Gastbeitrag
Streitkräfte und Strategien - NDR info
23. August 2014


Militärische Unterstützung für die Kurden
Konzeptlose neue deutsche Außen- und Sicherheitspolitik?

Andreas Flocken

„Nichts tun ist keine Option“ – so hatte es Verteidigungsministerin von der Leyen Anfang des Jahres auf der Münchner Sicherheitskonferenz verkündet. Nicht nur die CDU-Politikerin, sondern auch Außenminister Steinmeier und Bundespräsident Gauck machten sich auf der Veranstaltung stark für eine neue, eine aktive deutsche Außenpolitik – notfalls auch mit Soldaten. Deutschland müsse künftig internationale Verantwortung übernehmen und dürfe bei Krisen nicht weiterhin abseits stehen, so das Credo.

Hatte man zunächst den Eindruck, es würde sich in der Praxis jedoch nicht viel ändern, so gibt es jetzt einen Kurswechsel in der Außenpolitik. Anfang des Monats hatte der Regierungssprecher Waffenlieferungen in den Nordirak, und damit in ein Kriegsgebiet, noch ausgeschlossen. Doch nach der Kabi-nettssitzung in dieser Woche ist alles anders. Die Bundesregierung will sich nicht mehr auf humanitäre Hilfe beschränken, sondern auch Waffen liefern. Außenminister Steinmeier:

O-Ton Steinmeier
„Großbritannien, Italien und Frankreich haben entschieden, solche Güter zu liefern. Wir sind bereit, das auch zu tun, und werden uns dazu natürlich auf das Engste mit unseren europäischen internationalen Partnern abstimmen."

Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet – und dann noch an eine Miliz und nicht an einen staatlichen Akteur. Ein Tabubruch. Lieferungen von Kriegsgerät in Spannungsgebiete hatte die Bundesregierung bisher immer abgelehnt, mit Verweis auf die restriktive Rüstungsexportpolitik. Doch dem Vormarsch der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ und dem drohenden Völkermord an den im Sindschar-Gebirge eingeschlossenen Jesiden wollte die Bundesregierung nicht tatenlos zuschauen. Diesmal sollten nicht nur humanitäre Hilfsgüter geschickt werden. Ursula von der Leyen hatte in der vergangenen Woche die Entsendung von Rüstungsgütern angekündigt. Da war aber noch von nicht-letalem, also nicht-tödlichem Gerät die Rede. Die Verteidigungsministerin bei der Verabschiedung der ersten Transall-Transporter auf dem schleswig-holsteinischen Luftwaffenstützpunkt Hohn:

O-Ton von der Leyen
„Dies sind reine humanitäre Hilfsgüter. Wir prüfen zurzeit, ob wir auch Ausrüstungsgegenstände, Unimog, Schutzwesten, Helme liefern können. Bei Waffen ist es so, dass die irakische Armee auf russische, ehemalige sowjetische Waffensysteme ausgebildet ist, mit diesen kämpft, und diese auch braucht. Nach diesen fragt sie. Die kann Deutschland nicht liefern. Insofern stellt sich akut diese Frage nicht.“

Ein Trugschluss. Denn die Kurden wollen auch aus Deutschland Waffen. Der CDU-Außenpolitiker Philipp Mißfelder:

O-Ton Mißfelder
„Ich habe von den kurdischen Vertretern den dringenden Wunsch herangetragen bekommen, dass sie panzerbrechende Waffen brauchen. Und vor dem Hintergrund ist aus meiner Sicht dringend notwendig, darüber zu reden, was braucht man, um die akuten Vorstöße von ISIS zu stoppen, und das sind vor allem panzerbrechende Waffen."

Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann, plädiert dafür, die deutsch-französische Panzerabwehr-Rakete MILAN zu liefern:

O-Ton Naumann
„Die Waffe ist verschossen, wenn die Rakete das Rohr verlassen hat, und die Zahl der Munition kann man begrenzen. Und damit hätten die Kurden etwas in der Hand, das Element, mit dem die ISIS ihnen Schwierigkeiten macht, nämlich die Schützenpanzer und Kampfpanzer, doch sehr wirksam bekämpfen können. Es handelt sich um eine Waffe, die sehr einfach zu bedienen ist, die auch sehr schnell zu transportieren ist."

Waffenlieferungen in den Nordirak - ein gefährlicher Schritt und nicht frei von Risiken wie Außenminister Steinmeier offen einräumt. Denn die Waf-fensysteme können trotz aller Vorsichtsmaßnahmen leicht in falsche Hände geraten. Die USA haben vor kurzem die irakischen Sicherheitskräfte mit Kriegsgerät im Wert von mehreren Milliarden Dollar aufgerüstet. Jetzt bombardieren US-Kampfflugzeuge die gepanzerten Humvees und andere Fahrzeuge, weil sie den Kämpfern des Islamischen Staates in die Hände gefallen sind. Die Waffenlieferungen werden auch die kurdischen Unabhängigkeitsbestrebungen stärken und könnten den drohenden Zerfall des Irak beschleunigen. Dabei will die Bundesregierung doch gerade den Zusammenbruch des Irak verhindern. Die kurdischen Peschmerga-Kämpfer koordinieren zudem ihre Operationen inzwischen mit der PKK. Die PKK gilt aber weiterhin in Europa und in den USA als Terror-Organisation. Die PKK-Kämpfer haben entscheidend zur Rettung der Jesiden im Sindschar-Gebirge beigetragen – nicht die militärisch überschätzten Peschmerga-Verbände.

Wenn schon Waffenlieferungen als Instrument der Sicherheitspolitik, dann müssten sie eingebunden sein in ein klares politisches Konzept. Das aber ist bei der Bundesregierung nicht erkennbar. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, der CDU-Abgeordnete Norbert Röttgen:

O-Ton Röttgen
„Ich habe eine Position, die deutschen Waffenlieferungen skeptisch gegenübersteht, weil ich glaube, dass die militärischen und politischen Folgen nicht unter Kontrolle sind.“

Der SPD-Vorsitzende und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel spricht von einem Dilemma, teilt aber ebenfalls grundsätzlich diese Bedenken:

O-Ton Gabriel
„Wir wissen ganz genau, dass die Gefahr bestehen kann, dass in mittlerer Zukunft noch einmal ein Konflikt dort entsteht, nämlich über die territoriale Integrität des Irak. Also, Waffenlieferungen in solche Regionen hinein, produzieren in der Regel später Probleme, derer Mann nicht mehr Herr wird."

Skeptisch ist auch Entwicklungshilfeminister Gerd Müller. Der CSU-Politiker verweist auf die Millionen von Flüchtlingen in Syrien, im Südsudan und in der Zentralafrikanischen Republik:

O-Ton Müller
„Dort wird genauso gemordet. Sollen dort auch Waffen geliefert werden? Ich sag an dieser Stelle: Waffen sind das Problem. Wir haben dreizehn Mal so hohe Militärausgaben in der Welt, wie wir für Entwicklung und Frieden investieren."


 

Andreas Flocken ist Redakteur für die Hörfunk-Sendung "Streitkräfte und Strategien" bei NDRinfo.