Gastbeitrag
Streitkräfte und Strategien - NDR info
11. August 2007


Internationalisierte Urananreicherung

Erfolgreicher Ansatz, um die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verhindern?

Dr. Oliver Meier

Brasiliens Atomprogramm zeigt ein grundsätzliches Problem auf: Mit der Verbreitung der Kernenergie steigt unausweichlich auch die Gefahr des militärischen Missbrauchs dieser Technologie. Der Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde, Mohamed ElBaradei warnt seit langem:

"Wir müssen die Verbreitung von Anreicherungs- und Wiederaufbereitungstechnologie stoppen, sonst haben wir zusätzlich zu den bereits vorhandenen neun Kernwaffenstaaten eine Reihe von Ländern, die ich virtuelle Nuklearwaffenstaaten nennen möchte. Staaten, die in der Lage sind über Nacht Atomwaffen zu entwickeln."

Mehr als ein Dutzend Länder erwägen heute den Einstieg in die Kernenergie. Darunter viele im Nahen Osten. Es kann vermutet werden, dass Ägypten und Algerien, Syrien und Saudi Arabien wenn sie Atomkraft zur Energiegewinnung nutzen wollen, auch in Richtung Atombombe schielen. Nicht ausgeschlossen, dass das geplante türkische Atomprogramm zugleich eine Rückversicherung gegen eine weitere Nuklearisierung des Nahen Ostens ist.

Experten wie ElBaradei machen sich besonders um jene Staaten Sorgen, die Uran anreichern oder Plutonium wiederaufbereiten wollen. Wer über diese Fähigkeiten verfügt, für den ist der Weg zur Atombombe kurz. Genau deshalb steht der Iran im Zentrum der Aufmerksamkeit. Aber Argentinien, Australien, Südafrika, und die Ukraine erwägen ebenfalls den Bau eigener Urananreicherungsanlagen.

Während das Interesse an der Kernenergie steigt, wackeln internationale Kontrollmechanismen, die die Verbreitung militärisch nutzbarer Kerntechnik verhindern sollen. Vor vier Jahren erst wurde ein internationales Schmuggelnetzwerk aufgedeckt, über das jahrelang pakistanische Bombentechnologie nach Iran, Nordkorea und Libyen geliefert wurde. Iran trotzt internationalen Sanktionen und treibt sein Atomprogramm voran. Und die USA wollen plötzlich den Atomwaffenstaat Indien, der alle internationalen Kontrollmechanismen ablehnt, mit Nukleartechnologie beliefern.

Wie aber soll angesichts dieser Entwicklungen verhindert werden, dass Atomtechnologie in die falschen Hände gerät ohne gleichzeitig die zivile Nutzung über die Maßen einzuschränken? Das Problem besteht seit langem. Die Wiener Atomenergiebehörde wurde vor fünfzig Jahren auch gegründet, um die friedliche Nutzung der Kernenergie zu fördern und gleichzeitig ihren Missbrauch zu verhindern. Vorschläge, die Urananreicherung und Wiederaufbereitung international zu betreiben, konnten sich aber während des Ost-West-Konflikts nicht durchsetzen und wanderten in die Schublade.

Dann aber schlug die amerikanische Regierung, besorgt wegen der Gefahren des Nuklearterrors, einen anderen Weg ein. US-Präsident Bush forderte im Februar 2004 die nuklearen Lieferländer auf, Anreicherungs- und Wiederaufbereitungstechnologie nur noch an solche Staaten zu liefern, die über diese Fähigkeiten bereits verfügen. Nur durch ein solches Embargo könne die Entstehung neuer, virtueller Atomwaffenstaaten verhindert werden, argumentierte der Präsident. Die Konsequenz aber wäre eine Zweiteilung der internationalen Gemeinschaft. Auf der einen Seite Technologiebesitzer und Lieferstaaten, auf der anderen nukleare Habenichtse, die bei der Versorgung mit Nuklearbrennstoff vom guten Willen der Industriestaaten abhängig sind.

Mohamed ElBaradei verwies umgehend darauf, dass eine solche Politik dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag widerspricht, denn das Abkommen garantiert allen Mitgliedern die uneingeschränkte friedliche Nutzung der Kernenergie. ElBaradeis Gegenvorschlag: Besonders gefährliche Atomanlagen sollten multilateral betrieben werden. So könnten Schwellenländer Zugang zur Atomtechnologie erhalten, während gleichzeitig die internationale Kontrolle über Anreicherungs- und Wiederaufbereitungstechnologie verbessert wird. Denn wenn viele Staaten gemeinsam die brisanten Anlagen betreiben, kann kein einzelner sie unbemerkt zum Bau von Bombenmaterial missbrauchen.

Durchsetzen konnte sich bisher keiner der beiden Ansätze. Die Auseinandersetzung um den richtigen Weg aber erweist sich als außerordentlich produktiv. Ein neuer Bericht der Wiener Atomenergiebehörde listet 12 neue Vorschläge zur besseren Kontrolle von Brennstoffkreisläufen auf, die allein in den letzten beiden Jahren gemacht wurden. Die Ideen reichen von besseren Liefergarantien für nuklearen Brennstoff bis hin zur Schaffung einer internationalen Brennstoffbank.

Das gemeinsame Ziel: Durch das Versprechen der gesicherten Versorgung mit nuklearem Brennstoff sollen atomare Newcomer dazu bewogen werden, auf den Bau eigener Anreicherungs- und Wiederaufbereitungsanlagen zu verzichten. Offen bleibt, ob ein solcher Verzicht dauerhaft sein muss und Voraussetzung für Liefergarantien ist.

Am weitesten geht der Vorschlag des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier, der vor allem auf wirtschaftliche Anreize zum freiwilligen Verzicht setzt. Er schlägt den Bau einer neuen Anreicherungsanlage auf extraterritorialem Gebiet vor, die unter internationaler Kontrolle Brennstoff für Atomkraftwerke liefern soll. Steinmeier glaubt, eine solche unabhängige Anlage könnte für viele Staaten eine gesicherte und unabhängige Energieversorgung gewährleisten .

Doch die nuklearen Schwellenländer bleiben skeptisch. Ein grundsätzlicher Verzicht auf das Recht zur Urananreicherung ist für viele Länder des Südens unakzeptabel. Sie fürchten ein neues Kartell der Industrieländer, das bestehende Ungleichheiten noch verschärfen würde.

Staaten wie Brasilien wollen zudem am wachsenden Markt für Kernbrennstoff teilhaben, den sich bisher vier große Unternehmen aus Frankreich, Großbritannien, Deutschland, den Niederlanden, Russland und den Vereinigten Staaten teilen.

Einige Schwellenstaaten streben zudem nach energiepolitischer Unabhängigkeit. Liefergarantien trauen sie nicht. Iran und Brasilien sind in der Vergangenheit bereits Opfer von Nuklearsanktionen des Westens geworden und auch andere befürchten, aus politischen Gründen von Energielieferungen abgeschnitten zu werden.

Hinzu kommt, dass Atomkraftwerke immer noch Symbole des technischen Fortschritts sind. Der brasilianische Präsident Lula da Silva etwa prahlte:

"Brasilien könnte zur kleinen Gruppe derjenigen Staaten gehören, die die Anreicherungstechnologie beherrschen und ich glaube, das Ansehen unseres Landes wird dann wachsen – so wie wir gern gesehen werden wollen."

Diese Haltung haben die Industrieländer selbst jahrzehntelang vorgelebt. Auch das iranische Programm folgt der Logik des nationalen Stolzes und ist mit ökonomischen Kriterien allein nicht erklärbar.

Kein Wunder also dass Empfängerländer wie Brasilien bisher kein Interesse an einer internationalen Lösung gezeigt haben. Aus ihrer Sicht spricht vieles gegen und wenig für einen Verzicht auf Anreicherung und Wiederaufbereitung.

Handelt es sich nun bei dem Versuch, die Verbreitung von gefährlicher Atomtechnologie zu begrenzen ohne gleichzeitig die zivile Nutzung einzuschränken um die Quadratur des Kreises?

Klar ist, dass die Bedürfnisse der Schwellenländer besser berücksichtigt werden müssen. Der bloße Versuch, neue Kartelle zu bilden, ist eine Benachteiligung und wirkt kontraproduktiv. Argentinien, Australien, Brasilien, Südafrika und Südkorea wollen ihre Atomprogramme unter anderem auch beschleunigen, um möglichst schnell selbst zum Klub der Lieferländer zu stoßen, bevor dieser seine Türen schließt. Andere Staaten dürften ihrem Beispiel folgen, so lange die Drohung eines internationalen Nuklearembargos weiter im Raum steht.

Ein Verzicht der Schwellenländer auf die Nutzung bestimmter Atomtechnologie wird zudem nicht zum Nulltarif zu bekommen sein. Die Bereitschaft der Atomwaffenstaaten, selbst dauerhaft, verbindlich und überprüfbar auf die Produktion waffenfähiger Materialien zu verzichten, könnte ein Teil eines neuen Gegengeschäfts zwischen Technologiebesitzern und Schwellenländern werden. Eine Beteiligung der sich entwickelnden Länder an möglichen wirtschaftlichen Gewinnen aus der Produktion von Kernbrennstoff ein anderer.

Denn so lange die Technologiebesitzer versuchen, mit zweierlei Maß zu messen, werden die Schwellenländer nicht bereit sein, eigene Ambitionen einzuschränken. Und dann droht die Zahl neuer Atommächte weiter zu wachsen.


 

Dr Oliver Meier ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg und Berliner Repräsentant der Arms Control Asssociation (www.armscontrol.org)