12. November 2004


Schlacht um Falludscha

von Gerhard Piper


Die Schlacht um Falludscha hat begonnen. Am 8. November durfte der von der US-Regierung eingesetzte Chef der irakischen Übergangsregierung Ijad Alawi formal das Startsignal geben. Schon am Vortag hatte er mit der offiziellen Verhängung des Ausnahmezustandes formaljuristisch die pseudogesetzlichen Grundlagen für die bevorstehenden Opfer unter der Zivilbevölkerung geschaffen.

"We are after terrorists. We are not after anybody else, and all the Iraqi people, including people in Fallujah, they want us to go ahead and finish the terrorists and have the rule of law prevail in Fallujah, and this is what we intend to do," heuchelte Alawi.

Noch am 8. November begannen die alliierten Truppen mit ihrer Offensive gegen die Stadt, die eines der wichtigsten Zentren des irakischen Widerstandes ist. Mit der Eroberung der Stadt sechzig Kilometer westlich von Bagdad sollen die Rebellen entscheidend geschwächt werden, um die für den 27. Januar 2005 angesetzten Wahlen durchziehen zu können. So wird der Kampf um Falludscha zur Entscheidungsschlacht hochstilisiert. Es ist der zweite Versuch der USA, die Stadt zu erobern. Bereits im April 2004 war eine erste US-Offensive (Operation VIGILANT RESOLVE) gegen Falludscha gescheitert. Die neue Offensive ist die erste größere US-Militäraktion nach der Wiederwahl von George W. Bush zum Präsidenten und Oberbefehlshaber.

Die Stadt Falludscha hat eine Fläche von 10,5 qkm und liegt zwischen dem Euphrat im Westen und einer Autobahn im Osten. Bei Kriegsbeginn wohnten hier 200.000 bis 300.000 Einwohner. Unklar ist, wieviele Bewohner sich noch in der Stadt aufhalten, weil sie nicht flüchten wollten oder von den Rebellen daran gehindert wurden. Unterschiedliche Schätzungen besagen, daß sich noch 50.000 bis über 100.000 Zivilisten in der Stadt aufhalten sollen, die nun in Kellergeschossen Schutz vor den Kämpfen suchen.

 

Aufständische

Das Pentagon geht davon aus, daß sich 3.000 bis 4.000 Widerstandskämpfer des "harten Kerns" in der Stadt den Widerstand organisieren, andere Schätzungen sprechen von bis zu 6.000 Aufständische. (1) Da diese Rebellen keine Uniformen tragen, ist es völlig unmöglich, sie im Schlachtgetümmel von normalen Familienvätern zu unterscheiden.

Zu den Aufständischen zählen insbesondere die Mitglieder von Tawid wal-Jihad des Jordaniers Abu Mussab al-Sarkawi. Diese Terrorgruppe schloß sich erst vor kurzem der Al Qaida an und ist für zahlreiche Geiselmorde in den letzten Monaten verantwortlich. Ob sich allerdings Sarkawi selbst noch in der Stadt aufhält, wußte selbst der US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld bei Beginn der Offensive nicht zu sagen. Wahrscheinlich werden die Al Qaida-Kämpfer in Falludscha von einem Omar Hadid geführt. Zwar verfügen diese Terroristen nur in Ausnahmefällen über eine militärische Ausbildung, aber ein Teil des Offizierskorps der früheren irakischen Armee stammt aus Falludscha. Und natürlich haben die Iraker die besseren Ortskenntnisse im Gassengewirr der Altstadt.

Seit Monaten konnten sich die Rebellen auf den US-Angriff vorbereiten. Als die US-Regierung vor wenigen Wochen die britische Regierung um die Verlegung von Einheiten für Sicherungsmaßnahmen im "sunnitischen Dreieck" bat, war klar, daß die "heiße Phase" der Angriffsvorbereitungen begonnen hatte.

Seitdem konnten die Rebellen ihre Verteidigungsstellungen ausbauen. Angeblich haben sie zahlreiche unterirdische Depots mit Munition und Versorgungsgütern angelegt, die durch ein Tunnelsystem teilweise miteinander verbunden sind. Einzelne Straßenzüge sind durch Minen und Sprengfallen gesichert. Kraftfahrzeuge wurden zu Autobomben umgebaut. Zur Bekämpfung von Hubschraubern verfügend die Rebellen über mehrere Flugabwehrraketen. Mehrere hundert Selbstmordattentäter sind einsatzbereit. Angeblich unterhalten die Rebellen eine strategische Reserve außerhalb der Stadt.

Nach eigenen Angaben sind die Rebellen im Besitz von chemischen Waffen, insbesondere Zyanid. (2) Um welchen Kampfstoff es sich genau handelt wurde nicht bekannt. In der Vergangenheit war bei Al Qaida-Zellen sieben Kilogramm Kaliumzyanid gefunden worden, das allerdings nur schwachgiftig ist.

 

Alliierte Angreifer

Die US-Truppen im Irak werden z. Zt. von General George W. Casey kommandiert, die Bodentruppen unterstehen Generalleutnant Thomas F. Metz.. Nach Militärangaben sind zwischen 10.000 und 15.000 US-Soldaten an der "Operation PHANTOM FURY" beteiligt. (3) Die Angreifer bestehen insbesondere aus der amerikanischen I Marine Expeditionary Force (MEF), die ihr Hauptquartier im sogenannten Camp Falludscha außerhalb der Stadt hat und insgesamt 25.000 Soldaten umfaßt. Kommandeur des Verbandes ist Generalleutnant John F. Sattler, der erst vor wenigen Wochen Generalleutnant James T. Conway abgelöst. Die Marines haben in den letzten zehn Jahren speziell den gefährlichen Häuser- und Straßenkampf (Military Operations in Urban Terrain – MOUT) trainiert. (4) Zu ihrer Spezialausrüstung gehören Scharfschützengewehre M40A1, Kampfpanzer Abrams, Schützenpanzer Bradley, Roboter-Fahrzeuge Dragon Runner und Aufklärungsdrohnen vom Typ Dragon Eye.

Zur I MEF gehören zwei Großverbände:

1. Die 1st Marine Division wird gegenwärtig von Generalmajor Richard Natonski kommandiert, der erst im Oktober den bisherigen Befehlshaber James N. Mattis abgelöst hat. Der Verband unterhält sein Hauptquartier in der Forward Operating Base (FOB) Blue Diamond. Er besteht im Wesentlichen aus zwei Brigaden und einem Regiment, deren genaue Gliederungen z. Zt. nicht bekannt sind. Zur Division gehören u.a. zwei Spezialeinheiten (Reconnaissance Companies), ein Intelligence-Batallion, mindestens 13 Infanterie-, 1 Panzer- und 2 Artilleriebataillone. Von diesen Kräften werden z. Zt. das 1. Batallion und das 3. Batallion des 3. Marineinfanterieregimentes, das 3. Bataillon des 5. Marineinfanterieregimentes und das 1. Bataillon des 8. Marineinfanterieregimentes eingesetzt. Die Division soll nach den Kämpfen um Falludscha aus dem Irak abgezogen werden.

2. Das Flugzeuggeschwader 3rd Marine Aircraft Wing wird derzeit von Generalmajor Keith M. Stalder befehligt. Er hat sein Hauptquartier im Camp Falludscha. Der Verband gliedert sich in zwei Kampfstaffeln mit dem Jagdbomber AV-8B Harrier und sieben Hubschrauberstaffeln (AH-1W, UH-1N, CH-46 und CH-53) besteht. Aufgabe des Geschwaders ist es, Soldaten mit Hubschraubern in Falludscha schnell abzusetzen und zu versorgen sowie Verwundete zu evakuieren.

Ergänzt werden die Einheiten der Marineinfanterie durch die 1st Infantry Division (Mechanized) der US Army, die von Generalmajor John R. S. Batiste kommandiert wird. Von diesem Verband sind noch 1.800 Soldaten im Irak verblieben, die ihr Hauptquartier im Camp Udairi bei Tikrit haben. Der Rest der Division ist bereits nach Würzburg in Deutschland zurückgekehrt. Ihre beiden im Irak eingesetzten Brigaden bestanden u.a. aus drei Infanterie-, drei Panzer- und zwei Artilleriebataillonen. Davon wird mindestens eine Kompanie aus Bayern in Falludscha tatsächlich eingesetzt. Hinzu kommt das 2. Bataillon des 7. Panzeraufklärungsregimentes. Außerdem ist in Camp Baharia, drei Kilometer südöstlich von Falludscha, eine Hubschrauber-Staffel (Apache) stationiert. (5)

Unterstützt werden die Amerikaner von rund 2.000 Mann der im Aufbau befindlichen irakischen Nationalgarde, der lediglich eine Nebenrolle zukommt. Zu den beteiligten Einheiten gehört u.a. das 36. Kommandobataillon, das 2. Bataillon der 1. Brigade und das 5. Bataillon der 3. Brigade. Hinzu kommt noch die Emergency Response Unit der irakischen Polizei. Allerdings können sich die Amerikaner nicht auf die irakischen Einheiten verlassen, so hat es schon vom ersten Tag an Desertionen gegeben. Der Name der irakischen Sub-Operation lautet "AL FAJR" (Morgendämmerung).

 

Bisheriger Verlauf der Kampfhandlungen

Nachdem die Stadt "vollständig" umzingelt worden war, begann am Montag den 8. November der Angriff mit "vorbereitendem Feuer" aus Artilleriegeschützen (120 und 155 mm) und den Kanonen der Abrams-Kampfpanzer. Dabei setzten die US-Soldaten auch Brandgranaten mit Weißen Phosphor ein, der bei einer Temperatur von 1.300 Grad verbrennt und giftige Dämpfe freisetzt. Gleichzeitig flogen Jagdbomber (F-18 Hornet) und Schlachtflugzeuge (AC-130 Spectre) Bodenangriffe. Im Rahmen der "psychologischen Kriegführung" beschallten amerikanische Lautsprecherwagen die Iraker mit dem Liedgut von "ACDC". Anschließend stießen rund 4 000 Mann starke Marines-Einheiten aus Norden in das Dscholan-Viertel im Nordwesten der Stadt vor, wo sich zahlreiche Rebellen verschanzt haben sollen. Gleichzeitig bahnten sich im Nordosten weitere 4000 Truppen den Weg ins Al-Askari-Viertel. Die Rebellen waren nicht in der Lage, den Vorstoß der Amerikaner abzuwehren. Vielmehr gelang es den Marines die Verteidigungsstellungen zu durchbrechen und rund einen Kilometer ins Stadtgebiet vorzurücken, um dort einen Bahnhof und das Zentralkrankenhaus einzunehmen. Nach US-Schätzungen wurden am ersten Tag mindestens 42 Aufständische getötet. Zwei US-Soldaten kamen bei einem Umfall ums Leben, als ihr Bulldozer in den Euphrat stürzte. Der arabische Fernsehsender Aljazeera gab die Zahl der getöteten Zivilisten mit 15 Personen an. Die kommunale Versorgung mit Strom, Wasser und Lebensmittel brach weitgehend zusammen. Auch die medizinische Versorgung soll nicht mehr gegeben sein, weil Krankenhäuser und Krankenwagen beschossen wurden und sämtliche Chirurgen geflogen sein sollen. (6)

Am Dienstag den 9. November konnten die Amerikaner überraschend schnell bis zur Hatra Muhammadia-Moschee im Stadtzentrum vorrücken, so daß sie nun von außen und von innen her die Stellungen der Rebellen angreifen können. Angeblich wird bereits ein Drittel des Stadtgebietes von den Amerikanern kontrolliert, und die irakische Interimsregierung ernannte den Kommandeur der beteiligten irakischen Truppenteile, General Abdel Qader Mohammed Jassim, zum Militärgouverneur der Stadt. Am zweiten Tag summierte sich die Zahl der Toten auf zehn US-Soldaten und 71 Rebellen. Zwei amerikanische Panzer wurden zerstört, ein Kiowa-Hubschrauber beschädigt. Über die Opfer unter der Zivilbevölkerung hüllten sich die US-Militärbehörden in Schweigen. (7) In Bagdad entführte die Rebellengruppe Ansar al-Dschihad drei Angehörige des amtierenden Premierministers Allawi. Sie fordern eine Einstellung der Kämpfe bis Donnerstagabend, andernfalls werden die Geiseln getötet.

Am Mittwoch den 10. November stürmten die US-Einheiten weiter in Richtung Süden vor. Nach offiziellen US-Angaben haben die Soldaten nun 70 Prozent der Stadt unter Kontrolle. (8) Am Donnerstag den 11. November nahm die Heftigkeit der Kämpfe zu. Ein einzelner Rebell konnte am Donnerstag eine Kompanie der Marines mit 150 Soldaten fünf Stunden lang am Vordringen hindern. Er feuerte von einem hohen Haus aus verschiedenen Schießscharten auf die Amerikaner, wobei er seine Position immer blitzschnell wechselte, indem er mit einem Fahrrad zwischen den einzelnen Schießscharten hin und her fuhr. (9) Die Zahl der Todesopfer stieg auf 600 Rebellen, 18 GIs und 34 irakische Soldaten. (10) 215 verwundete US-Soldaten wurden ins amerikanische Militärlazarett nach Landstuhl bei Ramstein ausgeflogen. (11) Über die bisherigen Sachschäden, die die US-Truppen derzeit in Falludscha anrichteten, während sie in anderen Landesteilen sich am Wiederaufbau versuchen, gibt es keine zuverlässigen Angaben. Möglicherweise werden die US-Truppen die Stadt nur erobern, um festzustellen, daß die Mehrzahl der Rebellen schon längst an anderen Orten untergetaucht ist, um dort den Kampf weiterzuführen.


 

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).

 


 

(1) www.defenselink.mil/news/Nov2004/n11082004_2004110805.html

(2) www.timesonline.co.uk/printFriendly/0,,1-524-1348213-524,00.html

(3) www.defenselink.mil/news/Nov2004/n11082004_2004110809.html

(4) www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/14545/1.html

(5) www.globalsecurity.org/military/ops/iraq_orbat_toe.htm

(6) www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,druck-327184,00.html

(7) www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,druck-327184,00.html

(8) www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,327259,00.html

(9) www.elmundo.es

(10) www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,327488,00.html

(11) www.heise.de/tp/r4/artikel/18/18783/1.html