Gastbeitrag
Streitkräfte und Strategien - NDR info
26. Februar 2011


Französische Hubschrauberträger für Russland

Kooperationssignal an Moskau oder Spaltpilz für die NATO?

Gastbeitrag von Thomas Horlohe


Es gibt Weihnachtsgeschenke, von denen man länger etwas hat. Ein Paket mit vier Kriegsschiffen ist so ein Präsent. Während die übrige Christenheit sich auf besinnliche Festtage einstimmte, fanden die Staatsmänner Wladimir Putin und Nicolas Sarkozy am 24. Dezember letzten Jahres noch Zeit für ein Telefonat. Sie gratulierten sich gegenseitig zum spektakulärsten und umstrittensten Rüstungsgeschäft der letzten Jahre. Zuvor war achtzehn Monate hart verhandelt worden. Dann informierte Frankreichs Präsident die Öffentlichkeit über diesen Deal. Die Pressestelle des Elysee-Palastes verkündete triumphierend:

Zitat Pressestelle Elysee
„Frankreich hat gesiegt!“

Vier moderne Hubschrauber-Träger der „Mistral“-Klasse im Wert von zwei Milliarden Euro wird Frankreich an Russland liefern. Für Russland ist es der größte Rüstungsimport seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Für Frankreich und die NATO ist es das erste Mal überhaupt, dass Rüstungsgüter in diesem Umfang und in dieser Qualität an Russland geliefert werden. Deshalb lässt dieses Rüstungsgeschäft aufhorchen: Was können die Kriegsschiffe der „Mistral“-Klasse? Worum geht es bei dem Waffengeschäft?

Die „Mistral“ ist ein Mehrzweckschiff. Sie ist als Hubschrauberträger konzipiert. Auf dem Oberdeck können sechs Helikopter starten und landen. Auf dem Hangar-Deck darunter werden 16 Hubschrauber mitgeführt. Im Unterdeck haben in einem Trockendock vier Landungsboote Platz oder alternativ zwei Luftkissenfahrzeuge. Auf dem Fahrzeugdeck dazwischen können 60 gepanzerte Fahrzeuge, darunter 13 schwere Kampfpanzer transportiert werden. Außerdem verfügt die „Mistral“ über einen Gefechtsstand mit 150 Telearbeitsplätzen, ein Militärhospital mit 69 Betten und zwei Operationssälen samt Telemedizin-Einrichtungen. Das Schiff kann 450 Soldaten aufnehmen, bei kurzen Einsätzen sogar noch 250 Mann zusätzlich. Das Schiff eignet sich daher für Landungsoperationen, für Kommando-Einsätze - z.B. gegen Piraten oder mutmaßliche Terroristen - und zur Evakuierung von Zivilisten sowie als schwimmendes Hauptquartier.

Insgesamt ist das Einsatzspektrum der „Mistral“ höchst ambivalent. Möglich sind humanitäre Hilfsaktionen, Machtdemonstrationen, aber auch aggressive Militärinterventionen – im Militärjargon häufig „Power projection“ genannt. Viele Kriegsmarinen der Welt verfügen über solche oder ähnliche Mehrzweckschiffe  bzw. bauen sie. Darunter Länder wie Japan, Südkorea, Australien, Spanien, Italien und die Niederlande. Warum also die Aufregung, dass auch Russland Kriegsschiffe erwerben will, die für diese Zwecke geeignet sind? - Weil die letzte russische Militärintervention keine drei Jahre zurück liegt. Rückblick. Der 8. August 2008:

O-Ton-Tagessschau vom 8.8.2008
„Guten Abend meine Damen und Herren. Zunächst aber zu einem militärischen Konflikt im Kaukasus. Zwischen Russland und Georgien hat sich der Streit um die Region Südossetien bis an den Rand eines Krieges zugespitzt. Bei Kämpfen wurden offenbar mehrere hundert Zivilisten getötet.“/ „Der russische Präsident Medwedjew unterstreicht, dass, wie er sagt, wir verpflichtet sind, das Leben unserer Bürger zu schützen, egal wo sie sich befinden. Schwere russische Panzerverbände und Truppen rollen seit heute Nachmittag von Russland aus in Richtung Südossetien.“

Der Fünf-Tage-Krieg gegen Georgien legte die Mängel der russischen Streitkräfte schonungslos offen. Margarete Klein, Russland-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik, stellte im Oktober 2008 in einer Studie fest:

Zitat Klein
„Russlands Sieg beruhte keineswegs auf materieller und technologischer Überlegenheit, sondern auf guter Vorbereitung und seiner quantitativen Überlegenheit. (…) Angesichts ihrer technologischen Rückständigkeit erinnern die konventionellen Streitkräfte Russlands mehr an eine Armee des 20. als an eine des 21. Jahrhunderts.“

Doch nicht nur die russischen Streitkräfte sind veraltet. In die Jahre gekommen ist auch die Rüstungsindustrie. Um die Streitkräfte zu modernisieren hatte sich die russische Führung um Wladimir Putin daher 2008 für einen weitreichenden Schritt entschieden: sie beschloss, westliche Rüstungstechnik zu importieren und in Lizenz zu fertigen. Jetzt ist die Vereinbarung unter Dach und Fach. Zwei Schiffe vom Typ „Mistral“ werden in Frankreich gebaut, zwei auf der Admiralitätswerft in St. Petersburg in Lizenz.

Gleich zu Beginn der Verhandlungen mit Frankreich im September 2009 formulierte der Oberbefehlshaber der russischen Flotte, Admiral Vysotsky, ganz offen den Zusammenhang zwischen Georgien-Krieg und „Mistral“-Kauf:

Zitat  Admiral Vysotsky
„Alles, wofür wir damals 26 Stunden benötigten kann dieses Schiff in 40 Minuten erledigen.“

Als hätte die Erinnerung an die Intervention in Georgien der Auffrischung bedurft, unterzeichnete Präsident Medwedjew Anfang letzten Jahres eine neue Militärdoktrin. Margarete Klein von der Stiftung Wissenschaft und Politik kommt zu dem Schluss:

Zitat Klein
„In der Militärdoktrin werden die Möglichkeiten, russische Truppen im Ausland einzusetzen, deutlich erweitert. … Streitkräfte können nun entsandt werden, um russische Bürger im Ausland vor bewaffneten Angriffen zu schützen. Das war das Kernargument für die Intervention in Georgien. … Insgesamt untermauert die Militärdoktrin Russlands Anspruch, im postsowjetischen Raum als Hegemonialmacht zu agieren, und lässt seine Bereitschaft erkennen, diesen Anspruch notfalls militärisch durchzusetzen.“

Im Kaukasus und im Baltikum sind daher die Nachbarländer besorgt über die russische Rüstung. Georgien drängte die USA, ihrem NATO-Partner Frankreich ins Gewissen zu reden. Im Februar vergangenen Jahres erinnerte US-Verteidigungsminister Gates seinen französischen Kollegen Morin daran, dass Russland bis heute die Bedingungen des Waffenstillstandsabkommens nicht voll erfüllt habe, die Präsident Sarkozy während der französischen EU-Präsidentschaft am 12. August 2008 ausgehandelt hatte, um den Georgien-Krieg zu beenden. An die gleiche wortbrüchige Regierung wolle der Präsident nun moderne Kriegsschiffe verkaufen, wundern sich Kritiker.

Die baltischen Staaten haben das umstrittene Rüstungsgeschäft auch im NATO-Rat zur Sprache gebracht. Die Diskussion wurde von NATO-Generalsekretär Rasmussen jedoch schnell abgewürgt. Die Rüstungsgeschäfte der NATO-Partner bergen reichlich Konfliktstoff. Deshalb sind sie im Bündnis tabu.

Doch der entscheidende Grund, warum das „Mistral“-Geschäft im NATO-Bündnis nicht thematisiert wird, ist der sogenannte „Neustart“ der Beziehungen zu Russland. Die Führungsmacht USA hatte ihn ausgerufen. Auf seinem Gipfeltreffen am 20. und 21. November im vergangenen Jahr in Lissabon zelebrierte das Bündnis den Fortschritt hin zu einer sogenannten „strategischen Partnerschaft“ mit Russland. Wer Russland als Partner gewinnen wolle, so die Argumentation aus Paris, müsse Russland auch wie einen Partner behandeln. Da fällt es schwer, den „Neustart auf Französisch“ öffentlich zu kritisieren.

So wurde das „Mistral“-Geschäft im politischen Windschatten des Lissabon-Gipfels unter Dach und Fach gebracht. Frankreichs Präsident erhofft sich vom Verkauf der Hubschrauberträger Arbeitsplätze und Wählerstimmen im nächsten Frühjahr, wenn er zur Wiederwahl antreten wird. Für Russlands besorgte Nachbarn hingegen gilt „nomen est omen“. Mistral – der Namenspatron dieser französischen Schiffsklasse – ist der kalte Fallwind, der in Frankreichs Südwesten einfällt, dem Boden Feuchtigkeit entzieht und die Waldbrandgefahr erhöht.