Nebenrolle für die Bundeswehr?
Vorbereitungen für Großoffensive in
Nordafghanistan
Andreas Flocken
Der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr findet in der Bevölkerung
immer weniger Rückhalt. Meinungsumfragen sprechen eine deutliche
Sprache. In knapp zwei Wochen sieben tote Bundeswehr-Soldaten bei Gefechten
– es lässt sich nicht mehr leugnen: auch in Nordafghanistan herrscht
Krieg. Die Zweifel am Einsatz wachsen. Nicht zuletzt deshalb hat die
Bundeskanzlerin Afghanistan zur Chefsache gemacht. In dieser Woche gab
sie im Bundestag eine Regierungserklärung ab.
Das Militärengagement lässt sich auf Dauer aber nicht gegen
einen breiten Mehrheitswillen der Bevölkerung durchhalten. Mittlerweile
ist daher von einem Strategiewechsel und einer Ausstiegsperspektive die
Rede. Deutschland und auch die NATO wollen sich auf die Ausbildung der
afghanischen Sicherheitskräfte konzentrieren. Verteidigungsminister
zu Guttenberg Anfang des Jahres:
O-Ton zu Guttenberg
„Wir wachsen von derzeit 280 Soldaten, die mit der Ausbildung befasst
sind, auf 1400 Soldaten, die sich [auf] Ausbildung und Schutz im Zusammenspiel
konzentrieren... Mehr Schutz und Ausbildung statt beispielsweise offensiv
agierender Kampftruppen. Auch darin besteht ein ganz wesentlicher Strategiewechsel.“
Die Quick Reaction Force - der schnelle Eingreifverband – wird zu einem
Schutz- und Ausbildungsverband umstrukturiert. Im Afghanistankonzept
der Bundesregierung ist die Rede von einer Schwerpunktverlagerung von
einem offensiven Vorgehen zu einer grundsätzlich defensiven Ausrichtung.
Paradoxerweise wird dadurch der Einsatz für die Soldaten aber erheblich
gefährlicher. Denn die Ausbildung der Afghanen findet nicht mehr
in befestigten und geschützten Feldlagern statt, sondern - wie die
Militärs sagen - in der Fläche. D.h. Bundeswehrsoldaten begleiten
ihre Schützlinge und beteiligen sich an Einsätzen der afghanischen
Streitkräfte - „Partnering“ heißt dieses Konzept. Als eine
Art Vorläufer kann die zurzeit im Norden durchgeführte Operation
Tahoid II gesehen werden. Beteiligen sollten sich eigentlich rund 3.000
vor allem afghanische Soldaten. Doch es konnte gerade mal die Hälfte
mobilisiert werden. Dass die afghanischen Verbände nicht wie zugesagt
in voller Stärke antreten – am Hindukusch ist das ganz normal. Ziel
war, das Umfeld von wichtigen NATO-Nachschubrouten unter Kontrolle zu
bringen. Die vier in der vergangenen Woche getöteten Bundeswehr-Soldaten
waren an der Operation Tahoid II beteiligt. Drei von ihnen waren Ausbilder,
sogenannte Mentoren. Die Militäraktion hat die Risiken und Gefahren
deutlich gemacht, die mit dem Partnering-Konzept verbunden sind. Es zeigte
sich außerdem, wer bei solchen Operationen das Sagen hat. Der für
die Nordregion eigentlich zuständige deutsche Ein-Sterne-General
Leidenberger hatte Bedenken gegen den Zeitpunkt der Aktion. Vor allem,
weil sie während des deutschen Kontingentwechsels starten sollte.
Doch das im ISAF-Hauptquartier in Kabul zuständige International
Joint Command bestand auf einer zeitnahen Operation. Geführt wird
das Kommando vom amerikanischen Drei-Sterne-General David Rodriguez.
Er ist zugleich der Stellvertreter von ISAF-Befehlshaber McChrystal.
In den nächsten Wochen werden die rund 4.500 Bundeswehr-Soldaten
durch mehr als 5.000 US-Soldaten verstärkt. Offiziell werden sie
dem von Deutschland geführten Regionalkommando Nord in Mazar-i-Scharif
unterstellt. Vor allem wegen dieser Verstärkungen wird der Nachfolger
von Brigadegeneral Leidenberger ein deutscher Zwei-Sterne-General sein.
Doch auch diese Höherstufung wird nicht viel daran ändern,
dass die zentralen Entscheidungen im ISAF-Hauptquartier in Kabul getroffen
werden – von General Rodriguez und dessen Vorgesetzten McChrystal. Dort
will man dem zunehmenden Einfluss der Taliban nicht mehr tatenlos zusehen.
Man hat im Norden größeres vor. Der ISAF-Stabschef, der deutsche
General Kasdorf, im vergangenen Monat:
O-Ton Kasdorf
„Es wird sicherlich eine Operation geben dort oben in Kundus. Ich will
nicht sagen, in dem Ausmaß und in dem Umfang, wie wir das jetzt
unten in Helmand sehen. Aber sicher etwas Ähnliches.“
An der Operation in der Provinz Helmand im Süden des Landes waren
rund 15.000 Soldaten beteiligt.
Zu hören ist, die Offensive in Norden könnte schon im Sommer
beginnen. Für die Bundeswehr eigentlich zu früh. Denn die Umsetzung
des Partnering-Konzepts wird bis dahin noch nicht abgeschlossen sein.
Zwei sogenannte Schutz- und Ausbildungsbataillone mit jeweils 700 Soldaten
sollen aufgestellt werden. Doch es wird noch einige Zeit vergehen, bis
diese eingesetzt werden können. Die volle Einsatzbereitschaft wird
mit Beginn des 24. Einsatzkontingents angestrebt, so die Antwort der
Bundesregierung auf eine Anfrage der Bündnis-Grünen im Bundestag.
D.h. vor November wird es nichts mit dem „Partnering“-Ausbildungskonzept.
So lange werden allerdings die Amerikaner mit der geplanten Großoffensive
im Norden nicht warten. Aber auch wenn die Bundeswehr in ihrem eigenen
Kommandobereich dabei nur in der zweiten Reihe stehen wird: Es wird weitere
Verluste geben. Und die Stimmen nach einem Abzug werden immer lauter
– inzwischen auch im Bundestag.
Andreas Flocken ist Redakteur für die Hörfunk-Sendung "Streitkräfte
und Strategien" bei NDRinfo.
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