Die vier Jahre Bush-Regierung sind durch eine Politik der Deregulierung der
internationalen Beziehungen gekennzeichnet.
Interview mit Otfried Nassauer
Rundfunk: Herr Nassauer, bald haben wir vier Jahre Bush-Regierung hinter uns.
Der Wahlkampf in den USA ist fast zu Ende, und in einigen US-Bundesstaaten wurde bereits
gewählt. Wenn Sie nun auf diese vier Jahre zurückblicken, was fällt Ihnen am ehesten
auf?
Nassauer: Am wichtigsten sind die Veränderungen, die Herr Bush und aber auch die
internationalen Ereignisse in die internationale Politik in diesen vier Jahren und die
damit verbundenen Auswirkungen hineingebracht haben. Ich denke an Anschläge vom 11.
September, ich denke an die Militärschläge gegen Afghanistan, ich denke auch an die
Intervention in Irak, und ich denke an die Politik, die Bush-Administration zur
Schwächung der Funktionsweise internationaler Organisationen beziehungsweise des
internationalen Rechts vorgenommen hat, Beispielweise das Kyoto-Protokoll, oder der
Ausstieg aus bestimmten Rüstungskontrollverträgen wie aus dem ABM-Vertrag, der den USA
und Russland den Besitz von Raketenabwehrsystemen untersagte.
Rundfunk: Fangen wir beim 11. September an. Das ist zweifelsohne das wichtigste
Ereignis in der Amtszeit von Präsident Bush. Wirkt dies Ihrer Meinung nach immer noch
nach?
Nassauer: Der 11. September wirkt in gravierender Weise nach, weil die
Bush-Administration ihn als Rechtfertigung für eine weltweite Bekämpfung des
internationalen Terrorismus missbraucht, und weil die Bush-Administration darin eine
Aufgabe sieht, die Jahre oder vielleicht auch Jahrzehnte dauern kann. Einige Vertreter der
Administration, oder bestimmte neokonservative Kreise argumentieren sogar, dass es sich
dabei um den vierten Weltkrieg handelt.
Rundfunk: Herr Nassauer, Sie haben einige wichtige Punkte genannt. Was haben
diese von Ihnen eben erwähnten Punkte für Auswirkungen auf die internationale Politik?
Nassauer: Ich bezeichne diese Politik häufiger als eine Politik der Deregulierung
der internationalen Beziehungen. Deregulierung der internationalen Beziehungen heißt auf
der einen Seite, dass das Recht des militärisch Stärkeren durch eine Entrechtlichung der
internationalen Beziehungen gestärkt wird. Deregulierung der internationalen Beziehungen
bedeutet auch, dass internationale Organisationen, wie die Vereinten Nationen, nicht immer
herangezogen werden, wenn über Krieg und Frieden entschieden werden, sondern solche
Entscheidungen dann auch national fallen können, dass Bündnisse wie die Nato in ihrer
Bedeutung reduziert werden, weil sie zu Konsultationsgremien, aber auch
Kooperationsgremien der Koalition der Willigen werden. Nur drei Beispiel dafür, was ich
unter dem Stichwort der Deregulierung der internationalen Beziehungen zusammenfassen
würde, die durch die Bush-Administration vorgenommen worden sind.
Rundfunk: Afghanistan und Irak wurden mit Krieg überzogen. Auch Iran, Syrien
und Nordkorea werden ständig mit Krieg gedroht. Wird sich die US-Politik unter einem
demokratischen Präsidenten ändern?
Nassauer: Herr Kerry wird auf jeden Fall mit den Ergebnissen der Politik der
Bush-Regierung leben müssen, wenn er Präsident der Vereinigten Staaten wird. Das
bedeutet, er kann aus diesen von Herrn Bush entschiedenen Militäreinsätzen nicht einfach
aussteigen. Deswegen muss er sie weiterführen. Er muss sie allerdings und das
würde ich vermuten auf eine breitere internationale Unterstützungsbasis stellen.
Das heißt, er wird auch die ehemaligen Kriegsgegner, wie Deutschland und Frankreich,
versuchen, in seine Politik einzubinden, und damit eine größere Legitimation für die
Bemühungen um den Wiederaufbau in diesen Ländern hinzubekommen. In Afghanistan ist diese
internationale Unterstützung relativ groß. Aber in Irak ist sie vergleichsweise relativ
klein, weil es viele Staaten gab, die diesen Angriff auf den Irak für falsch gehalten
haben.
Rundfunk: Einen Punkt haben Sie in ihren Ausführungen nicht erwähnt, und das
ist der palästinensich-israelische Konflikt. Traditionell arbeiten die US-Demokraten mit
den Israelis besser zusammen als mit den Republikanern. Aber diesmal war das nicht so. Das
heißt, Bush und Scharon haben sehr gut zusammengearbeitet. Wie erklären Sie diese gute
Zusammenarbeit zwischen Bush und Scharon?
Nassauer: In der Bush-Administration sind zum ersten Mal unter einem
republikanischen Präsidenten übrigens in ähnlicher Weise wie unter Ronald Reagan
- in vielen Funktionen so genannte Neokonservative , die von ihren politischen
Grundpositionen her in den meisten Fällen Israel sehr positiv gegenüberstehen. Deswegen
konnte Herr Scharon in den vergangenen vier Jahren eine Politik machen, bei der er relativ
sicher war, dass sie, egal was er macht, die Unterstützung Washingtons hatte. Scharon ist
auch genau mit dieser Argumentation immer wieder dazu übergegangen, zu sagen, ein
iranisches Nuklearwaffenprogramm würde auf gar keinen fall toleriert, sondern von Israel
möglicherweise sogar präventiv ausgeschaltet. Diese Argumentation kommt eher aus Israel
als aus Amerika, jedenfalls wenn man sich Zeitabläufe anguckt. Insofern hat Herr Scharon
einen Handlungsspielraum gehabt, wie kein Regierungschef Israels vor ihm. Und das hat
damit zu tun, dass die Administration von Georg W. Bush ihn sehr deutlich unterstützt
hat, und viele in der Administration der Auffassung waren bzw. auch noch sind, dass eine
Demokratisierung der islamischen Welt möglicherweise Voraussetzung für einen Frieden im
Nahen und Mittleren Osten sein werde.
Rundfunk: Herr Nassauer, der amerikanische Wissenschaftler, Noam Chomsky, sagte
in einem Interview mit Deutschlandfunk, dass bei Wiederwahl Bushs die Gefahr einer
nuklearen Katastrophe durchaus besteht. Teilen Sie diese Ansicht?
Nassauer: Ich denke, Chomsky ist vielleicht ein bisschen über das Ziel
hinausgegangen. Ich teile eher die Auffassung eines anderen amerikanischen Kollegen, der
dazu gesagt hat, dass eine Wiederwahl Bushs als Legitimation für weitere militärische
Interventionen seitens der USA interpretiert werden würde. Allerdings denke ich auch,
dass wir beim wiedergewählten Präsidenten Bush sehen werden, dass er möglicherweise in
der Zukunft eine etwas andere Politik machen muss, nicht zuletzt auch aus ökonomischen
Zwängen.
Rundfunk: Der deutschen Presse war in den vergangenen Tagen zu entnehmen, dass
die Mehrheit der deutschen Bevölkerung einen Sieg Kerrys begrüßen würde. Weshalb?
Nassauer: Ich denke, dass viele Deutsche durch die unilaterale Politik von Bush in
den letzten Jahren sehr verschreckt gewesen sind, einschließlich durch die Tatsache, dass
sie Kriege, die Bush geführt hat, einfach ablehnen. Das könnte dazu beigetragen haben,
dass die Deutschen in der überwiegenden Mehrheit der Auffassung sind, dass ein
kooperativerer und auf multilaterale Beziehungen stärker achtender demokratischer
US-Präsident aus ihrer Sicht zu befürworten wäre. Ob natürlich diese Haltung, die
übrigens nicht nur in Deutschland so stark ist, sondern auch in den meisten anderen
europäischen Ländern , auf das Wahlergebnis in Amerika einen Einfluss haben wird, das
darf man bezweifeln.
Rundfunk: Erlauben Sie mir nur noch eine letzte Frage: Wagen Sie eine Prognose
über den Wahlausgang abzugeben?
Nassauer: Eine Prognose über den Wahlausgang in Amerika abzugeben, ist
ausgesprochen schwer, nicht nur, weil das Wahlsystem keine Direktwahl des Präsidenten
über die Stimmen der Wähler darstellt, sondern eine indirekte Wahl ist, in der zunächst
Wahlmänner gewählt werden. Das macht die Sache extrem kompliziert. Ebenso gibt es einen
zweiten Faktor. Die Umfragen, die gemacht worden sind, in denen Georg Bush leicht vorn
liegt, können sich auch relativ leicht als falsch erweisen, weil sie nicht mehr
repräsentativ sind. Das liegt daran, dass Umfragen nur mit Personen geführt werden, die
Telefonfestnetzanschlusse haben, nicht aber mit Menschen, die nur Mobiltelefone benutzen.
Damit ist ein substantieller Anteil der jüngeren Generation, die jetzt wählen darf, von
den Telefonumfragen ausgeschlossen, bzw. sind in diesen Telefonumfragen nicht mehr
repräsentiert. Die jüngeren Menschen, das weißt man, gehen in ihrer großen Zahl mit
Herrn Kerry konform, und nicht mit Herrn Bush.
Das Interview führte Seyyed Hedayatollah Shahrokny.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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