Eine gespenstische Debatte
Geschrieben am 04.04.2003 um 22.55 Uhr / von Otfried Nassauer


Colin Powell, der amerikanische Außenminister hat mit seinen Kollegen aus EU und NATO über deren mögliche Beteiligung am Wiederaufbau des Iraks nach dem Krieg konferiert - der Versuch eines Brückenschlages zu den Gegnern des Angriffs, so viele Kommentatoren.
 
Powells Gespräche dienten aber auch einem anderen Zweck. Der US-Außenminister ist auch zuhause in eine hitzige Debatte über die Zukunft des Iraks verwickelt. Im Verteidigungsministerium wird mindestens genauso intensiv für den Irak nach Saddam geplant wie von Powells Diplomaten. Die Vorstellungen der Ministerien wie diese Zukunft gestaltet werden soll, gehen weit auseinander. Powells Außenministerium möchte Transformation und Wiederaufbau des Iraks so schnell wie mglich in die Hände der internationalen Gemeinschaft und irakischer Oppositioneller legen, will UNO, NATO- und EU-Staaten bald beteiligen und damit auch die Politik Washingtons wieder mit einem höheren Maß an internationaler Legitimation ausstatten.

Ganz anders sehen das vor allem einige zivile Planer im Pentagon, die die Politik der republikanischen Neokonservativen implementieren wollen. Sie sehen den Irak vor einer länger andauernden Phase militärischer Besatzung und Kontrolle durch die USA. Sie wollen in dieser Zeit die Grundlinien der künftigen irakischen Politik festlegen und die Basis für eine neue regionale Ordnung im Nahen und Mittleren Osten legen. Dazu gehört u.a. eine Privatisierung des irakischen Öls, der Aufbau amerikanisch angebundener und mit US-Waffen ausgestatteter irakischer Streitkräfte sowie eine Neuausrichtung des Iraks, die es zuläßt, das Washington auf Jahre von irakischem Territorium militärisch vorgehen kann.
 
James R. Woolsey ist einer jener Amerikaner, die aus Sicht der neokonservativen Republikaner eine zentrale Rolle bei der Neuausrichtung des Iraks spielen sollen. Woolsey, ein ehemaliger CIA-Direktor und Mitstreiter im Project for a New American Century, gab kürzlich vor Studenten der Universität von Kalifornien einen kleinen Einblick in seine Weltsicht: Er sieht Washingtons Kampf gegen den Terrorismus und gegen den Irak Saddams als Teile eines Vierten Weltkrieges, der noch viele Jahre dauern könnte, hoffentlich aber nicht wie der Dritte, der Kalte Krieg, mehr als vier Jahrzehnte dauern werde. In diesem neuen Weltkrieg gelte es auch gegen faschistische Systeme wie Irak und Syrien sowie gegen religiöse Regierungen wie den Iran vorzugehen. "In dem Maße, in dem wir uns über die Jahre - oder wie ich denke die kommenden Jahrzehnte - auf einen neuen Mittleren Osten zubewegen (...) werden wir eine Menge Leute sehr nervös machen", so Woolsey. Mit Blick auf andere Regierende wie den ägyptischen Präsidenten Mubarak oder die königliche Familie in Saudi-Arabien, sagte Woolsey: "Wir wollen, dass sie
sehr nervös werden."
 
Colin S. Powell mag ahnen, dass seine innenpolitischen Gegner weder die Absicht haben, sich an die Azoren-Abmachungen George W. Bushs mit Tony Blair über die Zukunft des Iraks zu halten, noch weitere Interventions-Kriege im Nahen und Mittleren Osten ausschließen wollen. Sie werden den relativ schnellen Erfolg gegen Saddam, den Verzicht auf ein so überflssiges wie ungeliebtes UN-Mandat und die alleinige Ausrichtung amerikanischer Politik an nationalen Interessen als Erfolg, nicht aber als problematisch bewerten und diese Entwicklungen als Ermutigung auffassen, die Neugestaltung des Nahen Ostens weiter unilateral und ohne Rcksicht auf Auffassungen anderer Staaten zu betreiben. Für sie sind die Drohungen gegen Syrien und den Iran kein Zufall oder Ausrutscher, sondern planmäßige Vorbereitung künftiger, nächster Schritte.
 
Gegen diese Vorstellungen sucht Powell internationale Unterstützung - für die kommende, harte innenpolitisiche Auseinandersetzung in den USA.

Ausserdem: Eine kurze Anmerkung zur militärischen Lage

Bagdad ist seit mehr als 24 Stunden ohne Strom. Unklar ist, ob das Regime oder Bombardements der USA dafür verantwortlich sind. Washington bestreitet, die Energieversorgung lahmgelegt zu haben, allerdings könnte dies auch Desinformation sein und dem Schutz einer eigenen Operation dienen, denn: Während des Kosovo-Krieges nutzten die US-Streitkrfte eine bislang geheime Submunitionswaffe mit der Bezeichnung BLU-114B, um die Elektrizitätsversorgung in Serbien auszuschalten. Streubomben, die Submunitionen mit elektrizitätsleitende Fäden statt Sprengstoff enthielten, wurden eingesetzt, um die Energieversorgung effizient lahmzulegen. Das könnte auch in der vergangenen Nacht geschehen sein, eine praktisch mondlose Nacht und damit ein militärhistorisch üblicher Zeitpunkt, um Spezialkräfte hinter den feindlichen Linien zum Einsatz zu bringen. Erinnert sei an vor dem Krieg kursierende Szenarien, es könnte Taktik der US- Streitkrfte sein, Saddam mit einer Operation ähnlich eines Putsches von Innen zu stürzen.

Weiterhin gilt: Die veröffentlichten Informationen über das Kriegsgeschehen sind selektiv und können nur als Teil der Kriegführung interpretiert werden das gilt für beide Seiten, wie die irakische Behauptung zeigt, da die US-Truppen am Bagdader Flughafen umzingelt seien und außer der Aufgabe keine Chance aufs Überleben mehr hätten.

 

Neuigkeiten

Daten&Archive

Bits bei der Arbeit

Kalender

Publikationen

Projekte

Netzwerke

Links