Gastbeitrag
Streitkräfte und Strategien - NDR info
03. November 2012


Angst vor einem zweiten Afghanistan?
Bundeswehr-Einsatz im nordafrikanischen Mali

Andreas Flocken

Schon seit längerem kontrollieren Islamisten den Norden des nordafrikanischen Landes Mali. Im Frühjahr hatten die Aufständischen die Regierungstruppen vertrieben. Seitdem gilt die Region als Rückzugsraum von Dschihadisten und Al Qaida nahen Gruppen. Nicht nur Entwicklungshilfeminister Niebel sieht inzwischen dringenden Handlungsbedarf:

O-Ton Niebel
„Mali ist ein Land am Abgrund, und wir wollen nicht, dass es ein verlorener Staat wird. Ungefähr zwei Drittel der Fläche sind besetzt, und die demokratischen Staaten müssen auch zusammen halten, wenn hier die territoriale Integrität durch Terroristen bedroht wird, die ja im Endeffekt nicht Mali zum Ziel haben, sondern unsere Lebensform.“

Vor allem Frankreich beobachtet die Entwicklung mit Sorge – nicht zuletzt weil man in der Region eigene Interessen hat. Anders als beim Libyen-Einsatz der NATO wird sich Deutschland diesmal an der geplanten EU-Mission beteiligen – möglicherweise hofft die Bundesregierung dabei auch auf ein Entgegenkommen der Franzosen beim Euro-Krisenmanagement. Bundeskanzlerin Merkel im vergangenen Monat auf der Bundeswehrtagung in Strausberg:

O-Ton Merkel
„Wir wissen, dass die Streitkräfte Malis zu schwach sind, um zu handeln. Sie brauchen deshalb Unterstützung von außen. Denkbar wären hier eine euro-päische Ausbildungsmission und außerdem auch materielle und logistische Unterstützung.“

Eine Ausbildungsmission also. Benötigt werden hierfür rund 200 Soldaten aus der EU, so ist zu hören. Klarheit soll es am 19. November geben. Dann will Catherine Ashton, die EU-Beauftragte für die Außen- und Sicherheitspolitik, ein Konzept vorlegen. Für Außenminister Westerwelle ist aber schon jetzt klar:

O-Ton Westerwelle
„Es geht nicht um Kampftruppen oder um einen Kampfeinsatz.“

Und Regierungssprecher Seibert stößt in das gleiche Horn:

O-Ton Seibert
„Ein Kampfeinsatz kommt nicht infrage. Punkt.“

Der ehemalige Generalinspekteur, Harald Kujat sieht solche Äußerungen sehr skeptisch. Im Hessischen Rundfunk sagte der frühere Vier-Sterne-General:

O-Ton Kujat
„Nun muss man wissen, dass es gar nicht so sehr in unserer Hand liegt, wenn wir auf die Gefährdung der Soldaten schauen, ob wir an einer Ausbildungsmission teilnehmen, oder an einem Kampfeinsatz, der ja ausdrücklich ausgeschlossen wird. Hier handelt es sich um einen Einsatz, der sehr leicht von einer Ausbildungsmission in aktive Kampfhandlungen hinübergehen kann, und das muss man von vorn herein bedenken.“

Das tut der Verteidigungsminister offenbar auch. Denn Thomas de Maizière will für die Mali-Mission ein Mandat des Bundestages einholen. Das braucht man normalerweise nur für bewaffnete Einsätze der Bundeswehr, nicht für Ausbildungsmissionen. Der CDU-Politiker:

O-Ton de Maizière
„Ich werde nicht Ausbilder in eine Situation schicken, wo sie gefährdet werden, ohne dass sie eine Waffe kriegen, um sich zu verteidigen. Das gehört schon zu meiner Fürsorgepflicht als Verteidigungsminister. Und ich habe jetzt gesprochen über ein Mandat des Deutschen Bundestags. Und da ist eben das        Abgrenzungskriterium nach dem Bundesverfassungsgericht, wenn nicht auszuschließen ist, dass der Einsatz von Soldaten im Ausland zu militärischen Aktionen führen kann, sage ich jetzt mal mit meinen Worten. Und wenn das nicht auszuschließen ist, und deswegen Soldaten geschützt werden, dann ist das mandatspflichtig, und dann müssen wir ein Mandat machen.“

Die Vorstellung, dass die malischen Streitkräfte schon demnächst gegen die Aufständischen im Norden vorgehen könnten, ist Wunschdenken. Denn diese Truppe befindet sich in einem desolaten Zustand. Ihr Umfang wird auf rund 2.000 Soldaten geschätzt, mancher spricht sogar von nur einigen wenigen Kompanien, die vielleicht einsatzfähig wären. Das könnte für die EU-Mission, aber auch für die Bundeswehr, unmittelbare Konsequenzen haben. Der frühere Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Harald Kujat:

O-Ton Kujat
„Es ist zweifelhaft, ob die malische Armee überhaupt in der Lage ist, den Norden zurückzuerobern. Und es ist möglich, dass sie sich dann umdrehen, wenn wir dort bereits involviert sind, und wir dann aufgefordert werden, uns aktiv in die Kampfhandlungen einzuschalten.“

Deshalb sollen die Afrikanische Union oder die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft  ECOWAS eine Eingreiftruppe aufstellen – rund 3.000 Soldaten soll sie umfassen. Ob es aber auch so kommt, ist keineswegs sicher. Und bis die malischen Streitkräfte durch die EU-Ausbildungsmission einsatzfähig sind, könnten Jahre ins Land gehen.

Der künftige Chef des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI, Tilmann Brück, hält nichts von der geplanten Militärmission. Der Westen habe nichts gelernt aus dem Einsatz am Hindukusch:

O-Ton Brück
„Mali ist das neue Afghanistan, wenn wir nicht sehr schnell unsere Politik und unsere Einstellung zu diesem Fall ändern. Es droht die Gefahr, in dieselbe Falle wie in Afghanistan zu laufen.“

Für Tilman Brück ist es erfolgversprechender, die Islamisten im Norden durch Stabilisierung und Einbeziehung der Nachbarstaaten einzudämmen. So könne man die Islamisten in Mali quasi austrocknen.

Und auch Harald Kujat hält die gegenwärtigen Planungen für wenig durchdacht:

O-Ton Kujat
„Vor allen Dingen darf man sich nicht von einem Bündnispartner, und sei es noch so ein enger Bündnispartner wie Frankreich, in ein Abenteuer hinein-ziehen lassen, dessen Ende überhaupt nicht absehbar ist. Wir müssen lernen und wir müssen dazu übergehen, unseren eigenen nationalen Sicherheits-interessen zu folgen. Das muss die Leitlinie sein. Und wir müssen vor allen Dingen auch mehr strategischen- und sicherheitspolitischen Sachverstand ent-wickeln, auch im Vorfeld eines solchen Einsatzes.“

Harald Kujat, der frühere Vorsitzende des NATO-Militärausschusses.


 

Andreas Flocken ist Redakteur für die Hörfunk-Sendung "Streitkräfte und Strategien" bei NDRinfo.