Interview zum iranischen Atomprogramm
mit Otfried Nassauer
Rundfunk: Vertreter der 5 Veto- Mächte und Deutschland sind zusammengekommen, um über
das iranische Atomprogramm zu beraten. Wie ist der Stand der Positionen?
Nassauer: Nach dem, was ich gehört habe, hat es bisher keine Einigung zwischen den
5 Veto- Mächten und Deutschland gegeben, darüber, dass dem UN- Sicherheitsrat eine
Resolution vorgelegt werden soll, die, wie die Amerikaner fordern, die Ankündigung von
Sanktionen enthält. Bisher haben vor allem Russland und China, aber auch mit einer
gewissen Abstufung die Europäer, den amerikanischen Kurs in dieser Form nicht mittragen
wollen, während umgekehrt die Europäer auch ganz klar hinter der amerikanischen
Forderung stehen, dass der Iran zwischenzeitlich seine Urananreicherungsforschung wieder
einstellen muss.
Rundfunk: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Veto-Mächte
diesbezüglich einigen?
Nassauer: Ich gehe davon aus, dass sich die Vetomächte irgendwie im gegenwärtigen
Zeitpunkt auf Sanktionen gegen den Iran noch nicht einigen können, insbesondere weil
China und Russland nein sagen werden. Es ist allerdings durchaus möglich, dass, je nach
dem, wie Teheran agiert, der Widerstand bei den Chinesen und Russen gegen Sanktionen
tatsächlich noch aufgegeben wird, weil in China und Russland auch manche iranische
Positionen als überspitzt und unnötige Verschärfung der Diskussion empfunden wird.
Rundfunk: Können Sie hierzu einige Beispiele nennen?
Nassauer: Ich denke, dass Beispielsweise die Tatsache, dass der Iran die
Urananreicherungsforschung im vollen Umfang wieder aufgenommen hat und bisher der
Aufforderung des UN- Sicherheitsrates zu einer zwischenzeitlichen Aussetzung nicht gefolgt
ist, dazu gehören und dazu gehört auch, dass der Iran in letzter Zeit angekündigt hat,
dass er neben der Urananreicherung auch an den Zentrifugen vom Typ P1 und Typ P 2 forscht.
Also letztlich deutlich zu signalisieren, dass unabhängig davon, was die IAEA bisher
festgestellt hat, der Iran auf jeden Fall an der Urananreicherung festhalten will.
Rundfunk: Es gibt inzwischen auch eine neue Aussage von US- Präsident George W.
Bush, der gesagt hat, er schließe im Atomstreit mit dem Iran keine Option aus. Glauben
Sie, dass nun ein US- Angriff wahrscheinlicher geworden ist?
Nassauer: Der Streit insgesamt eskaliert. Die amerikanische Position hat sich
meiner Meinung nach in dieser Frage nicht geändert. Herr Bush lässt seine militärische
Planung vorbereiten. Aber eine politische Entscheidung, eine solche militärische Planung
auch umzusetzen, ist bislang nicht gefallen. Ich denke auch, dass Herr Bush grundsätzlich
im Namen der amerikanischen Politik immer sagen muss, dass es alle Optionen auf dem Tisch
gibt. Insofern verhält er sich wie alle amerikanischen Präsidenten in der Vergangenheit
sich verhalten haben. Allerdings muss man auch klar sagen, bei dieser Regierung in Amerika
ist die Bereitschaft, das Mittel "Militär" zu benutzen, größer als bei
anderen.
Rundfunk: Der britische Premierminister, Tony Blair, hatte gesagt, Iran müsse
auf die Urananreicherung verzichten. Nach dem NPT- Vertrag steht dem Iran doch die
Urananreicherung zu. Deshalb meine Frage an Sie, auf welches Recht kann sich Blair dabei
berufen?
Nassauer: Die Forderung von Blair muss interpretiert werden. Wir wissen nicht, was
er genau gefordert hat. Die Haltung der europäischen Union war immer, dass der Iran für
eine bestimmte Zeit auf die Urananreicherung völlig verzichten sollte. Da ging es den
Europäern um einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren. Es ging aber nicht um die Frage,
ob der Iran dauerhaft und auf ewig auf die Urananreicherung verzichten soll. Wenn zur
Vertrauensbildung eine solche Aussetzung der Urananreicherung von der internationalen
Gemeinschaft gewünscht wird und das hat ja der Sicherheitsrat auch noch einmal deutlich
gemacht, dann ist das keine auf einem Recht basierende Forderung, sondern ist ein Wunsch,
dass der Iran hier eine Politik freiwilliger Selbstbeschränkung betreibt und freiwillig
auf ein Recht verzichtet, während einer Phase, in der die IAEA das iranische Programm
detaillierter untersucht. Diese Möglichkeit ist meines Erachtens nach immer noch gegeben,
dass man auf diesen Standpunkt zurückkehrt. Erinnern Sie sich nur an die Gespräche vor
der letzten UN-Sicherheitsratssitzung. Da gab es auch einen russisch-iranischen
Diskussionsvorschlag über die Möglichkeit in Russland im kommerziellem Stil anzureichern
und im Iran in einem begrenztem Umfang Forschung treiben zu können. Ein Vorschlag, den
die Amerikaner, weil sie im Moment keinen Kompromiss haben wollen, damals abgelehnt haben,
der aber gar nicht so unvernünftig war.
Rundfunk: Was kann der Iran für eine zeitlich begrenzte Aussetzung seiner
Urananreicherungsaktivitäten bekommen?
Nassauer: Die Möglichkeiten, dem Iran hier konkrete Angebote machen zu können,
von der technologischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit bis hin zu
Sicherheitsgarantien, sind gegeben. Letztlich wird man das Problem nur lösen können,
wenn Iraner und Amerikaner direkt miteinander reden.
Rundfunk: Die Amerikaner wollen das aber nicht.
Nassauer: Zur Zeit ist es in Amerika noch eine Tabufrage. Das kann sich aber
durchaus in den nächsten Jahren ändern.
Rundfunk: Also meinen Sie, dass sich der Konflikt noch einige Jahre hinziehen
könnte.
Nassauer: Ich glaube durchaus, dass es sich noch einige Jahre hinziehen kann, dass
es noch Stufen der Eskalation und Deeskalation zwischendurch durchlaufen könnte. Das ist
ein Konflikt, der aufgrund des zeitlichen Abstands zwischen der
Urananreicherungsforschung, die der Iran heute betreibt und einer realen Möglichkeit, mit
der Anreicherung - auch theoretisch- militärisch anzureichern, noch so groß, dass es
durchaus für beide Seiten noch Zeit gibt, den Konflikt, ohne dass es zu einem
militärischen Konflikt führt, politisch zu regeln und zu Diskussionen miteinander zu
kommen.
Rundfunk: Was ist Ihre persönliche Einschätzung? Glauben Sie, dass sich die
Amerikaner einen weiteren Konflikt im Nahen Osten erlauben können oder gehen Sie davon
aus, dass dieser Konflikt auch letztlich am Verhandlungstisch gelöst werden kann?
Nassauer: Ich persönlich gehe davon aus, dass der Konflikt am Verhandlungstisch
gelöst werden könnte und muss. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob die amerikanische
Regierung meine Einschätzung teilt. Ich glaube, die amerikanische Regierung hält es für
durchaus möglich, sich eine militärische Auseinandersetzung um das iranische
Atomprogramm leisten zu können, weil es ja nicht große Mengen an Bodentruppen verlangt
und es im wesentlichen um die Frage gehen würde, ob man diese Anlagen auch aus der Luft
angreifen könnte.
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Das Interview führte Seyed Hedayatollah
Shahrokny |
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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