Colin Powell, der amerikanische Außenminister hat mit seinen
Kollegen aus EU und NATO über deren mögliche Beteiligung
am Wiederaufbau des Iraks nach dem Krieg konferiert - der Versuch
eines Brückenschlages zu den Gegnern des Angriffs, so viele
Kommentatoren.
Powells Gespräche dienten aber auch einem anderen Zweck. Der
US-Außenminister ist auch zuhause in eine hitzige Debatte
über die Zukunft des Iraks verwickelt. Im Verteidigungsministerium
wird mindestens genauso intensiv für den Irak nach Saddam geplant
wie von Powells Diplomaten. Die Vorstellungen der Ministerien wie
diese Zukunft gestaltet werden soll, gehen weit auseinander. Powells
Außenministerium möchte Transformation und Wiederaufbau
des Iraks so schnell wie mglich in die Hände der internationalen
Gemeinschaft und irakischer Oppositioneller legen, will UNO, NATO-
und EU-Staaten bald beteiligen und damit auch die Politik Washingtons
wieder mit einem höheren Maß an internationaler Legitimation
ausstatten.
Ganz anders sehen das vor allem einige zivile Planer im Pentagon,
die die Politik der republikanischen Neokonservativen implementieren
wollen. Sie sehen den Irak vor einer länger andauernden Phase
militärischer Besatzung und Kontrolle durch die USA. Sie wollen
in dieser Zeit die Grundlinien der künftigen irakischen Politik
festlegen und die Basis für eine neue regionale Ordnung im
Nahen und Mittleren Osten legen. Dazu gehört u.a. eine Privatisierung
des irakischen Öls, der Aufbau amerikanisch angebundener und
mit US-Waffen ausgestatteter irakischer Streitkräfte sowie
eine Neuausrichtung des Iraks, die es zuläßt, das Washington
auf Jahre von irakischem Territorium militärisch vorgehen kann.
James R. Woolsey ist einer jener Amerikaner, die aus Sicht der neokonservativen
Republikaner eine zentrale Rolle bei der Neuausrichtung des Iraks
spielen sollen. Woolsey, ein ehemaliger CIA-Direktor und Mitstreiter
im Project for a New American Century, gab kürzlich vor Studenten
der Universität von Kalifornien einen kleinen Einblick in seine
Weltsicht: Er sieht Washingtons Kampf gegen den Terrorismus und
gegen den Irak Saddams als Teile eines Vierten Weltkrieges, der
noch viele Jahre dauern könnte, hoffentlich aber nicht wie
der Dritte, der Kalte Krieg, mehr als vier Jahrzehnte dauern werde.
In diesem neuen Weltkrieg gelte es auch gegen faschistische Systeme
wie Irak und Syrien sowie gegen religiöse Regierungen wie den
Iran vorzugehen. "In dem Maße, in dem wir uns über die
Jahre - oder wie ich denke die kommenden Jahrzehnte - auf einen
neuen Mittleren Osten zubewegen (...) werden wir eine Menge Leute
sehr nervös machen", so Woolsey. Mit Blick auf andere Regierende
wie den ägyptischen Präsidenten Mubarak oder die königliche
Familie in Saudi-Arabien, sagte Woolsey: "Wir wollen, dass sie
sehr nervös werden."
Colin S. Powell mag ahnen, dass seine innenpolitischen Gegner weder
die Absicht haben, sich an die Azoren-Abmachungen George W. Bushs
mit Tony Blair über die Zukunft des Iraks zu halten, noch weitere
Interventions-Kriege im Nahen und Mittleren Osten ausschließen
wollen. Sie werden den relativ schnellen Erfolg gegen Saddam, den
Verzicht auf ein so überflssiges wie ungeliebtes UN-Mandat
und die alleinige Ausrichtung amerikanischer Politik an nationalen
Interessen als Erfolg, nicht aber als problematisch bewerten und
diese Entwicklungen als Ermutigung auffassen, die Neugestaltung
des Nahen Ostens weiter unilateral und ohne Rcksicht auf Auffassungen
anderer Staaten zu betreiben. Für sie sind die Drohungen gegen
Syrien und den Iran kein Zufall oder Ausrutscher, sondern planmäßige
Vorbereitung künftiger, nächster Schritte.
Gegen diese Vorstellungen sucht Powell internationale Unterstützung
- für die kommende, harte innenpolitisiche Auseinandersetzung
in den USA.
Ausserdem: Eine kurze Anmerkung zur militärischen
Lage
Bagdad ist seit mehr als 24 Stunden ohne Strom. Unklar ist, ob das
Regime oder Bombardements der USA dafür verantwortlich sind.
Washington bestreitet, die Energieversorgung lahmgelegt zu haben,
allerdings könnte dies auch Desinformation sein und dem Schutz
einer eigenen Operation dienen, denn: Während des Kosovo-Krieges
nutzten die US-Streitkrfte eine bislang geheime Submunitionswaffe
mit der Bezeichnung BLU-114B, um die Elektrizitätsversorgung
in Serbien auszuschalten. Streubomben, die Submunitionen mit elektrizitätsleitende
Fäden statt Sprengstoff enthielten, wurden eingesetzt, um die
Energieversorgung effizient lahmzulegen. Das könnte auch in der
vergangenen Nacht geschehen sein, eine praktisch mondlose Nacht und
damit ein militärhistorisch üblicher Zeitpunkt, um Spezialkräfte
hinter den feindlichen Linien zum Einsatz zu bringen. Erinnert sei
an vor dem Krieg kursierende Szenarien, es könnte Taktik der
US- Streitkrfte sein, Saddam mit einer Operation ähnlich eines
Putsches von Innen zu stürzen.
Weiterhin gilt: Die veröffentlichten Informationen über
das Kriegsgeschehen sind selektiv und können nur als Teil der
Kriegführung interpretiert werden das gilt für beide Seiten,
wie die irakische Behauptung zeigt, da die US-Truppen am Bagdader
Flughafen umzingelt seien und außer der Aufgabe keine Chance
aufs Überleben mehr hätten.
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