Gastbeitrag aus
Streitkräfte und Strategien - NDR info
02. Juni 2012


Wildwest auf See?
Sicherheitsfirmen versprechen Schutz vor Piratenüberfällen

Gastbeitrag von Andreas Dawidzinski

März 2011. Der US-Massengutfrachter AVOCET ist unterwegs im Indischen Ozean. Plötzlich taucht ein Skiff auf, ein kleines Boot, das mit hoher Geschwindigkeit auf den Frachter zurast - möglicherweise Piraten. Der bewaffnete Begleitschutz an Bord tritt in Aktion:

O-Ton Atmo
(Kommandos, Feuerstöße aus automatischen Gewehren)

Festgehalten ist diese Szene auf einem Video, aufgenommen von der Helmkamera eines Sicherheitsmannes. Nach Angaben des Nachrichtenkanals BLOOMBERG ist dieses Video im vergangenen Jahr auf einer Schifffahrts-Konferenz gezeigt worden. Vor wenigen Wochen tauchte es im Internet auf. 

Einige der Bootsinsassen sind vermutlich getötet oder verletzt worden, sagte der Chef des Sicherheitsunternehmens Trident Group, das die vierköpfige Sicherheitscrew gestellt hat -  unter ihnen auch ehemalige Spezialkräfte der Navy Seals.

Solche Vorfälle sind keine Seltenheit, sagt der Brite Richard Fillon, früher Soldat beim  Special Boat Service SBS, einer Eliteeinheit der Royal Navy, und heute Sicherheitsberater:

O-Ton Fillon (overvoice)
„Ich habe viele Gerüchte über tödliche Zwischenfälle auf See gehört – von gefangenen Piraten und Piraten, die am Ladebaum aufgehängt wurden. Aber die Besatzungen werden die Erschießung von Piraten nie zugeben, weil das rechtliche Konsequenzen hätte. Man hört solche Geschichten jedoch immer wieder, und ich bin sicher: viele sind wahr.“

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt haben zunehmend private Sicherheitsteams den Kampf gegen die Piraten aufgenommen. Manchmal mit rechtlich fragwürdigen Methoden. Die Nachfrage wächst. Auch bei den deutschen Reedern.
Im vergangenen Jahr haben rund 1.200 Schiffe unter deutscher Flagge die besonders durch Piraterie gefährdeten Gebiete des Indischen Ozeans passiert.

Die EU-Anti-Piratenoperation Atalanta hat die Region nicht wesentlich sicherer gemacht. Die EU-Kriegsschiffe haben in erster Linie den Auftrag, Schiffe des World Food Programms auf dem Weg nach Somalia zu schützen. Auf der Prioritätenliste steht danach der Schutz der Handelsrouten, und erst an dritter Stelle folgt die Suche nach Piraten.
Zwar setzen die Handelsschiffe schon seit langem auf passive Abwehrmaßnahmen, beispielsweise Stacheldraht an Bord. Doch selbst Offiziere der Deutschen Marine halten diese Vorkehrungen für nicht besonders wirkungsvoll. Der Kommandant der Fregatte BAYERN, Andreas Graf von Kielmannsegg, kürzlich auf einer Tagung zur Piraterie an der Bundeswehr-Universität Hamburg:

O-Ton Kielmannsegg
„Es hat sich gezeigt, dass in der Abwehr von Seiten der Handelsschiffe letztlich das Effektivste ist, wenn ich doch Sicherheitsteams an Bord habe und wenn diese Sicherheitsteams zurückschießen können.“

Und es wird inzwischen zurückgeschossen – möglicherweise wird das Feuer eröffnet, noch bevor mutmaßliche Piraten einen Schuss abgegeben haben. Obwohl offiziell der Kapitän für das Schiff verantwortlich ist, kann es dann  passieren, dass praktisch die Sicherheitscrew das Kommando übernimmt. Sicherheitsberater Richard Fillon:

O-Ton Fillon (overvoice)
„Wenn wir über die Kontrolle des Schiffes sprechen, dann muss man wissen, dass sie de facto vom Kapitän abgegeben wird an diese vier Sicherheitsleute, die ein paar Tage zuvor an Bord gekommen sind. Das ist zunächst einmal auch ganz schlecht  für den Schiffseigner.“

Aus Sicht der Reedereien wird der Druck immer größer, Sicherheitsteams einzuschiffen. Umwege kosten wegen des Anstiegs der Treibstoffpreise immer mehr Geld. Außerdem will man dem Sicherheitsbedürfnis der Besatzungen nachkommen. Kein Wunder, dass das Geschäft mit der maritimen Sicherheit boomt. Weltweit bieten inzwischen 160 bis 180 Firmen Reedern ihre Dienstleistungen an. Doch die Qualität sinkt. Für Richard Fillon können viele Unternehmen ihre Versprechungen nicht einhalten:

O-Ton Fillon (overvoice)
„Es gibt zwar einige gute Sicherheitsfirmen. Aber es gibt inzwischen mehr und mehr Unternehmen, die nicht so gut sind. Daher werden wir auch immer öfter von Zwischenfällen hören. Und deshalb will man auch nicht darüber sprechen, was auf See wirklich passiert.“

Der Hintergrund: Sicherheitsspezialisten mit maritimer Erfahrung sind rar. Dabei wird der Bedarf immer größer. Friedrich Haas von der Consulting-Firma SKABE:

O-Ton Haas
„Es gibt weltweit eigentlich sehr, sehr wenige Einheiten, die von Berufswegen sagen können: Wir haben seit fünf oder zehn Jahren das professionell gemacht -  als Militärs und im maritimen Sektor. In Deutschland haben wir die Kampfschwimmer, wobei dann die Frage ist, wie viel Einsatzerfahrung ist dort wirklich in Krisen- und Kriegsgebieten gesammelt worden? Aber selbst bei den Briten und Amerikanern oder in anderen Navys und Armeen sind das sehr, sehr kleine Spezialeinheiten von Leuten, die wirklich dieses Handwerk verstehen, die so etwas, wenn sie im Ruhestand sind oder aus der Armee ausgeschieden sind, selber leisten könnten - als private Firma oder als Teamleiter.“

Der militärische Hintergrund vieler Sicherheitsleute ist manchmal dürftig. Außerdem ist es etwas anders, ob man Schusswaffen auf See oder an Land einsetzt. Der frühere Kommando-Soldat  der Royal Marines, Richard Fillon:

O-Ton Fillon (overvoice)
„Ich habe erlebt, wie selbst professionelle Soldaten nachlässig mit der Handhabung ihrer Waffe umgegangen sind, so dass sie versehentlich abgefeuert wurde. Wenn nun aber Leute, ohne große Erfahrung,  mit Schusswaffen zu tun haben, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Unfällen kommt, ziemlich groß. Sie könnten sich selbst oder Kameraden verletzen, Crew-Mitglieder könnten getroffen werden oder aber wichtige Komponenten des Schiffes. Das alles macht die Situation an Bord schwierig.“  

Wichtig sei außerdem eine realistische Einschätzung der Feuerkraft der Piraten. So wird beispielsweise das sagenumwobene Sturmgewehr AK-47 weit überschätzt:

O-Ton Fillon (overvoice)
„Schon an Land ist das AK-47 strenggenommen eine sehr ungenaue Waffe. Der einzige Vorteil ist, man kann das Gewehr jahrelang in der Erde verstecken, und wenn die Waffe dann ausgegraben wird, dann funktioniert sie einwandfrei.  Aber in der Hand eines Fischers, der am AK-47 nicht ausgebildet ist, und vielleicht am Strand auf einige Flaschen geschossen hat – in der Hand eines Fischers ist die Waffe nicht sehr treffsicher.“

Überschätzt werde auch die Wirkung der von den Piraten häufig mitgeführten RPG-Panzerfäuste.

Die deutschen Schiffseigner haben den Einsatz von privaten Sicherheitskräften an Bord lange abgelehnt. Der Verband Deutscher Reeder setzte stattdessen auf  Marinesoldaten oder Bundespolizisten – vergeblich. Die Bundesregierung stellte sich quer. Der Kompromiss: Künftig sollen überprüfte private bewaffnete Sicherheitskräfte an Bord für den Schutz sorgen. Die  Sicherheitsfirmen werden zuvor von Bundesbehörden zertifiziert und zugelassen. Wolfgang Hintzsche vom Verband Deutscher Reeder:

O-Ton Hintzsche
„Wir wollen keine Rambos, wir wollen keine ‚Black Sheriffs‘ haben, sondern wir wollen sehr hoch ausgebildete und sehr mit Bedacht agierende Personen an Bord haben, die unsere Besatzung schützen und die natürlich auch im direkten Zusammenspiel mit dem Kapitän, der dort eben immer noch die entsprechende Befugnisse hat und die Alleinbefugnisse hat, sehr bedachtsam entsprechend einen Schutz aufrecht erhält.“

Die deutsche Handelsflotte ist mit rund 3.500 Schiffen die drittgrößte Handelsflotte der Welt. Allerdings fahren nur etwa 600 Schiffe unter deutscher Flagge. Dass die Bundesregierung für diese deutsch-geflaggten Schiffe keine Marinesoldaten oder Polizisten bereitstellen will, kommt für Hans-Georg Ehrhart vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik nicht ganz überraschend:

O-Ton Ehrhart
„Das passt in den gängigen Trend der Privatisierung der Sicherheit, den es ja in vielen Bereichen gibt. Diejenigen, die daran verdienen, sind die Sicherheitsfirmen, die in der Tat wie Pilze aus dem Boden sprießen. Man kann die Frage stellen: handelt es sich hier nicht um hoheitliche Aufgaben? Unsere Nachbarn, die Holländer haben mit ‚Ja‘ geantwortet und haben fünfzig solche Sicherheitsteams von ihren eigenen Soldaten zur Verfügung gestellt und aufgebaut und gesagt: Das reicht für die Gegend, wo Piraterie droht und damit können wir alle holländischen Schiffe schützen. Das ginge theoretisch auch bei uns, es ginge auch praktisch - wenn dafür die entsprechenden Mittel zur Verfügung gestellt würden und wenn die politische Entscheidung entsprechend fallen würde. Meines Erachtens stünde dem nicht viel entgegen, aber offenbar ist die Privatisierung der einfachere Weg.“

Inzwischen heißt es, die Niederländer wollen ihre sogenannten Vessel Protection Detachments sogar verdreifachen, auf mehr als 150. Zum Vergleich: Die wesentlich größere Deutsche Marine hat im Rahmen der EU-Operation Atalanta bislang insgesamt gerade einmal 14 solcher militärischen Schutzteams ausgebildet und eingesetzt.
Doch nicht nur die Bundeswehr, auch die Bundespolizei sieht sich nicht in der Lage, Sicherheitskräfte zu stellen. Von Kosten in Höhe von rund 150 Millionen Euro ist die Rede. Der Präsident der zuständigen Bundespolizeidirektion Bad Bramstedt, Joachim Franklin:

O-Ton Franklin
„Das ist im Grunde genommen eine ganz grobe Schätzung. Aber der Aufwand, der insgesamt zu leisten ist, um alle Hauptschifffahrtsrouten abzudecken mit der entsprechenden Stehzeit mit Personal, das man braucht für eine entsprechende Ablösung, ist sehr hoch. Und meine rund 500 Seeleute, die ich in Bad Bramstedt, die mit den Inspektionen Warnemünde und in Neustadt habe, würden sicherlich nicht ausreichen, um das auf Dauer abzudecken zu können. Wir sind personell dafür aufgestellt, im Bundesgebiet unsere Aufgaben wahr zu nehmen. Das können wir und das machen wir. De Jure wäre ein Begleitschutz möglich - immer unter der Prämisse ‚Einsatz im Rahmen der Freiwilligkeit‘. Aber dafür wären personelle und insbesondere finanzielle Aufwendungen notwendig, die aus dem bisherigen Etat und aus dem Personalkörper der Bundespolizei heraus nicht zu leisten sind.“

Für den Hamburger Innensenator Michael Neumann ist der Schutz der deutschen Handelsschiffe aber eine hoheitliche Aufgabe. Diese dürfe man nicht privaten Sicherheitsdienstleistern überlassen. Das Kostenargument will der SPD-Politiker dabei nicht gelten lassen:

O-Ton Neumann
„Die Durchsetzung des Gewaltmonopols wird in Zukunft auch etwas sein, was sich niemals rechnet. Meine ganze Hamburger Polizei rechnet sich nicht, die kostet immer Geld. Die Feuerwehr kostet auch immer Geld. Aber es geht ja darum, ob ein Staat in der Lage ist, sich selbst noch ernst zu nehmen und das Gewaltmonopol wirksam durchzusetzen, angemessen durchzusetzen. Und das war ja immer mein Kritikpunkt, das was die Bundesregierung jetzt für sich entschieden hat, das nämlich zu privatisieren, ist eine Kapitulation. Es ist das  Eingeständnis, dass man sich dieser Aufgabe nicht gewachsen fühlt.“

Doch mit dieser Kritik steht Neumann weitgehend alleine da – auch in der eigenen Partei. In der SPD hält man nichts davon, in Seegebieten, in denen Piraten aktiv sind, Bundespolizisten oder Marinesoldaten als Sicherheitsteams an Bord von deutschen Handelsschiffen zu schicken – selbst wenn die Reeder sich finanziell an den Kosten beteiligen würden. Hamburgs Innensenator bleibt in dieser Frage ein einsamer Rufer und nimmt kein Blatt vor den Mund:

O-Ton Neumann
„Ich bin damit auch der einzige Sozialdemokrat, der diese These vertritt. Also auf Bundesebene bin ich der Einzige. Das sehen die Friedensengel in der Bundestagsfraktion alle ganz anders. Zum Teil wirre Anträge, die da dort im Bundestag seitens der SPD gestellt werden.  In dem Punkt bin ich so gesehen auch innerhalb der CDU rechts außen.“

Vor rund einem Jahr hat die Bundesregierung angekündigt, dass sie den Weg für bewaffnete private Sicherheitsdienste an Bord freimachen will. Voraussetzung ist allerdings die staatliche Zertifizierung dieser Unternehmen. Ähnliche Verfahren gibt es bereits in Ländern wie den USA, Großbritannien, Dänemark, Norwegen und Liberia. Doch in Deutschland verzögert sich die Zertifizierung – sehr zum Ärger des Verbandes der Deutschen Reeder. Wolfgang Hintzsche:

O-Ton Hintzsche
„Im Moment ist es leider immer noch der Punkt, dass wir, solange wir das Gesetz nicht haben, mit deutschflaggigen Schiffen ausflaggen müssen, weil wir definitiv keine Genehmigung haben, auch keine Ausnahmegenehmigung, unter deutscher Flagge private Sicherheitskräfte einzusetzen. Und das ist natürlich schon eine Sache, die man sehr schwer nachvollziehen kann. Dass die Politik dort nicht sehr, sehr schnell Aktionen ergriffen hat, dass man hier nicht auch gesagt hat, wir haben die IMO-Guidelines, wir geben per Erlass eine kurzfristige Freigabe auch für deutsche Flagge. - Wann ist das Gesetz da? Es gab Hoffnungen bis Ende des Jahres, wahrscheinlich wird es jetzt bis Anfang nächsten Jahres dauern. So lange fahren die Schiffe dort eben nicht unter deutscher Flagge. Ob sie dann zurückkommen, das ist natürlich die große Frage.“

Doch kann durch die geplante Überprüfung der privaten Sicherheitsfirmen wirklich sichergestellt werden, dass die Schiffe mit qualifizierten Schutzteams ausgestattet werden, und nicht doch schießwütige Rambos an Bord kommen?
Sicherheitsberater Matthias Keil von der Consulting-Firma SKABE ist skeptisch. Er geht davon aus, dass das geplante Zulassungsverfahren in der Praxis nur eine geringe Aussagekraft haben wird:

O-Ton Keil
„Die Zertifizierung sieht nach meinem Wissensstand derzeit so aus, dass eben von der Bundesregierung bestimmte Notwendigkeiten vorgegeben werden, die man nachweisen muss. Zum Beispiel Zuverlässigkeit. Zuverlässig heißt, dass er keine Eintragungen im polizeilichen Führungszeugnis haben darf. Das sagt aber noch nichts darüber aus, dass er eventuell in der Lage ist, diese Dienstleistung zu erbringen. Es sagt auch nichts darüber aus, ob er seefest ist. Es wird einfach ein schön aussehendes Papier entwickelt, das sicherlich gut ist, was sicherlich gut aussieht, was aber meines Erachtens nicht den Kern der Sache trifft.“

Matthias Keil befürchtet, dass der Trend zu privaten Sicherheitsdiensten noch weiter zunehmen wird.  Die mögliche Folge: Eine weitere Eskalation:

O-Ton Keil
„Wo ich Angst vor habe, ist im Prinzip die Entwicklung, die dann weiter auf uns zu kommt. Die privaten Sicherheitsdienste statten sich mehr und mehr mit Waffen aus, also muss natürlich der Pirat, um sein Ziel zu erreichen, mit einer stärkeren Waffe kommen. Dann helfen uns die jetzt zugelassenen Waffen auch nicht mehr viel. Wir müssen uns dann auch wieder steigern. Das wird ein Ende nehmen, das für alle nicht schön ist. Und deswegen bin ich ein Verfechter dessen, dass man darüber nachdenkt, die Schiffe entsprechend auszurüsten, dass sie nicht so leicht geentert werden.“

Bei den Sicherheitsfirmen herrscht eine Goldgräberstimmung. Auf See wird das staatliche Gewaltmonopol aufgegeben. Die Bundesregierung spricht aufgrund der Piraterieprobleme von einer Sondersituation. Möglicherweise wird daraus ein Dauerzustand. Denn die jetzt eingeleitete  Entwicklung wird man vermutlich nicht wieder rückgängig machen können.


Andreas Dawidzinski ist freier Journalist.