11. Februar 2003
tagesanzeiger.ch, Interview


«Die USA sehen die Nato als Instrument»

 Peter Fürst sprach mit Otfried Nassauer  


Die US-Regierung von George W. Bush hat einen Konsens des Multilateralismus verlassen, der in der Nato über 50 Jahre lang gegolten hat.


Wie gross ist der Graben, der sich innerhalb der Nato in diesen Tagen auftut?

Das Veto, das Frankreich, Belgien und Deutschland ausgesprochen haben, ist kein Veto, das sich gegen die Türkei richtet. Es ist vielmehr ein Veto, das sich dagegen richtet, dass die USA der Nato vorschreiben, was die Türkei im Falle eines Irak-Krieges benötigt und wann. Es ist Ausdruck eines transatlantischen Spannungsverhältnisses und nicht Ausdruck mangelnder Bereitschaft, die Türkei zu unterstützen, wenn sie bedroht würde. Die drei Veto-Staaten signalisieren damit, dass sie zwar bereit sind, die USA als Führungsmacht in der Nato zu sehen, aber dass dies nicht bedeuten kann, dass Washington allein entscheidet, was wann in der Nato passiert.

Wird die Nato somit zu einem Auslaufmodell?

Nein, das glaube ich nun wirklich nicht. Die Nato hat schon andere Krisen überstanden. Es ist aber ein Aufbäumen gegen die in der Administration Bush vorhandene Vorstellung, dass die Nato zunehmend zu einem Instrument amerikanischer geopolitischer und aussenpolitischer Vorstellungen wird. Die Nato, so die Meinung der Veto-Staaten, behält nur dann ihre Bedeutung, wenn die Mitgliedsländer von den USA bei Entscheidungen über Krieg und Frieden nicht nur konsultiert werden, sondern diese auch mitbeeinflussen können.

Deutschland fällt in diesem Zusammenhang eine Sonderrolle zu. Warum?

Bei der deutschen Rolle muss man zweierlei unterscheiden. Einerseits die Grundfragestellung und dann jene im Zusammenhang mit dem Irak. Das wiedervereinigte Deutschland ist weiter geprägt von den Lehren des verlorenen Zweiten Weltkrieges, zu denen gehört, dass Deutschland in seiner Verfassung ein Verbot für die Vorbereitung eines Angriffskrieges niedergeschrieben hat. Zudem wurde Deutschland während des ganzen Kalten Krieges dazu gedrängt, sich auf Europa zu konzentrieren und hier sicherheitspolitisch aktiv zu werden und nicht geopolitisch. Und dann hat Deutschland auch noch gelernt, dass legitime nationale Interessenvertretung im multilateralen Rahmen stattzufinden hat. Also etwa in der EU, der Nato und der Uno. Im Irak-Konflikt werden alle diese Grundpräjudizien deutscher Aussen- und Sicherheitspolitik durch die USA in Frage gestellt.

Inwiefern?

Washington ist bereit, ohne Uno-Mandat zu operieren, und geht damit das Risiko eines nicht legitimierten Angriffskrieges ein. Washington setzt auf das Prinzip des Multilateralismus nur noch à la carte. Und Washington will, dass die Nato geopolitisch aktiv wird - natürlich nur dann, wenn die USA das wünschen.

Ist hinter dem Veto eine Abnabelung des «alten Europa» von den USA zu sehen?

Man kann es so interpretieren. Man kann aber auch umgekehrt sagen, dass Washington den Konsens des Multilateralismus verlässt, der in der Nato über 50 Jahre gegolten hat. Die USA entwickeln eine Politik, in der die Nato als Instrument für die Umsetzung amerikanischer Politik betrachtet wird. Eine Politik, in der Europa vor allem das ungeliebte «nation building» nach von den USA geführten Kriegen übernehmen sollte, wird in Europa nicht durchzusetzen sein. Washington wird akzeptieren müssen, dass Europa einen Mitentscheidungsanspruch erhebt und dass es Bündnispartner braucht, um Weltordnung gestalten zu können.