Artikel für Friedensforum 2/2000

 Rüstungsexport restriktiv?

  Otfried Nassauer

Ein einzelner Leopard II Panzer für die Türkei brachte die rot-grüne Koalition im Herbst des vergangenen Jahres an den Rand des Scheiterns. Im Kern ging es bei der kurzen, heftigen Debatte aber um weit mehr als nur den einen Testpanzer. Er stand und steht für die Zukunft der deutschen Rüstungsexportpolitik: Wie restriktiv handhabt die neue Regierung den Rüstungsexport? Wie ernst nimmt sie ihre Wahlversprechen und den Koalitionsvertrag, in denen sie eine Überarbeitung der Rüstungsexportrichtlinien angekündigt hatte? Verliert sie an Glaubwürdigkeit, weil sie Rüstungsexporte kaum anders handhabt als ihre Vorgängerinnen? Mit Mühe gelang damals der Kompromiß: Der Testpanzer wird geliefert, die Rüstungsexportrichtlinien werden erneut überarbeitet.

Nun liegt das Ergebnis der Überarbeitung vor, die neuen "Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern". Der politische Wille, eine restriktivere Rüstungsexportpolitik zu verfolgen, wird darin deutlich.

Die Menschenrechtssituation und die Menschenrechtslage sind als politisches Entscheidungskriterium sichtbar verankert worden. Ob ein Export im Empfängerland eine "nachhaltige Entwicklung" zum Beispiel durch unverhältnismäßig hohe Rüstungsausgaben be- oder verhindert, soll bei künftigen Entscheidungen eine Rolle spielen. Deutsche Rüstungsexportpolitik soll einen Beitrag zur "Gewaltprävention" und zur Sicherung des Friedens leisten – die Wortwahl zielt auf innerstaatliche und zwischenstaatliche Konflikte.

Aufnahme gefunden haben somit drei politisch-ethische Kriterien, die bei Bewilligung oder Ablehnung von Rüstungsexporten künftig berücksichtigt werden sollen. Zwei dieser Kriterien, Menschenrechte und die Gewaltprävention, können unter Bezug auf internationales Recht bereits heute praktisch ausgestaltet werden; für die nachhaltige Entwicklung wird dies möglich sein, sobald die internationale Staatengemeinschaft Kriterien nachhaltiger Entwicklung verbindlich formuliert hat. Gestärkt wird die Rolle der Politik in der Entscheidungsfindung, damit aber auch zugleich deren Verantwortung. Zudem kann mit Hilfe des Kriteriums der Gewaltprävention die Beweislast, daß ein beantragter Rüstungsexport nicht zur Eskalation oder zum Ausbruch vorhandener Spannungen beiträgt, künftig beim Antragsteller verbleiben. Exporte "in Länder, in denen ein Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen droht oder bestehende Spannungen und Konflikte durch den Export ausgelöst, aufrechterhalten oder verschärft würden", will die Bundesregierung künftig nicht genehmigen bzw. dagegen bei europäischen Kooperationsvorhaben ihre Einwendung geltend machen.

Endverbleib deutscher Waffen muß künftig jeder Kunde bescheinigen. Kriegswaffen und Rüstungsgüter, die für eine Kriegswaffe wesentlich sind, dürfen nur noch exportiert werden, wenn eine Endverbleibserklärung mit Erlaubnisvorbehalt für den Reexport vorliegt. Mit anderen Worten: Wer Waffen ohne schriftliche Genehmigung der Bundesregierung weiterexportiert oder wissentlich einen solchen Reexport nicht verhindert, muß mit einem Lieferstopp rechnen, bis der Mißstand, der den Reexport ermöglichte, nachweislich beseitigt ist. Gleiches gilt für kriegswaffennahe sonstige Rüstungsgüter, die im Zusammenhang mit einer Lizenzvergabe stehen. Dies kann den Anreiz verringern, deutsche Waffensysteme in Lizenz nachzubauen, sollte es gelingen, ein wirksames Kontrollsystem einzurichten. Auch auf Exporte von Partnerstaaten im Rahmen der NATO und der Europäischen Union, mit denen Waffen koproduziert werden, sollen künftig schon bei der Vertragsgestaltung mehr Einflußmöglichkeiten geschaffen werden. Den vollständigen Verzicht auf eine deutsche Veto-Möglichkeit – wie z.B. aufgrund des Schmidt-Debre-Abkommens von 1972 bei allen deutsch-französischen Gemeinschaftsvorhaben üblich – soll es künftig bei neuen Projekten nicht mehr geben.

Doch auch die neuen politischen Grundsätze beinhalten jenen Grundwiderspruch, der schon frühere Rüstungsexportrichtlinien kennzeichnete und zu vielen umstrittenen Bewilligungen führte. In ein und derselben Richtlinie konkurrieren zwei unterschiedliche rechtliche Ansätze miteinander. Das Kriegswaffenkontrollgesetz fußt auf der Annahme, daß alles verboten ist, was nicht explizit erlaubt wurde. Das Außenwirtschaftsgesetz dagegen geht von der Annahme aus, daß alles, was nicht explizit verboten ist, erlaubt ist. Da in den politischen Grundsätzen für den deutschen Rüstungsexport aber nicht allein die Art der Ware darüber entscheidet, wie restriktiv deren Export gehandhabt werden soll, sondern vor allem die Frage, in welche Länder geliefert werden soll, sind die Richtlinien weiterhin janusköpfig. Der Export von Rüstungsgütern aller Art in die NATO-Staaten, die EU-Staaten sowie in die Schweiz, nach Australien, Neuseeland und Japan wird grundsätzlich nicht eingeschränkt, es sei denn, gravierende Argumente – z.B. die Menschenrechtssituation in der Türkei - erzwingen eine Ausnahme. Der Export aller Arten von Rüstungsgütern in andere Staaten dagegen wird nur in Ausnahmefällen genehmigt. Das hat gravierende Folgen: Bei Exporten auch von Kriegswaffen in EU-oder NATO-Staaten wird die Genehmigung zum Regelfall, und das Verbot zur zu begründenden Ausnahme. Fast scheint es, als finde hier das Rechtsprinzip des Außenwirtschaftsgesetzes und nicht das des Kriegswaffenkontrollgesetzes Anwendung.

Unzufrieden mit den neuen Richtlinien müssen all jene sein, die jeden oder fast jeden Rüstungsexport ablehnen. Die neuen politischen Grundsätze machen deutsche Rüstungsexporte nicht weitgehend oder gänzlich unmöglich. Sie tragen auch den Interessen der Industrie Rechnung. Dies gilt auch für Teile jener Exporte, die schon in den vergangenen Jahren umstritten waren. So greifen die politischen Grundsätze nicht in bestehende Verträge ein, die es zum Beispiel Frankreich ermöglichen, in Zusammenarbeit mit deutschen Firmen produzierte Waffen zu exportieren, ohne daß ein deutsches Veto eingelegt werden könnte. Heftigen Unmut äußert aber auch ein Teil der Industrie, der in jeder Beschränkung des Rüstungsexports einen Eingriff in die unternehmerische Freiheit des Geldverdienens sieht. Der Bundesverband der Deutschen Industrie befürchtet das Aus für die wehrtechnische Industrie. Die Luft- und Raumfahrtindustrie fürchtet den Verlust der internationalen Kooperationsfähigkeit Deutschlands, weil die neuen Richtlinien wiederholen, was der Verhaltenskodex der Europäischen Union explizit ermöglicht: Sind die nationalen Exportrichtlinien restriktiver als der europäische Kodex, so sollen die schärferen nationalen Regelungen Vorrang haben. Offen liebäugelt die deutsche Industrie mit laxeren Exportregelungen wie in Frankreich oder Großbritannien und malt drohend schwerwiegende Arbeitsplatzverluste an die Wand. Mit einigem Recht kann daran gezweifelt werden, daß alle Mitglieder aus der Rüstungsindustrie die Verbandsmeinung vollständig teilen.

Eines darf als sicher gelten: Die eigentliche Bewährungsprobe für die neuen politischen Grundsätze kommt mit der Praxis. Erst die konkrete Exportpraxis wird zeigen, wie ernst es der Regierung mit ihrer "Politik der Restriktivität" ist. Deutlich werden wird dies z. B. an den konkreten Weisungen zur Umsetzung der Richtlinien für das Bundesausfuhramt. Deutlich werden wird es am künftigen Umgang mit Voranfragen der Industrie bei den deutschen Ausfuhrbehörden. Und zum Schwur kommt es erneut auf der politischen Ebene. Auch künftig wird der Bundessicherheitsrat heikle und umstrittene Exportvorhaben entscheiden müssen. Zeigt sich dann, daß der Geist willig und das Papier geduldig war, das Fleisch aber weiter schwach ist? Sitzungen des Bundessicherheitsrates sind geheim. Im Dunkeln läßt sich gut munkeln – und wie weit manche das Munkeln im Schutz der Geheimhaltung zu treiben belieben - das hat die verflossene Regierung Kohl auch am Beispiel "Rüstungsexporte und Parteispenden" nur allzu deutlich gemacht. Vorsicht ist die Mutter der Munitionskiste. Dieses Motto gilt ganz sicher auch für die Zukunft.

Die Regierungsfraktionen sind sich einig. Bei der Überarbeitung der Politischen Grundsätze für den Rüstungsexport kann es nicht bleiben, sie sind nur einer der erforderlichen Schritte auf dem Wege zu einer restriktiveren Rüstungsexportpolitik. Andere Schritte müssen folgen. Dazu gehören

  •  erstens eine Überarbeitung der Vergabe von Bürgschaften durch die Hermes-Versicherung, über die eine Vielzahl von Exportenvon Rüstungsgütern und Kriegswaffen abgesichert werden;
  • zweitens die Schaffung einer Möglichkeit, den Bundestag beratend an Entscheidungen über deutsche Rüstungsexporte zu beteiligen;

  • drittens die Einrichtung eines Kontrollmechanismuses, der die verschärften Endverbeibsregeln handhabbar macht und vor allem wirksam werden läßt;

  • viertens sollte diskutiert werden, welche heutigen Außenwirtschaftsgüter aufgrund ihrer technischen Bedeutung für moderne Kriegswaffen künftig exportrechtlich als Kriegswaffen zu behandelt werden sollten;

  • fünftens die Schaffung der gesetzlichen Voraussetzungen für öffentliche Transparenz. Letztlich kann nur eine Verpflichtung, die Öffentlichkeit über bewilligte Rüstungsexporte zu informieren, sicherstellen, daß im Dunkel der Geheimhaltung nicht gemunkelt wird – ganz gleich unter welcher Regierung.

Und schließlich die wichtigste Zukunftsaufgabe: Im Blick auf die europäische Integration haben die sechs wichtigsten europäischen Rüstungsproduzenten - Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien, Schweden und Deutschland - Verhandlungen über die Harmonisierung der Rahmenbedingungen für das Handeln und Wirtschaften der Rüstungsindustrie begonnen, die sogenannten Letter of Intent - Gespräche. Hier geht es unter anderem auch um eine Harmonisierung der Regeln für den Rüstungsexport. Absehbar ist, daß es ein sehr hartes Stück Arbeit wird, in diesem Kontext das Ziel einer rechtlich verbindlichen restriktven Rüstungsexportpolitik im Auge zu behalten.

 

leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).