
interessiert sich für Israel, das Öl oder geopolitische
Gewichtsverschiebungen. Moralische oder argumentative Konsistenz
sind nachgerade zu vernachlässigende Nebenkriegsschauplätze.
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