Gastbeitrag aus
Streitkräfte und Strategien - NDR info
03. November 2007


Militärisch bedeutungslos und rechtlich fragwürdig?
Der deutsche Marine-Einsatz am Horn von Afrika

Gastbeitrag von Andreas Dawidzinski

Zurzeit befindet sich mit der Fregatte Augsburg lediglich ein deutsches Schiff mit rund 220 Besatzungsmitgliedern am Horn von Afrika. Möglich ist nach dem gegenwärtigen Mandat aber der Einsatz von bis zu 1.100 Marine-Soldaten. Die Operation Enduring Freedom steht unter Führung der USA. In dem Bundestagsmandat ist der Auftrag der deutschen Soldaten wie folgt festgelegt:

Zitat Mandat:
"Diese Operation hat zum Ziel, Führungs- und Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen sowie Dritte dauerhaft von der Unterstützung terroristischer Aktivitäten abzuhalten."

Gemessen an diesem Auftrag ist das Ergebnis der Marine-Mission eher ernüchternd. Das musste vor einiger Zeit bereits Flottillenadmiral Manfred Nielson einräumen, damals zugleich Befehlshaber der Task Force 150:

O-Ton Nielson:
"Mit Zahlen, Daten, Fakten, die jetzt wirklich griffig sind, wo man sagen kann, wir haben so und so viele Terroristen gefasst und das ist sonst noch passiert, kann ich nicht aufwarten."

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Bisher wurde von deutschen Soldaten kein einziger mutmaßlicher Terrorist gefasst. Der Auftrag hat sich in der Praxis schnell zu einer reinen Seeraumüberwachungs-Mission gewandelt. Mit mehreren tausend Schiffen wurde in dem Seegebiet Funk-Kontakt aufgenommen. Abgefragt werden u.a. Herkunft, Zielort und Ladung. Es gibt nur wenige Regionen, in denen der Schiffsverkehr seit 2002 so gründlich dokumentiert ist wie am Horn von Afrika. Mehr als 60 Mal gingen deutsche Boarding Teams auch an Bord dieser Schiffe, allerdings nur mit ausdrücklicher Einwilligung des Kapitäns.

Lediglich in einer Phase gab es für die deutschen Marine-Einheiten viel zu tun: Beim Truppenaufmarsch der US-geführten Koalition für den Irak-Krieg. Zwischen März 2002 und Juli 2003 haben deutsche Marine-Einheiten vor allem amerikanische und britische Schiffe begleitet. Von Mitte März bis Anfang April 2003 fast täglich.

Bekannt wurden diese Aktivitäten allerdings erst im November vergangenen Jahres - nach einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion. Zur Erinnerung: Die rot-grüne Koalitionsregierung hatte damals eine Beteiligung am Irak-Krieg abgelehnt - weil man ihn politisch für falsch hielt und weil es dafür kein UN-Mandat gab. Doch das hielt die Regierung Schröder nicht davon ab, unter dem Anti-Terror-Mandat Enduring Freedom auch ABC-Spürpanzer in Kuwait zu stationieren. Manche Kritiker haben diesen Schritt, zusammen mit anderen Maßnahmen, als deutsche Unterstützung des völkerrechtswidrigen Irak-Krieges gewertet. Denn ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Terrorismus-Bekämpfung war auf den ersten Blick nicht zu erkennen.

Das am Horn von Afrika zu überwachende Seegebiet ist riesig. Auch deshalb konnten die OEF-Marine-Einheiten den Anschlag auf den französischen Tanker Limbourg im Oktober 2002 vor dem Jemen nicht verhindern.

Selbst wenn deutsche Kriegsschiffe Boote mit mutmaßlichen Terroristen entdecken, sind ihre Handlungsmöglichkeiten begrenzt. Denn die Einsatzregeln, die so genannten Rules of Engagement, sind im Vergleich zu denen der anderen Nationen des multinationalen Verbandes restriktiv. Eine Durchsuchung gegen den Willen des Kapitäns eines verdächtigen Schiffes, das so genannte Zwangsboarding, ist den Deutschen nicht erlaubt. Ein solches Vorgehen ist riskant und mit Gefahren verbunden. Wenn Widerstand geleistet wird, dann wird es schwierig. Der Marine-Offizier und Dozent an der Führungsakademie der Bundeswehr, Reinhard Rusch:

O-Ton Rusch:
"Hierfür haben wir zum Teil keine ausreichenden Mittel. Das erfordert besondere Ausrüstung, das erfordert besondere Waffen, das erfordert besondere Crews. Sie brauchen, wenn sie z.B. mit einem Hubschrauber Personal absetzen wollen und der Hubschrauber wird dann möglicherweise von diesem Schiff oder von den Terroristen beschossen, auch einen Schutz für den Hubschrauber gegen die Terroristen, so etwas muss alles dann in dem Moment vor Ort sein."

Doch auch wenn man mutmaßliche Terroristen ohne Gewalt festsetzen könnte gibt es ein Problem: Was tun mit den Verdächtigen? Denn klar ist: in Deutschland will man ihnen nicht den Prozess machen. Und wie die KSK-Soldaten in Afghanistan dürfen auch die Marine-Soldaten Terrorverdächtige nicht ohne weiteres an die Behörden anderer Länder übergeben. Voraussetzung ist nämlich, dass die Festgenommenen einen fairen Prozess bekommen und nach rechtstaatlichen Gründsätzen behandelt werden - so ist es in einem erst vor sechs Monaten von Staatssekretär Wichert erlassenen schriftlichen Befehl festgelegt worden. Vorher hatte das Verteidigungsministerium seine Befehlshaber in dieser Frage weitgehend im Unklaren gelassen. Die Bundesregierung bemüht sich daher seit geraumer Zeit um ein entsprechendes Abkommen mit Afghanistan, das diese rechtsstaatliche Behandlung sicherstellen soll. Mit dem Jemen und anderen Küstenländern am Horn von Afrika wird eine ähnliche Vereinbarung allerdings nicht angestrebt. Und eine Übergabe von Verdächtigen an die USA? - Immerhin ist Enduring Freedom eine US-Operation. Diese Möglichkeit scheidet auch aus, weil die Terrorverdächtigen nach Guantanamo gebracht werden könnten, wo sie de facto rechtlos wären.

Laut Bundestagsmandat soll die deutsche Marine Terroristen nicht nur festnehmen, sondern ihnen auch potenzielle Verbindungswege abschneiden, ihnen mögliche Rückzugsräume verwehren. Viele Aktivitäten gibt es vor allem innerhalb der Küstengewässer. Das Dilemma ist: Dort dürfen die deutschen Einheiten jedoch nicht ohne weiteres operieren. Voraussetzung ist die Genehmigung des jeweiligen Küstenlandes. Die aber fehlt der deutschen Marine. Entsprechende Bemühungen beispielsweise mit dem Jemen waren jedenfalls nicht erfolgreich. Aber selbst wenn eine solche Genehmigung vorläge: Die deutschen Marine-Einheiten dürften letztlich auch in den Küstengewässern nicht tätig werden - anders als die Kriegsschiffe der verbündeten Nationen. Der Befehlshaber der deutschen Flotte, Hans-Joachim Stricker:

O-Ton Stricker:
"Eine Sonderrolle spielen wir insofern, in dem die deutsche Marine eben auch schon zu Hause keine Polizeiaufgaben auch in eigenen Küstengewässern hat. …. Und da das in Deutschland, vor der deutschen Küste so ist, gilt das selbstverständlich auch für Deutsche Marine-Einheiten vor anderen Küsten, dass wir dort nicht polizeilich tätig werden können. Und das ist auch die Grundlage unserer Diskussion, die wir über Sicherheit im Seeraum oder über ein Seesicherheitsgesetz begonnen haben, um hier die Rollenverteilung und die Koordination mit den zuständigen anderen Organisationen im deutschen Küstenmeer zu regeln. Dass würde uns allerdings auch in die Lage versetzen, bei Einsätzen wie am Horn von Afrika hier auch anders tätig zu werden als wir es heute können."

Glaubt man dem SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Pflug so ist die Stimmung an Bord der deutschen Schiffe vor allem aus diesem Grund denkbar schlecht. Der Parlamentarier war Anfang September am Horn von Afrika - auch auf der Fregatte Bremen. Seine Eindrücke schilderte er in der vergangenen Woche auf dem SPD-Bundesparteitag:

O-Ton Pflug:
"Diese Soldatinnen und Soldaten waren tief frustriert. Aber nicht, weil der Dienst so schwer war, sondern weil sie nicht wussten, was eigentlich ihre Aufgabe ist. Sie sagten mir, vor unseren Augen werden Schiffe entführt vor der Küste von Somalia. Das einzige was wir dürfen ist, die Namen feststellen, die Identifizierung der Schiffe vornehmen, vielleicht auch der Ladung, sonst haben wir keine Kompetenzen. Wir müssen die Amerikaner benachrichtigen."

Häufig ist zu hören, die Präsenz der Kriegsschiffe habe zu einem Rückgang der Piraterie beigetragen. Doch von einer abschreckenden Wirkung kann keine Rede sein. Das Internationale Seefahrtsbüro IMB hat in seinem jüngsten Report insbesondere das Seegebiet vor Somalia als eines der weltweit gefährlichsten bezeichnet. Die Zahl der Überfälle hat sich dort gegenüber dem Vorjahreszeitraum verdreifacht. Flottenbefehlshaber, Vizeadmiral Hans-Joachim Stricker:

O-Ton Stricker:
"Wir müssen leider feststellen, dass sich seit Frühjahr 07 tatsächlich die Piraterie in dem Seegebiet am Horn von Afrika wieder verstärkt hat. Fakt ist aber auch, dass das Mandat für die Operation Enduring Freedom nicht den Kampf gegen Piraterie beinhaltet, und wir insofern nicht gezielt gegen Piraterie in dem Seeraum vorgehen können."

Enduring Freedom ist offiziell weiterhin eine Anti-Terroroperation. Doch anders als für die ISAF-Mission gibt es für OEF kein ausdrückliches Mandat des UN-Sicherheitsrates. Gestützt wird sich seit den Terroranschlägen vom 11. September vor sechs Jahren vielmehr auf Artikel 51 der UN-Charta. Dort wird einem angegriffenen Staat das Recht auf Selbstverteidigung zuerkannt. Umstritten ist allerdings, ob dieser bewaffnete Angriff noch andauert und wie lange man sich auf Artikel 51 berufen darf. Nach Auffassung der US-Regierung befindet sich Amerika weiterhin in einem globalen Krieg gegen den Terrorismus – eine Betrachtungsweise, die von der Bundesregierung so zwar nicht geteilt wird. Allerdings wird das Selbstverteidigungsrecht der USA nicht in Frage gestellt. Doch Selbstverteidigungsmaßnahmen können nicht unbefristet und räumlich grenzenlos sein. Kritiker, auch in der Bundeswehr, vertreten daher zunehmend die Auffassung, die Anti-Terror-Operation Enduring Freedom könne sechs Jahre nach den Anschlägen von Washington und New York nicht mehr mit Artikel 51 der UN-Charta legitimiert werden. Der Hamburger Völkerrechtler Professor Thomas Bruha:

O-Ton Bruha:
"Das Selbstverteidigungsrecht ist ein zeitlich begrenztes Recht, was sozusagen als Nothilfe-Maßnahme so lange greift, bis der Sicherheitsrat die erforderlichen Maßnahmen erlassen hat. D.h. es ist, wie wir Juristen sagen, subsidiär. ...Dieses Recht kann nicht in Raum und Zeit, also unbegrenzt offen bleiben. Es gibt kein Selbstverteidigungsrecht gegen das Phänomen des Terrorismus, ihn unilateral ohne Ermächtigung des Sicherheitsrats, wo auch immer auf der Welt, wann auch immer durch Akte präventiver Kriegsführung zu bekämpfen. ...Also allein die abstrakte Gefahr, dass es zu terroristischen Angriffen in Zukunft kommen könne, kann also nicht ausreichen."

Im Bundestagsmandat wird neben zwei UN-Resolutionen zwar auch noch der nach den Terroranschlägen ausgerufene NATO-Bündnisfall erwähnt. Enduring Freedom ist allerdings keine NATO-Mission, sondern eine Operation unter alleiniger Führung der USA. Der Artikel 5 des NATO-Vertrages kann daher keine Grundlage des Marine-Einsatzes am Horn von Afrika sein. Außerdem gilt auch hier: Einen ewigen NATO-Bündnisfall gibt es nicht.

Der deutsche Beitrag für Enduring Freedom wird daher rechtlich und auch militärisch mit zunehmender Dauer immer zweifelhafter. Die Bundesregierung verdrängt diese Defizite, möchte sie nicht thematisieren. Denn für Berlin hat Enduring Freedom eine ganz andere Hauptfunktion: Sie gilt als Ausdruck der Solidarität mit den USA, die nicht gefährdet werden darf.


 

Andreas Dawidzinski ist freier Journalist.