ami
Nr.10, Oktober 2002


Von Brüssel nach Belgien

EU-Verhaltenskodex für Waffensausfuhren und die Wirklichkeit

Christopher Steinmetz


Im August diesen Jahres genehmigte die belgische Regierung die Lieferung von 5.500 leichten Maschinengewehren des Typs Minimi der Firma FN Herstal nach Nepal. Dieses Kleinwaffenexportgeschäft ist in zweifacher Hinsicht folgenreich gewesen: Erstens führte die Genehmigung des Exports in das Bürgerkriegsland Nepal zum Rücktritt der stellvertretenden Ministerpräsidentin Magda Alvoet; zweitens wurde zum ersten Mal der Öffentlichkeit die eingeschränkte Bindungswirkung des Europäischen Verhaltenskodex für Waffenausfuhren vorgeführt. Da die Bundesregierung bereits im März/April 2002 eine ähnliches Ausfuhrgeschäft (Heckler&Koch G-36E Sturmgewehre) abgelehnt hatte und auch Belgien gemäß dem EU-Verhaltenskodex davon in Kenntnis gesetzt hatte, wäre die belgische Regierung verpflichtet gewesen, vor der Erteilung der Exportgenehmigung wenigstens Konsultationen mit der Bundesregierung aufzunehmen. Der belgische Skandal macht die tieferliegenden Probleme der europäischen Rüstungsexportkontrolle deutlich.

Der Verhaltenskodex der Europäischen Union zu Rüstungsexportgeschäften von 1998 sollte strenge - und vor allem einheitliche - europäische Rüstungsexportkriterien einführen und gleichzeitig die Transparenz für getätigte Exporte verbessern. (1) Vier Jahre später hat sich längst Ernüchterung breit gemacht. Zwar wurden mit viel Brimborium jährliche nationale Rüstungsexportberichte eingeführt, genauso wie Jahresberichte über die Umsetzung des EU-Verhaltenskodex und auch eine einheitliche Liste von zu erfassenden Rüstungsgütern. Doch die Berichte verheimlichen mehr als sie offenlegen. Die "Fortschritte" in den anderen Bereichen nehmen sich noch bescheidener aus. Das Herzstück des EU-Verhaltenskodex, der gegenseitige Informationsaustausch über abgelehnte Exportgeschäfte - die sogenannten "Notifizierungen" - und das Konsultationsverfahren, lassen den Staaten noch genügend Spielraum, einen wirklichen Einblick in ihre Exportkartei zu verhindern.

Belgische Minimi-Gewehre - Skandal um Nepal

Bei einer vertraulichen Sitzung des belgischen Kernkabinetts im 11. Juli 2002 wurde über eine Reihe von "besonderen Exportgeschäften" abgestimmt. Unter anderem ging es um die Lieferung von Minimi-Maschinengewehren der belgischen Rüstungsfirma FN Herstal an Nepal. (2) Mit Zustimmung des Kernkabinetts genehmigte Außenminister Louis Michel am 19. Juli das Exportgeschäft, obwohl in Nepal Bürgerkrieg herrscht und die Regierung am 27. November 2001 einen Ausnahmezustand verhängt hatte. (3) Die Öffentlichkeit wurde erst hellhörig, nachdem FN Herstal am 21. August einen großen Vertragsabschluß für den Export von Minimi's angekündigt hatte - ohne den Käufer zu nennen. Im Verlauf der Woche kamen weitere Details ans Tageslicht, auch begünstigt durch innerparteiliche Auseinandersetzungen bei den belgischen Grünen ("Agalev"). Als stellvertretende Premierministern hatte auch Magda Aelvoet von der Agalev-Partei an der besagten Sitzung teilgenommen und nicht gegen den Export gestimmt. Ihr Verhalten sorgte für heftige innerparteiliche Diskussionen und Proteste. Aelvoet verkündete konsequenterweise ihren Rücktritt und Zwang damit den belgischen Premierminister Guy Verhofstadt, am 31. August im Parlament die Vertrauensfrage zu stellen. (4)

Es zeigte sich aber vor allem, dass Außenminister Louis Michel bei diesem Exportgeschäft seinen Kabinettsmitgliedern wichtige Informationen vorenthalten hatte, unter anderem auch eine vorliegende Notifizierung der Bundesregierung über die Ablehnung eines ähnlichen Geschäfts mit Nepal. Angesprochen auf die Ablehnung des deutschen Bundessicherheitsrates behauptete Michel anfänglich, dass seines Wissens Deutschland auch Gewehre geliefert hatte. Als sich dies als unhaltbar erwies, folgte ein Rückzug auf Raten: Der Bundessicherheitsrat habe das Geschäft nicht endgültig abgelehnt sondern die Entscheidung nur vertagt. Schließlich behauptete er, dass die Bundesregierung gar keinen Ablehnungsbescheid gemäß dem EU-Verhaltenskodex herausgegeben hatte. (5)

Damit wurde der Skandal kurzfristig auch sehr pikant für die Bundesregierung. Da sich keine Bundesregierung zu Fragen nach einzelnen Rüstungsexportgenehmigungen öffentlich äußert, musste sie auf informellen Wege streuen, dass das Nepal-Geschäft wirklich abgelehnt wurde und die anderen EU-Staaten auch rechtzeitig darüber informiert wurden. Der Schwarze Peter lag also wieder bei Michel. Am Ende verstieg sich der belgische Außenminister zu der Aussage, dass sich die Situation zwischen der deutschen Ablehnung im März/April und dem August in Nepal verbessert hatte, obwohl in diesem Zeitraum der Ausnahmezustand fortbestand und das nepalesische Parlament komplett entmachtet war.

Das ganze wurde endgültig zur Farce, als dann auch nur wenige Tage vor der belgischen Parlamentsdebatte zum Nepalgeschäft am 31.8.02 der nepalesische Premierminister Sher Bahadur Deuba in Belgien weilte. Der nepalesische Premierminister ließ den Ausnahmezustand zum 30. August auslaufen - behielt sich aber eine Entscheidung über einen neues Dekret nach seiner Rückkehr in Nepal vor. Damit stärkte er symbolisch Michel und Verhofstadt den Rücken. Mit den Stimmen von Agalev gewann Verhofstadt die Vertrauensfrage. Premierminister Guy Verhofstadt war nur bereit, im Gegenzug für die notwendigen Agalev-Stimmen die Auslieferung der Gewehre bis nach den von Deuba angekündigten Wahlen in Nepal im November 2002 zu verschieben. (6)

Grundsätzlich ist es unverständlich, dass die belgische Regierung einen Waffenexport in ein Bürgerkriegsland wie Nepal genehmigt hat. Daneben werfen die Umstände dieses Exportgeschäfts auch einige Fragen bezüglich der Umsetzung des EU-Verhaltenskodex auf. Die Entscheidung Michels, gegenüber seinen Kabinettsmitgliedern nicht mit offen Karten zu spielen und auch keine Konsultationen mit der Bundesregierung anzustreben legt die Vermutung nahe, dass Michel die deutsche Ablehnung als Möglichkeit begriff, ein wenig Standortpolitik zu betreiben. FN Herstal gilt als einer der weltweiten Marktführer in diesem Rüstungssegment. Trotzdem laufen die Geschäfte, wie auch bei Heckler&Koch, nicht gut. Gegenwärtig ist FN Herstal im Besitz der wallonischen Regierung, die dringend einen Käufer sucht. (7) Der Vizepräsident von FN Herstal, Jean-Pierre Dubois, ist ein Parteifreund von Michel.

Offiziell wurde das belgische Verhalten von keiner der anderen EU-Regierungen kommentiert. Anscheinend kann sich eine Regierung ohne Probleme über die Bestimmungen des EU-Verhaltenskodex hinwegsetzen. Wenn einzelne Staaten in der Praxis die Notifizierung durch einen anderen EU-Staat als Geschäftsmöglichkeit für die heimische Rüstungsindustrie benutzen, ist der Kodex gescheitert. Außerdem legen die fehlenden Reaktionen anderer Staaten auf den innenpolitischen Skandal in Belgien den Verdacht nahe, dass Michels Verhalten bei weitem kein Einzelfall gewesen war.

Exkurs: Heckler&Kochs G-36E

Der Kauf moderner Gewehre steht seit einigen Jahren ganz oben auf der Prioritätenliste Nepals. Insgesamt plant Nepal, einer der ärmsten Staaten der Welt, in den nächsten Jahren 70 Mio. $ für moderne Waffen auszugeben, davon allein 50 Mio.$ für Maschinen- bzw. Sturmgewehre. 65.000 Stück mit einem Kaliber von 5.56mm sollen für 45.000 Soldaten (!) beschafft werden. In die engere Auswahl kamen das amerikanische Gewehr M-16, die israelische Galil und Heckler&Kochs G-36E. (8)

Alles schien auf die G-36E hinauszulaufen, die bereits die Ausschreibungen für eine 5.56mm Munitionsfabrik und eine Wartungs- und Reparaturwerkstatt für Maschinengewehre gewonnen hatten und eine Exportgenehmigung vom Bundessicherheitsrat dafür besaßen. (9) Doch aufgrund von Differenzen zwischen Regierung und Armee wurde ein zweites Ausschreibungsverfahren im September 2001 begonnen. Die Bundesregierung genehmigte damals die Lieferung von Testmodellen. (10) Wiederum beschloss die nepalesische Regierung G-36E zu beschaffen. (11) Eine erste Lieferung war für den Frühling 2002 geplant. Kommentatoren bemerkten, dass die Bundeswehr, die seit 1996 mit den Gewehren ausgerüstet wird, aufgrund der Streitkräftereduzierungen einen geringeren Bedarf hat - nun werden neue Abnehmer gesucht, damit es bei Heckler&Koch keine Umsatzeinbußen gibt.

Allerdings war diesmal der Bundessicherheitsrat anders als in den Vorjahren nicht mehr bereit, das Exportgeschäft zu genehmigen. Den Ausschlag für die Ablehnung gaben wohl die Ermordung des Königs im Sommer sowie die Verhängung des Ausnahmezustands im November 2001. Die Ausfuhrgenehmigung für eine erste Tranche von 5.500 Heckler&Koch G-36E im Wert von 4,3 Mio.$ wurde verweigert. (12)

EU-Verhaltenskodex: Kriterien und Bestimmungen und Praxis

Eigentlich sind die Bestimmungen des EU-Verhaltenskodex sehr klar gehalten. Die Staaten haben sich freiwillig verpflichtet die anderen EU-Staaten von einem Ablehnungsbescheid für ein Rüstungsexportgeschäft zu informieren (Notifizierung) und diese Entscheidung zu begründen, wenn die Ablehnung auf den im EU-Verhaltenskodex angeführten acht Kriterien basiert:

  1. "Einhaltung der internationalen Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten, insbesondere der vom VN-Sicherheitsrat und der von der Gemeinschaft verhängten Sanktionen, der Übereinkünfte über Nichtverbreitung und andere Sachbereiche sowie sonstiger internationaler Verpflichtungen" (u.a. Befolgung von Waffenembargos, NPT-Vertrag und Landminen-Konvention)

  2. "Achtung der Menschenrechte im Endbestimmungsland" (u.a. nicht bei interner Repression und dokumentierte Menschenrechtsverletzungen)

  3. "Die innere Lage im Endbestimmungsland, als Ergebnis von Spannungen oder bewaffneter Konflikte" (u.a. darf keine Konflikteskalation begünstigt werden)

  4. "Erhalt von Frieden, Sicherheit und Stabilität in einer Region" (u.a. muß aggressive Verwendung gegen ein anderes Land oder Durchsetzung von Gebietsansprüchen ausgeschlossen sein)

  5. "Die nationale Sicherheit der Mitgliedstaaten und der Gebiete, deren Außenbeziehungen in die Zuständigkeit eines Mitgliedstaates fallen, sowie die nationale Sicherheit von befreundeten und verbündeten Ländern" (u.a. muß die Gefahr einer Verwendung gegen die Mitgliedstaaten ausgeschlossen sein)

  6. "Das Verhalten des Käuferlandes gegenüber der internationalen Gemeinschaft, insbesondere was seine Haltung zum Terrorismus, die Art der von ihm eingegangenen Bündnisse und die Einhaltung des Völkerrechts anbelangt"

  7. "Das Risiko der Umleitung der Ausrüstung im Käuferland oder der Wiederausfuhr unter unerwünschten Bedingungen" (u.a. Sicherstellung des Endverbleibs)

  8. "Die Vereinbarkeit der Rüstungsexporte mit der technischen und wirtschaftlichen Kapazität des Empfängerlandes, unter der Berücksichtigung, dass es wünschenswert ist, dass Staaten ihren legitimen Sicherheits- und Verteidigungsbedürfnissen mit dem geringstmöglichen Abzweigen von menschlichen und wirtschaftlichen Ressourcen für Rüstungszwecke entsprechen". (13)

Der EU-Verhaltenskodex regelt auch die Vorgehensweise bei der Notifizierung der anderen Mitgliedsstaaten. Die Operativen Bestimmungen des Kodex halten unter Punkt 3 fest:

"Die Mitgliedstaaten teilen auf diplomatischen Wege Einzelheiten zu den abgelehnten Ausfuhranträgen mit, die in Übereinstimmung mit dem Verhaltenkodex für militärische Ausrüstung verweigert werden, und fügen eine Begründung bei, warum die Genehmigung verweigert wurde. Die mitzuteilenden Einzelangaben sind in dem Mustervordruck in der Anlage1) enthalten. Bevor ein Mitgliedstaat eine Genehmigung erteilt, die von einem anderen Mitgliedstaat bzw. anderen Mitgliedstaaten innerhalb der letzten drei Jahre für eine im Wesentlichen gleichartige Transaktion verweigert worden ist, konsultiert er zunächst den bzw. die Mitgliedstaaten, die die Genehmigung verweigert haben. Falls der betreffende Mitgliedstaat im Anschluß an die Konsultationen dennoch beschließt, die Genehmigung zu erteilen, teilt er dies dem bzw. den Mitgliedstaaten, die die Genehmigung ursprünglich verweigert haben, mit und erläutert ausführlich seine Gründe.

Die Entscheidung über den Transfer bzw. die Verweigerung des Transfers von militärischer Ausrüstung bleibt im Ermessen eines jeden Mitgliedstaates. Als Ablehnung einer Genehmigung ist anzusehen, wenn der Mitgliedstaat die Genehmigung des tatsächlichen Verkaufs oder der konkreten Ausfuhr der betreffenden militärischen Ausrüstung abgelehnt hat und es andernfalls zu einem Verkauf oder Abschluß des betreffenden Vertrags gekommen wäre. Für diese Zwecke kann eine notifizierbare Ablehnung, im Einklang mit nationalen Verfahren, auch die Ablehnung einer Genehmigung für die Aufnahme von Verhandlungen oder ein abschlägiger Bescheid auf eine förmliche Voranfrage zu einem bestimmten Auftrag sein." (14)

Code of Misconduct?

Der belgische Skandal zeigt, dass die Bindungswirkung des EU-Verhaltenskodex bislang nicht sehr groß ist. Unbestritten handelt es sich bei den Minimi-Gewehren der Firma FN Herstal um eine "im Wesentlichen gleichartige Transaktion" zur abgelehnten Lieferung von Heckler&Koch G-36E. Die belgische Regierung hat auf die vorgeschriebenen Konsultationen verzichtet, wahrscheinlich um ihrer nationalen Rüstungsindustrie einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Wenn nicht einmal die EU-Staaten untereinander mit offenen Karten spielen, ist in Punkto Transparenz und mehr Öffentlichkeit nicht viel zu erwarten. Eine genauere Betrachtung der operativen Bestimmungen des EU-Verhaltenskodex, vor allem des wichtigen Punkt 3, offenbart zahlreiche Lücken in diesem Kontrollregime, vor allem beim Notifizierungsverfahren. Im folgenden sollen einige mögliche Lücken dargestellt werden.

Zentrale Erfassung der Notifizierungen: Innerhalb des EU-Apparates ist die Arbeitgruppe für den Export konventioneller Waffen (COARM) zuständig für die Erstellung des Jahresberichtes und für die Ausarbeitung weiterer Vorschläge zur Verbesserung der Umsetzung des EU-Verhaltenskodex. COARM ist beim Komitee für Politik und Sicherheit des EU-Rates angesiedelt und trifft sich etwa acht Mal im Jahr. Nach wie vor fehlt aber eine einheitliche Struktur für den Umgang mit den Notifizierungen. Die Hauptkommunikationslinien verlaufen auf bilateraler Ebene zwischen den entsprechend designierten Abteilungen der einzelnen Regierungen. Dies hat eine wirkliche Angleichung der Genehmigungs- und Berichterstattungsverfahren bzw. die Entstehung einer kooperativen Kontrollstruktur verzögert. Ein zentrales Erfassungsgremium, welches die Notifizierungen an die EU-Staaten weiterleitet, würde auch eine Möglichkeit darstellen, die zeitlichen Fristen für eine Notifizierung zu vereinheitlichen. Außerdem bedarf es noch eines qualitativen Ordnungsverfahrens zur Bewertung der einzelnen Notifizierungen, denn die in den Jahresberichten fehlenden Informationen über das notifizierte Geschäft erschweren die Vergleichbarkeit.

Standardisierte Fristen für eine Notifizierung: Nach wie vor bleibt es allen Staaten selbst überlassen, wann sie die anderen EU-Staaten von einer Ablehnung informieren. Es steht ihnen frei, die Notifizierungen zu bündeln und auch nur ein Mal pro Jahr den anderen Staaten mitzuteilen. Rüstungsfirmen und Käuferstaaten könnten theoretisch die Verzögerung in der Berichterstattung für sich nutzen, in dem sie parallel in verschiedenen Staaten Anträge stellen, in der Hoffnung, im Falle einer Ablehnung durch einen Staat, die Genehmigung noch vor der entsprechenden Notifizierung in einem anderen Staat zu erhalten. Diese Möglichkeit betrifft vor allem Geschäfte mit Kleinwaffen, die innerhalb eines Zeitrahmens von Wochen oder Monaten, komplett abzuwickeln sind. Um diesen Mißbrauch wirkungsvoll einzudämmen, bedarf es einer einheitlichen Regelung für alle Staaten, bis wann die anderen Staaten von einer Ablehnung informiert wurden. Es bleibt unverständlich, warum sich die Staaten beim Konsultationsverfahren auf einen engen Zeitraum einigen konnten, dies aber im Notifizierungsverfahren unterlassen haben.

Verbesserung des Konsultationsverfahrens: Das Konsultationsverfahren soll angestrebt werden, wenn eine Regierung von einer Ablehnung eines Exportgeschäfts in einem anderen Staat in Kenntnis gesetzt wurde, nun aber eine ähnliches Geschäft genehmigen will. Auf Vorschlag von COARM gilt seit 1999 zwar ein konkreter Zeitrahmen von zwei bis vier Monaten, in denen das Konsultationsverfahren über bis zu drei Jahre zurückliegenden Ablehnungsentscheidungen eingeleitet werden soll. (15) Aber es bleibt offen, womit Regierungen bewegt werden können, "freiwillig" ein Konsultationsverfahren einzuleiten. Die Öffentlichkeit erfährt über Anlass und Ausgang des Verfahrens nichts und kann daher keine der beiden Seiten kontrollieren. Der EU-Verhaltenskodex sieht keine Rechenschaftspflicht über den Ausgang des Konsultationsverfahrens vor - also ob trotz erneuter Darlegung der Ablehnungsgründe das Geschäft genehmigt wurde oder nicht - und erlaubt daher auch keine Bewertung der Wirksamkeit dieses Mechanismus. Theoretisch erlaubt es den beteiligten Staaten, informelle Tauschgeschäfte zu beschließen nach dem Motto: du darfst Panzerrohre in die Türkei liefern und ich Luft-Luft-Raketen nach Israel. Die wirkungsvollste Maßnahme zur Stärkung des Konsultationsverfahrens - auch als vertrauensbildende Maßnahme - um das Unterlaufen einer Genehmigungsverweigerung durch eine anderen Staat zu verhindern, wäre ein multilaterales Konsultationsverfahren.

Beispiel Deutschland

Am Beispiel der Bundesregierung und ihres jährlichen Rüstungsexportberichtes lässt sich sehr gut aufzeigen, dass die Angaben in den bisherigen drei EU-Jahresberichten mehr Fragen aufwerfen als Aussagen erlauben.

Laut ihrem Rüstungsexportbericht hat die Bundesregierung im Jahr 2000 zum Beispiel 117 Exportanträge nicht genehmigt (einer aus einem EU-Staat, zwei aus NATO oder der NATO gleichgestellten Staaten, sowie 114 aus sogenannten Drittstaaten). Im gleichen Zeitraum hat die Bundesregierung ihre EU-Partnerstaaten aber nur von insgesamt 27 Ablehnungen in Kenntnis gesetzt. (16) Neben dieser Differenz von 90 nicht notifizierten Ablehnungen verwundern besonders die beiden Ablehnungsentscheidungen für Exporte in die Türkei - warum wurde hier nur für eine Ablehnung eine Notifizierung herausgegeben?

Aufgrund der fast deckungsgleichen Kriterien des EU-Verhaltenskodex und der politischen Grundsätze der Bundesregierung von 2000 (17) sowie der identischen Unterteilung der Gegenstände in der Ausfuhrliste wären deutlich mehr Notifizierungen zu erwarten gewesen. Im Vergleich zum Vorjahr (1999) hat sich die Quote der gemeldeten Ablehnungen sogar deutlich verringert. (Siehe Tabelle am Ende des Textes)

Anscheinend fehlt im Rüstungsexportbericht der Bundesregierung nicht ohne Grund jeder Hinweis darauf, nach welchen Auswahlkriterien die anderen EU-Staaten von einer Ablehnung benachrichtigt werden. Die Regierung könnte diesen Spielraum nutzen um zu entscheiden, ob den anderen Staaten Informationen über angedachte Geschäfte übermittelt werden sollten, gerade wenn man es sich vielleicht noch überlegt, dass Rüstungsexportgeschäft in abgewandelter Form später doch noch zu genehmigen.

Trotz öffentlicher Bekenntnisse zu einer restriktiven Rüstungsexportpolitik hat die Bundesregierung bislang nur die minimalen Vorschriften des EU-Verhaltenskodex umgesetzt. Die operativen Bestimmungen des EU-Verhaltenskodex sehen zwar nur vor, dass definitive Ablehnungen mitgeteilt werden sollen, erlauben aber auch die Berücksichtigung der vorgeschalteten Ablehnungen im nationalen Genehmigungsprozess, wie z.B. die "Voranfragen" in Deutschland.

Noch mehr Fragezeichen betreffen die Umsetzung des Konsultationsverfahrens. Nach Angaben der EU-Jahresberichte hat die Bundesregierung in den letzten vier Jahren in 22 Fällen mit anderen EU-Staaten wegen einzelner Notifizierungen Konsultationen aufgenommen. Mit welchen Staaten und mit welchem Ergebnis? Darüber wird öffentlich keine Rechenschaft abgelegt. Auch über die zwischen 1998 und 2000 von anderen EU-Staaten angestrebten Konsultationsverfahren mit der Bundesregierung aufgrund ihrer Notifizierungen wird nicht berichtet. Welche Staaten das waren und zu welchem Ergebnis die Konsultationen führten, ist für die Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar.

Genügend Manipulationsmöglichkeiten

Es ist bemerkenswert wie deutlich sich beim EU-Verhaltenskodex die Theorie von der Praxis unterscheidet. Scheinbar sehen die Regierungsvertreter durchaus die Notwendigkeit, eine gemeinsame Linie beim Umgang mit den Rüstungsexporten zu finden. Allerdings dürfte die Motivation weniger in der Sorge um den Weltfrieden liegen als in der Angst vor Übervorteilung durch andere Staaten. Punkt 4 der Operativen Bestimmungen bringt diese Vorbehalte auf den Punkt: " Die EU-Mitgliedstaaten behandeln derartige Ablehnungen und die entsprechenden Konsultationen vertraulich und ziehen daraus keine wirtschaftlichen Vorteile". (18)

Gerade das Notifizierungsverfahren erlaubt den Staaten weiterhin, zugunsten ihrer Rüstungsindustrie einzuwirken, bilaterale Absprachen zu treffen und sogar, sich gleichzeitig vorteilhaft in der Presse zu präsentieren.

Die Weiterleitung vieler Ablehnungsbescheide an die anderen Staaten könnte sich für Staaten mit einer marginalen Rüstungsindustrie eignen. Sie würden sich gegenüber ihrer Öffentlichkeit als besonders transparent und strikt präsentieren, ohne einen wirklichen Schaden für ihre Rüstungsindustrie wirklich befürchten zu müssen.

Außerdem besteht die Möglichkeit die "Ablehnungsbilanz" bei den eigenen Wählern zu schönen, in dem man auch für Voranträge Ablehnungen gemäß der politischen Kriterien veröffentlicht, die vor allem aus ökonomischen Erwägungen gar keine Erfolgsaussicht im Genehmigungsverfahren hätten.

Es ist außerdem wahrscheinlich, dass einige Staaten Notifizierungen herausgeben, um auch andere europäische Lieferanten zu blockieren, bis die eigene Rüstungsindustrie in der Lage ist, ein preisgünstigeres oder technisch anspruchsvolleres Nachfolgemodell zu präsentieren.

Umgekehrt erlaubt eine restriktive Handhabung bei der Herausgabe der Notifizierungen den Regierungen, die anderen EU-Staaten über eine Geschäftsmöglichkeit nicht zu informieren, um ein sogenanntes "undercutting" zu vermeiden und sich die Option für ein ähnliches Geschäft zu einem späteren Zeitpunkt bei günstigeren politischen Konstellationen offen zu halten.

Nur ein selektiver Kodex?

Das öffentlich gewordene Verhalten der belgischen Regierung bezüglich des EU-Verhaltenskodex ist vielleicht nur die Spitze des Eisbergs. Außenminister Michel hat eindeutig die Notifizierung aus Deutschland eher als eine lukrative Quelle von Rüstungsaufträgen für die eigene Industrie begriffen, denn als Hilfestellung zur Vermeidung von Rüstungsexporten in Krisenregionen. Und er dürfte damit nicht allein stehen - auch wenn bislang keine ähnlichen Ereignisse an die Öffentlichkeit gekommen sind. Solange keine allgemeingültigen Maßnahmen und Verfahren zur Vermeidung einer Übervorteilung beschlossen werden, werden die Regierungen Wege finden und nutzen, um ihre Informationspflicht zu umgehen.

Charakteristisch für den europäischen Prozeß ist das Bestreben, in möglichst vielen Bereichen des Rüstungsexportes gleichzeitig zu arbeiten während wirklich verbindliche, einheitliche und transparente Regelung dieser Aspekte nach hinten verschoben werden. Noch immer ringen die Regierungen darum, was überhaupt als im "Wesentlichen gleichartige Transaktion" zu gelten hat - dem Kernbegriff des gesamten Verhaltenskodex.

Ob man den EU-Jahresbericht zur Grundlage einer Aussage über den Stand der europäischen Rüstungsexporte heranzieht oder sich dazu die Karten legen lässt - qualitativ kommt es auf das Gleiche heraus. Es bleibt zu hoffen, dass der belgische Skandal dieses hermetische System aufbrechen wird. Bevor noch weitere Fragen, wie z.B. der Umgang mit Waffenhändlern, auf die Agenda gesetzt werden, sollten die Staaten gezwungen werden, die bestehenden operativen Bestimmungen verbindlich zu präzisieren und dem Prinzip der Freiwilligkeit ein Mehr an Transparenz als Gegengewicht entgegenzusetzen. (cs)

 

Notifizierungen und Konsultationen im Rahmen des EU-Verhaltenskodex

 

1998 (nur 2 HJ)

1999

2000

Deutschland: abgelehnte Anträge über endgültige Ausfuhren

- EU
- NATO
- Dritte

 

85

0
0
85

117

1
2
114

Deutschland: Notifizierungen gemäß EU-Kodex

- EU
-NATO
-Dritte

27

61

0
0
61

27

0
1
26

Alle Notifizierungen innerhalb der EU

(167)

208

297

Alle initiierten Konsultationen nach Erhalt von Notifizierungen

- davon von Deutschland initiiert

11*

1*

33

14

36

7

Alle erhaltenen Konsultationsanfragen aufgrund herausgegebener Notifizierungen

- davon an Deutschland herangetragen


11*

1*


27

4


25

5

Anmerkung: * = wurden im ersten Bericht nur gemeinsam erfaßt

Christopher Steinmetz ist freier Journalist und Mitarbeiter der Berliner Instituts für Transatlantische Sicherheit.

 

 

Fussnoten:

(1) siehe ami 7/98, S. 9ff.

(2) Das Kernkabinett gibt Entscheidungsempfehlungen für die zuständige Minister. Außenminister Louis Michel ist federführend für Entscheidungen bezüglich wallonischer Angelegenheiten, Annemie Neyts für flämische.

(3) Zum Bürgerkrieg in Nepal vgl. ami 6/02, S. 34

(4) Radio Netherlands, 27.8.02; BBC News Europe, 31.8.02

(5) De Standaard, 29.8.02

(6) BBC News Europe, 31.8.02

(7) Der Anteil wird mittels der Société Wallon de Gestion et de Participations (SOGEPA) gehalten.

(8) Berliner Zeitung (Berl.Z.), 6.3.02; Nepali Times, 18.5.01 (www.nepalnews.com.np); Nepali Times, 23.11.01; Jane's Defence Weekly, 27.3.02, S.42

(9) Im Jahr 1999 erhielt Heckler&Koch den Auftrag für den Bau einer Fabrik zur Herstellung von 5.56mm Munition. Allerdings beruhte die damalige Entscheidung auf einem Tauschgeschäft. Ursprünglich sollte BAe Systems ein RJ 100 Flugzeug an Nepal liefern, doch scheiterte dieses Geschäft in der letzten Minute. Als Kompensation arrangierte BAe Systems die Lieferung der besagten Fabrik im Wert von 2,7 Mio.$ durch die Tochterfirma von Royal Ordnance, Heckler&Koch. Außerdem erhielt Heckler&Koch ein Jahr später einen Auftrag im Wert von 5 Mio.$ zur Errichtung einer Wartungs- und Reparaturwerkstatt für die Gewehre. Vgl. Berl.Z. 6.3.02, Nepali Times Kathmandu, 18.5.01 (www.nepalnews.com.np)

(10) Heckler&Koch gehört zwar der britischen Rüstungsfirma Royal Ordnance, (ami 4/91, S. 13f.) aber die Produktionsstandorte liegen vorwiegend in Deutschland. Aus diesem Grund mußte sich der Bundessicherheitsrat mit dem Nepal-Geschäft befassen.

(11) Janes Defence Weekly, 20.2.02, S.29

(12) Berl.Z., 8.5.02; Amnesty International - Deutschland, Juni 2002 (www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/windexde/JL2002088)

(13) Die Kriterien finden sich im Rüstungsexportbericht 2000 der Bundesregierung als Anlange zu den "Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgüter" vom 19.1.00: Verhaltenskodex der Europäischen Union für Waffenausfuhren vom 8.6.98

(14) Verhaltenskodex der Europäischen Union für Waffenausfuhren vom 8.6.98, Operative Bestimmungen Punkt 3.

(15) Vgl. Second Annual Report according to Operative Provision 8 of the European Code of Conduct on Arms Exports (2000/C 379/01), abgedruckt im Official Journal of the European Communities, 29.12.00

(16) Rüstungsexportbericht 2000. Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahr 2000, Berlin, 2001, S. 9

(17) siehe ami 2/00, S. 15ff.

(18) Siehe z.B. Verhaltenskodex der Europäischen Union für Waffenausfuhren vom 8.6.98, Operative Bestimmungen Punkt 4 im Rüstungsexportbericht 2000 der Bundesregierung, s.o.