Falscher Kriegsgrund Massenvernichtungswaffen
Warum die USA den Irak wirklich angegriffen haben
von Dr. Karl-Heinz Harenberg
Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 stellte US-Präsident George W. Bush
fest, Amerika befände sich im Krieg. Der erste sichtbare Feind in diesem Krieg war
Afghanistan. Dort lebte der Drahtzieher der Anschläge, Osama bin Laden, unterstützt und
hofiert von den Regenten des Taliban-Regimes. Bis dahin ist die Reaktion der
amerikanischen Regierung nachvollziehbar.
"Afghanistan ist aber nur der Anfang eines längeren Feldzuges", erklärte
US-Vizepräsident Dick Cheney Ende August 2002 in einer Rede vor Kriegsveteranen in
Nashville, denn "wenn wir jetzt aufhören würden, wäre jegliches
Sicherheitsgefühl, das wir hätten, falsch und vorübergehend. Es existiert", so
Cheney weiter, "eine terroristische Unterwelt, die sich über mehr als sechzig
Länder erstreckt".
Warum aber war dann das zweite Land, das die USA angriffen haben, ausgerechnet Irak?
Diese Frage interessiert heute mehr denn je, nachdem sich herausgestellt hat, dass der
wesentliche Grund, der dafür genannt wurde - riesige Mengen von Massenvernichtungswaffen
und die sich daraus ergebenden Gefahren - gar nicht existierte.
Die einzig sinnvolle Erklärung für diese Wahl ist wohl darin zu sehen, dass die
Regierung in Washington den Krieg gegen den Irak nicht angefangen, sondern nur fortgesetzt
hat. Der erste Teil dieses Krieges war 1990/91 vom Vater des derzeitigen Präsidenten
geführt worden. Und genau genommen war der Übergang vom ersten zum zweiten Teil
fließend, wenn man sich der ständigen Luftangriffe zur Sicherung der Flugverbotszonen
erinnert, die von den USA und Großbritannien aus eigener Vollmacht eingerichtet worden
waren. Oder an das Gesetz zur Befreiung des Irak, mit dem der US-Kongress im August 1998
den damaligen demokratischen Präsidenten Bill Clinton aufgefordert hatte, alles zu tun,
um das Regime des Saddam Hussein zu stürzen. Oder an die tagelangen Bombardements im
Dezember 1998 gegen vermutete Waffenlager und Rüstungsfabriken, auch in der Hauptstadt
Bagdad.
Die Initialzündung für die offizielle Wiederaufnahme des Krieges boten dann die
Anschläge des 11. September. Die aufgestaute Wut in Washington gegen den Tyrannen von
Bagdad sowie über dessen Katz-und-Maus-Spiel mit den Rüstungskontrolleuren der UNO
konnte jetzt kanalisiert werden in Richtung Sturz des Regimes. Nur - mit wachsendem
Abstand zum 11. September war der Einsatz von Gewalt nicht so einfach möglich wie in
Afghanistan oder nach dem Einmarsch der Irakis in Kuwait 1990. Ein Sturz des Regimes,
zumal wenn er gewaltsam herbeigeführt werden musste, bedurfte gegenüber der eigenen
sowie der Weltöffentlichkeit einer überzeugenden Begründung.
Was lag da näher, als den Todfeind bin Laden mit dem Erzfeind Saddam Hussein in
Verbindung zu bringen. Als Verteidigungsminister Donald Rumsfeld deren Zusammenarbeit
behauptete, fand dieser Verdacht in Medien und Öffentlichkeit große Beachtung. Und
natürlich schien es nachvollziehbar zu sein, dass Saddam, der die Rüstungskontrolleure
der UNO Ende 1998 aus dem Land gewiesen hatte, seitdem unbeobachtet aufgerüstet hatte und
die Al-Kaida-Terroristen nun mit seinen Massenvernichtungswaffen versorgen würde. Diese
wiederum hatten die USA ja bereits am 11. September angegriffen und würden es mithilfe
irakischer Atom-, Biologie- oder Chemiewaffen bei nächster Gelegenheit sicherlich wieder
tun. Ein perfektes Szenario, um die eigene Bevölkerung in Unruhe zu versetzen und jeden
Kritiker als Sicherheitsrisiko bloßzustellen. "Einsatzbereite
Massenvernichtungswaffen in den Händen eines Terrornetzwerkes oder eines mörderischen
Diktators - oder die Zusammen-arbeit dieser beiden", so der US-Vizepräsident Cheney
in Nashville, "stellen die ernsteste Bedrohung dar, die man sich vorstellen kann. Die
Risiken der Untätigkeit sind daher sehr viel größer als die Risiken des Handelns."
Diese Worte sind Ausdruck für die damalige Stimmung in den USA, die offenbar jede
unbewiesene Behauptung und noch so große Übertreibung zu erlauben schien. Ex-CIA-Chef
James Woolsey sah Saddam Hussein direkt in den Terror des 11. September verwickelt. Der
ehemalige Leiter der UNSCOM-Rüstungskontrolleure im Irak, Richard Butler, beschuldigte
Bagdad, an den Anschlägen mit Anthrax-, also Milzbranderregern beteiligt zu sein, die in
den USA zeitweise für Unruhe sorgten. Dass der Irak zudem über große Mengen chemischer
Waffen verfügte, stand ohnehin außer Frage, hatten irakische Truppen solche Kampfstoffe
doch schon gegen aufständische Kurden und im Krieg gegen Iran eingesetzt. Blieb nur noch
die aus amerikanischer Sicht größte Gefahr: die Bedrohung mit Atomwaffen. Zwar
verstiegen sich die Propagandisten der US-Regierung, zu denen das gesamte Kabinett
gehörte, nicht zu der Behauptung, der Irak besäße solche Waffen bereits. Doch der Tenor
- wollen wir warten, so Präsident Bush, bis uns der erste Atompilz aufschreckt - legte
nahe, dass die Einsatzbereitschaft von Atomsprengköpfen nur eine Frage kurzer Zeit sein
würde. Als entscheidenden Beweis dafür wurde behauptet, Irak habe im westafrikanischen
Staat Niger versucht, Uran für die Bombe zu kaufen. Es wurde zwar eingeräumt, dass
"der Nachrichtendienst ein unsicheres Geschäft" sei, so Cheney in Nashville,
aber dennoch summierte er: "Es besteht jetzt kein Zweifel, dass Saddam Hussein
Massen-vernichtungswaffen besitzt."
Der Druck innerhalb der amerikanischen Regierung, den besonders die Befürworter eines
Krieges wie der Vizepräsident oder der Verteidigungsminister erzeugten, wurde so stark,
dass sich auch der anfängliche Skeptiker im Kabinett, Außenminister Colin Powell, der
allgemeinen Hysterie nicht entziehen konnte.
Colin Powell war es dann auch, der die Vorwürfe gegen Saddam Hussein am 5. Februar des
vergangenen Jahres vor dem UN-Sicherheitsrat in einer aufsehenerregenden Sitzung mit
zahlreichen Dokumenten und Bildern ausbreitete. Dass der Wahrheitsgehalt seiner
Darstellung schon damals umstritten war, störte ihn nicht, hatten doch die UN-Inspekteure
zwar keine Belege im Land gefunden, wollten andererseits die Existenz solcher
Massenvernichtungswaffen aber auch nicht endgültig ausschließen. Und selbst als der für
die Suche nach Atomwaffen zuständige Experte Mohamed El Baradei von der Internationalen
Atomenergiebehörde in Wien die Behauptung eindeutig widerlegte, der Irak habe im
afrikanischen Niger Uran zu kaufen versucht, stellte sich Powell stur: "Ich denke,
wir haben bessere Informationen als die Inspekteure", so seine Reaktion.
Es war, wie sich erst vor kurzem herausgestellt hat, eine verräterische Reaktion. Denn
sie deutete schon damals an, was David Kay, der Leiter der amerikanischen
Waffenkontrolleure, die nach den Hauptkämpfen im Sommer vergangenen Jahres ihre Arbeit im
Irak aufgenommen hatten, erst jetzt öffentlich gemacht hat: dass nämlich die
amerikanische Regierung der UNO vor dem Krieg nicht etwa wie behauptet alle Erkenntnisse
ihrer Geheimdienste über angebliche Lager und Produktionsstätten für
Massenvernichtungswaffen zur Verfügung gestellt hatte. Gründe dafür wurden nicht
genannt: Aber intime Kenner der amerikanischen Regierungsszene vermuten, dass einmal die
Konkurrenz der Geheimdienste dabei eine Rolle gespielt hat, vor allem aber die Absicht der
Regierung, den Beginn des Krieges durch weitere Untersuchungen der UNMOVIC, also der
United Nations Monitoring, Verification and Inspection Commission unter ihrem Leiter Hans
Blix nicht mehr hinauszögern zu lassen - hätte doch sonst vielleicht gar die
Möglichkeit bestanden, dass ein militärischer Angriff mit dem angeblichen Vorhandensein
von Massenvernichtungswaffen nicht mehr zu rechtfertigen gewesen wäre. Denn es war ja
wohl nicht nur der CDU-Politiker Jürgen Todenhöfer, der kurz vor Beginn des Krieges vor
einem Jahr erkannt hatte: "Wie soll dieser eingedämmte und militärisch kastrierte
Zwerg Saddam den Riesen Amerika bedrohen?"
Dr. Karl-Heinz Harenberg ist Journalist. Über Jahrzehnte war er für die
Hörfunk-Sendung Streitkräfte und Strategien beim NDR zuständig, das einzige
sicherheitspolitische Hörfunkmagazin Deutschlands.
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