Osteuropa
Ausgabe September 2005


Die Zukunft des Kosovo

Ein völker- und verfassungsrechtlicher Blick

von Dr. Alexander Neu


Die Lösung der Kosovo-Problematik gleicht der Quadratur des Kreises. Die politischen Forderungen der beiden lokalen Kontrahenten, Serbien und die Kosovo-Albaner, stehen sich diametral gegenüber. Der Westen selbst in diesem Konflikt eine unrühmliche Rolle: Als ehemalige Kriegspartei versucht er sich nun aus dieser Rolle zu befreien und als “ehrlicher Makler” zu vermitteln. Die Grundlage hierfür wäre die Rückkehr zu völkerrechtlichen Grundlagen.


Die· serbische Provinz Kosovo, die seit Sommer 1999 als Protektorat von den Vereinten Nationen (United Nation Mission in Kosovo, UNMIK) verwaltet wird und in der westlichen Öffentlichkeit angesichts anderer weltpolitischer Ereignisse in Vergessenheit geriet, steht seit den gewaltsamen Übergriffen der Kosovo-Albaner gegen die serbische Bevölkerung des Kosovo im März 2004 wieder verstärkt im Fokus der politischen und medialen Aufmerksamkeit. Anders als sonst in der schnellebigen Medien- und Politikwelt hält das Interesse für die Region an, da die USA kurz nach den Unruhen mit der Ankündigung - anscheinend ohne vorherige Konsultation mit den Europäern - die Aufnahme von Statusverhandlungen über das Kosovo ab Mitte 2005 verkündeten.

Seitdem herrscht bei den mit der Kosovofrage befaßten relevanten Akteuren eine erhöhte Betriebsamkeit. Insbesondere die kosovo-albanische Seite erklärt und entschuldigt die von albanisch-nationalistischen Kräften organisierten Unruhen als Folge der immer noch ungeklärten Statusfrage des Kosovo: Die bislang nicht erreichte formale Unabhängigkeit der serbischen Provinz von Belgrad sei der Grund für die ausbleibende ökonomische Erholung, den sozialen Niedergang, die hohe Kriminalität, die Gewaltausbrüche in der Provinz sowie die Instabilität des gesamten Balkan, so die stets zu vernehmende Botschaft kosovo-albanischer Politiker.[1] Hierbei erfreuen sich die Kosovo-Albaner durchaus prominenter Unterstützung. Einer der größten Protagonisten der Unabhängigkeit des Kosovo ist General Wesley Clark, der während des NATO-Krieges gegen die BR Jugoslawien als NATO-Oberbefehlshaber amtierte.[2] Clark ist ebenfalls im Board der International Crisis Group (ICG), die im Zentrum von Pristina ein Büro unterhält. Dieser durchaus einflußreiche private Think tank unterstützt seit Jahren akademisch die Sezessionsforderungen der Kosovo-Albaner. Im Februar 2005 veröffentlichte die ICG einen Report unter dem Titel "Kosovo – Toward Final Status", in dem sie die Unabhängigkeit des Kosovo dezidiert fordert, da andernfalls weitere Unruhen und somit ein Flächenbrand auf dem Balkan drohten.[3] Die Diktion des ICG-Reports nimmt bisweilen selbst den Charakter einer an die internationale Staatengemeinschaft gerichtete Drohung an. Hierbei schreckt der ICG-Stab-Kosovo auch nicht davor zurück, die Unabhängigkeit des Kosovo zu fordern, was einen rechtlichen Bruch der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates darstellen würde, welche die territoriale Integrität der BR Jugoslawien, bzw. deren Rechtsnachfolger Serbien-Montenegro, bestimmt. Die UN-Resolution 1244 wurde im Juni 1999 im Anschluß an das sogenannte "Military Technical Agreement" verabschiedet, woraufhin die NATO ihre Angriffe auf die BR Jugoslawien einstellte.[4] Unbeeindruckt von den rechtlichen Grundlagen verlangt die ICG dezidiert die Unabhängigkeit für das Kosovo – wenn möglich mit einem Votum des UN-Sicherheitsrates, wenn nötig im Alleingang des Westens.[5]

Die März-Unruhen 2004 werden vor allem von den Protagonisten der Unabhängigkeit als Nachweis dafür gesehen, daß diese zwingend notwendig sei, um Stabilität in der Region zu erreichen. Bemerkenswert ist, daß diese Kräfte es vermocht haben, die sogenannte "Statusfrage" allein zum Gegenstand einer völkerrechtlichen Betrachtung zu machen, obgleich dies vor dem Hintergrund der eindeutig definierten Resolution 1244, die unmißverständlich nur eine staatsrechtliche Lösung zu läßt, gar nicht Gegenstand der Verhandlungen sein kann.

Diese intentionale Mißinterpretation der Resolution 1244 durch die Anhänger der Unabhängigkeitsoption gewinnt ihre terminologische Hoheit und somit politische Kraft nicht zuletzt durch den Umstand, daß keine klare Strategie der internationalen Gemeinschaft, nicht einmal eine gemeinsame Vorstellung zur Lösung der Kosovofrage, erkennbar ist. Im Gegenteil, die divergierenden Ansätze der relevanten (inter)nationalen Akteure verhindern vielmehr eine einfache einvernehmliche politische Lösung mit anschließender rechtlicher Kodifikation. Daher gilt es, den Mechanismus umzukehren oder besser gesagt, den eigentlichen Mechanismus, das Primat des Rechts, wieder in Kraft zu setzen, um auf diese Weise eine Lösung auf der Grundlage rechtsgültiger Kriterien herbeizuführen, die ein objektives Nachvollziehen der Entscheidungsfindung erlauben. Soll das (Völker-)Recht tatsächlich das Miteinander von Gesellschaften und Staaten regeln, darf es nicht bei der erstbesten Härteprüfung nach opportunistischen Gesichtspunkten zu einem Schönwetterrecht de-respektiert werden. Das moderne Recht stellt eine für alle Rechtssubjekte zu akzeptierende Kompromißformel dar, um Interessendivergenzen zu kanalisieren. Denn das Völkerrecht unterscheidet sich vom innerstaatlichen Recht insbesondere dadurch, daß es sich um ein konsensuales Recht handelt, d.h., daß die Rechtsunterworfenen identisch mit den Rechtsetzenden sind.

Um das verfahrene Kosovo-Problem zu lösen, bedarf es eines Auswegs, der das Völkerrecht, die jugoslawische Verfassung von 1974 und die "Verfassungsurkunde des Staatenbundes von Serbien und Montenegro"[6] von 2003 einerseits sowie die gegenwärtige politische Realität andererseits zur Grundlage nimmt.

 

Verfassungs- und völkerrechtliche Betrachtung der "Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien"

Die im Jahre 1974 novellierte vierte "Verfassung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien"[7] gestattete jedem Volk in Jugoslawien das Recht "auf Selbstbestimmung, einschließlich des Rechts auf Loslösung"[8]. Diese Formulierung beinhaltet sowohl die interne (Autonomie) wie auch die externe (staatliche Unabhängigkeit) Variante des Selbstbestimmungsrechts. Allerdings wurde diese weitgehende Konzession an die verfassungsrechtliche Bedingung eines Konsenses zwischen allen Republiken über Grenzveränderungen des Bundesstaates oder der Republiken selbst geknüpft.[9] Da jedoch aufgrund der in nahezu jeder Republik bestehenden Multiethnizität - womit keine Identität zwischen den ethnischen Grenzen und den Republiksgrenzen bestand - ein solcher Konsens selbst theoretisch sehr unwahrscheinlich war, reduzierte sich in der Praxis das Selbstbestimmungsrecht auf die interne Variante.

Das verfassungsrechtlich verankerte und praktizierte interne Selbstbestimmungsrecht entsprach den in der UN-Charta kodifizierten völkerrechtlichen Anforderungen des Rechts auf "Selbstbestimmung der Völker" (self-determination of peoples) sowie den Aussagen der einschlägigen Literatur über die gelebte Verfassung.[10]

In diesem Kontext gilt es zu beachten, daß das "Selbstbestimmungsrecht der Völker" nicht als ein automatisches Sezessionsrecht von Völkern verstanden werden darf. Im Gegenteil, es könne, so eine Synopse der Völkerrechtsexperten Otto Kimminich und Stephan Hobe, nur "im Ausnahmefall" die Qualität eines Sezessionsrechtes, gewissermaßen als "Notwehrrecht", erhalten: Nämlich als Konsequenz einer definitiven Verweigerung des internen Selbstbestimmungsrechts von Volksgruppen, beziehungsweise bei Fällen von "schwersten, die Kategorie völkerrechtlicher Verbrechen erreichenden Verletzungen des Völkerrechts, und insbesondere der Menschenrechte".

Ansonsten bevorzugt das Völkerrecht zur Vermeidung einer unkontrollierten Unabhängigkeits- und Kleinststaatenbildungsdynamik und zur Aufrechterhaltung der internationalen Stabilität das "uti-posseditis-Prinzip". Dieses Prinzip fordert eine "territoriale Besitzstandsgarantie" für Staaten, also die Unverletzbarkeit bestehender Grenzen, sowie die Einheit des Territoriums, wie es vom Vorbesitzer übernommen worden ist. Infolgedessen dürfen Grenzen nicht durch unilaterale Anwendung des Selbstbestimmungsrechts der Völker verändert werden, solange das interne Selbstbestimmungsrecht gewährleistet wird. Dies zieht auf der internationalen Ebene zugleich auch das völkerrechtliche Interventionsverbot und Neutralitätsgebot externer Akteure in die inneren Angelegenheiten eines derart föderal verfassten Staates nach sich - zum Beispiel durch eine einseitige Annerkennungspolitik zu Gunsten separationswilliger Gliedstaaten.

Auch konstatierten die Völkerrechtler Norman Paech und Gerhard Stuby eine sehr restriktive Praxis der Vereinten Nationen hinsichtlich der Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts als Sezessionsrecht aufgrund der oben genannten Ausnahmen und des Primats des "uti posseditis".[11]

Die Anerkennung und Praxis des internen Selbstbestimmungsrechts, um die Forderungen nach externem Selbstbestimmungsrecht aufzufangen, entsprechen auch nach dem heutigen Stand der völkerrechtlichen Diskussionen dem Geist der Selbstbestimmungsrechtsnormen des Völkerrechts – auch der UN-Charta. Das Völkerrecht strebt eine Balance zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Völker auf der einen und der Wahrung der territorialen Integrität bestehender Staaten auf der anderen Seite durch die Kompromissformel der internen Variante des Selbstbestimmungsrechts an.[12] Ungeachtet der skizzierten völkerrechtlichen Prämissen und Praktiken zeichnete sich das Konfliktmanagement des Westens im Falle Jugoslawiens durch eine besonders beachtliche völkerrechtliche Verfahrensweise aus: Die innerstaatlichen Grenzen Jugoslawiens sollten, so die Forderung der unabhängigkeitswilligen Teilstaaten sowie relevanter westlicher Akteure, ungeachtet der Multiethnizität der Teilstaaten, zu ihren neuen Außengrenzen werden. Allerdings bildeten – vom ethnisch relativ homogenen Slowenien einmal abgesehen – alle übrigen Republiken unter dem multiethnischen Gesichtspunkt jeweils ein ‚Jugoslawien im Kleinen’. Angesichts dessen drängte sich die Frage geradezu auf, warum nicht auch in den Republiken die Völker, die nicht der jeweiligen Titular-Nation angehörten, das Recht auf externe Selbstbestimmung – sofern es die geographischen Gegebenheiten zugelassen hätten – praktizierten sollten. Denn Träger dieses Rechts sind, wie bereits die Begriffskombination im deutschen ("Selbstbestimmungsrecht der Völker") und englischen ("self-determination of peoples") impliziert, Völker und nicht staatliche Strukturen, wie beispielsweise Gliedstaaten.

Demgegenüber empfahl die von der Europäischen Gemeinschaft eingesetzte Badinter-Kommission die Anwendung des völkergewohnheitsrechtlichen Prinzips des "uti-posseditis" nicht etwa im Hinblick auf den jugoslawischen Gesamtstaat, den sie als bereits im Zustand der Dismembration und somit also als nicht mehr existent betrachtete und erklärte. Nutznießer dieses Prinzips wurden vielmehr die aus der behaupteten Dismembration entstehenden Nachfolgestaaten, also die bis dahin existierenden Gliedstaaten.

Auf diese Weise wandten die EG – und schließlich auch die UN – die zweite, eigentlich untergeordnete Norm, das Selbstbestimmungsrecht der Völker, gegen den jugoslawischen Gesamtstaat und ausschließlich zugunsten der Titularnationen an, wodurch automatisch dem Verlangen der übrigen nicht-titularen Volksgruppen in den Republiken nach externem Selbstbestimmungsrecht eine Absage erteilt wurde.[13] Die Kombination beider Normen in genau dieser Form bedeutete, daß den Republiken und nicht den Völkern ein externes Selbstbestimmungsrecht zugestanden wurde. Genau das widerspricht dem völkerrechtlichen Verständnis, nachdem nicht Gliedstaaten, sondern Völker Träger des Selbstbestimmungsrechts sind.

 

Die Republik Serbien und ihre Provinz Kosovo

Nachdem nun eine recht eigentümliche Form des Selbstbestimmungsrechts praktiziert worden war und die Republiken hinsichtlich ihrer territorialen Integrität als unantastbar betrachtet wurden, stellt sich nun die Frage, wie das Problem der serbischen Provinz Kosovo gehandhabt werden soll. Eine Unabhängigkeit des Kosovo bedeutet hierbei nicht weniger als eine Teilung der Republik Serbien, da das Kosovo historisch und verfassungsrechtlich einen festen Bestandteil Serbiens darstellt.[14] Eine Teilung Serbiens wäre vergleichbar mit der Teilung der Republik Bosnien-Hercegovinas oder Kroatiens, was die internationale Staatengemeinschaft unter Anwendung von Waffengewalt verhinderte.

Mit der Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo würden gleich zwei bisher praktizierte Prinzipien gebrochen:

  • das Primat des uti posseditis wie bereits im Falle der Jugoslawischen Föderation 1991/92 und
  • der eigene bis dahin praktizierten Anerkennungsmodus mit Blick auf die Republiken als exklusive Nutznießer des uti posseditis.

Dieser Aspekt der politischen Inkonsistenzen und Opportunitäten ist für die politische und juristische Bewertung nicht nur im Hinblick auf die künftige Statusfrage des Kosovo, sondern angesichts weltweit bestehender Unabhängigkeitsbestrebungen für die künftige völkerrechtliche Praxis generell von entscheidender Bedeutung. Um die Problematik in ihrer Komplexität verständlich zu machen, ist es zunächst erforderlich, den genauen verfassungsrechtlichen Status des Kosovo zu analysieren. Das Recht der externen Selbstbestimmung wurde in der jugoslawischen Verfassung lediglich den sechs jugoslawischen Republiken zu Teil, nicht jedoch den beiden serbischen Provinzen Kosovo und Vojvodina.

Als Träger der staatlichen Souveränität wurden die einzelnen Völker (Nationen) sowie die "Arbeiterklasse und alle Werktätigen" definiert:

Die sozialistische Republik ist ein auf der Souveränität des Volkes und auf der Macht und der Selbstverwaltung der Arbeiterklasse und aller Werktätigen beruhender Staat.[15]

Als Volk anerkannt wurden die Slowenen, Kroaten, Serben, bosnische Muslime, Montenegriner und Makedonier. Die übrigen Volksgruppen erhielten den Status von "Völkerschaften" (Nationalitäten), der als Status für anerkannte Minderheiten zu bewerten ist. Der Zweck dieser auf den ersten Blick seltsam anmutende Differenzierung zeigt sich bei näherer Betrachtung. Es handelte sich um eine Vorkehrung, die Grenzverschiebungen sowohl mit Blick auf den jugoslawischen Gesamtstaat als auch mit Blick auf die Republik Serbien verhindern sollte. Die beiden größten Ethnien Jugoslawiens, denen lediglich der Status einer Nationalität zuerkannt wurde, leben größtenteils in unmittelbarer Nachbarschaft zu ihren Mutterländern (Albanien und Ungarn), so daß die Furcht vor Vereinigungsforderungen groß war und ist. Vor diesem Hintergrund wurden diesen Regionen zwar weitgehende Autonomierechte (Provinzstatus) innerhalb Serbiens – sogar mit paritätischen Beteiligungsrechten auf Bundesebene – zuerkannt, jedoch der Republikstatus aufgrund des damit verbundenen Sezessionsrechts nicht verliehen.

Mit dem Terminus "Provinz" wurden zwei wesentliche rechtliche Unterschiede zu den Republiken gezogen: Erstens kam den Provinzen keine Staatlichkeit zu, da der Terminus Republik, wie bereits oben ausgeführt, eine Rechtskategorie darstellte, die die Möglichkeit des externen Selbstbestimmungsrechts implizierte. Und zweitens wurden die Nationalitäten nicht einmal als Träger der Autonomie anerkannt. Lediglich die "Arbeiterklasse und alle Werktätigen", also eine soziale Klasse, wurde als Träger der autonomen Rechte, die den Provinzen zuerkannt wurden, definiert:

Die sozialistische Provinz ist eine auf der Macht der Arbeiterklasse und aller Werktätigen beruhende autonome, sozialistische, selbstverwaltende, demokratische gesellschaftlich-politische Gemeinschaft.[16]

Somit ist die oft zu vernehmende Aussage, die Albaner hätten Autonomierechte gehabt, rechtlich ebenso unzutreffend wie die Behauptung, sie hätten auch oder zumindest quasi einen Republikstatus genossen. Lediglich der "Arbeiterklasse und allen Werktätigen" der geographischen Region Kosovo – und das waren nahezu alle Einwohner ungeachtet ihrer Nationalität und somit auch die Kosovo-Serben – wurde eine Autonomie innerhalb der Republik Serbien eingeräumt. Mit Hilfe des autonomen Provinzstatus glaubten die jugoslawischen Kommunisten, zwei die jugoslawische Föderation belastende Probleme einhegen zu können:

  • dem albanischen Nationalismus und Irredentismus sollte in der mehrheitlich albanisch besiedelten serbischen Provinz die Grundlage durch die Konzession von Selbstverwaltungsrechten an die "Arbeiterklasse und aller Werktätigen" in der dortigen Region, die sich faktisch zugunsten der Albaner auswirken würden, entzogen werden;
  • das politische Übergewicht Serbiens mit ca. zehn Millionen Einwohnern sollte gegenüber den übrigen Republiken, die ihrerseits gemeinsam auf zehn Millionen Einwohner kamen, relativiert werden.[17]

Es ging also einerseits um die Eindämmung des von der Kommunistischen Partei durchaus erkannten und kritisierten Nationalismus – hier der der Kosovo-Albaner.[18] Allerdings erwies sich dieses Konzept nicht als erfolgreich. Im Gegenteil, gerade in den 1980er Jahren, als die Provinz Kosovo aufgrund des in der Verfassung des Jahres 1974 gewährleisteten Autonomiestatus nur einer begrenzten serbischen Kontrolle unterlag, wurden die kosovo-albanischen Forderungen nach weitergehenden Selbstbestimmungskonzessionen lauter. So forderten sie in den gewaltsamen Unruhen 1981 den Republikstatus und somit die Unabhängigkeit von der jugoslawischen Republik Serbien innerhalb der jugoslawischen Föderation. Angesichts der Tatsache, daß die Provinzen an allen Verfassungsorganen des Bundes beteiligt waren und sie somit faktisch den Republiken nahezu gleichgestellt waren, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit die Forderung nach dem Republikstatus aufgrund des darin enthaltenen Rechts "auf Loslösung" aus der jugoslawischen Föderation als Zwischenschritt hin zur vollständigen Unabhängigkeit als eigentliches Motiv für diese Forderung angenommen werden.[19]Der kosovo-albanische Sozialwissenschaftler Sinan Hasani geht in seiner im Jahre 1986 in Zagreb veröffentlichten Studie sogar noch einen Schritt weiter und erklärt:

Die Grundlegende feindliche Parole war und ist ‚Kosovo – Republik’ als minimales Programm und die Verknüpfung aller Territorien wo Albaner in Jugoslawien leben mit dem Zentrum in Albanien als maximales. [...] die Parole Kosovo [war] nur ein taktischer Zug, oder das Sprungbrett für die zweite Stufe . Sie [die Nationalisten, d. Autor] planten, nach der Schaffung einer albanischen Republik in der SFRJ [Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien, d. Autor] das Prinzip der Selbstbestimmung bis zur Abtrennung auszunützen und auf diese Weise auch den zweiten Akt – die Verknüpfung Kosovos mit der VSR Albanien zu verwirklichen.[20]

Andererseits ging es darum, die aus der Größe Serbiens resultierende politische Machtasymmetrie in der gesamt-jugoslawischen Föderation zu reduzieren.

In der Logik der jugoslawischen Verfassung bedeutet dies, dass im Falle des Auseinanderbrechens des Bundesstaats – ungeachtet, ob durch Sezession oder Dismembration –, sich Sinn und Zweck der machtbalancierenden Maßnahme erübrigt hätten. Unrichtig ist es deshalb, wenn die albanische Seite behauptet, daß die Provinzen bei Zerfall der Föderation ebenfalls hätten Eigenständigkeit erlangen können/müssen. Exakt aus diesem Grunde wurden dem Kosovo und der Vojvodina der Provinz- und nicht der Republikstatus zuteil. Wäre die albanische Sichtweise richtig, so wäre die Statusunterscheidung gar nicht erforderlich gewesen.

 

Der völkerrechtliche Status der serbischen Provinz Kosovo

Die UN-Resolution 1244 stellt unzweideutig fest, daß das Kosovo ein Bestandteil der Bundesrepublik Jugoslawien und somit auch deren Rechtnachfolgers Serbien-Montenegro sei: "[...] Kosovo kann eine substantielle Autonomie innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien genießen, [...]".[21] Die Resolution spiegelt das Ergebnis des Krieges von 1999 wider, den die Bundesrepublik Jugoslawien zwar verlor, aus dem die NATO jedoch auch nicht als eindeutiger Sieger hervorging. Des weiteren ist die Sicherheitsratsresolution 1244, bei der das Kosovo als fester Bestandteil Jugoslawiens betrachtet wird, vor dem Hintergrund eines drohenden Vetos der beiden UN-Sicherheitsratsmitglieder China und Rußland zu sehen. Dabei bestätigt Resolution 1244 die UN-Sicherheitsresolution (1199) aus dem Jahre 1998, die also verabschiedet wurde, als Belgrad noch die Hoheitsgewalt über das Kosovo ausübte. In dieser Resolution wurde ebenfalls das "Bekenntnis aller Mitgliedstaaten zur Souveränität und territorialen Unversehrtheit der Bundesrepublik Jugoslawien" bekräftigt. Der Sicherheitsrat unterstützte bereits hier "einen erhöhten Status für Kosovo, eine substantielle Autonomie und eine bedeutsame Selbstverwaltung des Kosovo". Nichts anderes besagt eine weitere UN-Sicherheitsresolution (1345) aus dem Jahre 2001, als die Provinz bereits nahezu zwei Jahre von der UNMIK verwaltet wurde und Belgrad keinerlei Hoheitsgewalt mehr über die Provinz ausübte. Auch in diesem Resolutionsbeschluß bekräftigte der Sicherheitsrat seine "Verpflichtung zur Souveränität and territorialen Unversehrtheit der Bundesrepublik (...) wie in der Helsinki-Schlußakte ausgeführt".[22]

Ebenso ist in dem regelmäßigen zu verfassenden "Bericht des UN-Generalsekretärs – Übergangsverwaltung Mission in Kosovo, der an den Sicherheitsrat geht, in der Ausgabe S/2003/996 eine Landkarte des Kosovo enthalten, in dem der Name "Serbien und Montenegro" und der Name "Serbien" neben dem Terminus "Provinz Kosovo" auf dem Gebiet Kosovo niedergeschrieben ist.[23]

Angesichts der politischen Entwicklung von 1998 bis heute kommt hier eine Kontinuität im Hinblick auf den Status des Kosovo in Jugoslawien und in der Republik Serbiens zum Ausdruck. Diese Haltung scheint nicht nur im UN-Sicherheitsrat vorzuherrschen, sondern war auch zwischen den Ex-Kriegsparteien, der NATO und der BR Jugoslawien, Konsens: In dem Military Technical Agreement, das die Kriegsparteien am 9. Juni 1999 zur Beendigung der Kämpfe unterzeichneten, wird das Kosovo mehrfach indirekt als Teil der Bundesrepublik Jugoslawien ("[…] Kosovo Provinzgrenze in den Rest des Territoriums der Bundesrepublik Jugoslawien[24]." sowie "[…] Kontrolle der Grenzen der Bundesrepublik Jugoslawien in Kosovo mit Albanien und Makedonien […]") und sogar der Republik Serbien ("[…] zu Orten in Serbien außerhalb Kosovo.") genannt.[25] Selbst die Statusänderung der BR Jugoslawien hin zu dem Staatenunion Serbien-Montenegro ändert nichts an der Souveränität Belgrads über das Kosovo, da die Staatenunion sich als völkerrechtlicher Rechtsnachfolger der BR Jugoslawien mit einheitlicher Rechtspersönlichkeit betrachtet und so auch von der internationalen Staatengemeinschaft akzeptiert wird.

Auch wenn Montenegro den Staatenbund verlassen sollte, so würde verfassungsrechtlich Serbien die Souveränität über das Kosovo beibehalten. Bereits in der Präambel der Verfassungsurkunde wird die territoriale Zugehörigkeit des Kosovo zu Serbien bekräftigt:

[...] der Staat Serbien, welcher die autonome Provinz Vojvodina und die autonome Provinz Kosovo und Metohija einschließt [...].

Darüber hinaus und vorsichtshalber mit Blick auf das Kosovo wird im Falle des Austritts Montenegros aus der Staatenunion die alleinige völkerrechtliche Rechtsnachfolge Serbien zu erkannt:

[...] Sollte Montenegro aus der Staatenunion Serbien Montenegro austreten, würden die internationalen Instrumente [Angelegenheiten], die für die Bundesrepublik Jugoslawien von Bedeutung waren, insbesondere UN Sicherheitsratsbeschluss 1244, in ihrer Gesamtheit auf Serbien als der Rechtsnachfolger übergehen.[26]

Demnach kann unter juristischem Aspekt – nehmen die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates ihre eigenen Resolutionen und die UNO ernst – der Gegenstand der Verhandlungen über die Statusfrage nicht völkerrechtlicher, sondern nur staatsrechtlicher Natur sein. Das heißt, daß nicht die staatliche Unabhängigkeit zur Diskussion steht, sondern lediglich die konkrete Ausgestaltung einer substantiellen Autonomie Gegenstand der Verhandlungen sein kann.

Wie aber kam es dann zu der Forderung, die Statusfrage aus völkerrechtlicher Perspektive zu betrachten?

Ein nicht unwesentlicher Grund hierfür dürften wohl die Erfahrungen des Westens mit Serbien und dessen ehemaligen Präsidenten Milosevic während des Auseinanderfallens des alten Jugoslawiens, welches in der Katastrophe von Srebrenica mündete, sein. Das daraus entstandene Feindbild Serbien hat eine Eigendynamik entwickelt, so daß die Parteinahme relevanter westlicher Akteure für die kosovo-albanische Sache auch nach Beendigung des NATO-Krieges, ja selbst nach dem Ende der Milosevic-Ära fortbestand. Spätestens hier hätten jedoch die Entscheidungsträger in den westlichen Hauptstädten, den von ihnen selbst formulierten Anspruch, verantwortungsvolle Friedensstifter zu sein, auch in der Praxis durch nüchterne Analyse der Situation, der textnahen Interpretation und der Umsetzung der Resolution 1244 unter Beweis stellen müssen. In der Folge wären viele Forderungen der albanischen Seite als mit der Resolution 1244 nicht vereinbar zurückgewiesen worden.[27] So klagte der ehemalige Ministerpräsident Serbiens, Zoran Djindjic, kurz vor seiner Ermordung in einer Dokumentation des Bayerischen Rundfunks genau diese Parteinahme an:

Die UN-Resolution wird täglich gefälscht. (...) Ich wollte einfach drauf aufmerksam machen, daß die UN-Resolution aus zwei Teilen besteht, ein Teil bezieht sich auf die Rechte der Serben und Serbiens (...) und nichts aus diesem ersten Teil, nicht einmal ein Prozent, wurde in diesen vier Jahren verwirklicht.[28]

Bis heute sind diese serbischen Rechte nicht ernsthaft verfolgt worden. Im Gegenteil, vor allem die internationalen Mitarbeiter der höheren Hierarchien von UNMIK haben in erheblichem Ausmaß die kosovo-albanische Argumentationslogik und Perspektive übernommen, wie eine Äußerung des damaligen UNMIK-Chef-Administrators Michael Steiner zeigt, der erklärte, daß das "Kosovo keine Provinz Serbiens" sei.[29] Die Resolution 1244 wurde kaum verhüllt zugunsten der albanischen Seite extensiv ausgelegt, ja bis zur Unkenntlichkeit überstrapaziert. Inwiefern sich die Ablösung und das Verbot jugoslawischer bzw. serbischer hoheitlicher Staatssymbole sowie die Einführung kosovarischer hoheitlicher Symbole wie ein KFZ-Kennzeichen, die Ersetzung der Landeswährung durch die DM bzw. den Euro, eine Grenzabfertigung mit Zollerhebung und eigener KFZ-Versicherungskarten zwischen der serbischen Provinz und Serbien sowie darüber hinaus sogar neue nichtjugoslawische bzw. nichtserbische Identitätsdokumente sich mit der Resolution in Einklang bringen lassen, ist mehr als fraglich.[30] Denn die Schaffung unterschiedlicher Rechtsräume widerspricht dem Verständnis einer einheitlichen Rechtsordnung als konstitutives Element eines souveränen Territorialstaates. Selbst in hochföderalisierten Bundesstaaten muß ein Mindestmaß gemeinsamer rechtlicher Grundlagen (Bundesrecht) und Interaktionsstrukturen zwischen zentralen und föderalen Organen existieren, damit ein Bundesstaat sich überhaupt verfassen kann. Die eigenwillige Auslegung der Resolution 1244 durch die UNMIK geht jedoch in der Substanz beträchtlich über den damals nicht unterzeichneten Vertragstext von Rambouillet hinaus, auf den die Resolution 1244 (11a.) u.a. verweist. In dem genannten Dokument wurden sehr klar die Interaktionsstrukturen zwischen der Provinz Kosovo und der Republik Serbien sowie der BR Jugoslawien festgelegt, die durchaus den Grundlagen einer föderalen Staatsordnung entsprechen.[31] Angesichts dieser einseitigen Implementierung der Resolution 1244 verwundert es nicht, daß die UNMIK und die KFOR sich bis heute weigern, die in der Resolution expressis verbis zugesagten Rückkehr jugoslawischer bzw. serbischer Einheiten zur Sicherung der serbisch-montenegrinischen Außengrenzen und der serbischen Kulturgüter in der Provinz umzusetzen.[32] Dazu paßt auch, daß der nach den März-Unruhen 2004 verfaßte Bericht des Diplomaten Kai Eide an den Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, mit keinem Wort die Souveränität Serbien-Montenegros bzw. der Republik Serbien über das Kosovo erwähnt. Obschon Eide in bereits klassisch gewordener Rhetorik darauf hinweist, sein Bericht solle nicht den künftigen Statusverhandlungen vorgreifen, tut er genau dies, indem er erstens der Resolution 1244 einen nur provisorischen Charakter zuerkennt und zweitens die faktische Wiederherstellung der Souveränität Belgrads über das Kosovo für die Zukunft generell verneint.[33]

Mit diesen fragwürdigen Interpretationen der UN-Resolution 1244 hat die UNMIK die Entscheidung über die Zukunft des Kosovo faktisch präjudiziert.[34] Vor diesem Hintergrund wird auch die Diskussion über den künftigen Status des Kosovo nun unter völkerrechtlicher und nicht mehr verfassungsrechtlicher Perspektive verständlich, welche die Resolution 1244 ("substantielle Autonomie") einfordert. Ebenso verständlich werden in diesem Kontext auch die Forderungen nach einer neuen UN-Resolution bzw. einer Abqualifizierung der Resolution 1244 zu einem "Waffenstillstandsabkommen" ohne finale Bedeutung und somit zu einem rechtlichen Provisorium. Jedoch ist bei aller Interpretationsoffenheit der alleingültigen UN-Resolution 1244 kein provisorischer Charakter des Status mit völkerrechtlicher Implikation zu erkennen, der nun allenthalben artikuliert wird. Selbst die immer wiederkehrenden Topoi in Resolution 1244 "provisorische Institutionen der Selbstverwaltung", oder "provisorisch demokratisch Selbstverwaltungsinstitutionen", sind nicht als Hinweise provisorischer Institutionen in einer Übergangsphase hin zu einer staatlichen Unabhängigkeit zu deuten. Die Formulierung "provisorische Institutionen" dient lediglich dem Hinweis, daß diese Institutionen angesichts der gesellschaftlichen Verwerfungen, die der militärische Konflikt nach sich zog, in einem späteren Zustand der Normalisierung neugefaßt werden müssen. Dies wird um so deutlicher, als diese Formulierung in einem ummittelbaren Zusammenhang mit der "substantiellen Autonomie innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien steht.[35]

Kurzum, es drängt sich der Eindruck auf, daß die Herauslösung des Kosovo aus Serbien, die 1999 zunächst diplomatisch (Rambouillet-Verhandlungen) und später militärisch (NATO-Luftangriffe, um Rambouillet zu erzwingen) zumindest seitens der USA versucht[36], aber nicht erreicht wurde, seither durch die Schaffung von eigenstaatlichen Strukturen seitens der UNMIK präjudiziert wird. Die damit geschaffene neue Realität gilt es dann nur noch durch eine entsprechend angepaßte Sicherheitsratsresolution rechtlich abzusegnen.

Selbstverständlich bleibt es dem Sicherheitsrat faktisch unbenommen, eine neue Resolution zu verabschieden, welche dem Kosovo die Unabhängigkeit einräumen würde. Allerdings ist bei einem solchen Szenario ein rechtliches Moment zu bedenken:

Ist dem Sicherheitsrat laut UN-Charta überhaupt die Kompetenz eingeräumt, eine solch tiefgreifende Entscheidung gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen durchzusetzen, d.h. derart substantiell in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates zu intervenieren?

Dies muß bezweifelt werden. Wie aber kann der Westen aus dieser rechtlich vertrackten Lage herauskommen? Einerseits scheint man im Westen nicht gewillt zu sein, die Kosovo-Albaner gegen deren erklärten Willen wieder unter serbische Hoheitsgewalt zu stellen, andererseits ist man rechtlich nicht befugt, das Kosovo aus der Republik Serbien gegen deren Willen herauszuschneiden. Auch scheint man politisch – vielleicht mit Ausnahme der USA – nicht gewillt zu sein, den Kosovo-Albanern bedingungslos die Unabhängigkeit einzuräumen. Welcher Handlungsspielraum bleibt da noch und durch welche unterschiedlichen Interessenlagen der maßgeblichen internationalen Akteure wird dieser noch weiter verengt?

 

Das Kosovo im Fokus divergierender Vorstellungen

Die Interessen der unterschiedlichen Akteure lassen sich klar benennen: Serbien lehnt vehement die Abspaltung der serbischen Provinz aus dem Staatsgebiet ab. Belgrad besteht offiziell auf der Einhaltung und definitiven Umsetzung der UN-Resolution 1244. Dabei weiß Belgrad die völker- und verfassungsrechtlichen Argumente auf seiner Seite.

Aus praktischen Gründen kann es Belgrad jedoch nicht recht sein, zwei Millionen unwillige Kosovo-Albaner verwalten und finanzieren zu müssen. Dessen sind sich die politischen Entscheidungsträger und Intellektuelle in Belgrad durchaus bewußt. So erschien kürzlich ein Buch des bedeutenden Schriftstellers, Dobrica Cosic, mit dem Titel “Kosovo”, in dem er die “Befreiung Serbiens von Kosovo” einfordert.[37] Vor diesem Hintergrund favorisiert man in Anlehnung an UN-Resolution 1244 ein Konstrukt, daß "etwas mehr als eine Autonomie und weniger als eine Unabhängigkeit" darstellen soll.[38]

Die Mehrheit der Kosovo-Albaner akzeptieret nichts unterhalb der vollständigen und bedingungslosen Unabhängigkeit des Kosovo. Auch lehnen sie eine Aufteilung in einen kleinen, nahezu rein serbisch bewohnten Norden (drei Gemeinden und Mitrovica-Nord) und in einen großen, mehrheitlich albanisch besiedelten Süden (26 Gemeinden und Mitrovica-Süd) ab. Wirtschaftlich ist das Kosovo nicht überlebensfähig. Es ist von exponentiellem Bevölkerungswachstum gekennzeichnet. Die Analphabetenquote ist hoch, die Arbeitslosigkeit beträgt 70 Prozent, die Infrastruktur funktioniert nicht. Es dominieren Subsistenzlandwirtschaft und Kleinhandel, eine traditionsorientierte Mentalität und geschlossene patriarchalische Clanstrukturen. Das alles führt zu Emigration in den Westen und zu kriminell-mafiosen Strukturen bis in die politische Elite.[39] Der derzeitige Haushalt wird zu über 80 Prozent durch Importzölle und Steuern gesichert, die direkt an der innerserbischen Verwaltungsgrenze[40] und den internationalen Grenzen zu Albanien und Makedonien erhoben werden. Die UNMIK vermag bislang nicht, in bedeutsamem Maße direkte Steuern zu erheben, da dies der albanischen Tradition und Praxis widerspricht. All dies stellt Europa bereits jetzt vor eine gewaltige Herausforderung.


Brüssel
: Die EU engagiert sich bereits auf dem Balkan im Rahmen ihrer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Bosnien-Hercegovina (Althea) und Makedonien (EU-Polizeimission). Auch verfolgt sie mit dem sogenannten Stabilisierungs- und Assoziierungsprozeß das Ziel, die Region an die EU heranzuführen und ihr eine Beitrittsperspektive zu eröffnen. Allerdings scheint sie nur eine vage und uneinheitliche Vorstellungen über die Zukunft des Kosovo zu haben. Sollte die EU die entscheidenden Weichenstellungen nicht in die Hand nehmen, muß sie mit allen Konsequenzen leben, die eine US-amerikanische Entscheidung in der Kosovofrage mit sich bringen wird.


Washington
: Ob die Bush-Administration eine Unabhängigkeit des Kosovo oder eine andere Option im Auge haben, ist bislang nicht eindeutig erkennbar. Dies dürfte wohl auch damit zusammenhängen, daß der Balkan offensichtlich nur von tertiärem Interesse für Washington ist. Eine marginale Interessenlage Washingtons wiederum könnte es den Europäern leichter machen, ihre Vorstellungen durchzusetzen, vorausgesetzt sie verfügten über welche. Die US-Regierung könnte mit weitgehender Zurückhaltung in der Kosovofrage viele Vorteile erringen:

  • den Europäern auf deren Kontinent Gestaltungsfreiheit einräumen und sie als Ordnungsmacht im eigenen Hause akzeptieren. Sollten die europäischen Konzepte fehlschlagen, könnte sich Washington zurücklehnen und gegebenenfalls als transatlantischer Gestalter das Ruder wieder in die Hände nehmen;
  • die entsprechenden Entscheidungen und Vorschläge der Europäer akzeptieren und in einem drittklassigen Interessenfeld den von den europäischen Partnern geforderten Multilateralismus praktizieren;
  • finanzielle und militärische Ressourcen dorthin leiten, wo die US-amerikanischen Interessen stärker tangiert werden.

Allerdings scheint es, daß Washington gar nicht daran denkt, den Europäern die Regie als Ordnungsmacht zu überlassen. Nicht einmal Konsultationen mit den europäischen Verbündeten hielt Washington für erforderlich, als es im Alleingang die Anerkennung FYROMs unter dem Namen Makedonien im November 2004 verkündete. Nicht weniger unilateral legte Washington fest, die Statusfrage des Kosovo habe im Jahre 2005 auf der diplomatischen Agenda zu stehen.[41]


Paris
: Frankreich wird eine gewisse Nähe zu Serbien nachgesagt. Obschon Frankreich am Krieg gegen die BR Jugoslawien teilgenommen hat, könnte man Paris als wichtigsten westlichen Fürsprecher Serbiens betrachten. Paris hat angesichts eigener nationalpolitischer Konflikte auch aus eigennützigen Gründen kein Interesse daran, mit einer Unabhängigkeit des Kosovo einen Präzedenzfall zu schaffen. Paris kann in der EU, im UN-Sicherheitsrat und in der Balkan-Kontaktgruppe seine Vorstellungen effektiv artikulieren und Tabus markieren.


Berlin
: In Berlin scheint sich eine Rahmenvorstellung aus fünf Elementen über die künftigen Schritte und Statuselemente herauszukristallisieren:

  • keine Rückführung der serbischen Provinz in den Status quo ante von 1999;
  • keine schnelle und unkonditionierte Unabhängigkeit des Kosovo;
  • keine Teilung des Kosovo;
  • kein Zusammenschluß des Kosovo mit einem anderen Staat;
  • Herbeiführung einer echten Verhandlungslösung zwischen den Kosovo-Albanern und Belgrad, die in eine neue UN-Resolution münden soll.[42]

Interessant ist die Forderung, daß beide Konfliktparteien eine einvernehmliche Regelung finden sollen. Insbesondere eine echte Verhandlungslösung zwischen Belgrad und den Kosovo-Albanern, die durch die internationale Staatengemeinschaft begleitet würde, könnte einen sinnvollen Ausweg aus der gegenwärtigen Situation darstellen, ohne daß das Völkerrecht weiter ad absurdum geführt werden würde. Allerdings kollidiert die Forderung nach einer Verhandlungslösung mit den anderen Ansätzen, wie der konditionierten Unabhängigkeit und der Ablehnung einer Teilungsoption. Was bleibt als Verhandlungsmasse noch übrig, wenn die beiden Hauptkonfliktparteien nicht komplett ergebnisoffen über alle Optionen verhandeln können? Und welchen Anreiz sollte Serbien haben, dem Westen aus seiner völkerrechtlichen Dilemma-Position herauszuhelfen (etwa durch "freiwilligen" Verzicht auf einen Teil seines Territoriums), wenn kein substantielles Entgegenkommen signalisiert wird?

Die Aktions- und Kommunikationsforen Berlins sind denen Frankreichs ähnlich. Lediglich der UN-Sicherheitsrat bleibt Deutschland verschlossen. Daher empfiehlt sich für Deutschland eine enge Abstimmung mit Frankreich, Großbritannien, den USA, aber auch Rußland.


Moskau
: Rußland und Serbien nehmen sich gegenseitig als traditionelle Verbündete wahr – dies scheint jedoch mehr einen mythologischen Charakter als eine reale Grundlage zu haben. Denn in der Realpolitik ist das Engagement Rußlands für Serbien aufgrund der eigenen Schwäche und anderer Prioritätensetzungen eher marginal ausgeprägt.[43] Ähnlich wie Frankreich kann auch Rußland kein Interesse an einem unabhängigen Kosovo als Präzedenzfall haben. Tschetschenien und andere Regionen Rußlands weisen zu viele Konfliktanalogien zur Kosovoproblematik auf. Rußland kann als Mitglied des Sicherheitsrates und der Balkan-Kontaktgruppe durchaus entscheidend auf die Entwicklung Einfluß nehmen, wenn die eigene Schwäche durch konstruktive Vorschläge, die auf Zustimmung Deutschlands und Frankreichs stoßen, kompensiert würde.


Peking
: Peking pflegt gute Beziehungen mit Belgrad und zeigt Verständnis für die serbische Position. Auch hier spielen die eigenen nationalpolitischen Konflikte bei der Beurteilung der Kosovofrage eine signifikante Rolle.[44] Allerdings ist China weder Mitglied der Balkan-Kontaktgruppe noch der EU. China kann nur über den UN-Sicherheitsrat Einfluß ausüben, wo es vor allem al Korrektiv fungieren könnte.

Eine politische Lösung der Kosovofrage steht unter dem Einfluß von zwei Faktoren, die als Erleichterung oder als Erschwernis wirken können:

  • Es sind keine deutlich erkennbaren Interessen der jeweiligen Akteure, sondern nur Ansätze und vage formulierte Vorstellungen zu erkennen. Was man nicht will ist deutlicher zu erkennen als das, was man will;
  • diese unausgereiften Vorstellungen divergieren untereinander erheblich.

Auf der einen Seite verhindert dieser Zustand ein klar zu erkennendes Handlungsmuster der internationalen Gemeinschaft, auf der anderen Seite kann gerade dieser Umstand erfolgversprechend sein. Divergierende feste Vorstellungen und Interessen machen es weitaus schwieriger, einen Kompromiß zu finden, als vage Vorstellungen, bei denen Raum für Phantasie und viel Verhandlungsmasse bleibt.

 

Lösungsmodelle

Eine sinnvolle Lösung muß auf der einen Seite den politischen Realitäten und Interessen und auf der anderen Seite den völker- und verfassungsrechtlichen Grundlagen gerecht werden, so daß das Modell nicht zu dem allseits gefürchteten Präzedenzfall wird. Nur so ist zum einen der Vorbehalt jener Staaten im UN-Sicherheitsrat, die mit ähnlichen nationalpolitischen Konflikten konfrontiert sind, zu überwinden und zum anderen der Präzedenzfall zu verhindern, auf den sich andere nationale Bewegungen berufen könnten. Vier Modelle lassen sich diskutieren:


Das Preševo-Modell

Das Preševo Tal, das von den Albanern als "Ost-Kosovo" bezeichnet wird, liegt östlich der serbischen Provinz Kosovo und ist Bestandteil Zentral-Serbiens (Serbien ohne seine Provinz Kosovo). In dieser Region leben mehrere zehntausend Albaner. Dort hatte sich in den Jahren 2000–2001 ein UÇK-Ableger breit gemacht und terroristische Anschläge verübt. Ähnlich wie im Kosovo zielte die UÇK darauf ab, das Eingreifen des Westens zu erzwingen.[45] Mittlerweile war jedoch der jugoslawische Präsident Miloševic bei demokratischen Wahlen unterlegen und, da er sich gegen seine Ablösung sperrte, in einer friedlichen Revolution gestürzt worden. Der Westen machte diesmal keine Anstalten, dem Manöver der UÇK zu folgen.

Statt dessen verabschiedete der UN-Sicherheitsrat eine Resolution, in der die Aktivitäten der albanischen Seite mit scharfen Worten abgelehnt wurden:

Der UN-Sicherheitsrat (...) verurteilt schärfstens extremistische Gewalt, einschließlich terroristischer Aktivitäten (...) in bestimmten Gemeinden in Südserbien (...) und nimmt zur Kenntnis, daß derartige Gewalt unterstützt wird durch von ethnisch albanischen Extremisten außerhalb dieses Gebietes."[46]

Zusätzlich wurde den jugoslawischen Sicherheitskräften erlaubt, in der Pufferzone auch mit militärischen Mitteln die staatliche Ordnung wieder herzustellen. Die Operation verlief unproblematisch: Die UÇK zog sich unter dem Eindruck der übermächtigen jugoslawischen Ordnungskräfte zurück, und eine OSZE-Mission begleitete die Transformation der Gemeindeverwaltung zugunsten multiethnischer Strukturen.[47] Seitdem ist das Preševo-Tal im wesentlichen befriedet. Keineswegs ist die relativ schnelle Einhegung dieses Problems mit einem geringeren nationalistischen Radikalisierungsgrad der Preševo-Albaner zu erklären. Eine Unterscheidung der politischen Kultur, einschließlich des nationalistisch-irredentistischen Elements, zwischen den Preševo-Albaner und den Kosovo-Albanern existiert nicht, zumal die Region unmittelbar an das Kosovo grenzt und keine natürlichen, geographischen, sondern nur kommunal-administrative Grenzen zwischen ihnen bestehen. Diese Tatsache wird insbesondere durch den beiderseits der Provinzgrenze von (radikalen) Albanern verwendeten Begriff "Ost-Kosovo" deutlich.

Die erfolgreiche Durchsetzung des Gewaltmonopols Belgrads beruht vielmehr auf der geschlossenen Unterstützung durch die internationale Staatengemeinschaft, die der albanischen Seite die Aussichtslosigkeit ihres "Projekts" demonstrierte.

Die Frage ist, ob sich dieses Modell auch auf die Provinz anwenden ließe? Das Modell hätte eine reale Chance gehabt – wenn der Westen von Anfang an, also zu Beginn der Kosovo-Krise, Belgrad diplomatisch darin unterstützt hätte, einen besseren Weg zu finden, den Konflikt in der Region beizulegen, anstatt zugunsten der kosovo-albanischen Seite Partei zu ergreifen, Ultimaten zu formulieren und diese unter Androhung und Durchführung militärischer Maßnahmen zu unterstreichen. Letztlich bekamen kosovo-albanische Separationsforderungen erst durch die Parteinahme der NATO den entsprechenden Auftrieb.[48] Selbst nach Beendigung des Krieges und der Errichtung des UN-Protektorats wäre eine "Preševo-nahe Lösung" möglich gewesen, wenn die UNMIK die Resolution 1244 textnah interpretiert und implementiert hätte.

Ein feste Position gegenüber beiden Konfliktparteien und nicht nur gegenüber Serbien oder den Kosovo-Serben hätte wesentlich mehr Druck auf die kosovo-albanische Seite ausgeübt, mit Belgrad über die konkrete Ausgestaltung substantieller Autonomierechte zu verhandeln. Da allerdings die UNMIK nichts unversucht gelassen hat, um den kosovo-albanischen Wünschen zu entsprechen, ist es problematisch, bereits gewährte Rechte wieder zurückzunehmen. Die in Pristina immer wieder zu vernehmende Entschuldigung der UNMIK lautet sinngemäß: Man könne gegen die Mehrheit des Kosovobevölkerung keine politischen Entscheidungen treffen.


Das Junktim-Modell

Das Junktim-Modell hat eine rein staatsrechtliche Dimension und verbindet zwei Ebenen,

  • die Republik Serbien und ihre Provinz Kosovo;
  • die Provinz Kosovo und ihre Enklaven sowie das nahezu ausschließlich serbisch bewohnte Nordkosovo

Das Junktim-Modell verbindet die an die Kosovo-Albaner zu verleihenden Autonomierechte mit den Autonomierechten, die den Kosovo-Serben zu gewähren sind. Das Junktim-Modell setzt dort an, wo die Verantwortlichen in Pristina und Belgrad die Entscheidung in gegenseitigem Einvernehmen durch Verhandlungen herbeiführen müßten. Dieser Ansatz beinhaltet zudem einen hohen pädagogischen Aspekt: Beide Seiten sind gezwungen, miteinander und verantwortlich eine Lösung zu finden, die für diese Region, in der beide Volksgruppen leben, eine nachhaltige Stabilität erzeugt. Die internationale Staatengemeinschaft wäre nur für die Überwachung der Umsetzung verantwortlich.


Das Modell des begrenzten südwestlichen Territorialverlustes Serbiens

Das Modell des begrenzten südwestlichen Territorialverlustes stellt die konsequente Fortsetzung des Junktim-Modells dar für den Fall, daß die kosovo-albanische Seite sich mit substantieller Autonomie im Rahmen Serbiens nicht anzufreunden vermag. Die bisherigen Verwaltungsgrenzen dürfen nicht als sakrosankt betrachtet werden. Um dies verständlicher zu machen, bedarf es eines Perspektivwechsels. Von der Annahme eines multiethnisch einheitlich existierenden Kosovo ist Abschied zu nehmen: Nicht das Kosovo wird geteilt, da es ohnehin im Rahmen der jugoslawischen Verfassung keine Staatlichkeit besaß. Geteilt wird vielmehr Serbien, was einer Teilung Bosnien-Hercegovinas, Kroatiens oder Makedonien entspräche. Die Frage ist vielmehr, ob Serbien den gesamten Südwesten seines Staatsgebietes (29 Gemeinden[49]) verliert oder nur den größten Teil (26 Gemeinden)?

Das mantrahaft wiederholte Argument, die bestehenden Grenzen müßten aufrechterhalten werden, kann angesichts der internationalen Handhabung der Desintegration der jugoslawischen Föderation, des Umgangs mit der Republik Serbien und seiner Provinz Kosovo sowie der nun vermutlich auch zur Disposition gestellten Gemeindegrenzen im Kosovo und der veränderten Gemeindegrenzen in Makedonien[50] zugunsten der dortigen albanischen Bevölkerung nicht überzeugen. Es ist auffällig, daß das "uti-posseditis-Prinzip" dann dem eigentlich nur sekundären, d.h. im Notfall anzuwendenden, externen Selbstbestimmungsrecht untergeordnet wird, wenn die territoriale Integrität und Souveränität des jugoslawischen Gesamtstaates und der Republik Serbien zur Diskussion gestellt wird. Das selbe Prinzip hingegen als prioritäre, ja unausweichliche Option behauptet wird, wenn es um die territoriale Mitnahme – ungeachtet darin lebender Minderheiten - der jugoslawischen Erbmasse der nicht-serbischen Volksgruppen geht.

Vor diesem Hintergrund ist die Argumentation, mit einer Teilung des Kosovo und der damit einhergehenden Grenzveränderung würde man einen Präzedenzfall schaffen, ein rein politisch-opportunistisch motiviertes Argument, da man in Wirklichkeit eine politische und unter Umständen gewaltsame Konfrontation mit radikalen Kosovo-Albanern fürchtet. Ebensowenig ist die These einer ethnischen Kettenreaktion haltbar: Erstens hat eine solche Kettenreaktion bereits auf dem gesamten Gebiet des ehemaligen Jugoslawien stattgefunden und wurde vom Westen nachträglich anerkannt. Zweitens hat die internationale Staatengemeinschaft in den Jahren 2000 und 2001 im Preševo-Tal und in Makedonien gemeinsam mit den Regierungen in Belgrad und Skopje durch entschiedenes Handeln schließlich der ethnischen Kettenreaktion ein Ende gesetzt.[51]


Das Modell einer konditionierten Unabhängigkeit mit EU-Perspektive

Folgt man gegenwärtigen Diskussionen, etwa den Überlegungen der "International Commission on the Balkans", so wird eine konditionierte Unabhängigkeit eines ungeteilten Kosovo mit europäischer Perspektive favorisiert.[52] Was diese jedoch beinhalten soll, bleibt weitgehend unklar. Die konditionierte Unabhängigkeit soll temporär sein und in eine EU-Mitgliedschaft münden. Mit anderen Worten: In dem Moment, in dem das konditionale Moment aufgehoben würde und das Kosovo theoretisch die uneingeschränkte Unabhängigkeit besäße, würde mit dem Beitritt in die EU genau diese politische Unabhängigkeit wieder eingeschränkt werden. Auf diese Weise würde das Kosovo zwar einen souveränen, aber eben keinen unabhängigen Staat darstellen, da es einen erhebliches Maß an politischen Kompetenzen an die EU delegieren müßte.

Wie dies angesichts der Tatsache, daß das Kosovo die ärmste und unberechenbarste Region Europas ist und dies auf unabsehbare Zeit bleiben wird, politische Realität werden soll, bleibt unklar. Wird es dafür eine lex Kosovo geben, d.h. werden für das Kosovo die Kopenhagener Kriterien informell außer Kraft gesetzt werden? Hinzu kommt die substantielle Krise der EU selbst, die mittelfristig jegliche Entwicklung - einschließlich einer Desintegration - offen läßt. Es ist ziemlich abenteuerlich, eine EU-Integration des Kosovo seriös zu diskutieren, wenn sich die EU in einer offenen Existenz- und Legitimationskrise befindet.

Ebensowenig überzeugend an dem Bericht der "International Commission on the Balkans" sind die Äußerungen zu den Minderheitenrechten. Wie will die internationale Gemeinschaft nicht nur die geschriebenen, sondern vor allem die gelebten Rechte garantieren? Wie will die internationale Staatengemeinschaft eine schleichende Vertreibung und Verdrängung der nicht-albanischen Bevölkerungsteile verhindern?

Hierzu favorisiert die "International Commission on the Balkans" zwar eine Dezentralisierung des Kosovo, was eine Übertragung möglichst vieler Verwaltungskompetenzen von Pristina auf die Gemeinden bedeutet. Dieser an sich begrüßenswerte Ansatz ist allerdings wiederum mit einer Konzession an die albanische Seite verbunden und höhlt damit das eigentliche Ziel wieder aus, diese Volksgruppen zu schützen. Gefordert wird eine Dezentralisierung mit einer Reform der Gemeindegrenzen, so daß es keine rein serbischen Gemeinden geben soll.[53] Legitimiert wird dieser Ansatz durch die immer noch aufrechterhaltenen, jedoch empirisch widerlegten, Vorstellung von der Existenz einer multiethnischen kosovarischen Gesellschaft.[54]

Eine Untersuchung der International Commission on the Balkans zeigt ungewohnt offen die erschreckende Tatsache, daß 72 Prozent der befragten Menschen in Kosovo und 68 Prozent in Albanien einen ethnisch-reinen Staat bevorzugen. Diese Auffassung teilen in Serbien vergleichsweise wenige 19 Prozent und selbst in Bosnien-Hercegovina "nur" 29 Prozent.[55]

Das mittelfristige und langfristige Resultat eines Konzeptes, das darauf zielt, die Gemeindegrenzen zu verändern, wird die Verdrängung der Serben und anderer Volksgruppen aus den lokalen Verwaltungsstrukturen und in Folge dessen aus dem Kosovo sein, da sie demographisch mit der albanischen Dynamik nicht Schritt halten können.

Eine serbische Gemeinde, deren Verwaltungsgrenzen, wie es derzeit im wesentlichen der Fall ist, mit den ethnischen Grenzen zusammenfällt, vermag sich hingegen der Verdrängung besser erwehren, da sie beispielsweise den Verkauf von Immobilien besser reglementieren und kontrollieren kann.

Dies macht deutlich, wie wichtig es ist, die Dezentralisierung nicht mit einer Verschiebung der Gemeindegrenzen zu verbinden, meint man es wirklich ernst mit den Minderheitenrechten – in diesem Falle erscheint es sinnvoller, von Minderheitenschutz zu sprechen –, und will sich die internationale Gemeinschaft nicht noch weiter mitschuldig machen an dem Ausbau eines ethnisch-reinen Kosovo.

Was die Skepsis gegenüber dem "konditionierten Unabhängigkeitsmodell" und den darin erwähnten Minderheitenrechten begründet ist die Frage, woher die Befürworter dieses Modells den Optimismus für den Erfolg eines multiethnischen Kosovo nehmen. Denn bislang hat die internationale Staatengemeinschaft in Gestalt der UNMIK und K-FOR dies nicht einmal ansatzweise vermocht. Im Gegenteil, sie hat 1999 der Flucht und Vertreibung von über 200 000 Nicht-Albanern tatenlos zugeschaut und bis heute die Grundlagen für die Rückkehr einer nennenswerten Zahl von Betroffenen nicht geschaffen. Dieses Versagen räumt sogar der "Report of the International Commission on the Balkans" ein:

Die internationale Staatengemeinschaft hat in ihrem Versuch, Sicherheit und Entwicklung in die Provinz zu transportieren, ganz offensichtlich versagt. Ein multiethnisches Kosovo existiert nicht – außer in den bürokratischen Einschätzungen der internationalen Staatengemeinschaft. (…) Die Situation der serbischen Minderheit in Kosovo ist die größte Anklage gegen den Willen und die Fähigkeit Europas, seine eigenen proklamierten Werte zu verteidigen.[56]

Die konditionierte Unabhängigkeit, wie sie auch von dem Bericht der International Commission on the Balkans favorisiert wird, wirft mehr Fragen auf, als gesicherte Antworten gefunden werden können. Geht dieses Experiment schief, wofür angesichts der Erfahrungen mehr spricht als dagegen, dann sind die Opfer dieses westlichen Experiments erneut die Menschen vor Ort – nicht der Westen, der sich dieses fehlgeschlagene Experiment geleistet hat.

 

Bilanz

Diese Analyse zeigt, daß das Preševo-Modell nicht tragfähig ist. Nicht minder unrealistisch ist das konditionierte Unabhängigkeitsmodell, da es einer monoethnische Bevölkerungsstruktur der Region Kosovo mit faktischer Duldung durch die internationale Staatengemeinschaft Tür und Tor öffnet.

Demgegenüber stellen das Junktim-Modell und das Modell des begrenzten südwestlichen Territorialverlustes realistische Modelle dar, um weiteres menschliches Leid zu verhindern und dem internationalen Recht wieder Geltung zu verschaffen. Doch diese Modelle weisen weitere Vorteile auf: Zunächst bleibt festzustellen, daß sich beide Varianten nicht gegenseitig ausschließen. Entweder könnte das Modell des begrenzten südwestlichen Territorialverlustes generell in den Mittelpunkt gestellt werden oder aber als ultimative Lösung Anwendung finden, wenn die kosovo-albanische Seite eine substantielle Autonomie innerhalb Serbiens nicht akzeptiert. Das birgt zahlreiche konkrete Vorteile.

Das Gefühl in der serbischen Gesellschaft, ungerecht behandelt zu werden, würde erheblich reduziert, die Gefahr einer Hinwendung zu radikalen Parteien somit merklich abnehmen. Es wäre ein Signal an die Serben, daß ihre Reformen auch wirklich anerkannt und sie nicht für Miloševic weiterhin bestraft werden würden. Hierdurch würde Serbien aufgrund seiner Größe und zentralen geographischen Lage ein Stabilitätsfaktor in Südosteuropa. Umgekehrt bestünde die Gefahr, daß Südosteuropa mit einem nationalistischen und weiterhin gedemütigten Serbien einen wesentlichen Faktor der Instabilität unmittelbar an der Grenze zur EU darstellt.

Ein monoethnisches Kosovo – gedacht nicht als politische Gemeinschaft, sondern als Region – würde damit verhindert. Mit der Unabhängigkeit – ungeachtet ob konditioniert oder unkonditioniert – würden Flucht, Vertreibung und schleichende Verdrängung der nichtalbanischen Ethnien nicht gestoppt, sondern geradezu herbeigeführt. Umgekehrt könnte und würde eine Vielzahl nichtalbanischer Vertriebener und Flüchtlinge in die drei nördlichen Gemeinden des Kosovo und Mitrovica-Nord zurückkehren und dort siedeln. Auf diese Weise könnte die internationale Gemeinschaft öffentlichkeitswirksam auf die Rückkehr einer großen Zahl Vertriebener und Flüchtlinge verweisen, die zwar nicht an ihre Heimatorte, so doch in ihre Region zurückgekehrt sind.

Darüber hinaus kann Belgrad im Rahmen des Junktim-Modells oder des Modells des begrenzten südwestlichen Territorialverlustes bis zum Ibar-Fluß die Grenze effektiver vor illegalen Grenzüberschreitungen überwachen, die zu kriminellen Zwecken oder für politisch motivierte Aktivitäten erfolgen, als dies irgendwo in den unübersichtlichen Bergen hinter den Gemeinden Leposavic und Zubin Potok der Fall wäre.

Die sowohl in Nord- als auch Süd-Mitrovica arbeitenden Trepca-Werke würden von den Regierungen in Belgrad und Pristina in einer Art Joint-Venture paritätisch verwaltet werden. Der Zwang, Trepca gemeinsam zu verwalten und das beiderseitige Interesse an einem funktionierenden und gewinnbringenden Werk dürften einen gewaltigen pädagogischen Effekt für beide Seiten mit sich bringen.

Den radikalen albanischen Kräften würde damit deutlich signalisiert, daß ihre berechnenden Gewaltexzesse von 1998 bis heute nicht durch ständiges Einlenken und Parteinahme des Westens belohnt würden. Die Gewalt als bislang erfolgreiches Instrument zur Durchsetzung ihrer Ziele würde damit definitiv als nicht mehr wirksam wahrgenommen werden müssen. Auf diese Weise müßten sie lernen, ihre politischen Interessen Serbien und der ganzen Region gegenüber durch verantwortungsvolle Politik und nicht durch Gewalt zu artikulieren.

Die internationale Staatengemeinschaft würde mit beiden Modellen, die in einer Verhandlungslösung zwischen Belgrad und den Kosovo-Albanern erreicht oder auch nicht erreicht werden würden, aus dem völkerrechtlichen Dilemma herauskommen:

  1. Sollten die Kosovo-Albaner eine substantielle Autonomie (Junktim-Modell) akzeptieren, wäre die Resolution 1244 erfüllt, da die Statusfrage keine völkerrechtliche Dimension bekäme, sondern eine staatsrechtliche Angelegenheit innerhalb Serbiens bliebe. Die internationale Staatengemeinschaft (hier UNO und EU) würde ihrerseits als externer Garant des Abkommens Pate stehen.
  2. Sollte sich die kosovo-albanische Seite dem Junktim-Modell komplett verschließen, so würde damit der Automatismus für das Modell des begrenzten südwestlichen Territorialverlustes als Bedingung ihrer (temporär) konditionierten oder auch unkonditionierten Unabhängigkeit eintreten. Die internationale Gemeinschaft würde auf diese Weise gegenüber Belgrad ein wirkliches substantielles Entgegenkommen für dessen freiwillige Zustimmung zu dem Verlust des größten Teiles der serbischen Provinz signalisieren. Durch den freiwilligen Verzicht Belgrads auf den größten Teil seines südwestlichen Territoriums wäre das Faktum einer von außen aufgezwungenen Teilung der Republik Serbien nicht mehr gegeben. Das internationale Recht würde dadurch nicht weiter ad absurdum geführt. Eine unerwünschte Signalwirkung an andere Minderheiten entfiele. Ebenso würde das Selbstbestimmungsrecht der Völker in diesem Falle gleichermaßen den Kosovo-Albanern als auch den Serben zuteil werden.

Schließlich sprechen für das Junktim-Modells oder das Modell des begrenzten südwestlichen Territorialverlustes, daß die Vereinten Nationen und die EU mit den bereits erdrückenden wirtschaftlichen, sozialen und demographischen Problemen des wesentlich größeren albanischen Teiles der Region Kosovo noch in den nächsten Dekaden in ausreichendem Maße beschäftigt sein werden. Vor diesem Hintergrund stellt der Wegfall des interethnischen Konfliktes um den nördlichen Kosovo eine signifikante Erleichterung dar.

Die Frage, ob das Modell des begrenzten südwestlichen Territorialverlustes dem Junktim-Modell vorzuziehen sei, muß sich die internationale Staatengemeinschaft nicht selbst stellen. Die Antwort wird die kosovo-albanische Seite zu liefern haben: Entweder werden die Kosovo-Albaner für eine substantielle Autonomie Kosovos in Serbien und somit auch für eine substantielle Autonomie der serbischen Gemeinden innerhalb des Kosovo stimmen, oder sie werden ungeachtet des Preises des Verzichts nahezu rein serbisch besiedelter Gemeinden des nördlichen Kosovo an Zentral-Serbien die Unabhängigkeit favorisieren.

Auf diese Weise müssen die Albaner akzeptieren und lernen, daß das von ihnen eingeforderte Selbstbestimmungsrecht – ungeachtet ob intern oder extern – gemäß dem Reziprozitätsprinzip ebenso den Serben zuteil werden muß. Eine Rückführung der nahezu rein serbisch bewohnten Gemeinden Zubin Potok, Zvecan, Leposavic und Nord-Mitrovica unter serbische Hoheitsgewalt stellt angesichts des unmittelbar angrenzenden Rest-Serbiens keinerlei Probleme dar. Ferner wird sich die Frage der serbischen Enklaven im Falle einer konditionierten oder wie auch immer zu beschreibenden Unabhängigkeit so oder so mittelfristig erübrigen: Der politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Druck, der von der albanischen Seite auf die Serben und die anderen Volksgruppen ausgeht, wird zu einer ethnischen Homogenisierung – sprich Albanisierung – führen. Auch hier sprechen die Erfahrungen seit Sommer 1999 für sich.

 

Fazit

Will die internationale Gemeinschaft für alle beteiligten Akteure eine trag- und zukunftsfähige Lösung finden, so daß auf der einen Seite die gültigen internationalen Normen nicht weiter ad absurdum geführt werden und auf der anderen Seite verhindert wird, daß durch Vertreibung und Verdrängung nichtalbanischer Bevölkerungsteile eine monoethnische Region Kosovo entsteht, so muß ihre Phantasie über das hinausreichen, was bislang gedacht wurde. Selbstgesetzte politische Tabus müssen auf ihre Realitätstauglichkeit hin überprüft und gegebenenfalls gebrochen werden, um nicht von vornherein den Handlungsspielraum aller Verhandlungsparteien unproduktiv einzuschränken. Auch die beiden Konfliktparteien müssen bereit sein, Tabus zu brechen: So sehr sich Belgrad darüber bewußt ist und die Kosovo-Albaner wissen, daß Belgrad kein ehrliches Interesse daran haben kann, ein Volk gegen seinen dezidierten Willen zu verwalten, so sehr sollte auch Pristina sich selbst gegenüber ehrlich sein und eingestehen, daß es kein Interesse daran haben kann, die serbische Ethnie im Norden des Kosovo gegen deren nicht weniger dezidierten Willen zu regieren. Das eingeforderte Selbstbestimmungsrecht muß dem Reziprozitätsprinzip Rechnung tragen. Das Jugoslawisches Verfassungsrecht, die Verfassungsurkunde der Staatenunion Serbien und Montenegro und das internationale Recht bieten diese Möglichkeit. Hingegen wird das Problem nicht gelöst, wenn eine alte Minderheitenproblematik durch eine neue ersetzt wird. Dies schafft vielmehr neues Leid. Die Minimierung des Leidens der betroffenen Menschen, über die entschieden wird, muß im Vordergrund stehen und nicht strategische Interessen externer Akteure, versteckt hinter opportunistisch genutzten oder besser gesagt mißbrauchten Prinzipien. Die beiden favorisierten Modelle bieten die Möglichkeit, beide Aspekte - Minimierung des Leidens durch Selbstbestimmungsrecht sowie die Pflege des internationalen Rechts - miteinander zu harmonisieren. Eine unilaterale Anerkennungspolitik vorbei am UN-Sicherheitsrat würde hingegen einen völkerrechtlichen Supergau bedeuten. Das UN-Recht und die UN würden just in dem Moment erneut als irrelevant vorgeführt, in dem sich die internationale Gemeinschaft eine schwierige Reform der rechtlichen und institutionellen Grundlagen der UN zur Anpassung an die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zum Ziel gesetzt hat.

Selbst wenn eine neue Kosovo-Resolution zustande käme, indem Rußland und China von ihrem Veto-Recht keinen Gebrauch machen würden, sprich einem dominierenden Sicherheitsratsakteur nachgäben, um genau diesen Schaden von der UN abzuwenden, wäre die Autorität der UN faktisch dennoch erneut beschädigt, da die dahinterstehende Motivation nicht weniger bedeutend ist. Der Westen sollte sich seine Lösungsoptionen genau überlegen, denn es steht weit mehr auf dem Spiel als die global betrachtet kleine und unbedeutsame Region Kosovo. Das Kosovo als UN-Killer wäre eine weitere Tragödie für die zivilisatorische Errungenschaft des internationalen Rechts.

Allein vor diesem Hintergrund existiert für den Westen schlichtweg kein Grund, den Forderungen der albanischen Seite vollständig nachzugeben oder sich durch Drohungen einschüchtern oder zu mitleidserweckenden Attitüden lenken zu lassen. Das Kosovo ist auf Dekaden von westlichen, d.h. vor allem aus Brüssel kommenden, Finanzspritzen abhängig. Die EU und die gesamte internationale Gemeinschaft sind die machtvolleren Akteure und sollten dementsprechend die Gestaltungskompetenz wieder an sich reißen.


 

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim BITS und als freier Journalist tätig.

 


Fußnoten:

[1] Interview mit Ibrahim Rugova, in dem er die allgemeine kosovo-albanische Argumentation skizziert, in: Die Presse, 30.4.2005.

[2] Wesley Clark: Der Kosovo muß unabhängig werden, in: Der Tagesspiegel, 10.2.2005, S. 10.

[3] Kosovo – Toward Final Status" (www.crisisgroup.org/home/index.cfm?id=3226&l=1)

[4] Resolution 1244 (1999). Adopted by the Security Council at its 4011th meeting on 10 June 1999, (http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N99/172/89/PDF/N9917289.pdf?OpenElement); Military Technical Agreement, 9 June 1999, (www.nato.int/kosovo/docu/a990609a.htm). Das "Military Technical Agreement" regelt die technischen Aspekte des Abzugs der jugoslawischen Sicherheitskräfte aus der serbischen Provinz Kosovo. Die UN-Resolution 1244 bestimmt die politischen und juristischen Aspekte des internationalen Protektorates Kosovo sowie dessen Verbleib in der BR Jugoslawien bzw. dessen Rechtsnachfolger.

[5] "Kosovo – Toward Final Status", [Fn. 3].

[6] Constitutional Charter of the State Union of Serbia and Montenegro, 2003.

[7] Verfassung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien. Beograd, 1974.

[8] Ebd. Einleitung-Grundsätze, S. 61–63.

[9] Ebd. Erster Teil – Die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien – Artikel 5, S. 93 f.

[10] Charter of the United Nations – Chapter 1, Article 1 und Chapter 9, Article 55. – Holm Sundhaussen: Geschichte Jugoslawiens 1918–1980". Stuttgart u.a. 1982, S. 186–201. – Roland Schönfeld: Das jugoslawische Dilemma, in: Angelika Volle, Wolfgang Wagner (Hg.): Der Krieg auf dem Balkan. Bonn 1994, S. 11–17. – Laura Silber, Allan Little: Der Bruderkrieg – Der Kampf um Titos Erbe. Graz u.a 1995, S. 20–21.

[11] Otto Kimminich, Stephan Hobe: Einführung in das Völkerrecht. Tübingen, Basel 72000, S. 111–118. – Norman Paech, Gerhard Stuby: Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen. Hamburg 2001, S. 494–497.

[12] Kimminich, Hobe, Einführung [Fn. 11] S. 111–118. – Paech, Stuby, Völkerrecht [Fn. 10], S. 494–497. – Seit den 1990er Jahren hat die Diskussion über die Reichweite des Selbstbestimmungsrechts und die staatliche Integrität nicht zuletzt aufgrund der jugoslawischen Tragödien zugenommen. Vgl. Hermann Weber: Der Jugoslawien-Konflikt und die Grenzen des Selbstbestimmungsrechts der Völker", Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften 6/1993, – Christian Tomuschat (Hg.): Modern Law of Self-Determination. Dordrecht, Boston, London 1993. – Auch löst diese Rechtsauffassung den – scheinbaren – Widerspruch der in der KSZE Schlußakte von 1975 vereinbarten, jedoch unverbindlichen, Prinzipien auf. In der Schlußakte wurden die "Unverletzbarkeit der Grenzen" ("inviolability of frontiers") und die "territoriale Integrität von Staaten" ("territorial integrity of States") und das "Selbstbestimmungsrecht von Völkern" ("self-determination of peoples") als Prinzipien festgelegt: The Helsinki Final Act, in: OSCE (ed.): OSCE Handbook. Vienna, 2000, S. 10.

[13] Kimminich, Hobe, Einführung [Fn. 11], S. 79 ff.; – Paech, Stuby, Völkerrecht [Fn. 10], S. 348, 356.

[14] Verfassung der SFR Jugoslawien [Fn. 7], – Erster Teil – Die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien – Artikel 1, 4, S. 9f.

[15] Ebd. S. 92 f.

[16] Ebd., Artikel 4.

[17] Roland Schönfeld: Das jugoslawische Dilemma, in: Europa-Archiv, 15-16/1989, S. 477–486.

[18] Michael W. Weithmann: Balkan Chronik – 2000 Jahre zwischen Orient und Okzident, Graz, Wien, Köln, 1995, S. 470-475.

[19] Verfassung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien [Fn. 7]. Beograd 1974, Einleitung-Grundsätze, S. 61–63. Diese Vermutung wurde mir von mehreren kosovo-albanischen Quellen bestätigt.

[20] Sinan Hasani: Kosovo – Wahrheiten und Irrtümer, in: Boro Petkovksi: Kosovo – Wahrheiten und Irrtümer, Sozialistische Theorie und Praxis, Jugoslawische Monatsschrift, Beograd, 10-12, 1986, S. 106-112.

[21] Resolution 1244 (1999) [Fn. 4].

[22] Resolution 1199 (1998), Adopted by the Security Council at its 3930th meeting on September 1998" (http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N98/279/96/PDF/N9827996.pdf?OpenElement);   Resolution 1345 (2001), Adopted by the Security Council at its 4301st meeting, on 21 March 2001. (http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N01/298/89/PDF/N0129889.pdf?OpenElement)

[23] Report of the Secretary-General on the United Nations Interim Administration Mission in Kosovo, S/2003/996, S. 19.

[24] FRY: Federal Republic of Yugoslavia

[25] Military Technical Agreement [Fn. 4], Art. I. und II.

[26] Constitutional Charter of the State Union of Serbia and Montenegro, [Fn. 6], Präambel und Art. 60, S. 10.

[27] Eide Report: The Situation in Kosovo – Report to the Secretary-General of the United Nations, Brussels, 15. July 2004, Abs. 41. (http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N04/632/22/PDF/N0463222.pdf?OpenElement). Selbst der Diplomat Eide kritisiert die Vorgehensweise, vermeidet es jedoch, die offensichtliche Parteilichkeit der UNMIK beim Namen zu nennen.

[28] Zitiert nach: Wolf Oschlies: Kosovo: Vom Schlechten zum Schlimmeren?, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 8/2003, S. 925–929.

[29] Zitiert nach: Beta/RTS/DW, Belgrader Kosovo-Koordinator Covic bezeichnet Steiner als ‚Quelle der Instabilität’, 12.5.2003. –Repräsentativ ist die ablehnende Reaktion einiger UNMIK-Mitarbeiter auf die Anklageerhebung des International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia (ICTY) gegen Ramush Haridinaj, den ehemaligen Ministerpräsident und UÇK-Mitglied: Im Dreiteiler, in: FAZ, 9.3.2005, S. 3.

[30] Nichtsdestotrotz wird bereits im sogenannten "Constitutional Framework for Provisional Self-Government" ("Verfassungsrahmen für die provisorische Selbstverwaltung"), der Bezug zur Konformität mit der UN-Resolution 1244 hergestellt, ohne daß die genannten Elemente im einzelnen erwähnt werden. Vielmehr wird der Begriff der "bedeutsame Selbstverwaltung", wie in Resolution 1244 gefordert, abstrakt gehalten. Der Vorteil ist, daß so eine Vielzahl von Maßnahmen mit Verweis auf die "bedeutsame Selbstverwaltung", die ja mehr sein muß als eine "einfache" Selbstverwaltung, gerechtfertigt wird.

[31] http://jurist.law.pitt.edu/ramb.htm

[32] Resolution 1244, Punkt 4 [Fn. 4]: "bestätigt, daß nach dem Abzug eine vereinbarte Zahl jugoslawischen und serbischen Militär- und Polizeipersonals die Erlaubnis zur Rückkehr in das Kosovo erhält, um die Aufgaben nach Anlage II wahrzunehmen". Und Annex 2 besagt: "6. Nach dem Abzug wird eine vereinbarte Zahl jugoslawischen und serbischen Personals die Erlaubnis zur Rückkehr erhalten, um folgende Aufgaben wahrzunehmen: Verbindung mit der internationalen Zivilmission und der internationalen Sicherheitspräsenz; Markierung und Räumung der Minenfelder; Aufrechterhaltung einer Präsenz an Stätten des serbischen Kulturerbes; Aufrechterhaltung einer Präsenz an wichtigen Grenzübergängen.

[33] Eide Report [Fn. 27], Abs. 33. und 49.

[34] Das klassische Argument auf die Frage, warum so gehandelt werde, lautet in der Regel: "Man kann nicht gegen die Mehrheit der Bevölkerung entscheiden".

[35] Resolution 1244 [Fn. 4].

[36] (http://jurist.law.pitt.edu/ramb.htm) Chapter 8, Article I, 3: "Drei Jahre nach Inkrafttreten des Vertrages, soll eine internationale Konferenz einberufen werden, um über die Mechanismen für eine abschließende Lösung für das Kosovo auf der Basis des Volkswillen der Bevölkerung (...), zu entscheiden." Diese Forderung wurde seitens der kosovo-albanischen Delegation ultimativ geäußert. Vgl. Andreas Zumach: Rambouillet, "Ein Jahr danach", in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 3/2000, S. 2681–274. – Dass die Forderung schließlich auch in dem zur Unterzeichnung vorgelegten Entwurf des Vertrages aufgenommen wurde, muß als Hinweis für den Willen der USA, die unbestreitbar die Verhandlungen dominierten, gewertet werden, daß sie keine dauerhafte Autonomie, sondern die Herauslösung des Kosovo anstrebten.
Aus dem Kontext des Entwurfs wird ebenfalls deutlich, daß das geforderte Referendum nicht für Gesamt-Serbien, in dem die gesamte Bevölkerung Serbiens über die Zukunft eines Teiles seines Territoriums entscheidet, gedacht war. Es bezog sich lediglich auf die Bevölkerung der Region Kosovo, wo der albanische Bevölkerungsteil die erdrückende Mehrheit stellt. Das Ergebnis wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zugunsten der Separation ausgefallen. Man würde kein Referendum darüber abhalten, um es anschließend als irrelevant zu verwerfen. Dass diese Forderung nach Beendigung des NATO-Kriegs nicht mehr in der Resolution 1244 enthalten ist, ist das Ergebnis eben dieses nicht eindeutigen militärischen Sieges der NATO über die BR Jugoslawien. Der Verzicht auf diese Forderung ist darüber hinaus eine der grundlegenden Voraussetzungen beim Zustandekommen der Resolution selbst, angesichts eines drohenden Vetos Russlands oder Chinas.

[37] Dušan Reljic: Das albanische Erbe, in: Blätter für deutsche und internationale Politik,12/2004, S. 1436–1440.

[38] Zitiert nach: Serbia will not recognise independent Kosovo. ANA exclusive interview with FM Draskovic ahead of Athens visit, Kosovareport 13.4.2005
(http://kosovareport.blogspot.com/2005_04_01_kosovareport_archive.html)

[39] Wolf Oschlies: Balkanische Wirtschaft, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 2/2005, S. 153–157.

[40] Das führt zu der Paradoxie, daß die Kosovo-Serben ein von ihnen abgelehntes politisches Gebilde oder sogar die mögliche Unabhängigkeit des Kosovo mit ihren Steuern finanzieren müssen.

[41] Reljic, Das albanische Erbe, [Fn. 37] a.a.O.

[42] So die Position des Auswärtigen Amtes laut eines hochrangigen Diplomaten auf einer Konferenz in Berlin in 2005.

[43] Kosovokrise schürt Angst und Nationalpathos, in: Le Monde diplomatique, 11.6.1999, S 8–9.

[44] Daily Bulletin of Ministry of Foreign Affairs, Serbia-Montenegro, "China, Serbia closeness of views on numerous political issues, Tadic" und "Political Relations of SCG, China good, friendly", Belgrade, 20.08.2005. (http://news.suc.org/bydate/2005/August_22/2.html#N4)

[45] Die Politik der UÇK bedroht die bestehenden Grenzen, in: Le Monde diplomatique, 12.4.2001

[46] Resolution 1345 (2001)" [Fn. 22].

[47] OSCE Press Release, "OSCE welcomes constitution of municipal assembly of Bujanovac", Belgrade 16.09.2002. (http://www.osce.org/item/6979.html); Konfliktbarometer (HIIK), Jugoslawien (http://www.hiik.de/de/barometer2001/texte/jugoslawien.htm)

[48] Heinz Loquai: Der Kosovo-Konflikt – Wege in einen vermeidbaren Krieg - Die Zeit von Ende November 1997 bis März 1999". Baden-Baden 2000. – Zumach, Rambouillet, [Fn. 32]

[49] Die OSCE-Homepage spricht fälschlicherweise von 30 Gemeinden, zählt dann aber nur 29 auf. (http://www.osce.org/kosovo/13985.html)

[50] Informationen zur Deutschen Außenpolitik, "Entweder oder", 7.11.2004 (http://www.german-foreign-policy.com/de/news/art/2004/47472.php)

[51] Resolution 1345 (2001)" [Fn. 22]

[52] Report of the International Commission on the Balkans: The Balkans in Europe’s Future, Sofia [Centre for Liberal Strategies]. April 2005, S. 19 ff, (http://www.balkan-commission.org/activities/Report.pdf)

[53] So Rolf Ekeus, Hoher Kommissar der OSZE für Nationale Minderheiten, auf der Veranstaltung "Der westliche Balkan. Politische Ordnung, wirtschaftliche Stabilität und internationales Engagement: Kosovo", Berlin, 2005.

[54] Report of the International Commission on the Balkans[Fn. 52], S. 19.

[55] Ebd. Siehe auch Graphik 22, S. 53.

[56] Report of the International Commission on the Balkans[Fn. 52], S. 19.