Interpretationshoheit
Geschrieben am 06.04.2003 um 21.15 Uhr / von Otfried Nassauer


Noch ist der Krieg im Irak nicht vorüber, aber "Inside the Beltway" - im politischen Washington also - ist der Kampf um die politische Interpretationshoheit des Kriegsergebnisses bereits ausgebrochen.

Neokonservative Republikaner argumentieren, dieser Krieg werde allen staatlichen wie nichtstaatlichen Schurken eine Lehre sein. Wer sich an die Regeln, die Washington vorgebe, nicht halte, der wisse nun, daß er sich vor einer militärischen Intervention nicht sicher wähnen könne. Das könne künftig so manche Intervention unnötig machen. Richard Haass, der Planungschef des US-Außenministeriums und sicher kein neokonservativer, bezeichnete dies vor ziemlich genau einem Jahr einmal als die sich entwickelnde Doktrin - von den Grenzen der Souveränität - und lieferte gleich eine erste Liste von Regeln mit: Verzicht auf Massenvernichtungswaffen und die Unterstützung von Terrorismus, Bejahung von Demokratie, Marktwirtschaft und Menschenrechten.

Andere halten dagegen: Wenn rund um diesen Globus Lehren aus dem Vorgehen Washingtons gezogen würden, dann sei nunmehr noch wahrscheinlicher, dass die "indische Lehre" gezogen werde. Die "indische Lehre"? Vor mehr als 10 Jahren, der zweite Golfkrieg war gerade vorüber, war von indischen Politikern und Militärs immer wieder ein Argument zu hören: Hätte der Irak die Atomwaffe besessen, so hätte Washington Bagdad nicht angegriffen. Unausgesprochen bliebt die Konsequenz: Jeder, der vor einer Intervention Washingtons sicher sein wolle, müsse sich rechtzeitig Nuklearwaffen zulegen. Wenige Jahre später machten Indien und Pakistan ihren Nuklearwaffenbesitz öffentlich.

Nordkorea scheint ebenfalls die "indische Lehre" gezogen zu haben. Nordkorea wirkt dieser Tage fast wie ein Beleg für die Richtigkeit dieser Lehre - zumindest wie ein Beleg für die wahrscheinlichen Inkonsistenzen in der sich entwickelnden Doktrin "von den Grenzen der Souveränität". Noch jedenfalls, denn es könnte ja auch sein, dass George W. Bushs Neokonservative Nordkorea als nächstes Ziel für ein militärisches Vorgehen auserküren. Doch bevor es soweit kommt, käme es wohl auch zu einer Spaltung in den neokonservativen Kreisen: Deren überwiegende Mehrheit will die Machtbalance am Golf und im Nahen Osten verändern, interessiert sich für Israel, das Öl oder geopolitische Gewichtsverschiebungen. Moralische oder argumentative Konsistenz sind nachgerade zu vernachlässigende Nebenkriegsschauplätze.

 

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