Der Atomwaffensperrvertrag - Oder: der nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NVV)
von Otfried Nassauer
Der nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NVV - englisch: Non-Proliferation Treaty, NPT)
ist der bedeutendste Vertrag zur Verhinderung der Weiterverbreitung nuklearer Waffen. Ihm
sind seit Beginn der Unterzeichnungsmöglichkeit am 1. Juli 1968 bzw. dem Inkrafttreten am
5.3.1970 fast alle Staaten der Erde beigetreten 188 Länder. Nicht Mitglied sind
Israel, Indien und Pakistan. Nordkorea trat dem Vertrag zunächst bei und dann 2003 wieder
aus.
Die Bundesrepublik Deutschland stand dem NVV zunächst skeptisch gegenüber, weil man
sich den Zugang zu Nuklearwaffen nicht auf alle Zeiten verbauen wollte. Daher rührt die
volkstümliche Bezeichnung "Atomwaffensperrvertrag". 1974 ratifizierte der
Bundestag den NVV.
1.Vertragsinhalte
In seinen ersten beiden Artikeln verpflichten sich die Mitgliedstaaten, die Atomwaffen
besitzen, diese nicht weiterzugeben und anderen Staaten auch nicht dabei zu helfen,
Nuklearwaffen zu entwickeln, zu erwerben oder ihnen Verfügung darüber zu geben. Die
nicht-nuklearen Mitglieder verpflichten sich, keinen Versuch zu unternehmen, Atomwaffen zu
entwickeln, zu erwerben oder die Verfügung darüber zu erlangen.
Artikel III verpflichtet die nicht-nuklearen Mitglieder des Vertrages, sich keine
waffenfähigen Nuklearmaterialien für andere als friedliche Zwecke und keine
Ausrüstungsgegenstände zu beschaffen, mit denen man solche herstellen könnte. Alle
Vertragsstaaten verpflichten sich, solche Materialien und Ausrüstungen nicht an
nicht-nukleare Staaten zu liefern, solange deren ausschließlich friedliche Nutzung nicht
durch Inspektionen und Safeguards garantiert werden kann. Alle Nicht-Nuklearen sind
verpflichtet, mit der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO ein bilaterales Abkommen
über Inspektionsrechte und Safeguards abzuschließen, mit denen die ausschließlich
friedliche Nutzung der nuklearen Materialien oder entsprechender Ausrüstungsgegenstände
überprüft werden kann.
Artikel IV und V sehen vor, dass die Staaten, die über Nukleartechnik verfügen, diese
zur zivilen Nutzung auch anderen Staaten "auf nicht diskriminierender Basis" zur
Verfügung stellen. Die zivile Nutzung der Atomenergie soll durch den Vertrag nicht
behindert, der Technologieaustausch für diese Zwecke befördert werden.
Artikel VI verpflichtet alle Vertragsstaaten zu "Verhandlungen in gutem
Glauben" mit dem Ziel, "der frühzeitigen Beendigung des nuklearen
Rüstungswettlaufs und der nuklearen Abrüstung, sowie über einen Vertrag über generelle
und vollständige Abrüstung". Dieser Artikel wird von den Nicht-Nuklearen
Vertragsmitgliedern oft als Verpflichtung der Nuklearen zur Abrüstung ihrer Atomwaffen
interpretiert. Die Nuklearwaffenstaaten betonen, die Verpflichtung zu "genereller und
vollständiger Abrüstung". Für beides ist kein Zeitrahmen vorgegeben.
Artikel VII ermutigt den Abschluss von Verträgen über regionale Atomwaffenfreie
Zonen.
Artikel VIII regelt das Verfahren für Vertragszusätze und änderungen sowie die
Einberufung einer ersten Überprüfungskonferenz 5 Jahre nach Inkrafttreten des Vertrages,
sowie weiterer Überprüfungskonferenzen in 5-Jahres-Intervallen, falls die Mehrheit der
Mitglieder diese wünschen.
Artikel IX enthält die Beitrittsregeln für den NVV, die Depositarmächte und die
Definition, dass als Nuklearwaffenstaat nur gilt, wer "vor dem 1.1.1967 eine
Nuklearwaffe oder einen anderen Nuklearsprengsatz gebaut und gezündet hat".
Nuklearwaffenstaat im Sinne des Vertrages können also nur Frankreich, Großbritannien,
Russland, die USA und die Volksrepublik China sein. Israel, Indien und Pakistan besitzen
heute nukleare Waffen, haben diese aber bis 1967 nicht getestet. Sie könnten dem Vertrag
nur beitreten, wenn sie ihre Atomwaffen zuvor wieder abschaffen würden. Diesen Weg gingen
Südafrika und nach dem Zerfall der Sowjetunion Weißrussland, die Ukraine
und Kasachstan.
Artikel X regelt den potentiellen Austritt eines Staates aus dem NVV binnen drei
Monaten im Falle vertragsrelevanter "außerordentlicher Ereignisse", die die
"höchsten Interessen" des betreffenden Staates betreffen. Er muss begründet
werden. Artikel X legt die Gültigkeit des NVV auf zunächst 25 Jahre fest. Nach 25 Jahren
soll eine Konferenz der Mitgliedsstaaten mit Mehrheit entscheiden, ob der Vertrag
unbegrenzt oder für eine oder mehrere 5-Jahres-Perioden begrenzt in Kraft bleiben soll.
Die zeitliche Begrenzung der Gültigkeit ist eng verquickt mit der Tatsache, dass der
Vertrag völkerrechtlich ein Unikum darstellt: Er teilt die gleich souveränen
Nationalstaaten der Erde in zwei Gruppen jene die Atomwaffen legalerweise besitzen
dürfen und diejenigen, denen das nicht erlaubt ist.
Artikel XI enthält Abschlussbestimmungen.
2. NVV-relevante externe Gremien
Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien überwacht die Einhaltung des
Vertrages. Sie soll sowohl den zivilen Technologietransfer sicherstellen, als auch
kontrollieren, dass es keine Weiterverbreitung nuklearer Waffen gibt. Zu diesem Zweck hat
sie Kontroll- und Inspektionsrechte, die insbesondere nach den Erfahrungen mit dem
verdeckten irakischen Nuklearprogramm in den 90er Jahren - erweitert wurden (93+2 INFCIRC
540), aber wg. langsamer Ratifizierungsprozesse z.T. noch nicht ihre volle potentielle
Wirkung erzielen. Um die Nichtverbreitung zu stärken, haben sich die Staaten, die über
Nukleartechnik verfügen, im Zangger-Ausschuss und in der Gruppe nuklearer Lieferländer
(Nuclear Suppliers Group) zusammengetan, um ihre Exportpolitik zu harmonisieren.
3. Die Vertragsverlängerung 1995
Während der regelmäßig alle fünf Jahre stattfindenden Überprüfungskonferenzen des
Vertrages musste also 1995 entschieden werden, wie es mit dem NVV weitergehen solle. Unter
Vorsitz von Jayantha Dhanapala (Sri Lanka) wurde der Vertrag bedingungslos auf unbegrenzte
Zeit verlängert, so wie es Washington gewünscht hatte. Dies gelang mit einem
diplomatischen Trick. Gefragt wurde, ob Mitgliedstaaten gegen eine solche Verlängerung
ihr Veto einlegen würden. Als dies nicht der Fall war, wurde auf eine Abstimmung
verzichtet. Die unbegrenzte Verlängerung galt quasi als per Akklamation beschlossen.
Zuvor hatten die Nuklearwaffenstaaten noch einmal das Ziel bekräftigt, nuklear
abrüsten zu wollen und einem Dokument zugestimmt, in dem Prinzipien und Ziele der
künftigen nuklearen Nichtverbreitungs- und Rüstungskontrollpolitik festgehalten wurden.
Sie verpflichteten sich erneut politisch aber nicht rechtlich verbindlich, dass sie sich
das Recht Nuklearwaffen einzusetzen nur gegen die nicht-nuklearen Staaten vorbehalten, die
im Bündnis mit einer Atommacht einen Nuklearstaat, dessen Truppen oder Verbündete
angreifen. Diese Garantie ist als "Negative Sicherheitsgarantie" bekannt.
4. Principles and Objektives und Aktionspläne
Sowohl bei der Überprüfungskonferenz 1995 als auch bei jener 2000 wurden
Abschluss-Dokumente verabschiedet, die Aussagen über die Zukunft und die künftigen
Absicht der Vertragsmitglieder enthielten. 1995 wurde eine Dokument mit der Überschrift
"Principles and Objectives" beschlossen, in denen die Universalisierung des
Vertrages (keine Nichtmitglieder), die Nichtverbreitung, die Nukleare Abrüstung ("to
pursue in good faith negotiations on effective meassures relating to nuclear
disarmament", beispielhaft namentlich Abschluss der CTBT-Verhandlungen bis 1996,
frühzeitige Verhandlungen über Fissile Material Production Ban und "determined
pursuit by the nuclear weapons states of systematic and progressive efforts to reduce
nuclear weapons globally, with the ultimate goals of eliminating those weapons), weitere
Nuklearwaffenfreie und Massenvernichtungswaffenfreie Zonen, aufbauend auf der
UNSR-Resolution 984 (11.4.95) rechtlich bindende negative wie positive
Sicherheitsgarantien, verbesserte Safeguards im Rahmen der IAEO sowie Maßnahmen zur
Zusammenarbeit bei der zivilen Nutzung der Nuklearenergie zu Kernpunkten erklärt werden.
Aufbauend darauf wurde bei der NVV-Überprüfungskonferenz 2000 ein
13-Punkte-Aktionsplan beschlossen, in dem sich die Staaten
- zur schnellen Zeichnung und Ratifizierung des inzwischen ausgehandelten CTBT,
- einem Atomwaffentestmoratorium bis zum Inkrafttreten dieses Vertrages,
- zu baldigen Verhandlungen über ein verifizierbares Verbot der Produktion von
Spaltmaterial,
- der Entwicklung eines Mandates für eine Untergruppe der Abrüstungskonferenz der
Vereinten Nationen (CD) zum Thema nukleare Abrüstung,
- zur Einhaltung des Prinzips der Irreversibilität bei nuklearer Abrüstung,
- zu einem "unequivocal undertaking by the nuclear weapons states to accomplish the
total elimination of their nuclear arsenals",
- zur Implementierung bestehender Verträge wie START II und zum Abschluss eines START III
Vertrages, zur Stärkung des ABM-Vertrages,
- zu Irreversibilitätbemühungen hinsichtlich von Überschusswaffenmaterial im Rahmen der
trilateralen Initiative (USA/RUS/IAEO),
- zu einem Schritt für Schritt-Vorgehen nuklearer Abrüstung (einschließlich einseitiger
Reduzierungen, größerer nuklearer Transparenz der Nuklearwaffenstaaten, Reduzierungen
der taktisch atomaren Waffen auf unilateralem oder verhandeltem Wege, Vereinbarungen über
Herabsetzung der Einsatzbereitschaft für Nuklearwaffen, einer Reduzierung der Rolle
nuklearer Waffen in nationalen Strategien und Doktrinen, ein baldmöglichstes Engagement
der Nuklearwaffenstaaten in einem Eliminierungsprozess für Atomwaffen),
- zur Unterstellung überflüssigen Waffenplutioniums unter IAEO-Kontrolle,
- zu genereller und vollständiger Abrüstung,
- zu regelmäßigen Berichten über Fortschritte im Rahmen der Art VI-Verpflichtungen
unter Berücksichtigung des Urteils des IGH und
- zu verbesserten Verifikationsmechanismen
verpflichten.
Zusammengenommen ergeben die Abschlussdokumente der Überprüfungskonferenzen 1995 und
2000 so etwas wie eine Definition der im Rahmen des NVV zu verfolgenden Ziele und einen
Arbeitsplan, den es für die Vertragsstaaten gilt, abzuarbeiten.
Seit 1995 werden NVV-Überprüfungskonferenzen durch Sitzungen eines Vorbereitenden
Ausschusses geplant und vorbereitet. In der Regel finden diese im 2., 3. und 4.Jahr des
5-Jahreszyklus statt. Im zweiten und dritten Jahr entsteht jeweils fast automatisch ein
Abschlussdokument, weil der Konferenzvorsitzende autorisiert ist, die Konferenzergebnisse
persönlich zusammenzufassen. Im vierten Jahr ist dies anders, weil für ein
Abschlussdokument der Konsens der Vertragsstaaten erforderlich ist, dieser aber gerade in
Fragen von Substanz ein Jahr vor der Überprüfungskonferenz oft kaum zu erwarten ist,
weil noch niemand bereit ist seine Position zu modifizieren. Diese
Problematik gilt auch für das PrepCom 2004.
5. Wichtige NVV-Kontroversen
Auch seit der NVV zeitlich unbegrenzt gilt, sind die Kontroversen um den Vertrag, die
Vertragskonformität nationaler Politiken etc. weiter an der Tagesordnung. Die kommende
Sitzung des Vorbereitungsausschusses 2004, die voraussichtlich letzte vor der
Überprüfungskonferenz 2005, dürfte deshalb vor allem von "Vorgeplänkeln"
über die Gewichtigkeit oder Ungewichtigkeit der größeren, kontroversen Themen geprägt
sein. Was bekommt auf der Tagesordnung welches Gewicht? Liegt der Schwerpunkt bei der
Dramatisierung der vermuteten "Proliferationsvergehen" oder bei der Einhaltung
der Verpflichtung zu nuklearer Abrüstung? Mithin: Was ist das "Setting" für
die Frage: Wer wird 2005 auf der öffentlichen Anklagebank landen?
5.1. Die Abrüstungsverpflichtung
Die Abrüstungsverpflichtung der Nuklearmächte ist seit langem Grund für eine
substantielle Kontroverse unter den NVV-Mitgliedern. Insbesondere seit mit dem Kalten
Krieg der Hauptgrund für die Aufrechterhaltung globaler Overkill-Kapazitäten entfiel und
seit mit der bedingungslosen unbegrenzten Verlängerung des NVV 1995 die Frage nach der
Dauer der Zulässigkeit des rechtlichen Have- Have-Not-Widerspruchs im Kontext des NVV nur
noch an die Frage der Erfüllung der Abrüstungsverpflichtung gekoppelt ist, gewinnt diese
logischerweise an Bedeutung. Sie ist das Wunsch-Thema vieler nicht-nuklearer Staaten, vor
allem aus dem Bereich der (Neutralen und) Nichtalliierten (NAN), die den
Nuklearwaffenstaaten mangelnde Abrüstungsfortschritte vorwerfen.
Das Grundproblem besteht aber darin, dass der Vertrag unterschiedlich interpretiert
wird: Während Artikel VI von den nicht-nuklearen Staaten als Verpflichtung zu
vollständiger nuklearer Abrüstung in überschaubaren Zeiträumen, zumindest aber zu
sichtbaren schnellen Abrüstungsfortschritten gelesen wird, signalisieren die
Nuklearmächte immer wieder einmal, dass sie solche Fortschritte an ebensolche
Fortschritte bei der konventionellen Totalabrüstung binden könnten also auf den
Sankt Nimmerleinstag vertagen könnten. Auch das stehe ja in Artikel VI. So zuletzt die
neue Botschafterin der USA bei CD und NVV, Jackie Sanders, anlässlich ihrer ersten Rede
vor der CD am 25.3.04.
Seit der Überprüfungskonferenz 2000 können sich die nicht-nuklearen Staaten in ihrer
Lesart durch den sog. 13-Punkteplan in Teilen bestätigt sehen, da die Nuklearmächte in
diesem auch dem "uneingeschränkten Bemühen (....) die völlige Eliminierung ihrer
nuklearen Arsenale, die zur nuklearen Abrüstung führen soll", zugestimmt haben.
Ein zusätzliches Problem stellt jedoch inzwischen die Nuklearpolitik der Regierung
Bush und mit Zeitverzögerung zunehmend auch die Reaktion anderer
Nuklearwaffenstaaten darauf dar. Sie signalisiert, dass die Eliminierung der
Atomwaffen in diesem Jahrhundert für die USA keine Option darstellt. Wer aber heute
wie die Bush-Administration im Nuclear Posture Review 2001 - Atomwaffen in die
Planung einführt, die erst um 2050 in Dienst gestellt werden würden, gibt das falsche
Signal für Abrüstung im Rahmen des NVV ebenso ab, wie derjenige, der in die Erforschung
neuer, besser einsetzbarer Nuklearwaffentypen einsteigt (Mini-Nukes, Bunkerbuster) oder
die Notwendigkeit der Wiederaufnahme von Nuklearwaffentests für möglich hält. Auch die
skeptisch bis gänzlich ablehnende Haltung der Regierung Bush zur vertraglichen
Rüstungskontrolle trägt zu dieser Problematik bei, ebenso, wie nicht zuletzt deren
Änderungen an der Einsatzdoktrin für Nuklearwaffen, die auf die Möglichkeit
präemptiver oder präventiver Nuklearwaffeneinsätze zur Bekämpfung auch biologischer
oder chemischer Potentiale hinausläuft.
Problematisch ist schließlich auch ein weiterer Punkt bei der nuklearen Abrüstung:
Diese soll irreversibel sein. Der NAM-Gipfel in Kuala Lumpur 2003 kritisierte zurecht,
dass der Moskauer SORT-Vertrag diesem Kriterium nicht gerecht wird.
Die meisten der 13 Punkte des Aktionsplans aus dem Jahre 2000 können
hinsichtlich unzureichender Umsetzung oder gar direkt entgegengesetztem Handeln hier zum
Gegenstand der Diskussion werden.
5.2. Die Proliferation
Das Thema "Proliferation", steht natürlich ganz oben auf der
Wunsch-Tagesordnung der USA (und in deutlich geringerem Umfang auch der anderen
Nuklearstaaten). Offizielles Ziel ist es, Staaten mit Nuklearprogrammen, die militärische
im Anfangsstadium oder in fortgeschrittenem Zustand sein könnten, dazu zu bewegen, diese
Programme nachweislich und überprüfbar aufzugeben. Dazu wird erheblicher politischer und
nicht zuletzt auch militärischer Druck generiert, eine Möglichkeit, die nicht zuletzt
auch politisch intendiert besonders intensiv gegenüber unliebsamen Regimen zur Anwendung
kommt. Die Regierung Bush möchte die kommende NVV-Überprüfungskonferenz nutzen, um den
Druck z.B. auf den Iran oder Nordkorea deutlich zu erhöhen.
Offen ist derzeit noch, in welchem Umfang und Kontext der "Nukleare
Supermarkt" von A.Q. Khan diesen Debattenpunkt beeinflussen wird; er hat einerseits
erschreckende Ausmaße, andererseits scheinen gerade die USA aus nicht
veröffentlichten (aber möglicherweise in den Kronzeugenrolle gegenüber Nord-Korea
liegenden) Gründen daran mitgewirkt zu haben, dass das Problem "Khan"
kleingehalten und auch ohne pakistanisches Gerichtsverfahren vom Tisch genommen wurde.
Als logischer Ausfluss dieser Debatte wird die Stärkung der Verifikations- und
Inspektionsregime auf der Tagesordnung der USA und vieler anderer Staaten weit oben
stehen, ohne dass dieser wichtige Aufgabe zwangsnotwendig Erfolg versprochen sein muss.
5.3. Nukleare Teilhabe
Ein selten offensichtlich werdender, aber trotzdem virulenter Streitpunkt beim NVV ist
die Nukleare Teilhabe, die seitens der NATO praktiziert wird. Diese besteht aus zwei
Teilen, die man die technische Teilhabe und die politische Teilhabe nennen kann. Mit der
politischen nuklearen Teilhabe sind die NATO-Konsultationen und -Gremien zur Festlegung
der Nuklearpolitik der Allianz gemeint. Mit der technischen nuklearen Teilhabe jene
Ausbildungsmaßnahmen, Vereinbarungen, technischen Vorrichtungen usw., die einige der
nicht-nuklearen Mitgliedstaaten der NATO (BE, GE, IT, NL, TR und bis 2001 GR) dazu
befähigen, mit nationalen nuklearfähigen Flugzeugen US-Nuklearwaffen im Kriegsfall
einzusetzen, nachdem der US-Präsident sie freigegeben hat und der Freigabe-Code für das
PAL-Sicherheitssystem nach Europa übermittelt wurde. M.a.W.: Im Krieg (damals gemeint:
genereller Atomkrieg) so die legitimierende Annahme - gilt der NVV aus Sicht dieser
Staaten nicht mehr und nicht-nukleare Staaten dürfen US-Atomwaffen einsetzen. Dem steht
jedoch eine während der Überprüfungskonferenz 1985 durch den schwedischen Diplomaten
Jan Prawitz eingebrachte und verabschiedete NVV-Sprachregelung entgegen, die festhält,
dass der NVV unter allen Umständen gelte, also auch zu Kriegszeiten.
Umstritten ist die Vereinbarkeit der technischen nuklearen Teilhabe mit dem NVV und
seinen Vorschriften aus Artikel I und II. Seit dem NAN-Gipfel in Durban haben die
NAN-Staaten die Auffassung vertreten, die Teilhabe sei nicht vertragskonform. Sie schlugen
vor, die Vertragsparteien sollten "ihre Verpflichtung erneut bestätigen",
Artikel I und II des Vertrages "vollstmöglich zu implementieren", indem sie
"die nukleare Teilhabe für militärische Zwecke unter jeder Art von
Sicherheitsarrangement untereinander, mit nicht-nuklearen Staaten und mit Staaten, die
nicht Vertragsparteien sind, unterlassen."
Die NATO-Staaten äußern sich dazu selten öffentlich, gehen aber wie
selbstverständlich davon aus, dass die Teilhabe zulässig sei. Hier lautet das Argument:
Ein Brief des damaligen US-Außenministers Dean Rusk, der dem US-Senat 1968 zusammen mit
den Unterlagen zur Ratifizierung des NVV zugeleitet worden aber, von Washington bei
Ratifizierung des NVV aber nicht als formelle Reservation hinterlegt wurde, komme einer
solchen gleich. Der Brief erläutere, dass und warum die Teilhabe zulässig sei; seine
Einführung in den öffentlichen Ratifizierungsprozess der USA komme einer Bekanntgabe an
alle Vertragsstaaten gleich und stelle zugleich öffentlich dar, dass die USA den NVV in
einer Weise interpretiere, die die Teilhabe für rechtens erkläre. Etliche nicht-nukleare
NATO-Staaten haben sich bei der Hinterlegung ihrer Ratifikationsinstrumente für den NVV
auf den Brief bzw. Inhalte des Briefes in allgemeinen Formeln bezogen.
Wenn die westliche Interpretation begründet sein sollte, müsste argumentiert werden,
dass alle Vertragsstaaten bei der Unterzeichnung den NVV vom Inhalt des Briefes Kenntnis
hatten und wussten, was er implizierte bzw. was damit gerechtfertigt werden würde
die nukleare Teilhabe. Dies war allerdings nicht der Fall, denn der Inhalt und Wortlaut
des Briefes wurde nur mit einigen wichtigen Staaten vor Beginn der NVV-Unterzeichnung
konsultiert. Öffentlich im Sinne einer begrenzten Öffentlichkeit die Teilnehmer
der Senatsanhörung wahrnehmbar wurde er erst mehr als eine Woche später, als
bereits mehr als 50 Staaten den NVV unterzeichnet hatten.
Das von der damaligen US-Administration gewählte Vorgehen hielt selbst der damalige
Völkerrechtsberater des US-Außenministeriums, Meeker, für so heikel, dass er vor ihm
warnte und es als "negotiating under false pretenses" kennzeichnete.
Mithin: Obwohl die technische nukleare Teilhabe mittlerweile seit Jahren umstritten
ist, wird sie weiterhin praktiziert. Militärisch hat sie ihren Wert weitgehend verloren.
Ihr politisch-psychologischer Wert dauert anscheinend fort. Trotzdem scheint nunmehr
Bewegung in diese Angelegenheit zu kommen: NATO-Oberbefehlshaber James Jones hat Anfang
März eine signifikante Reduzierung der in Europa stationierten US-Nuklearwaffen
angekündigt und eines der wichtigsten Beratungsgremien des Pentagons hat gar einen
gänzlichen Verzicht auf die Dual Capable Aircraft, also nuklearfähige Trägerflugzeuge,
und damit auf die Teilhabe empfohlen. Militärisch sei diese Fähigkeit
Ressourcen-Verschwendung so das Argument.
Eng mit der Teilhabefrage verbunden ist die Frage der Abrüstung taktisch-nuklearer
Waffen. Für diesen Bereich gibt es bislang keine Rüstungskontrollverträge und
neben einem zaghaften deutschen Versuch 2002 zum Thema Transparenz auch keine im
NVV-Kontext relevante Initiative, diese Waffen auf den Tisch von Verhandlungen zu bringen.
Initiativen und Gespräche, die die im Rahmen der Teilhabe in Europa stationierten Waffen
einbeziehen, könnten auch für Russland, das über ein intransparentes großes Potential
solcher Waffen verfügt, einen Anreiz darstellen.
5.4. Die Negativen Sicherheitsgarantien und Nuklearwaffenfreie Zonen
Artikel VII des NVV ermutigt zur Einrichtung atomwaffenfreier Zonen. Für diverse
Erdregionen sind Verträge über solche Zonen inzwischen abgeschlossen worden, für andere
sind sie in der Diskussion.
Ein wichtiges Element im Kontext dieser Zonen und des gesamten
NVV - sind die sogenannten Negativen Sicherheitsgarantien, mit denen sich auch die
Nuklearmächte politisch, aber nicht rechtlich bindend - verpflichten, im
geographischen Geltungsbereich der Zonen bzw. gegen deren Mitglieder keine Nuklearwaffen
einzusetzen. Die Negative Sicherheitsgarantie der USA aus dem Jahre 1995 hat
beispielsweise folgenden Wortlaut:
"Die Vereinigten Staaten bekräftigen, dass sie Nuklearwaffen nicht gegen
Vertragsparteien des NVV einsetzen werden, die nicht über Kernwaffen verfügen, es sei
denn, ein solcher Staat verwirklicht oder unterstützt gemeinsam mit einem Kernwaffenstaat
oder als dessen Verbündeter eine Invasion oder einen beliebigen anderen Überfall gegen
die Vereinigten Staaten, ihr Territorium, ihre Streitkräfte oder anderen Truppen, ihre
Verbündeten oder gegen einen Staat dem gegenüber sie Sicherheitsverpflichtungen
hat."
Der Text dieser Garantie macht keine Ausnahme für nicht-nuklear, aber chemisch oder
biologisch bewaffnete Staaten. Auch kennt er den Begriff Massenvernichtungswaffen nicht.
Deshalb kommt es einer Aufkündigung der Garantie für etliche Staaten gleich, wenn unter
Präsident Bush in dem geheimen Dokument NSDD 17 die Möglichkeit der nuklearen Vergeltung
gegen den Einsatz biologischer und chemischer Waffen offen erwähnt wird und wenn
Politiker dieser Administration auch ein präemptives und präventives nukleares Vorgehen
gegen staatliche oder nicht-staatliche Akteure die sich im Besitz von nichtnuklearen
Massenvernichtungswaffen befinden oder sich in diesen bringen wollen, erwägen.
5.5. Der Nahe und Mittlere Osten
Die Massenvernichtungswaffenproblematik in der Nahost-Region und insbesondere das
Nuklearprogramm Israels sind seit vielen Jahren auch Thema im NVV-Prozess. Schon 1974
hatte der damalige Schah Reza Pahlevi von Persien die Idee der Schaffung einer
nuklearwaffenfreien Zone aufgebracht. 1990 schlug der ägyptische Präsident Mubarak ein
Verbot aller nuklearen, chemischen und biologischen Waffen für die Nahost-Region vor,
also eine massenvernichtungswaffenfreie Zone. Intensive Diskussionen über regionale
Abrüstungsschritte und die Schaffung eines regionalen Sicherheitssystem fanden nach dem
Golfkrieg 1991 im Rahmen der Arbeitsgruppe "Rüstungskontrolle und regionale
Sicherheit" statt, die aber seit 1995 unterbrochen sind.
Ebenfalls seit 1974 wird die Idee zur Schaffung einer nuklearwaffenfreien Zone in der
Nahost-Region (MENWFZ) offiziell im Rahmen der Vereinten Nationen erörtert. Von Anbeginn
an war sie überlagert von den Konflikten. Israel lehnt die Idee zwar nicht ab, betrachtet
aber die MENWFZ "als letzten Schritt" im Friedensprozess. Eine analoge Position
vertreten die USA, die die Idee "im Kontext einer umfassenden Friedensregelung"
unterstützen, aber z.B. bei der Diskussion um Nah-Ost-Resolutionen im NVV-Kontext immer
wieder versuchen, eine namentliche Nennung Israels zu verhindern.
Von der Vollversammlung der Vereinten Nationen wurde die Idee der Schaffung einer
kernwaffenfreien Zone erstmals in der Resolution 3263 (XXIX) vom 9.12. 1974 offiziell
begrüßt und festgestellt, dass die Errichtung einer Kernwaffen freien Zone
a) den Frieden in der Region und in der ganzen Welt fördern,
b) die Spannungen in der Region vermindern,
c) die Gefahr eines ruinösen nuklearen Rüstungswettlaufes beseitigen würde.
Gleichlautende Resolutionen wurden seither in jedem Jahr von der Vollversammlung
beschlossen. Analoge Aussagen sind auch in den Dokumenten der Sondertagung der
Vollversammlung zur Abrüstung (1976), der Konferenzen zur Überprüfung des NVV (1995 und
2000) sowie anderer VN-Gremien enthalten.
Sogar die Resolution 687 (1991) des VN-Sicherheitsrates zur Durchsetzung der Abrüstung
des Irak nach dem Golfkrieg 1991 enthält einen Hinweis auf den Zusammenhang der
Abrüstung des Irak mit den Überlegungen zur Errichtung einer
massenvernichtungswaffenfreien Zone. Punkt 14 betont, "dass die den Irak betreffenden
Maßnahmen ... zugleich auf das Ziel gerichtet sind, in der Nahost-Region eine Zone zu
errichten, die frei von Massenvernichtungswaffen und aller entsprechenden Trägerraketen
sowie frei von Waffen ist, die dem globalen C-Waffenverbot unterliegen." Darauf
wiederum bezog sich auch die Nah-Ost-Resolution, die die Ständigen Mitglieder des
VN-Sicherheitsrates, die P-5, gemeinsam während der NVV-Überprüfungskonferenz 1995
einbrachten. Alle Staaten der Region außer Israel gehören dem NVV als nicht-nukleare
Mitglieder an.
Wie 1995 und 2000 darf für 2005 mit einer intensiven Diskussion über Inhalte und
Nichtinhalte einer künftigen Nah- und Mittelost-Resolution gerechnet werden.
5.6. Die "D-3"-Problematik
Ein gesondertes Problem stellen die De-facto-Nuklearmächte Indien, Israel und Pakistan
dar. Sie alle haben vor dem 1.1.1967 keine Nuklearwaffe getestet, besitzen aber heute
solche Waffen (Israel erklärt dies nicht öffentlich). Sie können dem NVV nicht als
Nuklearmächte beitreten, müssen also außerhalb des Vertragsrahmens bleiben, solange sie
ihre Atomwaffen nicht wieder abrüsten. Als nicht-nukleare Mitglieder könnten sie dem NVV
beitreten, so wie das die ehemaligen Nuklearwaffenstaaten Kasachstan, Südafrika, Ukraine
und Weißrussland vorexerziert haben.
Indien und Pakistan rufen für die NVV-Mitglieder Sorgen vor allem wegen ihrer
Regionalkonkurrenz, wegen eines drohenden nuklearen Rüstungswettlaufs und wegen der immer
wieder bis an die Schwelle der Drohung mit nuklearen Waffen eskalierenden bilateralen
Konfliktes hervor. Zudem ist vielen NVV-Mitgliedern die latente chinesisch-indische
Regionalkonkurrenz bewusst. Bei Pakistan kommt seit einigen Monaten das Wissen um die
bedeutende Rolle des Landes als Proliferateur hinzu. (Pakistan selbst erhielt zu Zeiten
als China noch nicht NVV-Mitglied war, höchstwahrscheinlich Hilfe von China.)
Die de-facto Atommacht Israel in ihrem spezifischen regionalen Umfeld
erweist sich seit vielen Jahren als immer wieder besonders virulentes Problem im
NVV-Kontext.
5.7. Die Janusköpfigkeiten des Vertrages
Ein weiteres kontroverses Thema, das in begrenztem Umfang bei NVV-Konferenzen immer
wieder eine Rolle spielt, ist die Janusköpfigkeit des Vertrages. Als der Vertrag
ausgehandelt wurde, galt die Atomenergie als fortschrittlich und zukunftsweisend. Deshalb
wurde den nicht-nuklearen Mitgliedern der Beitritt mit dem Versprechen eines umfassenden
Technologietransfers zur Entwicklung der zivilen Nutzung der Atomenergie versüßt. Auch
die Verifikations- und Implementierungsbehörde für den NVV, die IAEO, weißt diese
Janusköpfigkeit auf. Sie soll zugleich nukleare Nichtverbreitung garantieren und für die
zivile Nutzung der Atomenergie werben bzw. Fachkräfte ausbilden. Je deutlicher seit dem
Ende des Kalten Krieges an Beispielen wie Irak, Nordkorea, Iran, Libyen u.a. wird, dass
angeblich zivile Programme auch der Einstieg in oder die Tarnung für militärische sein
können, dass zivile und militärische Programme in der Anfangsphase teilweise nur sehr
schwer zu unterscheiden sind, dass es zu spät für ein "Stop!" sein könnte,
wenn die wahre Intention erkannt wird, desto deutlicher wurde der Nachteil dieser
Janusköpfigkeit. Auch "Ausbildung für die zivile Nutzung" kann Kenntnisse
generieren, die im militärischen Bereich von Nutzen sind. Die Versuche, die Effizienz der
Verifikationen der IAEO durch erweiterte Inspektionsbefugnisse, z.B. unangekündigte
Verdachtsinspektionen zu verbessern, zeigten nur eine begrenzte Wirkung, da die
internationale Organisation mit den betreffenden Staaten ja zunächst bilaterale Abkommen
über die Zulässigkeit der zusätzlichen Maßnahmen abschließen muss und diese Staaten
somit "auf Zeit spielen" können.
6. Wichtige Akteure
6.1. Die P-5
Die P-5, also die Nuklearmächte die zugleich im Sicherheitsrat über ein Veto
verfügen, sind bei NVV-Konferenzen wie bei Sitzungen der Vorbereitungsausschüsse dafür
"automatisch" wichtige Akteure. Genauer ein wichtiger Akteur, denn worauf sie
sich jenseits ihrer nationalen Positionen in einem gemeinsamen Statement oder in
gemeinsamen Vorschlagspapieren als Minimalkonsens einigen können, das bestimmt relativ
weitgehend den Verhandlungsspielraum und oft auch den Ausgang der entsprechenden Sitzung.
6.2. Die New Agenda Coalition (NAC)
Die New Agenda Coalition trat erstmals bei der Überprüfungskonferenz 1995 in
Erscheinung. Es handelt sich um den freiwilligen Zusammenschluß von Ägypten, Brasilien,
Irland, Mexiko, Schweden und Südafrika. Diese Koalition bereitet sich gemeinsam auf die
NVV-Sitzungen vor und legt seit einigen Jahren auch immer wieder einen gemeinsamen
Resolutionsentwurf für die Generalversammlung der VN vor, mit dem die nukleare
Abrüstungsagenda vorangetrieben werden soll.
Eng mit der NAC verbandelt arbeitet als Nichtregierungsorganisation die Middle Powers
Initiative unter inoffizieller Leitung des kanadischen Senators Douglas Roche, die
versucht, weitere Regierungen für die Vorschläge der NAC zu gewinnen, darunter die
NATO-Non-Nuclear 5.
6.3. Die NATO-Non-Nuclear 5
Die NATO-Non-Nuclear 5 sind eine inoffizielle Gruppe, die aber nur selten in
Erscheinung getreten ist. Zu ihr gehört auch Deutschland. Ihre produktive Funktion
könnte in einer Vermittlung zwischen den Positionen der Nuklearwaffenstaaten und der NAC
liegen. De facto haben sie in dieser Funktion aber bislang kaum gewirkt und auch bei
diesem PrepCom ist damit kaum zu rechnen. Die Debatte über die Haltung dieser Länder zu
der von der NAC vorgelegten jährlichen Resolution für die Generalversammlung reduziert
sich zumeist auf die Frage, ob sie von einer Stimmenthaltung zur Zustimmung übergehen
könnten.
6.4. Die EU
Die EU-Staaten bemühen sich im Blick auf ihre Nichtverbreitungspolitik um ein
abgestimmtes Vorgehen und entwerfen im Rahmen der GASP gemeinsame Stellungnahmen, die die
jeweilige EU-Präsidentschaft vertritt. Wenn einzelne Staaten über diese gemeinsamen
Positionen hinausgehen wollen, so ist ihnen dies unbenommen. Irland und Schweden arbeiten
z.B. zugleich in der NAC mit.
In diesem Jahr darf man die Stellungnahme der EU mit besonderer Spannung erwarten, weil
die EU im Juni und Dezember 2003 erstmals eine Gemeinsame Strategie zum Thema Bekämpfung
der Proliferation von Massenvernichtungswaffen im Rahmen der weitergehenden Europäischen
Sicherheits- und Verteidigungs-Politik aufgelegt hat. Dieses oft als im Blick auf seine
Nähe/Ferne zu den Positionen der Bush-Administration als "interpretierbar"
bezeichnete Paper müsste Auswirkungen auf die EU-Positionen haben und diese könnten
damit u.a. zu einer Interpretations"hilfe" für die EU-Positionen werden.
Für die EU wird sich in Zukunft im Rahmen des NVV ein Spezialproblem stellen: Sie
besteht aus nuklearen und nicht-nuklearen Mitgliedern. Die zunehmende Integration auch der
Außen- und Sicherheitspolitik der EU-Staaten wirft also irgendwann zwangsweise die Frage
auf, ob wenn die EU ein einheitlicher außen- und sicherheitspolitischer Akteur
oder gar ein eigener Staat wird, dieser dann nukleares oder nicht-nukleares NVV-Mitglied
sein wird. Diese Frage scheint schon zu Zeiten der Vertragsverhandlungen bei einigen
Politikern im Hinterkopf vorhanden gewesen zu sein. Anders ist es nicht zu erklären, dass
im sogenannten Rusk-Letter (s.o. bei Teilhabe) die Lesart vertreten wird, eine
Nuklearmacht EU stehe nicht im Widerspruch zum NVV. Bedeutsam ist auch hier, dass etliche
Staaten der EU bei der Hinterlegung ihrer Ratifikationsinstrumente für den NVV nationale
Reservationen hinterlegt haben, die auf diesem Brief und/oder seine Inhalte rekurrieren.
In dieser Sichtweise lautet die Interpretation: Aus fünf werden vier Atommächte
das ist im Sinne des NVV.
Teilt man dagegen die Auffassung, dass der Rusk-Letter ein unzulässiger
Verhandlungstrick oder gar ein "negotiating under false pretenses" darstellt, so
sind dessen Aussagen entweder irrelevant oder das mit ihm verbundene verhandlerische
Vorgehen stellt sogar die Gültigkeit des ganzen NVV infrage.
6.5. Die NAN
Die "Neutralen und Nichtpaktgebundenen" stellen die größte Gruppe der
NVV-Mitglieder und haben in der Vergangenheit schon häufiger auch gemeinsam
Positionspapiere u.ä. vorgelegt. Diese Gruppe kritisiert seit dem Gipfel der NAN in
Durban die nukleare Teilhabe der NATO und fordert, dass die NATO darauf verzichtet.
Einzelne Mitglieder dieser Gruppe, so Südafrika, betreiben mit Unterstützung der meisten
anderen eine sehr aktive NVV-Politik. Das Hauptproblem der NAN besteht darin, dass zu
dieser Struktur mit Libyen oder dem Iran auch Staaten gehören, die von anderen als
Proliferationsrisiko betrachtet werden und bei denen unterstellt wird, dass sie versuchen
die NAN gelegentlich für ihre Ziele in Stellung zu bringen. Unabhängig davon, ob dies
real der Fall ist, impliziert es ein Glaubwürdigkeitsproblem für die NAN.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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