Neuer Anlauf
Wie die Wehrpflichtgegner der SPD den Ausstieg in das neue Parteiprogramm
festschreiben wollen
von Dr. Karl-Heinz Harenberg
Tarnen und täuschen ist noch immer eine Spezialität unter den Mitgliedern der
SPD-Führung, wenn es gilt, die eigenen Vorstellungen in der Partei durchzusetzen. Am
Thema Wehrverfassung lässt sich das gut demonstrieren. Als im Herbst vergangenen Jahres
immerhin 17 von 52 Mitgliedern der Programmkommission forderten, im anstehenden
Grundsatzprogramm die Abschaffung der Wehrpflicht als mittelfristiges Ziel
sozialdemokratischer Politik festzuschreiben, gingen sie wieder einmal leer aus. Obwohl
die Gegner des militärischen Zwangsdienstes doch schon vor zwei Jahren mit einer
Entscheidung ihrer Partei fest gerechnet hatten. Damals, auf dem ordentlichen Parteitag in
Karlsruhe im November 2005, stand das seit langem umstrittene Thema zur Abstimmung an. Und
im Vorfeld des Kongresses meldeten die Gazetten bereits, die SPD bereite den Ausstieg aus
der allgemeinen Wehrpflicht vor. Doch dann kam alles ganz anders.
Während die Genossen die Zusammenkunft ihres höchsten Beschlussorgans vorbereiteten,
betrieb Bundeskanzler Gerhard Schröder mit Hilfe einer Vertrauensabstimmung im Bundestag
vorgezogene Neuwahlen. Schröders Plan ging auf - wenn auch am Ende mit fatalem Ergebnis -
und in Karlsruhe wurde darum nicht über das zukünftige Parteiprogramm, sondern über den
Arbeitsvertrag der geplanten Großen Koalition abgestimmt. Mit euphorischer Verzweiflung
stimmte die überwältigende Mehrheit dem Koalitionsvertrag zu, war er doch die Lizenz zum
Mitregieren, wenn auch als Juniorpartner. Dass dieser Koalitionsvertrag unter anderem den
Erhalt der Wehrpflicht garantierte, ging dabei im Getümmel der Regierungsbildung unter.
Es war für die Wehrpflichtgegner daher eigentlich selbstverständlich, dass im Oktober
dieses Jahres beim geplanten Parteitag in Hamburg nachgeholt werden würde, was zwei Jahre
zuvor in Karlsruhe vertagt worden war. Und was lag da näher, als das Thema Wehrpflicht in
das neue sozialdemokratische Grundsatzprogramm aufzunehmen. Dieses Grundsatzprogramm, das
in Hamburg verabschiedet werden soll, löst das vorangegangene von 1989 ab - ist also das
erste nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten sowie nach dem Ende des Kalten
Krieges. Der Verzicht auf die Wehrpflicht hätte somit eine zeitgemäße Erneuerung dessen
sein können, was gerade konservative Genossen gern als sozialdemokratische
Friedenspolitik zu bezeichnen pflegen.
Doch obwohl rund ein Drittel der Mitglieder der Programmkommission die Aufnahme dieser
Forderung ins geplante Leitdokument forderten, taucht nicht einmal der Begriff Wehrpflicht
im Entwurf dieses wegweisenden Konzeptes auf, der inzwischen an alle Mitglieder verteilt
worden ist. Über die Gründe gibt es nur Andeutungen. So ist zu hören, die
Parteiführung habe das Thema nicht herausheben wollen, habe sie sich doch im
Koalitionsvertrag gegenüber der Union verpflichtet, die Zwangsrekrutierung beizubehalten.
Und überhaupt seien die Parteigranden um den Vorsitzenden Kurt Beck sowie dem
Einpeitscher der Bundestagsfraktion Peter Struck nach wie vor überzeugte Verfechter
dieser Errungenschaft aus dem 19. Jahrhundert. Dass massive Gründe dagegen sprechen,
berühre sie wenig. Weder der Widerspruch von staatlichem Zwang in einer Demokratie, weder
die Unvereinbarkeit zwischen den weltweiten Einsätzen der Bundeswehr und der
unzulänglichen Ausbildung der Grundwehrdienstleistenden noch die eklatante
Ungerechtigkeit der gegenwärtigen Auswahlwehrpflicht. So werden derzeit nicht einmal 15
Prozent der anstehenden Jahrgänge zum Dienst an der Waffe verpflichtet. Dass missliebige
Umstände dabei regierungsamtlich geschönt werden - durch die Änderung der
Tauglichkeitskriterien, durch die Verlängerung der Wehrdienstzeiten bis zu 23 Monaten,
durch Zahlenspiele mit dem Umfang der Streitkräfte oder den Kosten einer Armee aus
Berufs- und Zeitsoldaten - solche und andere Tricksereien vermögen die Traditionalisten
nicht zu erschüttern.
Das Gerangel um Pro oder Contra Wehrpflicht geht also munter weiter. Das zeigt
folgender Vorfall: Der Entwurf des SPD-Grundsatzprogramms wird begleitet von einer
bundesweiten Befragung nach Interessen und Erwartungen der Mitglieder an die zukünftigen
parteipolitischen Ziele. In dem vierseitigen Fragebogen werden nun zwar viele
Themen angesprochen - nicht aber die Wehrpflicht. Diese Missachtung ihrer Forderung hat
die Wehrpflichtgegner endgültig auf die Palme gebracht. Unter der Federführung des
Netzwerkes Berlin, einem Zusammenschluss kritischer Sozialdemokraten, sowie der
Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialisten, kurz Jusos, haben sie die Unterbezirke der Partei
angeschrieben mit der Bitte, die Frage nach dem Für oder Wider der Wehrpflicht auf den
lokalen Parteiversammlungen nachzutragen. In die Verabredung, nach der die
Wehrpflichtgegner ihre Forderung erst auf dem Hamburger Parteitag zur Entscheidung
vorlegen, haben sie wohl kein Vertrauen mehr.
Andererseits scheint auch auf den Führungsetagen des Willy-Brandt-Hauses inzwischen
neu nachgedacht zu werden. Man habe sich dort, heißt es jetzt entschuldigend, wohl zu
sehr dem Koalitionsvertrag verpflichtet gefühlt und nicht bedacht, dass dieser Vertrag
2009 auslaufe, sozialdemokratische Politikplanung, wie sie im Grundsatzprogramm formuliert
werde, aber weit darüber hinausreiche. Vor diesem Hintergrund wird jetzt sogar die
Möglichkeit gehandelt, dass der Parteivorstand in Hamburg doch noch mit einem Leitantrag
antreten werde.
Nur - ein Antrag auf Abschaffung der Wehrpflicht wird von der Vorstandsetage wohl kaum
vorgelegt werden. Es ist vielmehr der Versuch zu erwarten, die Forderung der
Wehrpflichtgegner zu konterkarieren durch einen Vorschlag, dem nicht nur die Fürsprecher,
sondern auch Gegner der Wehrpflicht zustimmen können. Ein solcher Kompromiss würde
natürlich das Ziel haben, die Wehrpflicht so weit wie möglich zu erhalten. Als
Möglichkeit würde sich hier das "dänisches Modell" genannte Konzept anbieten,
junge Männer nur dann zwangsweise einzuziehen, wenn die Zahl derer, die sich als Berufs-
oder Zeitsoldat freiwillig verpflichten, den Bedarf der Bundeswehr nicht decken würde.
Halbherzigkeiten sind aber nicht im Interesse der Wehrpflichtgegner. Und so werden bereits
Argumente gegen eine solche Auswahlwehrpflicht gesammelt, um zu verhindern, dass ihre
Forderung nach Abschaffung der Wehrpflicht unterlaufen wird.
Große Erwartung setzen die Wehrpflichtgegner dabei auf das Bundesverfassungsgericht.
Dort ist nämlich seit zwei Jahren ein Verfahren anhängig, das vom Verwaltungsgericht
Köln angestrengt worden ist. Die Kölner Richter wollen vom höchsten Gericht eine
Entscheidung darüber, ob die Wehrpflicht trotz der drastisch zunehmenden
Wehrungerechtigkeit überhaupt noch verfassungsgemäß ist. Anlass ist die Klage von drei
jungen Männern, die ihre Einberufung für ungesetzlich halten; das Verwaltungsgericht hat
den Klägern vorläufig Recht gegeben und sie vom Wehrdienst bis zur Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichtes befreit. Es kann also geschehen, dass noch vor dem Hamburger
Parteitag das Wehrpflichtgesetz außer Kraft gesetzt wird und sich die Debatte in der SPD
damit erledigt. Sicher ist das aber nicht. Und ohnehin entspricht eine Entscheidung aus
zweiter Hand nicht den Erwartungen junger Sozialdemokraten an ihre Partei. Auf die Hilfe
des Bundesverfassungsgerichts zu warten, halten sie eher für Drückebergerei. Nach dem
jahrelangem Hickhack, so kann man hören, solle die SPD sich in dieser gerade für junge
Menschen zentralen Frage nun endlich klar entscheiden.
Dr. Karl-Heinz Harenberg ist Journalist. Über Jahrzehnte war er für die
Hörfunk-Sendung Streitkräfte und Strategien beim NDR zuständig, das einzige
sicherheitspolitische Hörfunkmagazin Deutschlands.
|