Doppelte Moral?
USA helfen beim Ausbau des indischen Atomprogramms
Gastbeitrag von Dr. Oliver Meier
Wenn der US-Präsident in der kommenden Woche zu einem Staatsbesuch nach Indien und
Pakistan reist, plant Bush, in Neu Delhi ein Abkommen über die Wiederaufnahme des
Nuklearhandels zwischen beiden Ländern zu unterschreiben. Damit wäre ein 30 Jahre altes
internationales Nuklearembargo gegen Indien beendet, das 1974 seine erste Atombombe
zündete. Zweifellos würden auch andere Staaten dem US-Beispiel folgen und ihre
Sanktionen gegen Indien aufheben. Atomenergiekonzerne scharren schon jetzt mit den Hufen,
um Zugang zum bisher verschlossenen indischen Wachstumsmarkt zu bekommen.
Der indische Premierminister Singh hofft, dass Indien durch das Abkommen endlich als
Kernwaffenstaat anerkannt wird. Singh weiß zudem, dass Indien auf ausländische Hilfe
beim Aufbau seines ambitionierten Atomprogramms angewiesen ist.
Bush hingegen will durch den Deal einen verlässlichen Partner im Ränkespiel der
asiatischen Großmächte gewinnen. Seit langem sehen die USA Indien als Gegengewicht zum
wirtschaftlich und militärisch aufstrebenden China. Bush bezeichnet Indien, das bisher
allen nuklearen Kontrollabkommen ferngeblieben ist, daher nun als
"verantwortungsvollen Staat", dem beim Aufbau seines Nuklearprogramms geholfen
werden müsse.
Trotz dieser Ausgangslage ist selbst kurz vor Beginn der Reise offen, ob das geplante
Abkommen tatsächlich zustande kommt. Jetzt rächt sich, dass die Absichtserklärung über
die Wiederaufnahme der nuklearen Zusammenarbeit, die Bush und Singh am 18. Juli letzten
Jahres in Washington unterzeichnet haben, wichtige Details offen ließ. Zudem haben es
beide Regierungschefs damals versäumt, sich innenpolitisch abzusichern.
Strittig ist vor allem, wie Neu Delhi sein damals gegebenes Versprechen umsetzt, zivile
und militärische Atomanlagen zu trennen und alle nicht-militärischen Anlagen der
Kontrolle der Internationalen Atomenergiebehörde zu unterwerfen. Das indische
Nuklearwaffen-Establishment fürchtet, dann nicht mehr nach Belieben auf zivile
Nuklearanlagen zurückgreifen zu können, um spaltbares Material zum Waffenbau aus den
Brennstäben zu holen.
Die indische Atomlobby ist daher gegen ein solches Abkommen, weil es auch militärisch
nutzbare Anlagen internationalen Inspektionen unterwerfen würde. Selbst die Tatsache,
dass Indien dringend auf Brennstoffimporte angewiesen ist, kann sie nicht überzeugen.
Dabei greift Indien schon jetzt seine Uranreserven an, um die vorhandenen Kernkraftwerke
zu betreiben und gleichzeitig neue Atomwaffen zu bauen. Diese Reserven aber werden
voraussichtlich Ende dieses Jahres erschöpft sein, sollte Indien kein Uran importieren.
Dann müssten entweder die Energiegewinnung oder das Atombombenprogramm eingeschränkt
werden.
Die Nuklearlobby glaubt trotzdem, sie könne, wie schon in den vergangenen 30 Jahren,
ohne ausländische Hilfe auskommen. In schonungsloser Offenheit rechnete der Chef der
indischen Atomenergiebehörde, der bezeichnenderweise sowohl für die Atomenergie als auch
die militärische Nutzung zuständig ist, kürzlich mit Regierungschef Singh ab. Das
Kooperations-Abkommen dürfe auf keinen Fall das indische Atomwaffenprogramm
beeinträchtigen, so Anil Kakodkar in einem Interview. Internationale Inspektoren würden
Indiens Freiheit beschränken, eine Einmischung von außen dürfe es nicht geben.
Der im Dezember an Washington übermittelte indische Vorschlag zur Trennung ziviler und
militärischer Anlagen sieht daher vor, dass nur einige wenige Reaktoren für Inspektionen
geöffnet werden. Nach Berechnungen der amerikanischen Arms Control Association würde
eine Umsetzung dieses Plans Indien in die Lage versetzen, sein gegenwärtiges Arsenal von
geschätzten 50 bis 100 Atombomben innerhalb weniger Jahre auf 1.000-2.000 Atombomben
auszubauen.
Dies geht wohl selbst der Bush-Administration zu weit. Denn die USA können Indien nur
mit Atomtechnologie beliefern, wenn der amerikanische Kongress dem Vorhaben zustimmt.
Bisher erlauben amerikanische Gesetze solche Lieferungen nur an Mitglieder des
Atomwaffensperrvertrages.
Unter amerikanischen Abgeordneten aber wächst die Sorge, dass ein solcher Schritt zu
einer Aufweichung internationaler Regeln gegen die Verbreitung von Atomwaffen führt. Der
Abgeordnete Ed Markey warnte jüngst vor einem äußerst gefährlichen Präzedenzfall:
"Welche anderen Staaten werden nach Indien als nächstes nach einer
Ausnahmegenehmigung fragen?", sorgt sich der demokratische Politiker.
Bush muss nicht nur seine eigenen Abgeordneten überzeugen, sondern auch Amerikas
internationale Partner und Verbündete. Eine Aufhebung internationaler Sanktionen gegen
Indien erfordert eine Änderung der Regeln der so genannten Nuclear Suppliers Group. In
ihr haben sich die 45 wichtigsten nuklearen Lieferländer darauf verständigt,
Nukleartechnologie nur an solche Staaten zu liefern, die ihr Atomprogramm vollständig
durch die Internationale Atomenergiebehörde kontrollieren lassen. So soll verhindert
werden, dass ein Staat sein ziviles Atomprogramm als Deckmantel für den Griff nach der
Bombe nutzt. Wie wichtig dieses Ziel ist, belegen aktuell die Fälle Iran und Nordkorea.
Viele Mitglieder der Nuclear Suppliers Group aber fürchten, dass diese Ausfuhrregeln
aufgeweicht würden, sollte Indien eine Ausnahmegenehmigung für den Erhalt von
Nukleartechnologie erhalten.
Das geplante Abkommen belastet schon jetzt die Verhandlungen über das iranische
Nuklearprogramm. Ein iranisches Regierungsmitglied hob vor kurzem den offensichtlichen
Widerspruch in der amerikanischen Politik hervor - Zitat: "Auf der einen Seite
verweigern die USA einem Mitglied des Atomwaffensperrvertrags Nukleartechnologie, die für
friedliche Zwecke genutzt werden soll, aber gleichzeitig arbeiten sie aus eigensüchtigen
Motiven mit Indien zusammen, das außerhalb des Vertrages steht."
Diese Doppelmoral dürfte auch anderen Nichtatomwaffenstaaten nicht entgangen sein. Auf
internationale Skepsis stößt das Abkommen auch, weil es einen Rüstungswettlauf in
Südasien weiter anheizen wird. Durch Uranlieferungen für zivile Anlagen könnte Neu
Delhi die eigenen, knappen Reserven ausschließlich für militärische Zwecke verwenden.
Der indische Hardliner und Sicherheitsberater Subrahmanyan hat deshalb sogar gefordert, so
viele zivile Anlagen wie möglich unter internationale Kontrolle zu stellen, damit diese
mit importiertem Brennstoff beliefert werden können. Zudem hat China bereits gedroht,
Pakistan ebenfalls mit Nukleartechnologie zu beliefern, sollte es zu dem angestrebten
amerikanisch-indischen Atom-Deal kommen.
Als Gegenleistung für die Aufhebung der Nuklearsanktionen hat Indien zwar versprochen,
die gleichen Abrüstungspflichten auf sich zu nehmen wie die anerkannten
Atomwaffenstaaten. Tatsächlich aber weigert Neu Delhi sich weiterhin, den
Atomteststopp-Vertrag zu unterschreiben und die Produktion von Atomwaffenmaterial
einzustellen, obwohl die Nuklearwaffenbesitzer China, Frankreich, Großbritannien,
Russland und USA dies bereits getan haben. Der indische Außenminister Shyam Saran drohte
jüngst, das Abkommen scheitern zu lassen, sollten Indien stärkere Auflagen zur
Rüstungskontrolle gemacht werden.
Letztendlich aber müssen die amerikanischen Verbündeten den geostrategischen und
wirtschaftlichen Nutzen einer Aufhebung des Atomembargos gegen den abrüstungspolitischen
Schaden abwägen, den ein solcher Schritt verursachen würde.
Im Auswärtigen Amt in Berlin befürchtet man die negativen Auswirkungen einer
faktischen Anerkennung des indischen Atomwaffenstatus. Aus Angst, die Inder zu verärgern
und die Wirtschaftsbeziehungen zu beschädigen, traut sich die Bundesregierung aber nicht,
diese Kritik auch öffentlich zu äußern.
Ein anderer Verbündeter der USA freut sich hingegen ganz unverhohlen über die Pläne
Washingtons. Er habe schon immer für eine Aufhebung der Handelssanktionen gegenüber
Indien geworben, erklärte der französische Staatspräsident. Abgehalten hätte ihn
bisher nur die Haltung der USA, stichelte Jacques Chirac in einem Interview. Der Anlass:
die Unterzeichnung einer indisch-französischen Absichtserklärung über die
Zusammenarbeit im Nuklearsektor in dieser Woche.
Dr Oliver Meier ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für
Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg und Berliner Repräsentant der Arms
Control Asssociation (www.armscontrol.org)
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