Iranischer Rundfunk (deutsches Programm) - Interview
19. April 2006


Interview zum iranischen Atomprogramm

mit Otfried Nassauer

Rundfunk: Vertreter der 5 Veto- Mächte und Deutschland sind zusammengekommen, um über das iranische Atomprogramm zu beraten. Wie ist der Stand der Positionen?
Nassauer: Nach dem, was ich gehört habe, hat es bisher keine Einigung zwischen den 5 Veto- Mächten und Deutschland gegeben, darüber, dass dem UN- Sicherheitsrat eine Resolution vorgelegt werden soll, die, wie die Amerikaner fordern, die Ankündigung von Sanktionen enthält. Bisher haben vor allem Russland und China, aber auch mit einer gewissen Abstufung die Europäer, den amerikanischen Kurs in dieser Form nicht mittragen wollen, während umgekehrt die Europäer auch ganz klar hinter der amerikanischen Forderung stehen, dass der Iran zwischenzeitlich seine Urananreicherungsforschung wieder einstellen muss.

Rundfunk: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Veto-Mächte diesbezüglich einigen?
Nassauer: Ich gehe davon aus, dass sich die Vetomächte irgendwie im gegenwärtigen Zeitpunkt auf Sanktionen gegen den Iran noch nicht einigen können, insbesondere weil China und Russland nein sagen werden. Es ist allerdings durchaus möglich, dass, je nach dem, wie Teheran agiert, der Widerstand bei den Chinesen und Russen gegen Sanktionen tatsächlich noch aufgegeben wird, weil in China und Russland auch manche iranische Positionen als überspitzt und unnötige Verschärfung der Diskussion empfunden wird.

Rundfunk: Können Sie hierzu einige Beispiele nennen?
Nassauer: Ich denke, dass Beispielsweise die Tatsache, dass der Iran die Urananreicherungsforschung im vollen Umfang wieder aufgenommen hat und bisher der Aufforderung des UN- Sicherheitsrates zu einer zwischenzeitlichen Aussetzung nicht gefolgt ist, dazu gehören und dazu gehört auch, dass der Iran in letzter Zeit angekündigt hat, dass er neben der Urananreicherung auch an den Zentrifugen vom Typ P1 und Typ P 2 forscht. Also letztlich deutlich zu signalisieren, dass unabhängig davon, was die IAEA bisher festgestellt hat, der Iran auf jeden Fall an der Urananreicherung festhalten will.

Rundfunk: Es gibt inzwischen auch eine neue Aussage von US- Präsident George W. Bush, der gesagt hat, er schließe im Atomstreit mit dem Iran keine Option aus. Glauben Sie, dass nun ein US- Angriff wahrscheinlicher geworden ist?
Nassauer: Der Streit insgesamt eskaliert. Die amerikanische Position hat sich meiner Meinung nach in dieser Frage nicht geändert. Herr Bush lässt seine militärische Planung vorbereiten. Aber eine politische Entscheidung, eine solche militärische Planung auch umzusetzen, ist bislang nicht gefallen. Ich denke auch, dass Herr Bush grundsätzlich im Namen der amerikanischen Politik immer sagen muss, dass es alle Optionen auf dem Tisch gibt. Insofern verhält er sich wie alle amerikanischen Präsidenten in der Vergangenheit sich verhalten haben. Allerdings muss man auch klar sagen, bei dieser Regierung in Amerika ist die Bereitschaft, das Mittel "Militär" zu benutzen, größer als bei anderen.

Rundfunk: Der britische Premierminister, Tony Blair, hatte gesagt, Iran müsse auf die Urananreicherung verzichten. Nach dem NPT- Vertrag steht dem Iran doch die Urananreicherung zu. Deshalb meine Frage an Sie, auf welches Recht kann sich Blair dabei berufen?
Nassauer: Die Forderung von Blair muss interpretiert werden. Wir wissen nicht, was er genau gefordert hat. Die Haltung der europäischen Union war immer, dass der Iran für eine bestimmte Zeit auf die Urananreicherung völlig verzichten sollte. Da ging es den Europäern um einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren. Es ging aber nicht um die Frage, ob der Iran dauerhaft und auf ewig auf die Urananreicherung verzichten soll. Wenn zur Vertrauensbildung eine solche Aussetzung der Urananreicherung von der internationalen Gemeinschaft gewünscht wird und das hat ja der Sicherheitsrat auch noch einmal deutlich gemacht, dann ist das keine auf einem Recht basierende Forderung, sondern ist ein Wunsch, dass der Iran hier eine Politik freiwilliger Selbstbeschränkung betreibt und freiwillig auf ein Recht verzichtet, während einer Phase, in der die IAEA das iranische Programm detaillierter untersucht. Diese Möglichkeit ist meines Erachtens nach immer noch gegeben, dass man auf diesen Standpunkt zurückkehrt. Erinnern Sie sich nur an die Gespräche vor der letzten UN-Sicherheitsratssitzung. Da gab es auch einen russisch-iranischen Diskussionsvorschlag über die Möglichkeit in Russland im kommerziellem Stil anzureichern und im Iran in einem begrenztem Umfang Forschung treiben zu können. Ein Vorschlag, den die Amerikaner, weil sie im Moment keinen Kompromiss haben wollen, damals abgelehnt haben, der aber gar nicht so unvernünftig war.

Rundfunk: Was kann der Iran für eine zeitlich begrenzte Aussetzung seiner Urananreicherungsaktivitäten bekommen?
Nassauer: Die Möglichkeiten, dem Iran hier konkrete Angebote machen zu können, von der technologischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit bis hin zu Sicherheitsgarantien, sind gegeben. Letztlich wird man das Problem nur lösen können, wenn Iraner und Amerikaner direkt miteinander reden.

Rundfunk: Die Amerikaner wollen das aber nicht.
Nassauer: Zur Zeit ist es in Amerika noch eine Tabufrage. Das kann sich aber durchaus in den nächsten Jahren ändern.

Rundfunk: Also meinen Sie, dass sich der Konflikt noch einige Jahre hinziehen könnte.
Nassauer: Ich glaube durchaus, dass es sich noch einige Jahre hinziehen kann, dass es noch Stufen der Eskalation und Deeskalation zwischendurch durchlaufen könnte. Das ist ein Konflikt, der aufgrund des zeitlichen Abstands zwischen der Urananreicherungsforschung, die der Iran heute betreibt und einer realen Möglichkeit, mit der Anreicherung - auch theoretisch- militärisch anzureichern, noch so groß, dass es durchaus für beide Seiten noch Zeit gibt, den Konflikt, ohne dass es zu einem militärischen Konflikt führt, politisch zu regeln und zu Diskussionen miteinander zu kommen.

Rundfunk: Was ist Ihre persönliche Einschätzung? Glauben Sie, dass sich die Amerikaner einen weiteren Konflikt im Nahen Osten erlauben können oder gehen Sie davon aus, dass dieser Konflikt auch letztlich am Verhandlungstisch gelöst werden kann?
Nassauer: Ich persönlich gehe davon aus, dass der Konflikt am Verhandlungstisch gelöst werden könnte und muss. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob die amerikanische Regierung meine Einschätzung teilt. Ich glaube, die amerikanische Regierung hält es für durchaus möglich, sich eine militärische Auseinandersetzung um das iranische Atomprogramm leisten zu können, weil es ja nicht große Mengen an Bodentruppen verlangt und es im wesentlichen um die Frage gehen würde, ob man diese Anlagen auch aus der Luft angreifen könnte.

Das Interview führte Seyed Hedayatollah Shahrokny


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS