Freiraum
April 2014


Wie lange haben die US-Atomwaffen noch eine Zukunft in Deutschland?

von Otfried Nassauer

Das wäre eine gute Frage an den zuständigen Bundeswehrgeneral, den Luftwaffeninspekteur. Was würde er wohl antworten?

Etwa dies: Für die nächsten 20-30 Jahre bleiben diese Waffen in Deutschland. Die NATO will sie behalten, damit sich Polen und das Baltikum an die atomare Abschreckung der USA angekoppelt fühlen. Die große Koalition hat signalisiert: Solange die NATO auf nukleare Abschreckung setzt, wird Deutschland in Nuklearfragen mitreden wollen. Deshalb muss die Bundesrepublik auch weiter bei der nuklearen Abschreckung mitmachen und geeignete Trägerflugzeuge bereitstellen. Wir werden auch darüber nachdenken müssen, ob es klüger ist, die Nutzungsdauer unserer nuklearfähigen Tornado-Flugzeuge noch einmal zu verlängern oder gleich ein neues Flugzeug zu kaufen.


Die Zukunft taktischer Nuklearwaffen in Europa

Unter diesem Titel hatte die Washingtoner Denkfabrik Stimson Center am 16. Januar in Washington eingeladen. Norton Schwartz, der ehemalige Stabschef der US Air Force, liebt die klaren Worte. Die Modernisierung der US-Atombomben vom Typ B 61 zur B 61-12 ist aus Sicht von General Schwartz »notwendig«. Diese Waffe sei »vom Einsatz her betrachtet« vorteilhaft, weil sie eine geringere Sprengkraft und eine höhere Treffgenauigkeit besitze als die bisherigen luftgestützten Atomwaffen der US-Luftwaffe. »Eine höhere Zielgenauigkeit und eine niedrigere Sprengkraft – das sind wünschenswerte Fähigkeiten. Ohne Frage«, so der ehemalige General. Die B 83, eine Megatonnenwaffe, sei zwar jünger als die B 61, »übertreffe« aber mit ihrer großen Sprengkraft die »militärischen Anforderungen«. Die Modernisierung der B 61 sei aus seiner Sicht sogar wichtiger als die geplante Entwicklung eines neuen nuklearen Marschflugkörpers großer Reichweite: »Ich würde die B 61 vorziehen.«


Eine neue Atomwaffe 

Der General bestätigt damit – ganz nebenbei – den wesentlichen Kritikpunkt an der B 61-12: Die größere und flexiblere militärische Nutzbarkeit der neuen Bombe bringt das Vorhaben in Widerspruch zum Versprechen von US-Präsident Obama, keine neuen und auch keine Atomwaffen mit neuen militärischen Fähigkeiten einzuführen. Gefragt, ob die Modernisierung die bestehende Waffe nur besser mache oder auch zu einer veränderten Zielplanung führen werde, antwortete Schwartz: »Es würde beide Effekte haben.«


Kommt die All-in-One-Bombe? 

Praktisch, diese technischen All-in-One–Geräte. Drucker, Scanner, Fax und Kopierer – nur ein Gerät – geringe Kosten, wenig Platzbedarf und für viele Aufgaben geeignet. Etwas Ähnliches müssen sich die US-Nuklearwaffenspezialisten gedacht haben, die die Anforderungen für die künftige Atombombe vom Typ B 61-12 ersonnen haben: Eine einzige Bombe für alle Aufgaben – das wäre die ideale Lösung. Sie soll alle sechs vorhandenen Atombombentypen der USA ablösen und deren unterschiedliche militärische Funktionen in ihren Fähigkeiten vereinen.

Mittlerweile gibt es erste Indizien, dass die flexiblen Einsatzmöglichkeiten der neuen Waffe noch einmal ausgeweitet worden sein könnten. Im Oktober 2013 wurde bekannt, dass die B 61-12 alle bisherigen Atombomben der USA ablösen soll. Also auch die B 83 mit ihrer maximalen Sprengkraft von einer Megatonne und den nuklearen Bunkerknacker B 61-11.

Bisher ist nicht ganz klar, wie und warum es zu dieser Veränderung der Planung kam. Möglicherweise soll auf die B 83 verzichtet werden, weil ihre Sprengkraft die heutigen Anforderungen übertrifft und man hofft, das Vorhaben B 61-12 vom Kongress leichter finanziert zu bekommen, wenn man argumentieren kann, dass eine neue Waffe alle alten ersetzen soll.


Flexibel einsetzbar

Vielleicht gibt es aber auch eine andere Erklärung. Die JASONs, ein wichtiges wissenschaftliches Beratergremium, empfahlen 2012, nicht nur die sekundären Nuklearsprengsätze der Version B 61-4 für die Modernisierung zur B 61-12 heranzuziehen, sondern auch die sehr ähnlichen Secondaries der B 61-10, also des umgebauten alten Pershing-II-Sprengkopfes.

Das hätte wahrscheinlich zwei Folgen: Zum einen könnten eine größere Zahl von B 61 Bomben modernisiert werden, weil mehr Secondaries zur Verfügung stehen. Zum anderen stünden mehr Sprengkraftstärken zur Wahl, denn die B 61-10 bietet etwas andere Wahlmöglichkeiten als die B 61-4. Ein noch flexiblerer Einsatz der Waffe würde möglich. Ein Beispiel: Die maximale Sprengkraft der B 61-10 beträgt 80 Kilotonnen, nicht 50 wie bei der B 61-4. Auch das könnte die Entscheidung erleichtert haben, auf die Megatonnenwaffe B 83 zu verzichten.

Mit der B83 würde eine der technisch sichersten und neusten Atomwaffen außer Dienst gestellt und durch eine weniger sichere Waffe, die B 61-12 ersetzt. Die B 83 verfügt über eine feuerresistente Nuklearkomponente, das Pit. Dieses soll verhindern, dass bei einem Atomwaffenunfall mit einem Brand Plutoniumpartikel mit dem Rauch in der Umgebung verteilt werden. Alle Versionen der B 61, auch die künftige B 61-12 können nicht mit einer solchen, sichereren Komponente ausgestattet werden.


Auch die Europäer sollen zahlen

Das Vorhaben, den Joint Strike Fighter nuklearfähig zu machen, liegt derzeit weiterhin auf Eis. Der Kongress hat auch für das Haushaltsjahr 2014 keine Gelder für die Entwicklung der Variante „Block IV“ bereitgestellt. General Schwartz machte sich auf der Stimson-Tagung dafür stark, die geplante nuklearfähige Version des neuen Jagdbombers nur dann zu entwickeln, wenn die Europäer sich verpflichten, einen Teil der Kosten zu übernehmen. Das neue Kampfflugzeug leidet zudem weiterhin unter erheblichen technischen Problemen. Die Modernisierung der US-Atombomben vom Typ B 61 zur B 61-12 ist aus Sicht von General Schwartz jedoch davon unabhängig »notwendig«.

Unter folgendem Link wurde die Veranstaltung dokumentiert:
www.stimson.org/spotlight/stimson-event-on-capitol-hill-examines-the-future-of-us-tactical-nuclear-weapons-video


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS