Internationalisierte Urananreicherung
Erfolgreicher Ansatz, um die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verhindern?
Dr. Oliver Meier
Brasiliens Atomprogramm zeigt ein grundsätzliches Problem auf: Mit der Verbreitung der
Kernenergie steigt unausweichlich auch die Gefahr des militärischen Missbrauchs dieser
Technologie. Der Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde, Mohamed ElBaradei warnt
seit langem:
"Wir müssen die Verbreitung von Anreicherungs- und Wiederaufbereitungstechnologie
stoppen, sonst haben wir zusätzlich zu den bereits vorhandenen neun Kernwaffenstaaten
eine Reihe von Ländern, die ich virtuelle Nuklearwaffenstaaten nennen möchte. Staaten,
die in der Lage sind über Nacht Atomwaffen zu entwickeln."
Mehr als ein Dutzend Länder erwägen heute den Einstieg in die Kernenergie. Darunter
viele im Nahen Osten. Es kann vermutet werden, dass Ägypten und Algerien, Syrien und
Saudi Arabien wenn sie Atomkraft zur Energiegewinnung nutzen wollen, auch in Richtung
Atombombe schielen. Nicht ausgeschlossen, dass das geplante türkische Atomprogramm
zugleich eine Rückversicherung gegen eine weitere Nuklearisierung des Nahen Ostens ist.
Experten wie ElBaradei machen sich besonders um jene Staaten Sorgen, die Uran
anreichern oder Plutonium wiederaufbereiten wollen. Wer über diese Fähigkeiten verfügt,
für den ist der Weg zur Atombombe kurz. Genau deshalb steht der Iran im Zentrum der
Aufmerksamkeit. Aber Argentinien, Australien, Südafrika, und die Ukraine erwägen
ebenfalls den Bau eigener Urananreicherungsanlagen.
Während das Interesse an der Kernenergie steigt, wackeln internationale
Kontrollmechanismen, die die Verbreitung militärisch nutzbarer Kerntechnik verhindern
sollen. Vor vier Jahren erst wurde ein internationales Schmuggelnetzwerk aufgedeckt, über
das jahrelang pakistanische Bombentechnologie nach Iran, Nordkorea und Libyen geliefert
wurde. Iran trotzt internationalen Sanktionen und treibt sein Atomprogramm voran. Und die
USA wollen plötzlich den Atomwaffenstaat Indien, der alle internationalen
Kontrollmechanismen ablehnt, mit Nukleartechnologie beliefern.
Wie aber soll angesichts dieser Entwicklungen verhindert werden, dass Atomtechnologie
in die falschen Hände gerät ohne gleichzeitig die zivile Nutzung über die Maßen
einzuschränken? Das Problem besteht seit langem. Die Wiener Atomenergiebehörde wurde vor
fünfzig Jahren auch gegründet, um die friedliche Nutzung der Kernenergie zu fördern und
gleichzeitig ihren Missbrauch zu verhindern. Vorschläge, die Urananreicherung und
Wiederaufbereitung international zu betreiben, konnten sich aber während des
Ost-West-Konflikts nicht durchsetzen und wanderten in die Schublade.
Dann aber schlug die amerikanische Regierung, besorgt wegen der Gefahren des
Nuklearterrors, einen anderen Weg ein. US-Präsident Bush forderte im Februar 2004 die
nuklearen Lieferländer auf, Anreicherungs- und Wiederaufbereitungstechnologie nur noch an
solche Staaten zu liefern, die über diese Fähigkeiten bereits verfügen. Nur durch ein
solches Embargo könne die Entstehung neuer, virtueller Atomwaffenstaaten verhindert
werden, argumentierte der Präsident. Die Konsequenz aber wäre eine Zweiteilung der
internationalen Gemeinschaft. Auf der einen Seite Technologiebesitzer und Lieferstaaten,
auf der anderen nukleare Habenichtse, die bei der Versorgung mit Nuklearbrennstoff vom
guten Willen der Industriestaaten abhängig sind.
Mohamed ElBaradei verwies umgehend darauf, dass eine solche Politik dem Nuklearen
Nichtverbreitungsvertrag widerspricht, denn das Abkommen garantiert allen Mitgliedern die
uneingeschränkte friedliche Nutzung der Kernenergie. ElBaradeis Gegenvorschlag: Besonders
gefährliche Atomanlagen sollten multilateral betrieben werden. So könnten
Schwellenländer Zugang zur Atomtechnologie erhalten, während gleichzeitig die
internationale Kontrolle über Anreicherungs- und Wiederaufbereitungstechnologie
verbessert wird. Denn wenn viele Staaten gemeinsam die brisanten Anlagen betreiben, kann
kein einzelner sie unbemerkt zum Bau von Bombenmaterial missbrauchen.
Durchsetzen konnte sich bisher keiner der beiden Ansätze. Die Auseinandersetzung um
den richtigen Weg aber erweist sich als außerordentlich produktiv. Ein neuer Bericht der
Wiener Atomenergiebehörde listet 12 neue Vorschläge zur besseren Kontrolle von
Brennstoffkreisläufen auf, die allein in den letzten beiden Jahren gemacht wurden. Die
Ideen reichen von besseren Liefergarantien für nuklearen Brennstoff bis hin zur Schaffung
einer internationalen Brennstoffbank.
Das gemeinsame Ziel: Durch das Versprechen der gesicherten Versorgung mit nuklearem
Brennstoff sollen atomare Newcomer dazu bewogen werden, auf den Bau eigener Anreicherungs-
und Wiederaufbereitungsanlagen zu verzichten. Offen bleibt, ob ein solcher Verzicht
dauerhaft sein muss und Voraussetzung für Liefergarantien ist.
Am weitesten geht der Vorschlag des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier,
der vor allem auf wirtschaftliche Anreize zum freiwilligen Verzicht setzt. Er schlägt den
Bau einer neuen Anreicherungsanlage auf extraterritorialem Gebiet vor, die unter
internationaler Kontrolle Brennstoff für Atomkraftwerke liefern soll. Steinmeier glaubt,
eine solche unabhängige Anlage könnte für viele Staaten eine gesicherte und
unabhängige Energieversorgung gewährleisten .
Doch die nuklearen Schwellenländer bleiben skeptisch. Ein grundsätzlicher Verzicht
auf das Recht zur Urananreicherung ist für viele Länder des Südens unakzeptabel. Sie
fürchten ein neues Kartell der Industrieländer, das bestehende Ungleichheiten noch
verschärfen würde.
Staaten wie Brasilien wollen zudem am wachsenden Markt für Kernbrennstoff teilhaben,
den sich bisher vier große Unternehmen aus Frankreich, Großbritannien, Deutschland, den
Niederlanden, Russland und den Vereinigten Staaten teilen.
Einige Schwellenstaaten streben zudem nach energiepolitischer Unabhängigkeit.
Liefergarantien trauen sie nicht. Iran und Brasilien sind in der Vergangenheit bereits
Opfer von Nuklearsanktionen des Westens geworden und auch andere befürchten, aus
politischen Gründen von Energielieferungen abgeschnitten zu werden.
Hinzu kommt, dass Atomkraftwerke immer noch Symbole des technischen Fortschritts sind.
Der brasilianische Präsident Lula da Silva etwa prahlte:
"Brasilien könnte zur kleinen Gruppe derjenigen Staaten gehören, die die
Anreicherungstechnologie beherrschen und ich glaube, das Ansehen unseres Landes wird dann
wachsen so wie wir gern gesehen werden wollen."
Diese Haltung haben die Industrieländer selbst jahrzehntelang vorgelebt. Auch das
iranische Programm folgt der Logik des nationalen Stolzes und ist mit ökonomischen
Kriterien allein nicht erklärbar.
Kein Wunder also dass Empfängerländer wie Brasilien bisher kein Interesse an einer
internationalen Lösung gezeigt haben. Aus ihrer Sicht spricht vieles gegen und wenig für
einen Verzicht auf Anreicherung und Wiederaufbereitung.
Handelt es sich nun bei dem Versuch, die Verbreitung von gefährlicher Atomtechnologie
zu begrenzen ohne gleichzeitig die zivile Nutzung einzuschränken um die Quadratur des
Kreises?
Klar ist, dass die Bedürfnisse der Schwellenländer besser berücksichtigt werden
müssen. Der bloße Versuch, neue Kartelle zu bilden, ist eine Benachteiligung und wirkt
kontraproduktiv. Argentinien, Australien, Brasilien, Südafrika und Südkorea wollen ihre
Atomprogramme unter anderem auch beschleunigen, um möglichst schnell selbst zum Klub der
Lieferländer zu stoßen, bevor dieser seine Türen schließt. Andere Staaten dürften
ihrem Beispiel folgen, so lange die Drohung eines internationalen Nuklearembargos weiter
im Raum steht.
Ein Verzicht der Schwellenländer auf die Nutzung bestimmter Atomtechnologie wird zudem
nicht zum Nulltarif zu bekommen sein. Die Bereitschaft der Atomwaffenstaaten, selbst
dauerhaft, verbindlich und überprüfbar auf die Produktion waffenfähiger Materialien zu
verzichten, könnte ein Teil eines neuen Gegengeschäfts zwischen Technologiebesitzern und
Schwellenländern werden. Eine Beteiligung der sich entwickelnden Länder an möglichen
wirtschaftlichen Gewinnen aus der Produktion von Kernbrennstoff ein anderer.
Denn so lange die Technologiebesitzer versuchen, mit zweierlei Maß zu messen, werden
die Schwellenländer nicht bereit sein, eigene Ambitionen einzuschränken. Und dann droht
die Zahl neuer Atommächte weiter zu wachsen.
Dr Oliver Meier ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für
Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg und Berliner Repräsentant der Arms
Control Asssociation (www.armscontrol.org)
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