Deutschlandfunk
08. Oktober 2002


Irak-Krieg wahrscheinlich Anfang 2003

Otfried Nassauer im Gespräch mit Herrn Remme

Remme: Ich begrüße Herrn Ottfried Nassauer. Er leitet das Informationszentrum für transatlantische Sicherheit in Berlin. Tag, Herr Nassauer.

Nassauer: Guten Tag, Herr Remme.


Remme: Herr Nassauer, können Sie da feine Unterschiede in der Rhetorik der Reden von George Bush entdecken?

Nassauer: Ja, schon, es gibt feine Unterschiede, gerade in der Rhetorik. George Bush hat sich hier klar an ein innenpolitisches Auditorium gewendet, also insbesondere an den Kongress, dessen Zustimmung zu einer Resolution, die ihm im Prinzip freie Hand gibt, er jetzt haben will. Zugleich die etwas moderatere Rhetorik, die er in dieser Rede angeschlagen hat, ist natürlich auch ein Signal in Richtung auf die Vereinten Nationen und den Sicherheitsrat, wo George Bush eine Resolution durchbekommen möchte. Eine Situation, in der es tatsächlich sozusagen einen Freibrief zur Entwicklung der Situation in eine Kriegssituation geben könnte. Und das ist das eigentlich problematische der Aufstellung, die hier sozusagen gedanklich passiert. Es wird zunehmend eine Situation, in der ein Militärschlag letztlich unausweichlich wird, weil die Definition darüber, ob er stattfindet oder nicht, strukturell und sukzessiv von New York nach Washington verlagert.


Remme: Herr Nassauer, ich ahne die Antwort: Ist dieser Irak-Krieg programmiert?

Nassauer: Ja, er ist ziemlich programmiert und das mit relativ unkalkulierbaren Folgen.


Remme: Für wen?

Nassauer: Nicht für die Vereinigten Staaten in dem Sinne, dass sie diesen Krieg nicht gewinnen könnten. Ich bin relativ sicher, dass der Irak letztlich geschwächt durch das Embargo der letzten Jahre und die Inspektionen, die ja doch einen Großteil des Massenvernichtungswaffenpotentials des Iraks Gott sei Dank zerstört haben, dass der militärisch heute bei weitem kein so guter Gegner mehr wäre, wie er das 1990/91 war. Das Hauptproblem besteht eher in der Instabilität, die eine solche militärische Aktion sowohl für die Ökonomien auf der Welt als auch für die Region, also für den ganzen Nahen und Mittleren Osten mit sich bringt. Nehmen wir nur mal einen Staat, den Iran: Der wird nach einer solchen Aktion von drei großen instabilen Nachbarn umgeben sein – von Afghanistan, von Pakistan und vom Irak.


Remme: Nun mag man über die außenpolitische Erfahrung von George Bush durchaus unterschiedlicher Meinung sein. Doch immerhin wird er von erfahrenen Menschen beraten. Glauben Sie, die sehen diese Risiken nicht?

Nassauer: Doch, die sehen diese Risiken, und sie gehen sie wahrscheinlich sogar bewusst ein. Insbesondere der stellvertretende Präsident, Herr Cheney oder auch Herr Rumsfeld, die sehen diese Gefahren ganz klar. Sie sehen aber auch die Möglichkeit, die sich dadurch für die Vereinigten Staaten ergeben könnten, nämlich den aus ihrer Sicht sowieso anstehenden machtpolitischen Wandel in Asien, selber durch Waffengänge von vorne mitzugestalten beziehungsweise zu entscheiden, wie der ausgeht.


Remme: Eine Auseinandersetzung, so hat Bush gesagt, steht nicht unmittelbar bevor. Das Timing ist aber auch von der militärischen Planung abhängig. Herr Nassauer, wenn es zu einem Krieg kommen sollte, gibt es aus Ihrer Sicht einen besonders wahrscheinlichen Zeitpunkt?

Nassauer: Es gibt einen wahrscheinlichen Zeitpunkt. Der liegt zu Beginn des nächsten Jahres. Also, ich würde sagen, Januar und Februar. Der ist allerdings nicht unbedingt so vorgegeben. Die amerikanische Überlegenheit gegenüber dem Irak ist so groß, dass man diesen Schlag relativ schnell und auch früher durchführen könnte. Sehen Sie: Das was der Irak heute noch militärisch zu bieten hat, das ist so signifikant weniger als 1990/91, dass es auch erheblich leichter für Washington werden würde, sich militärisch zunächst einmal durchzusetzen. Und man darf auch nicht vergessen, dass die heute stattfindenden Schläge der amerikanischen und britischen Luftwaffe natürlich auch im Vorfeld eines solchen Waffenganges zu sehen sind, in gewisser Weise ein Hineinschlittern in einen solchen darstellen.


Remme: Welche Gründe haben Sie, wenn Sie sagen, Januar oder Februar?

Nassauer: Das hat vor allem mit drei Dingen zu tun. Zum einen: Ich denke, dass vor den amerikanischen Wahlen und auch den Wahlen in der Türkei es höchst unwahrscheinlich wäre, dass da ein amerikanischer Waffengang passieren würde. Zweitens: Noch braucht der Prozess in den Vereinten Nationen etwas Zeit, und den braucht Bush um sein Vorgehen, sei es gedeckt durch ein neues UNO-Mandat oder sei es nicht dadurch gedeckt, zu legitimieren. Und drittens: Es ist auch eine Frage des militärischen Aufmarsches. Ab Janaur steht beispielsweise eine höhere Zahl von Flugzeugträgern in der Region zur Verfügung als das vorher je der Fall sein würde.


Remme: Vielen Dank. Das war Ottfried Nassauer vom Informationszentrum für transatlantische Sicherheit in Berlin.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS