Neue Luzerner Zeitung
30. Januar 2003

 

Interview zur Irakkrise

  Interview der Neuen Luzerner Zeitung (Schweiz) mit Otfried Nassauer, Leiter des BITS

 

Wie schätzen Sie die Chancen für eine friedliche Lösung der Irak-Krise nach Bushs Rede ein?

Nassauer: Sehr gering. Der US-Präsident scheint entschlossen zu sein, diesen Krieg gegen den Irak zu führen. Selbst dann, wenn er kein Mandat der Vereinten Nationen bekommen sollte.

Allerdings hat er grösste Mühe, den Krieg rechtfertigen zu können.

Nassauer: Das ist richtig. Zwar haben die Briten und Amerikaner im September Beweise veröffentlicht, die Saddam Hussein mit Massenvernichtungswaffen in Verbindung brachten. Doch bisher konnte die UNO-Inspektoren keinen einzigen dieser Vorwürfe bestätigen.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Nassauer: Es wurde z.B. behauptet, dass der Irak Anlagen, die die UNO-Inspektoren in den neunziger Jahren zerstörten, wieder aufgebaut und in Betrieb genommen hätte. Diese Anschuldigung haben die Inspektoren in diesen Wochen widerlegt.

Jetzt will Washington am 5. Februar einmal mehr Beweise präsentieren. Kommt jetzt der grosse Hammer?

Nassauer: Ich denke nicht.

Immerhin gab sich Bush in seiner Rede sehr selbstsicher.

Nassauer: Es kann durchaus sein, dass ein paar überraschende Informationen kommen.

Bush sprach so, als ob die angekündigten Beweise die Rechtfertigung zum Krieg liefern werden.

Nassauer: In der Tat klang er sehr überzeugt. Nur muss man Bedenken, dass die Beurteilung der neuen Informationen nicht Aufgabe der Amerikaner ist, sondern den UNO-Waffeninspektoren zukommt. Bush legt da ein erstaunliches Vorgehen an den Tag.

Inwiefern?

Nassauer: Statt die Beweise den Inspektoren zu geben, legt Washington sie dem UNO-Sicherheitsrat vor. Damit haben die Waffenkontrolleure im Irak weniger Möglichkeiten, die Informationen mit Überraschungsbesuchen zu überprüfen.

Eine Desavouierung von Hans Blix und seinem Team?

Nassauer: Die Inspektoren werden von der US-Regierung scheinbar nur dann als hilfreich und positiv bewertet, wenn sie den Grund für einen Krieg gegen Irak liefern. Solange sie den «rauchenden Colt» nicht finden, sind sie für die amerikanische Position eher hinderlich. Und das wird Hans Blix auch jetzt wieder vor Augen geführt.

Bush brachte Saddam Hussein in seiner Rede erneut mit el Kaida und anderen Terrorgruppen in Verbindung. Ein billiges Argument?

Nassauer: Es ist durchaus denkbar, dass sich auf irakischem Territorium el Kaida-Mitglieder aufgehalten haben oder immer noch aufhalten. Allerdings hat die Zentralregierung in Bagdad nicht das ganze Land unter Kontrolle.

Das schliesst Verbindungen zwischen Saddam und el Kaida nicht grundsätzlich aus.

Nassauer: Sicher, aber ich bezweifle das sehr. Saddam pflegt eher Kontakte zu radikalen palästinensischen Gruppen.

Die Absicht der Amerikaner, neue Beweise vorzulegen, ist weltweit positiv aufgenommen worden. Kommt es zu einer Kehrtwende Richtung Krieg im Sicherheitsrat?

Nassauer: Das ist sicher die Absicht der Regierung Bush. Aber ein Kriegsmandat für die USA ist nur dann gerechtfertigt, wenn der Sicherheitsrat den Inspektoren ausreichend Zeit gibt, um die neuen Informationen zu überprüfen und zu bewerten.

Bringt Bush diese Geduld noch auf?

Nassauer: Ich habe meine Zweifel.

Warum?

Nassauer: Bush hat sich mit dem Truppenaufmarsch am Golf und den Drohgebärden gegen Irak in eine Situation hineinmanövriert, in der er ohne Gesichtsverlust auf einen Krieg kaum mehr verzichten kann.

Welches Gewicht haben die Stimmen von Kriegsgegnern wie Frankreich oder Deutschland in Washington noch?

Nassauer: Ein kleines, denn die US-Regierung folgt dem Prinzip eines Multilateralismus à la carte. Oder anders gesagt: Washington setzt nur dann auf internationale Zusammenarbeit, wenn es den eigenen Interessen dient.

Ein düsteres Bild

Nassauer: Allerdings können Paris und Berlin durchaus Akzente setzen. Dann nämlich, wenn die EU gegenüber Amerika mit einer Stimme auftritt. Auch als Supermacht können die USA die Welt nicht im Alleingang ordnen. Dafür braucht es Partner.

Europas gemeinsame Aussenpolitik steht aber auf wackligen Füssen.

Nassauer: Und darauf setzt Washington auch. Den neuen osteuropäischen Nato-Staaten wird Wohlwollen versprochen, anderen werden wirtschaftliche Verlockungen vor die Nase gehalten oder auch wirtschaftliche Strafen angedroht. Da kommt das ganze Instrumentarium einer machtpolitisch orientierten Diplomatie zum Zuge. Bush hofft damit, möglichst viele Europäer aus einer gemeinsamen EU-Aussenpolitik herauszubrechen und hinter seine Irak-Strategie zu bringen.

Wie gefährlich ist denn Saddam Hussein?

Nassauer: Es gilt zu unterscheiden zwischen dem Irak und seinem Diktator. Das Land ist im Jahr 2003 militärisch bestimmt signifikant schwächer als vor dem letzten Golfkrieg.

Und Saddam?

Nassauer: Der ist immer noch gleich gefährlich.

Will heissen?

Nassauer: Saddam Hussein ist nachweislich ein Mann, der erstens für Überraschungen gut ist und zweitens nicht davor zurückschreckt, schwächere Nachbarn oder seine eigene Bevölkerung zu attackieren respektive zu massakrieren.

Also muss er gestürzt werden.

Nassauer: Ein Diktator rechtfertigt noch keinen Krieg; Saddams   Militärpotential ist regional begrenzt. Zudem hat die Bedrohung kontinuierlich während der letzten Jahrzehnte bestanden.

Aber er ist und bleibt unberechenbar. Sein Untergang wäre bestimmt kein Unglück.

Nassauer: Das muss aber von Innen eingeleitet werden. Einen von Aussen begonnener Krieg zum Sturz eines Diktators ist und bleibt  völkerrechtswidrig.